Mittwoch, 31. Dezember 2008

Blick zurück und nach vorn

Ist der 31.12. eines jeden Jahres wirklich geeignet, sich zu besinnen und gleichzeitig nach vorn zu schauen? Ich war heute in der Stadt und habe nur mit Mühe einen Parkplatz gefunden. Alle Welt war auf den Beinen, als ob es die letzte Gelegenheit war, Lebensmittel zum Überleben zu ergattern. Der Silvester-Tag scheint mir vor allem für Hektik und Stress zu bestehen, und der Neujahrstag darin, sich von den Strapazen zu erholen.

Und dennoch - da gibt es so einen kleinen Moment, nämlich den kurz nach Mitternacht, wenn alles um einen herum sich in den Armen liegt und ein frohes neues Jahr wünscht und der Sektkorken nicht aus der Fasche will. In diesem Moment laufen einige der besonderen Momente des vergangenen Jahres vor dem inneren Auge ab. Wohl dem, der sich mit Dankbarkeit und Freude erinnern kann.


Was aber, wenn diese Momente einfach nur schrecklich waren? Wenn das Jahr überschattet war von Abschied, Trauer und unendlicher Verzweiflung? Was, wenn jeder Gedanke an schöne Dinge, die geschehen sind oder vor einem liegen, sofort beiseite geschoben wird von der Erkennntnis, dass nichts wirklich Bestand hat? Für mich war es ein Jahr, das nahezu alles in Frage gestellt hat, was bisher so selbstverständlich erschien. Und das den Blick nach vorn so stark trübt, dass Pläne und Wünsche nur mühsam formuliert werden können.

Das klingt depressiv, mutlos und hoffnungslos, ich weiß. Und es ist nicht das, was man zum Jahreswechsel lesen möchte, weil es nichts als Hilflosigkeit auslöst. Was soll man jemandem sagen, was für ihn tun, der so denkt? Die Antwort habe ich in diesem Jahr vielfach erfahren und sie ist so einfach: Mitgefühl zeigen. Womit der Wunsch im Namen aller, die diesen Jahreswechsel ähnlich empfinden, lautet: Versucht nicht, anderen in diesen Situationen gute Ratschläge zu geben oder mit aufmunternden Worten Trost zu spenden nach dem Motto: "Es wird schon weiter gehen!" Zeigt einfach nur Mitgefühl. Mehr ist gar nicht nötig.

Dienstag, 16. Dezember 2008

Wann Bezahlung als fair erlebt wird

Schon wieder das Thema "Bezahlung"? Klar, weil man darüber so wunderschön diskutieren kann. Seit Herzberg wissen wir, dass Geld zu den Hygienefaktoren zählt, nicht zu den Motivatoren. Das bedeutet, dass immer dann, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass ihr Gehalt fair ist, sie nicht unzufrieden sind. Über die Zufriedenheit entscheiden andere Dinge, die sogenannten "Motivatoren". Aber Mitarbeiter zu haben, die nicht unzufrieden sind, wäre ja schon mal etwas. Und dazu gehört, ein Gehaltsystem zu schaffen, das von allen - oder zumindest von einem Großteil - als angemessen und fair erlebt wird.

Nun zeigt eine Umfrage des Great Place to Work® Institute Deutschland, dass selbst in den Unternehmen, die von den Mitarbeitern eigentlich gut beurteilt werden, das Gehalt nur von einem Teil als gerecht erlebt wird. Außer bei Adobe Systems, hier sind 93% der Befragten der Ansicht, bei ihnen ginge es fair zu. Das lässt aufhorchen und macht neugierig. Was macht das Personalmanagement dort anders?

Mitarbeiter können Kollegen, die die Werte vorbildlich leben, ein Zertifikat und eine Auszeichnung zukommen lassen, beides wird mit einem "Bonus" prämiert. Neben der Grundvergütung gibt es eine Reihe von Boni, Aktien und Zusatzleistungen, dabei achtet man auf länderspezifische Rahmenbedingungen wie Lebenshaltungskosten. Die Gehälter werden jährlich überprüft, es gibt quartalsweise Zielvereinbarungen und eine Erfolgsbeteiligung.
Mal abgesehen von der Möglichkeit, Kollegen indirekt Geld zukommen zu lassen - klingt das irgendwie anders als das, was die meisten Unternehmen in Sachen Gehalt anbieten?

Liegt das Erfolgsgeheimnis also darin, ein besonders ausgeklügeltes Belohungssystem zu etablieren? Oder darin, für alle möglichen Leistungen finanzielle Gegenleistungen und sonstige Belohnungen bereitzuhalten?

Ich glaube, der Grund ist ein anderer. Welches Gehalt jemand als gerecht erlebt, hängt in erster Linie davon ab, welche Vergleiche er zieht. Innerhalb einer Organisation wird er vor allem auf das Gehalt der Kollegen achten, deren Leistung mit der eigenen vergleichen und dann entscheiden, ob die Relation stimmt.

Was muss ein Unternehmen also tun, um dieses Gefühl von Fairness zu ermöglichen? Es muss selbst diesen Abgleich regelmäßig vornehmen und darf ihn nicht an ein System delegieren. Ich kann mich gut an den Satz erinnern: "Ja, Sie haben natürlich Recht, die Gehaltsanpassung steht Ihnen eigentlich zu, aber das Gehaltssystem lässt das leider nicht zu, da spielt die Personalabteilung nicht mit." Arme Personalabteilung, aber wer solche Systeme entwickelt und einführt, darf sich da nicht wundern.

Es bleibt meines Erachtens gar keine andere Möglichkeit, als regelmäßig z.B. im Rahmen von Entgeltkonferenzen (oder wie auch immer man so etwas nennt) zu überprüfen, ob die Gehaltshöhe mit dem wahrgenommenen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens im Einklang steht - und das für jeden Mitarbeiter. Diese werden feststellen: "Sieh mal an, da zieht sich niemand auf die Spielregeln eines einmal festgelegten Systems zurück. Man gibt sich Mühe, beschäftigt sich ernsthaft mit meiner Leistung und tut alles, um ihr gerecht zu werden."
Das ist aufwändig, keine Frage. Aber es ist möglich, wie das Beispiel von Adobe zeigt.

Ein Gegenargument, das ich immer wieder zu hören bekomme: "Gehaltsfragen werden bei uns vertraulich behandelt, die Tatsache, dass Kollegen mehr bzw. weniger verdienen, kann da gar nicht der Grund für die Unzufriedenheit sein." Naiver geht's nimmer, oder?

Rezension zum Thema:
Leistung und Werthaltung als Maß, Personalmagazin 8/2008

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Nicht auszurotten

Der Glaube, dass man nur die richtigen Anreizsysteme schaffen müsse, und schon funktionieren Menschen und ganze Organisationen wie gewünscht, ist weit verbreitet und nicht tot zu kriegen. Es klingt ja auch ungeheuer plausibel: Man möchte, dass Bankberater mehr eigene Bankprodukte verkaufen, also muss man doch nur die variable Vergütung an die Anzahl der abgeschlossenen Verträge koppeln, und schon stellen die Mitarbeiter ihr Verhalten von Beratung auf Verkauf um. Natürlich wird das so nicht kommuniziert, aber das ist eine andere Geschichte.

Man möchte, dass Pharmavertreter den Gewinn steigern? Dann muss man ihr Gehalt an die Höhe des Gewinns koppeln. Dumm, wenn sie dann nur noch die Produkte in den Markt drücken, die eine hohe Marge abwerfen, obwohl man doch, aus strategischen Gründen, andere Produkte stärker platzieren möchte. Kein Problem, koppelt man einen Teil der Prämie an die Anzahl der verkauften "strategischen Produkte". Irgendwann wird das System undurchschaubar. Gut für den Verkäufer, der es dann prima austricksen kann. Dagegen gibt es dann wieder ein Mittel usw. usw.

Was in der "freien Wirtschaft" so toll funktioniert, das können wir doch auch bei der Finanzierung von Universitäten einsetzen, dachte sich die Politik. Nun erhalten die Hochschulen in NRW die Landesmittel in Abhängigkeit davon, wie viele Studenten wie schnell zum Abschluss kommen, wie viele Promotionen betreut werden und wie viele Drittmittel sie an Land ziehen.

Ein Gedankenexperiment

Ein interessantes Gedankenexperiment wäre, einmal zu überlegen, welche Möglichkeiten es denn gibt, diese Zahlen in die Höhe zu treiben. Schnelligkeit des Studiums? Kein Problem, dann darf man bei den Prüfungen nicht so hart sein. Anzahl der Promotionen? Da wird sich so einiges finden lassen.

Es kommt noch besser: Wenn eine Uni es schafft, diese Kennzahlen zu "optimieren", kriegt sie nur dann mehr Geld, wenn andere schlechter abschneiden, denn der Gesamttopf bleibt ja gleich. Was muss sie also anstellen, damit die Konkurrenz schlechter abschneidet?

Die Sache mit dem Kuchen

Ich denke zu schlecht von den Menschen? Wie wäre es mit diesem Gedankenexperiment: Sie haben einen großen Kuchen und sagen Ihren drei Kindern: Wie groß der Anteil jedes einzelnen von euch ist, hängt davon ab, wie schnell Ihr euer Zimmer aufgeräumt habt, wie schnell Ihr eure Hausaufgaben fertig habt und wie viele Karten Ihr an die liebe Verwandschaft zu Weihnachten geschrieben habt.

Was wird geschehen? Werden sie den Müll in ihrem Zimmer in Schubladen und unter dem Bett verstauen? Werden sie die Zahl der (angeblichen) Hausaufgaben reduzieren? Und werden sie sich anschließend gegenseitig denunzieren? Oder sind sie so clever, sich abzusprechen und am Ende alle gleichzeitig fertig zu sein?
Ich bin gespannt, wie lange das gut geht mit der Geldverteilung nach "Leistung". Nicht lange, ist meine Prognose, weil der Aufwand, zu kontrollieren, ob alles auch in der erforderlichen Qualität abläuft, immens sein wird.

Rezensionen zum Thema:
Ohne Fleiß kein Preis / Wenn der Vertrieb über alles geht, Financial Times Deutschland, 22.10.2008

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Wenn Berater Werte entdecken

Das ist lustig - oder besser: Peinlich. Es soll Berater geben, die sich abwenden vom Streben nach der schnellen Kohle und stattdessen entdeckt haben, dass es so etwas wie "Werte" gibt. Zitat: "Werte werden in der Beratung wichtiger!" Plötzlich sei die eigene Arbeit "von Werten geprägt!" Da sollten wir uns doch freuen, oder? Und fragen uns, wovon die Arbeit denn bisher bestimmt war...

Es ist schon erstaunlich, dass der Begriff "Werte" so positiv geprägt ist, oder? Werte sind also an sich etwas Gutes, dabei sind sie erstmal neutral. Als ob die Arbeit bisher ohne Werte auskam. Es waren vielleicht andere, z.B. Wettkampf, Gewinnen, Erfolg, Reichtum, Status...

Auch an diesen ist doch erst einmal nichts Verwerfliches. Problematisch wird es, wenn sie keinen Raum für andere Werte lassen. Wenn es eben ausschließlich um Wohlstand und Ansehen geht. Wenn jetzt ein Berater daherkommt und behauptet, seine Arbeit sei "von Werten geprägt", dann sollte man mal nachfragen, von welchen denn. Fallen dann Begriffe wie "Verantwortung", "Ehrlichkeit", "Vertrauen", dann sollten Sie vielleicht mal nachfragen, wie er denn davon zu leben gedenkt.
Schon erstaunlich, wie naiv Wirtschaftsjournalismus manchmal daherkommt...

Rezension zum Thema:
Zurück auf den Pfad der Tugend, Financial Times Deutschland, 13.10.2008

Dienstag, 2. Dezember 2008

Die Sache mit der Gier

Wir Menschen tendieren immer wieder zu einfachen Ursachenzuschreibungen. Und dazu, bei Problemen nach Schuldigen zu suchen. Da haben wir eine globale Finanzkrise, also muss es doch Menschen geben, die Mist gebaut haben. Haben sie auch, und damit sie in Zukunft mit dem Geld, das ihnen anvertraut wird, vernünftig umgehen, sollten sie ensprechende Konsequenzen ziehen.

Aber haben wir damit DIE Ursache gefunden? Ist es die unersättliche Gier der (Finanz-)Manager, die für das Desaster verantwortlich gemacht werden kann? Ein Wirtschaftsethiker stellt klar, dass unser ganzes Wirtschaftssystem auf dieser Gier basiert. Was hätten wohl die Anleger gesagt, wenn die Fondsmanager und Investmentbanker, die ihre Millionen vermehren sollten, sich früh von den gewagten "Produkten" (warum habe ich nur nach wie vor ein Problem damit, spekulative Anlagen und Wetten auf Kursgewinne bzw. -verluste als "Produkt" zu begreifen?) distanziert hätten? Vermutlich hätten sie ihnen die Hölle heiß gemacht, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen.

In der Tat basiert doch der freie Markt auf dieser "Gier" nach "Mehr", was für eine Heuchelei, jetzt die bis dahin bewunderten Investment-Banker zu verteufeln. Und wenn diese jetzt argumentieren, sie hätten gar nicht anders gekonnt als mitzuspielen, dann ist da sicher was dran.

Also liegt die Ursache im System? AUCH, deshalb erscheint es sehr sinnvoll, dass nun nach klaren Spielregeln und Kontrolle durch den Staat gerufen wird. Allein auf die Selbstregulation zu vertrauen, hat sich als extrem naiv herausgestellt. Wer weiterhin vor einer "Überregulierung" warnt, wird im Moment schlechte Karten haben. Obwohl man deren "Nebenwirkungen" nicht aus den Augen verlieren darf. Es gibt eben nicht die EINE Ursache.

Entlastet das nun den Einzelnen, der mitgespielt und verloren hat? Wohl kaum: Wer frühzeitig erkennt, dass das, was angeblich alle machen, Unsinn ist oder gar unethisch, hätte sich ja trotzdem verweigern können. Der persönliche Preis dafür mag zunächst hoch sein. Er wäre wahrscheinlich als ängstlich, pessimistisch und risikoscheu verunglimpft worden. Und hätte möglicherweise sogar seinen Job riskiert. Aber wie stünde er jetzt da?

Neben der Gier und der unzureichenden Kontrolle scheint mir die beschriebene "Ich kann doch nicht anders, mir bleibt ja nichts anderes übrig als mitzumachen-Haltung" eine weitere Ursache des Problems zu sein. Sie hat es schon zu allen Zeiten gegeben. Manchmal denke ich, dass es zur Pflicht jeglicher Ausbildung gemacht werden sollte, Fallbeispiele von "Ungehorsam" und "Verweigerung" zu studieren. So eine Art Unterricht in "Sich verweigern". Ein Name für dieses "Fach" müsste noch gefunden werden.

Rezension zum Thema:
Kategorien wie Gier führen in die Irre, Financial Times Deutschland 14.10.2008

Dienstag, 25. November 2008

Das Senioritätsprinzip

Gerecht war es nie, das Senioritätsprinzip, oder? Wer lange genug in einem Unternehmen aushielt, der steigerte sein Einkommen und seinen Status nahezu automatisch, solange er sich nichts Dramatisches zu Schulden kommen ließ. Das war dann für die jüngeren Kollegen mitunter unerträglich: Da saß der Senior im Büro gegenüber, verrichtete die gleiche Arbeit (oder deutlich weniger) und erhielt ein erheblich höheres Gehalt.

Damit soll nun endgültig Schluss sein. Streng nach Leistung will man nun honorieren. Wer weniger leistet, bekommt auch weniger, Alter spielt jetzt keine Rolle mehr. Na endlich, werden viele sagen, denen die Ungerechtigkeit schon lange gegen den Strich ging. Aber geht es nun gerechter zu?

Das System war nur scheinbar ungerecht. In Zeiten, in denen man sich darauf verlassen konnte, bis ans Ende seiner Berufslaufbahn in einem Unternehmen zu verbringen (es sei denn, man wechselte und verbesserte sich dadurch auch entgeltmäßig), glich sich diese vermeintliche Ungerechtigkeit doch irgendwann aus. Viel arbeiten und wenig verdienen in jungen Jahren, weniger arbeiten und viel verdienen im fortgeschrittenen Alter - quasi als Ausgleich, dass man früher in Vorleistung gegangen ist. Da es alle gleichermaßen betraf, war es durchaus gerecht - es sei denn, man schied vorzeitig aus dem Berufsleben aus. Und wenn der jüngere Kollege aufbegehrte, dann konnte der weise Schreibtischnachbar lächeln und sagen: "Mein junger Freund, mir ging es nicht anders, als ich jung war. Irgendwann wirst du auch dahin kommen, wo ich heute stehe!"

Leistung als Maßstab?

Das wird es nicht mehr geben. Leistung soll der einzige Maßstab für das Honorar sein. Gerechter? Nicht für diejenigen, die sich früher für weniger Geld ein Bein ausgerissen haben und nun kürzer treten - sie werden um ihren "Vorschuss" gebracht. Das, worauf sie sich die ganze Zeit verlassen haben, tritt nun nicht mehr ein. "Ihr leistet HEUTE weniger, also bekommt Ihr HEUTE auch weniger!" werden sie zu hören bekommen. Was Ihr früher geleistet habt, zählt nicht mehr. Verwundert es, wenn ihre Motivation gegen Null geht?

Gerecht wäre es, den (psychologischen) Vertrag zu erfüllen und ihnen den (verspäteten) Lohn auszuzahlen. Will man das System nun umstellen, was ja durchaus seine Berechtigung hat, müsste man parallel dazu die jüngeren nach ihrer Leistung bezahlen. Das aber würde teuer werden und ist schon deshalb kaum realistisch. "Pech gehabt" ist alles, was man den "Senioren" sagen wird...

Es sei denn, sie werden auf einmal dringender denn je benötigt. Über einen Satz musste ich besonders schmunzeln. Er stammt von einem Geschäftsführer, der ausdrücklich Ingenieure im Alter jenseits der 55 sucht. "Sollen die Jungen doch ihre Fehler an den Maschinen der Konkurrenz machen!" Jau...

Rezensionen zum Thema:
Abschied vom Senioritätsprinzip, Personalführung 10/2008
Der König und sein Prinz, Financial Times Deutschland, enable 10/2008

Sonntag, 23. November 2008

Teil 2: Assessment Center zur Personalentwicklung

Hier folgt nun Teil 2 zur Frage: Welche Alternativen gibt es zum klassischen Assessment Center? Diesmal geht es um das sogenannte Personalentwicklungs-AC, häufig auch Development Center genannt. Im Gegensatz zum bereits besprochenen Auswahl-AC, bei dem sich vorrangig die Frage nach Aufwand und Nutzen stellte, sehe ich diese internen Veranstaltungen, die angeblich der Analyse des Potenziales von Nachwuchskräften dienen, als völlig überflüssig an. Schauen wir uns die beiden "schlagkräftigsten" Argumente für ein solches AC an:

1. Ein AC ist in der Lage, "verborgene Potenziale" eines Kandidaten, die im beruflichen Alltag nicht beobachtet bzw. beurteilt werden können, aufzudecken.

2. Ein AC ist in der Lage, die Potenziale objektiv dank des Mehraugenprinzips unter quasi experimentellen, sprich: standardisierten Bedingungen, zu erfassen, was im sonstigen beruflichen Alltag nicht möglich ist.

Was ist das: Potenzial?

Verborgene Potenziale? Mal abgesehen davon, dass Potenziale in einem Unternehmen überhaupt nur dann verborgen bleiben können, wenn man Menschen keine Gelegenheit gibt, sie zu zeigen: Welche sollten das denn sein, die ganz plötzlich in Präsentationen, Rollenspielen, Gruppendiskussionen oder Postkorbübungen zum Vorschein kommen? Wenn jemand einige Jahre im Unternehmen ist und man immer noch nicht weiß, ob er präsentieren kann, ein schwieriges Gespräch führen, sich in Besprechungen einbringen oder unter Zeitdruck seine Aufgaben bearbeiten kann, dann muss sich das Management doch die Frage gefallen lassen, wo man diesen "Kandidaten" denn die ganze Zeit "versteckt" hat?

Meine These: Die Beobachtungen, die in einem AC gemacht werden, sind in der beruflichen Realität bereits 100fach gemacht worden, das Wissen ist längst "im Unternehmen". Mag sein, dass es nicht bei denjenigen ist, die auf Personalkonferenzen über das Schicksal der Kandidaten entscheiden - aber es ist vorhanden.

Vorteil Mehraugen-Prinzip

Objektivität im Sinn von "Wahrheit" gibt es nicht, bleibt also die angeblich so hilfreiche Funktion, dass hier mehrere Beobachter verhindern, dass es zu einer einseitigen Einschätzung durch einen einzigen Vorgesetzten kommt. Je nachdem, wie gut ein AC konzipiert und moderiert wird, mag das sogar gelingen. Aber wenn man denn (oft zu Recht) dem Urteil eines Vorgesetzten nicht traut - warum fragt man dann nicht mehrere kompetente Menschen, wie sie das Potenzial der Kandidaten einschätzen? Wozu muss man erst alle in ein Hotel karren und sie tagelang einsperren?

Gegenrede: Das ist deshalb nicht sinnvoll, weil ja alle auf Basis unterschiedlicher Erfahrungen zu ihrer Einschätzung kommen, dann sind die Ergebnisse nicht vergleichbar.

Meine These: Der vermeintliche Nachteil, dass bei mehreren "Potenzialeinschätzern" unterschiedliche Beobachtungssituationen vorliegen, ist in Wirklichkeit ein gewaltiger Vorteil gegenüber jedem AC. Das nämlich klammert alle anderen möglichen Situationen aus und bietet nur einen Ausschnitt - und der ist noch durch die künstliche Laborsituation stark beeinträchtigt - egal, wie gut ein AC konzipiert ist.

Um die These an einem Beispiel zu belegen: In einem Verfahren, bei dem wir einen Kandidaten auf Grund beruflicher Situationen in der Vergangenheit von mehreren "Beurteilern" haben beschreiben lassen, die unterschiedliche Perspektiven einnahmen, kam es zum Teil zu erheblichen Widersprüchen, die in solchen Einschätzungen gipfelten wie: "Informiert umfassend und zeitnah" und "informiert nur, wenn es dem eigenen Vorteil dient". Oder: "Kann gut zuhören" auf der einen und "sollte lernen zuzuhören" auf der anderen Seite.

Die Erklärung war recht naheliegend: Die Vorgesetzten des Kandidaten fühlten sich bestens informiert und erlebten ihn als aufmerksam und interessiert, die Kollegen sahen in ihm einen gnadenlosen Opportunisten. Versuchen Sie mal, das in einem AC zu erheben. Nicht schwer zu raten, wie dieser Kandidat in einem AC abschneiden würde...

Das Wissen im Unternehmen nutzen

Damit ist die Alternative zum AC für mich so naheliegend wie nur etwas: Nutzen Sie das Wissen, das über den jeweiligen Kandidaten bereits im Unternehmen vorhanden ist und erheben Sie es so sorgfältig wie möglich. Das ist mit einem überschaubaren Aufwand machbar und praktisch vielfach erprobt. Anschließend führen Sie eine "Beobachterkonferenz" durch, oder besser eine "Personalentwicklungskonferenz", wo diejenigen, die über Einsatzmöglichkeiten der Kandidaten entscheiden, so professionell moderiert werden, dass sie zu Ergebnissen kommen, die jedes AC-Gutachten übertreffen.

Einziger Nachteil: Das Ritual, durch das die Entscheider selbst hindurchgegangen sind, entfällt und damit der beliebte Grund: "Mein Lieber, wir mussten alle dadurch, das hat uns auch nicht geschadet. Zeigen Sie mal, was Sie so drauf haben...."

Dienstag, 18. November 2008

Was haben Zielvereinbarungen mit der eigentlichen Arbeit zu tun?

Ein Satz aus einem Beitrag über Zielvereinbarungen bei der Polizei (eine lustige Idee!) ließ mich aufmerken: "Besondere Probleme bereitet die Differenzierung zwischen der Zielarbeit und der täglichen Polizeiarbeit."
Das ist mir immer wieder begegnet. Offensichtlich gibt die "eigentliche Arbeit", das wofür man eingestellt und bezahlt wird, und es gibt die Ziele - der Begriff "Zielarbeit" war mir bisher neu. Erstere, die tägliche Arbeit, dient also nicht der Zielerreichung. Kann das sein?
Natürlich nicht, völliger Unsinn. Was man schon daran sieht, dass doch die Ziele immer aus den übergeordneten Unternehmenszielen abgeleitet werden sollen. Sagen die Zielstrategen.

Also: Da hat das Unternehmen als Ziel, einen bestimmten Gewinn zu erwirtschaften, ein Produkt schneller als andere auf den Markt zu bringen usw. usw. Wie soll das anders zu schaffen sein als mit der täglichen Arbeit? Doch wenn man nun daran geht, die Ziele auf die unteren Ebenen "herunterzubrechen" (warum muss ich dabei immer an "übergeben" denken?), dann findet man plötzlich bei dem Mitarbeiter in der Produktion oder dem Polizisten auf seiner Dienststelle nur noch "alltägliche Arbeit". Was auch sonst? Damit sorgt er schließlich dafür, dass die übergeordneten Ziele erreicht werden.

Das wäre ja völlig in Ordnung, nur: Was schreibt man dann in die netten Formulare zur Vereinbarung von Zielen? Dinge wie: "Erwischt 10 Taschendiebe im Jahr"?

Erinnert mich an das Vorschlagswesen, das auch immer wieder hervorgekramt wird. Man soll seine Arbeit machen und "daneben" noch Verbesserungsvorschläge einreichen. Nicht als Teil seiner eigentlichen Arbeit, sondern Mitdenken als "freiwillige Zusatzleistung".

Da zeigt sich der ganze Unsinn von einst so gut gemeinten Managementmodellen. Ziele um der Ziele willen vereinbaren ist genauso hirnrissig wie Verbesserungsvorschläge zu machen, um bestimmte Quoten zu erfüllen. Auf diese Weise werden Instrumente um der Instrumente willen bedient und erzeugen nichts als Frust.

Rezension zum Thema:
Ziel verfehlt, Personal 9/2008

Samstag, 15. November 2008

Nutzen im Kerngeschäft?

Wenn ein Schokoladenhersteller sich für den Erhalt des Regenwaldes engagiert, weil jedes Grad Erderwärmung der Schokoladenindustrie Millionen kostet, dann klingt das nach einer sinnvollen Verbindung von Kerngeschäft und "Corporate Social Responsibility". Aber was hat eine Brauerei mit dem Regenwald zu tun? Hatte sie die falschen Berater?

Die Beiträge, die penetrant die Forderung wiederholen, soziales Engagement müsse einen nachweisbaren Nutzen für das Kerngeschäft bringen, reißen nicht ab. Im Personalmagazin 6/2008 fanden wir endlich mal eine Anzahl praktischer Beispiele - dachten wir zumindest. Da stellt ein Unternehmen, das Büromöbel herstellt, seine Kantine für Konzerte zur Verfügung. Nutzen im Kerngeschäft? Eine exzellente Presse und Aufmerksamkeit in der Region. Nanu? Ist deren Kerngeschäft, Aufmerksamkeit zu erlangen? Mikrosoft unterstützt Mitarbeiter, die sich sozial engagieren, indem sie hierfür freigestellt werden. Nutzen im Kerngeschäft? "Die vom Unternehmenszweck losgelöste, gesellschaftliche Verantwortung." Hallo? Hier wird sogar ausdrücklich betont, dass die Aktivitäten vom Kerngeschäft losgelöst sind.

Alle Beispiele sind ähnlich konstruiert. Da lobe ich mir die Aussage des letzten Unternehmens, dem Buchholz-Fachinformationsdienst, der den "Verein Hoffnung für die Zukunft" unterstützt. Aussage: "Das Unternehmen verweist darauf, dass ein Nutzen für das Unternehmen weder erzielt noch beabsichtigt ist." Geht doch...

Rezensionen zum Thema:
Für alle und fürs Kerngeschäft
Wo die Vorreiter ansetzen
Personalmagazin 6/2008

Montag, 10. November 2008

Wenn Geist und Zeit knapp werden

Das klingt nach einem spannenden Buch, auch wenn jedes Thema für sich nicht neu ist: Die sieben Knappheiten von Henrik Müller, von dem ein Vorabdruck in der Financial Times Deutschland erschienen ist. Diese sieben sind: Menschen, Geist, Zeit, Energie, Macht, Boden und Wasser.
Menschen und Geist hängen unmittelbar zusammen: Die Weltbevölkerung wächst zwar weiter, aber die Qualifizierten sterben aus. Mit Geist ist Bildung und Ausbildung gemeint - es gibt immer weniger Menschen mit dem dringend benötigten Wissen, hier schlägt der demografische Wandel in den Industrienationen gnadenlos zu.

Auch die Knappheit an Zeit dürfte eine Folge dieser Entwicklung sein: Wenn es immer weniger qualifizierte Menschen gibt, müssen die anderen länger arbeiten - für sie kann der Tag nicht lang genug sein, und ihre Pensionierung können sie weit nach hinten schieben.

Auch wenn mir klar ist, dass es reine Polemik ist: Wenn in der selben Woche in der FTD gleich zwei Beträge über arbeitslose Investmentbanker erscheint, die zu Tausenden auf der Straße stehen und sich von ihrem Luxusleben verabschieden, dann drängt sich die Frage auf, ob sie nicht umgeschult werden können um dort eingesetzt zu werden, wo helle Köpfe gebraucht werden. Um endlich auch mal Dinge von Wert zu produzieren. Ein Investment-Banker in New York, der nun die Buchaltung im Frisörladen seiner Frau führt, scheint mir für die Lösung der Probleme dieser Welt keinen allzu großen Beitrag leisten zu können...

Rezensionen zum Thema:
Die sieben Knappheiten
Das große Warten
Das Streben geht weiter
Financial Times Deutschland, 15.9.-19.9.2008

Freitag, 7. November 2008

Teil 1: Assessment Center zur Personalauswahl

Die Diskussion um das Assessment Center ist in vollem Gang, schön, dass in diesem Blog mal Meinungen ausgetauscht werden. Einer der ersten Kommentatoren fragte mich nach Alternativen zum AC. Nun denn...

Zunächst möchte ich unterscheiden, ob es um die Auswahl von externen Bewerbern geht oder um die interne Entwicklung von Kandidaten. In beiden Fällen werden ACs eingesetzt, in diesem Beitrag möchte ich auf das Auswahl AC und seine Alternativen eingehen. Teil 2 folgt später.

Was weiß ein Arbeitgeber, der einen neuen Mitarbeiter einstellen will? Wenig, wenn er keine Referenzen einholt. Er hat die Bewerbungsunterlagen, das wars. Dass der Einsatz eines ACs hier verlockend ist, verstehe ich. Dann kann man neben dem - hoffentlich gut geführten - Einstellungsinterview den Kandidaten beim Agieren zuschauen, sie sozusagen Probehandeln lassen. So wie Fußballvereine neue Spieler zum Probetraining bestellen.

Das, was man dort beobachtet, ist allerdings vor allem erst mal nur eines: Die Fähigkeit von Menschen, in einer künstlichen Situation das Verhalten zu zeigen, was von ihnen erwartet wird - oder besser: von dem sie glauben, dass es von ihnen erwartet ist.

Muss ja nicht verkehrt sein: Jemand, der im Rollenspiel seinen "gespielten" Kunden höflich so lange bequatscht, bis er etwas kauft, hat gezeigt, dass er dieses Verhalten zeigen kann. Ob er es in der realen Situation dann auch tut, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass er auch in anderer Umgebung das Verhalten reproduziert, ist höher als bei einem Konkurrenten, der es im AC eben nicht gezeigt hat. Er mag es zwar auch können, aber wir wissen es nicht.
Das spricht also für ein Auswahl AC. Und was spricht dagegen?

Warum das AC nicht die beste Alternative ist

1. Die meisten Beobachter sind nicht in der Lage, differenziert zu beobachten und Kriterien auseinander zu halten - und sage mir keiner, er würde die Beobachter intensiv schulen. Würde er das tun, wäre der Aufwand so immens, dass das ganze Verfahren völlig unwirtschaftlich wäre. Bleibt die Beobachtung durch Experten (die selten im Unternehmen "vorrätig" sind). Wer sich das erlauben kann und damit zum eigenen Eindruck (z.B. aus dem Einstellungsinterview) eine zweite Meinung einholt, warum nicht? Nur besteht dann die Gefahr, dass man die Entscheidung delegiert und beim Scheitern immer auf die Fachleute zeigen kann.

2. ACs sind etwas für Wettkampftypen. Es gibt Kandidaten, die sich in der Konkurrenzsituation wohl fühlen und Spaß daran haben, sich zu behaupten und durchzusetzen. Wenn ich genau solche Personen suche, halte ich das Verfahren sogar für sehr geeignet - auf in den Ring, der Stärkste möge gewinnen. Die anderen aber fühlen sich unwohl, gezwungen, sich zu produzieren, sich darzustellen, zu kämpfen. Wer gut ist und die Wahl hat, wird sich diesem Verfahren nicht stellen und zu einem anderen Untenehmen gehen.

3. Der Aufwand ist zu hoch: X hochbezahlte Beobachter sitzen ihre Zeit ab und beobachten jeden Kandidaten jeweils wenige Minuten beim Verhalten - egal, wie gut man so etwas organisiert. Rechnen Sie einfach mal nach...
Warum sie dennoch immer wieder durchgeführt werden? Der hohe Aufwand suggeriert: Wir haben alles getan, um den besten Kandidaten zu entdecken, mehr geht nicht. Kritisieren Sie mal vor Beobachtern, die sich so viel Mühe geben, das Verfahren - damit kritisieren Sie auch deren Aufwand und Einsatz. Wer lässt sich schon gerne sagen: Nett gemeint, aber wenig sinnvoll.

4. Die Entscheidung treffen selten diejenigen, die am Ende mit dem Auserwählten zusammen arbeiten. Oder kennen Sie ACs, in denen zukünftige Kollegen und Mitarbeiter als Beobachter sitzen? Das nährt den Verdacht, dass es sich beim Beobachterspiel um eine Art Machtdemonstration handelt: AC Beobachter zu sein ist ein Privileg, das man sich verdienen muss.

Die Alternativen

Trotz aller Vorbehalte - Kandidaten in eine Situation zu bringen, in denen sie sich verhalten müssen, ist ein guter Ansatz. Aber muss man sie dafür auf einer Bühne gegeneinander antreten lassen? Warum lädt man sie nicht ein, den Tag im Unternehmen zu verbringen, mit zukünftigen Chefs und Kollegen zu sprechen, diese zu befragen und deren Fragen zu beantworten und das Unternehmen kennen zu lernen? Glauben sie mir - ein härterer Test als der, sich den zukünftigen Kollegen zu stellen, ist das AC sicher nicht. Nur haben sie anschließend ein Meinungsbild vieler. Mit einem entscheidenden Vorteil: Wer ja sagt zu dem Neuen, der wird ihn nachher auch entsprechend unterstützen und dafür sorgen, dass er integriert wird und "funktioniert".

Womit wir bei einem weiteren Nachteil des ACs sind: Wenn der Kandidat nachher nicht die Erwartungen erfüllt, wer wird dann wohl versagt haben: Die Top-Manager, die gleich zu mehreren den Betreffenden einer peniblen Prüfung unterzogen haben oder sein Vorgesetzter, der ihn einarbeitet? Und wird dieser in der Probezeit den Mut haben zu sagen: "Liebe hochqualifizierte und gestandene Managerkollegen, da habt Ihr kräftig daneben gelegen?"
Also sagt er am Ende der Probezeit lieber: "Das wird schon irgendwie!"

Mein Fazit: Ein Einstellungsinterview, das sich auf das Verhalten, die Erfolge und Misserfolge des Kandidaten in der Vergangenheit konzentriert und dann - absolut zulässig - aus dem vergangenen auf zukünftiges Verhalten schließt, verbunden mit einem "Schnuppertag" (so gelesen in der Ausgabe 6/2008 Seite 98 des Personalmagazin, praktiziert von der Firma IKB Leasing GmbH) halte ich für die weitaus tauglichere Alternative. Mal abgesehen davon, dass man die Probezeit viel mehr nutzen sollte, um sich der Entscheidung auch wirklich sicher zu sein, was leider selten geschieht.

Teil 2, das AC als Personalentwicklungsmaßnahme, folgt in Kürze.

Dienstag, 4. November 2008

Vergessen Sie alle Erfolgsrezepte!

Haben Sie schon mal ein Haus gebaut? Oder ein altes umgebaut? Sich über Bauleiter, Architekten und Handwerker geärgert und fassungslos erlebt, was alles schief gehen kann? Und wenn Sie sich dann über die schiefen Fliesen oder die Risse in selbigen beschwert haben, die Antwort erhielten: "Das ist im Rahmen der DIN-Norm!" Wen interessiert in diesem Moment eine Norm? Ich kenne einen Architekten, der sich häufig über Bauherren aufregt, die unendlich viel Ärger machen. Und dann lese ich von einer Firma, die erkannt hat, wie leicht es sich leben lässt, wenn man die Welt mal durch die Brille des Bauherren betrachtet. Auf einmal lebt es sich leichter - und alle haben weniger Ärger.

Fazit: Wer sich nur auf sein Produkt konzentriert und die Bedürfnisse des Kunden aus den Augen verliert, handelt sich unnötigen Ärger und Frust auf beiden Seiten ein. Eine Regel von allgemeiner Gültigkeit?

Keineswegs. In dem gleichen Heft findet sich ein Beitrag über eine Web-Design-Firma in Chicago, die eine Software vertreibt, mit der Internetseiten gestaltet werden. Hier melden sich regelmäßig Kunden, die Sonderwünsche haben und mit der vorgegebenen Lösung nicht so ganz zufrieden sind. Doch die unkonventionellen Macher pfeifen darauf. Zitat: "Ich schreibe eine Software für uns und freue mich, wenn andere sie auch benutzen wollen!" Vorschläge der Kunden werden gleich in den Mülleimer geworfen. Erfolgreich ist das Unternehmen dennoch.

Fazit: Glaube an dein Produkt und lass dich nicht von den Kunden hin- und herzerren. Sonst ist man irgendwann der Sklave seiner Kunden.

Mein Fazit: Es gibt eben nicht DEN Weg zum Erfolg, und deshalb auch kein Patentrezept. Ist ja auch gut so, sonst würden alle den gleichen Weg gehen. Warum aber suchen dann alle nach der Erfolgsformel? Warum lesen wir zum 1000. Mal Beiträge zum Thema "Was wir vom Unternehmen X oder Y lernen können?" Ich mag nach wie vor solche Erfolgsgeschichten - aber die daraus abgeleiteten Erfolgsfaktoren schenke ich mir...

Rezensionen zum Thema:
Die Kümmerer, Brand eins 10/2008
Die Kraft des Mittelfingers, Brand eins 10/2008

Sonntag, 2. November 2008

Macht, Status und Geld

Nehmen wir es mal so wie es in der Financial Times geschrieben stand. Es geht darum, wie Headhunter einen Manager dazu bringen, ihren Arbeitgeber zu wechseln und eine neue Stelle anzutreten. Zitat eines Personalberaters: "Das Gehalt muss steigen, die Position ranghöher sein als die jetzige, der Titel schöner klingen." Passt ja wunderbar ins derzeitige Bild des Managers, den nichts anderes interessiert als Kohle und Status. Ich gebe zu, dass ich dort lieber den Satz gelesen hätte: "Am ehesten lassen sich Manager durch herausfordernde Aufgaben, durch die Aussicht auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine Unternehmenskultur des Vertrauens und gegenseitigen Respekts zum Wechseln motivieren."

Stand dort aber nicht. Wenn wir der Aussage Glauben schenken, dann sind wir noch weit entfernt von so etwas wie einem Wertewandel. Welches Verständnis können Mitarbeiter dieser Führungskräfte erwarten, wenn diese Erfolg an Gehaltssteigerung und mehr Macht und Status messen?
Ich stelle mir vor, dass zu einem Manager, der gerade den Arbeitgeber gewechselt hat, ein Mitarbeiter kommt mit dem Ansinnen, sich weiter zu entwickeln. Dass dieser Manager auf den Gedanken kommt, ihm eine interessantere Aufgabe anzubieten, die Möglichkeit eröffnet, weitere Fähigkeiten z.B. durch Trainings zu erwerben oder ihm gar in Aussicht stellt, mehr Zeit für die Familie zu haben, ist extrem unwahrscheinlich. Und würde der Mitarbeiter genau danach fragen, würde dieser Manager wahrscheinlich nur denken: "Keinen Ehrgeiz, der Mann!"

Mich hat mal jemand gefragt, wie er wohl seinem Chef klarmachen kann, dass er in seiner jetzigen Lebensphase etwas mehr Zeit für sich selbst benötigt. Meine Antwort: "Sagen Sie es ihm doch!" Seine Reaktion: "Das versteht der nie. Ich glaube, ich werde ihm erklären, dass ich einige meiner derzeitigen Aufgaben auf meine Mitarbeiter übertragen werde und mich etwas rar machen möchte, um zu schauen, wer von ihnen das Zeug zu mehr Verantwortung hat." Das nennt man dann wohl taktisches Vorgehen.

Rezension zum Thema:
Gutes Netzwerk ist wertvoller als jede Datenbank, Financial Times Deutschland, 8.9.2008

Montag, 27. Oktober 2008

Rotes Tuch Assessment Center

Da musste ich schmunzeln: Gefragt, was er von Assessment Centern hält, antwortet Fredmund Malik: "Wenig ... Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ergebnis". Heinz Schuler, ein anerkannter Diagnostiker, beklagt, dass die Qualität der ACs drastisch nachgelassen hat. Er schreibt, dass diese Veranstaltungen für die Teilnehmer ein "faszinierender Initiationsritus" ist. Und bei Dorma hat man die Erfahrung gemacht, dass es nicht funktioniert, wenn man die Mitarbeiter durch ein Förder-AC schickt und dann weiß, was aus ihnen werden soll.

Die Beiträge erschienen in der Personalwirtschaft 4/2008. Im gleichen Heft berichtet die Bundesagentur für Arbeit, dass man dort mit Hilfe von Förder-ACs "zusätzliche Erkenntnisse gewinnen" will. Jeder, der eine Führungsaufgabe übernehmen soll, muss durch die Prozedur. Zumindest ist das die Idee. Eine gute Idee?

Ich traue mir zu, Ablauf und Nutzen von ACs beurteilen zu können, weil ich selbst zahlreiche von ihnen moderiert habe. Irgendwann habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass man über zwei bis drei Tage hochbezahlte Nachwuchskräfte von noch höher bezahlten Managern dabei beobachten lässt, wie sie sich um Projektbudgets streiten oder in Rollenspielen versuchen, den (Rollen)Erwartungen gerecht zu werden. Lässt man einmal außen vor, dass die Einschätzung des Verhaltens nach Kriterien selten funktioniert (weil wir Menschen nun mal ganzheitlich beobachten und beurteilen), dann müsste doch jedem mit Vernunft gesegneten und logisch denkenden Menschen auffallen, wie gering der Anteil an Zeit ist, in der die Kandidaten konkretes Verhalten zeigen und welche ungeheuere Potenzialaussagen hierauf basierend getätigt werden. Mal angenommen, man lässt eine Gruppendiskussion mit sechs Kandidaten beoachten, die 30 Minuten dauert. Dann hätte im Schnitt jeder Teilnehmer 5 Minuten Zeit, Verhalten zu zeigen.

Man addiere die Gesamtzeit an Verhalten einfach mal auf - ich wette, mehr als eine Stunde beobachtbares Verhalten je Kandidat (wenn man interessiertes Kopfnicken nicht als "Empathie" deutet) auf zwei bis drei Tage verteilt bringt ein AC nicht zustande. Da wird die Aussage von Malik verständlich.

Dennoch erfreut sich das Verfahren nach wie vor großer Beliebtheit. Warum? Schuler erklärt es u.a. damit, dass sich den Durchführenden die Möglichkeit bietet, "sich als Entscheidungsträger zu fühlen". Wer einmal miterlebt hat, mit welcher Begeisterung Manager Verhalten interpretieren und ihre "Urteile" fällen, weiß, was er meint.
Schade eigentlich, denn, um mit Malik zu schließen, "es gibt viel bessere Verfahren, die mit weniger Aufwand mehr leisten."

Corporate Brand

Das ist doch mal wieder ein feiner Begriff: Corporate Brand, zu Deutsch: Unternehmensmarke. Ein interessantes Phänomen, wenn man es recht bedenkt. Jede Teildisziplin des modernen Wirtschaftslebens betrachtet Unternehmen durch ihre Brille und kreiert für ihre Entdeckungen neue Namen. Hier haben die Marketingabteilungen zugeschlagen und verpassen nun ihrem Unternehmen eine "Marke". Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass das natürlich nur funktionieren kann, wenn das Top-Management, sprich der Vorstand, die entscheidende Funktion bei dem Prozess hat, gefolgt vom Marketing selbst.

Nun gibt es doch auch den Begriff der "Corporate Identity" - ist das was anderes? Wohl kaum, nur stammt der aus der Werbebranche. Die Werbetreibenden waren etwas schneller und haben damit früher viel Geld verdient.

Und was ist mit der Unternehmenskultur? Für den Begriff sind die Organisationstheoretiker verantwortlich, sie zu gestalten, lässt sich heute auch noch prima an den Mann bringen. Nach meinem Verständnis sollte es keine inhaltlichen Unterschiede zwischen den drei Begriffen geben. Aber da scheine ich einem Irrtum zu unterliegen, habe ich doch den interessanten Satz lesen dürfen, man müsse dafür sorgen, "dass es zwischen der Unternehmenskultur und der Markenidentität zumindest zu einer teilweisen Integration kommt. Zu große Lücken führen zur Unglaubwürdigkeit und zu fehlendem Commitment."

Ganz groß, oder? Es gibt da also eine Unternehmenskultur (die man, natürlich von ganz oben getrieben und unterstützt, gestaltet), und gleichzeitig gibt es eine (nach außen und innen kommunizierte) Unternehmensmarke. Es genügt, wenn sie teilweise übereinstimmt? Man stelle sich das Gelächter und zynische Grinsen der Mitarbeiter vor:

"Unsere Unternehmensmarke lautet: jung, dynamisch, innovativ - und wenn ich mal mit einem ungewöhnlichen Vorschlag komme, heißt es: Das haben wir noch nie so gemacht." Wehe dem, der sich einen solchen "Markenbildungsprozess" andrehen lässt...

Rezension zum Thema:
Potenzial nicht ausgeschöpft, Personalwirtschaft 4/2008

Montag, 20. Oktober 2008

Warnung vor dem Ex

Es ist nicht mehr aufzuhalten: Über die Internetseite, auf der man seine Nachbarn beschreiben und andere Menschen vor ihnen warnen kann, habe ich hier schon geschrieben (Böse Nachbarn). Die Steigerung beschrieb die Financial Times Deutschland am 19.8.2008: Es gibt eine Plattform, auf der verlassene Geliebte ihre Nachfolgerinnen vor dem Ex-Lover warnen können - mit vollem Namen und Foto! Da wird dann kein Detail ausgelassen. Bitter für den Betroffenen oder wohlverdiente Strafe? Ich find's so blöd, dass ich mir diesmal verkneife, die Seite zu nennen. Aber sie macht ein Dilemma so richtig deutlich.

Ich habe bei einem meiner wenigen Einkäufe bei ebay mal ewig lange auf die bestellte Ware gewartet, nachdem ich längst das Geld überwiesen hatte. Als ich das bei der Bewertung des Verkäufers vermerkte, erhielt ich von diesem einen Anruf, bei dem er mich böse beschimpfte und mit Beleidigungen nicht sparte. Da wurde mir klar, warum man so wenige negative Urteile bei ebay findet.

Die Frage ist, was gravierender ist: Der Schaden, der abgewendet wird, wenn Menschen vor anderen gewarnt werden oder derjenige, der durch verleumderische Äußerungen erzeugt wird, indem der Ruf eines Menschen ruiniert wird. Wie der eines Bankers, dessen Rivale, dem er die Frau ausgespannt hat, ihn solange im Internet bloßgestellte, bis er seinen Job verlor?

Lässt sich das Dilemma nicht vergleichen mit vielen anderen in der Rechtsprechung? Was ist z.B. schlimmer: Jemanden, dem man ein Kapitalverbrechen nicht eindeutig nachweisen kann, unschuldig einzusperren und damit zu ruinieren oder der Schaden, den er anderen zufügen kann, wenn er tatsächlich der Täter ist und es wieder tun wird?

Problem der Anonymität

Was an diesen Bewertungsportalen tatsächlich anwidert ist vielleicht weniger die Tatsache der Bewertung an sich. Nach wie vor gefällt mir der Gedanke, dass ich nicht erst selbst die Erfahrung machen muss, dass ein Hotel schlecht ist. Das hat es ja schon immer gegeben. Man denke nur an die begehrten Restaurantführer. Das Problem ist, dass die Bewerter anonym bleiben dürfen und die Betroffenen kaum die Möglichkeit haben, "sich zu bessern". Es müsste so etwas geben wie "Verjährung" oder die Löschung der Daten nach einem angemessenen Zeitraum.
Nur ist das Internet hier gnadenlos: Einmal veröffentlicht, findet man die Texte bis in alle Ewigkeit irgendwo gespeichert.

Ich bin gespannt, wohin sich diese Geschichte entwickelt. Dass sie sich von selbst erledigt, glaube ich kaum, denn Gemeinheiten über andere zu lesen, macht offensichtlich ungeheuer viel Freude - Schadenfreude. Davon lebt die Boulevard-Presse, warum nicht auch Internet-Portale?

Rezension zum Thema:
Moderner Pranger, Financial Times Deutschland vom 19.8.2008

Freitag, 17. Oktober 2008

Lernen neu entdecken

Manchmal wünsche ich mir, dass mir das Lernen noch mal so leicht fallen würde wie in der Jugendzeit. Zumindest meine ich mich zu erinnern, dass es damals leichter fiel, mag aber auch eine Verklärung sein. Ich weiß wohl, dass Lernen oft keinen Spaß gemacht hat und einfach lästig war. Und dass ich mir nach der letzten Prüfung an der Universität geschworen habe, dass dies die letzte Prüfung meines Lebens sein würde. Das war ein etwas voreiliger Entschluss, aber meine Abneigung gegen jede Form von Prüfung hat sich nie gelegt. Mag ein Grund sein, warum ich bis heute jedem Angebot formaler Qualifizierung mehr als skeptisch gegenüber stehe.

Wie schade eigentlich, denn welchen Spaß kann Lernen machen. Für mich das beeindruckendste Erlebnis war, als ich mich entschied, mich im fortgeschrittenen Alter auf Inline-Skates zu stellen. Was für eine wackelige Angelegenheit, unglaublich. Am Ende bin ich mit meinen Kindern Rampen hinauf und hinab gefahren und staunte über die Fähigkeit meines Körpers, solche Abläufe nicht nur zu erlernen, sondern auch noch weiter ausbauen zu können - selbst im Alter von zarten 45.

Heute bereitet es mir mächtigen Spaß, neue Bewegungsabläufe im Tennis zu erlernen und sie zu perfektionieren - naja, "perfektionieren" ist vielleicht übertrieben. Es ist einfach erhebend zu erleben, Fortschritte beim Erwerb einer Fertigkeit zu machen, und wenn diese Fortschritte noch so klein sind.

Umso trauriger empfinde ich daher die Tatsache, dass Lernen in so vielen Umfeldern, sei es in der Schule, in der Ausbildung, in Seminaren und Fortbildungsveranstaltungen, nach wie vor mit Begriffen wie "langweilig", "mühsam" o.ä. verbunden ist.

Rezension zum Thema:
Fitness fürs Gehirn, Wirtschaftswoche 40/2008

Dienstag, 14. Oktober 2008

Der Chef als Coach?

Die Diskussion um den Vorgesetzten als Coach macht auf mich inzwischen den Eindruck, als diene sie nur noch dazu, Coaching als Thema in den Medien zu halten. Irgendwie muss man ja im Gespräch bleiben. Und demonstrieren, dass Coaching einfach wichtig und unersetzlich ist. Wie ist es denn nun: Können Führungskräfte ihre Mitarbeiter coachen?

Klar, sie können. Um einen Vergleich aus dem Sport zu ziehen (beim Thema Coaching vielleicht naheliegend): Mein Sohn spielt Tennis. Hin und wieder unterliege ich der Versuchung, ihm Tipps zu geben, ihn nach Niederlagen aufzubauen oder vor einem Spiel nach seinen Erwartungen zu fragen. Schwierig! Wenn Eltern versuchen, ihre Kinder zu coachen, dann können Eltern-Kind-Beziehungen aus den Fugen geraten. Was erwartet der Vater von seinem Sohn? Bleibt das nur auf den Sport beschränkt oder lässt es sich auch auf andere Bereiche übertragen? Und was, wenn Erwartungen enttäuscht werden?

Überhaupt: Ein Trainer kann dem Sportler so manches abverlangen, was einem Vater kaum gestattet wird - und umgekehrt. Und dennoch: Es gibt Beispiele erfolgreicher Sportler, die von einem Elternteil trainiert werden. Nun kann man darüber streiten, ob sie nicht noch viel erfolgreicher hätten sein können, wenn es eben doch ein "Profi" gewesen wäre. Fakt aber ist: Es funktioniert.

Doch kein Coaching durch Vorgesetzte?

Trotzdem würde ich es immer vorziehen, die Rollen zu trennen - auch bei Führungskräften und Mitarbeitern.
Drücken wir es anders aus: Es hat viele Vorteile, wenn der Vorgesetzte nicht versucht, als Coach seiner Mitarbeiter aufzutreten. Aber darf er deshalb auch nicht coachen? Noch mal zum Tennis: Wenn ich meinen Sohn nach einem Spiel frage, wie es ihm geht und er froh ist, reden zu können; oder wenn er mir von sich aus erzählt, was ihn vor einem Match beschäftigt und ich ihm aufmerksam zuhöre; oder wenn er mich fragt, was er gegen einen bestimmten Spieler machen soll und ich zurückfrage, was ihm denn beim letzten Mal gelungen ist, dann handele ich wie ein Coach.

Und genau so, denke ich, sollten sich Führungskräfte verhalten: Wenn ihr Verhältnis zu einem Mitarbeiter die Rolle als Coach ermöglicht und der Mitarbeiter das möchte - warum nicht? Wenn sie sich in bestimmten Situationen auf Wunsch des Mitarbeiters wie ein Coach verhalten - wunderbar. Wenn sie sich aber aufdrängen und plötzlich vom Vorgesetzten zum Coach mutieren, weil dies der neuste Schrei der Führungslehre ist, dann bekommen sie prächtige Probleme. Garantiert.

Rezension zum Thema:
Die Führungskraft als Coach? Wirtschaftspsychologie aktuell 2/2008

Freitag, 10. Oktober 2008

Arbeit attraktiv machen?

Ich habe wieder angefangen zu lesen - stapelweise liegen die Zeitschriften herum. Ich habe noch keine Vorstellung davon, wie es eigentlich weitergeht. Nur dass es weitergeht - auch mit MWonline. Bleiben die Prioritäten wie bisher? Kaum vorstellbar, aber wer weiß...

Fest steht, dass ich viel zu viel Zeit und Mühe in Dinge gesteckt habe, die es nicht wirklich wert waren. Aber warum glaubte ich, dass sie so wichtig waren? Die letzten Monate haben mir gezeigt, wie schnell sich die Prioritäten verschieben können. Dabei zähle ich mich zu den glücklichen Menschen, die sich die Arbeit, die sie verrichten, selbst ausgesucht haben und dies jeden Tag auf's Neue tun.

Ich lese, dass in Holland Unternehmen händeringend Mitarbeiter suchen und das sehr beliebte Teilzeitmodell verwünschen. Der Niederländer hält nicht viel von Vollzeitbeschäftigung und zieht es vor, seine Freizeit zu genießen. Schlecht für die Wirtschaft, gut für den Niederländer. Ich komme mir vor wie ein Teilzeitarbeiter, obwohl ich nun jahrelang mehr als Vollzeit tätig bin, rund um die Uhr. Bis plötzlich alles anders wurde.

Bleibt nur ein Fazit: Regelmäßig darüber nachdenken, was man da so eigentlich treibt und ob es nicht eines Tages passiert, dass man feststellt, wie viel Zeit man sinnlos "verlebt" hat.

Und als Unternehmen bzw. als Führungskraft? Die Menschen, die man beschäftigt, fragen, was ihnen wichtig ist und dann gemeinsam schauen, ob es sich deckt mit dem, was das Unternehmen an Beschäftigung anzubieten hat. Das wird auch den niederländischen Firmen nicht erspart bleiben: Wenn es ihnen nicht gelingt, die Bedürfnisse der Menschen mit den eigenen Zielen in Einklang zu bringen, haben sie langfristig ein großes Problem. Gut für die Menschen...

Rezension zum Thema:
Holländer verzweifeln am Teilzeitmodell, Financial Times Deutschland vom 14.8.2008

Montag, 6. Oktober 2008

Trauer

Dass dieser Blog im Augenblick nicht fortgeführt wird, hat einen sehr traurigen Grund. Am 28. September starb meine Frau Bianca im Alter von 45 Jahren, nur vier Monate nachdem bei ihr Krebs festgestellt worden war. Im Moment fällt mir kein Managementthema ein, das es wert ist kommentiert zu werden. Wie sich die Bedeutung von Dingen ändern kann...

Eine Bitte an alle, die ihre Anteilnahme ausdrücken möchten: In den vergangenen vier Monaten hat uns der Verein "LebensWert" sehr geholfen. Ich denke, dass diese Einrichtung für Krebskranke und ihre Angehörigen ein Segen ist. Da sie auf Spenden angewiesen ist, würde ich mich über jede Unterstützung freuen. Hier die Kontoverbindung; Konto-Nr. 270 421 75 bei der Sparkasse Köln-Bonn, BLZ 370 501 98, Stichwort "Bianca Thönneßen". Alternativ kann man auch für 25 Euro im Jahr Mitglied werden.

Samstag, 20. September 2008

Büros der Zukunft

Immer wieder lesen wir, wie wohl das Büro der Zukunft aussieht - und dass es in manchen Unternehmen bereits existiert. Beschrieben werden dann Arbeitsplätze, die keinem Mitarbeiter direkt zugeordnet sind. Wer kommt, holt sich seinen Rollcontainer mit den wenigen Unterlagen, wählt sich ins System ein, automatisch wird sein Telefon für den Arbeitsplatz freigeschaltet und los geht's. Das Bild der Familie hat er dann als Bildschirmschoner vor Augen oder stellt es im Rahmen für die Zeit seines Aufenthaltes auf den Tisch - wenn im Rollcontainer noch Platz genug ist. Daneben gibt es Besprechungsräume, Sitzecken, Teeküchen, Ruheräume und auch Einzelbüros für Arbeiten, die besondere Konzentration benötigen.

Der große Vorteil: Man benötigt in der Regel weitaus weniger Arbeitsplätze als Mitarbeiter - vorausgesetzt, die Mitarbeiter können einen Teil ihrer Arbeit von außerhalb oder zu Hause erledigen. Das spart zudem Fahrkosten und Stellplätze in der Tiefgarage. Ich gestehe: Für diese Freiheit hätte ich auch auf die "eigenen vier Wände" in der Firma verzichtet und es irgendwie geschafft, das Chaos auf meinem Schreibtisch auf den Rollcontainer zu beschränken.

Allerdings ist das wohl nur ein kleiner Ausschnitt der Zukunft bzw. der Realität. Ich kenne Großraumbüros, in denen man aufstehen muss, um über Stellwände in die Box des Nachbarn zu schauen; gläserne Käfige, in denen nichts den Blick verstellt und die Telefonate durch kaum schallisolierte Glaswände mitgehört werden können; Call Center mit wenigen Quadratmetern Platz pro Agent, so dass eigentlich der Tierschutz eingreifen müsste; lange Flure mit geschlossenen Türen, hinter denen wie zu ewigen Zeiten die Sachbearbeiter sitzen. Und das ist ja nur die Welt der Büros...

Eine Anektdote dazu: Wir waren bei einem Kunden, dessen neues Verwaltungsgebäude nahezu vollständig aus Glas bestand. Es sollte die gläserne Organisation symbolisieren, Transparenz und Offenzeit als zentrale Werte. Wir wurden in ein winziges Besprechungszimmer geleitet (ganz aus Glas). Gegenüber hatten Mitarbeiter die Wände teilweise mit Papier abgeklebt, um etwas geschützt zu sitzen. Besonders verwunderte uns jedoch der große Stahlschrank in dem kleinen Raum, der nur Platz für einen Besprechungstisch mit drei Stühlen ließ. Der Personaler erklärte uns: "Die Architekten sind vom papierlosen Büro ausgegangen, jeder von uns hat nur wenige Zentimeter Regalfläche zur Verfügung, die restlichen Akten stehen im Keller. Man hat leider nicht daran gedacht, dass wir Personaler noch jede Menge Akten durch die Gegend schicken, die zudem verschlossen aufbewahrt werden müssen. Deshalb haben wir uns diese Lösung ausgedacht. Tut mir leid, dass es etwas eng ist."

Das ist wohl kaum gemeint, wenn von einer "wertegeleiteten Organisation" die Rede ist, oder?

Rezension zum Thema:
Wanderzirkus der Rollcontainer, Handelsblatt vom 29.8.2008
Kreuzgang und Klosterzellem, Wirtschaftswoche 7/2008

Donnerstag, 18. September 2008

Personalrekrutierung per Video?

Wer auf der Suche nach einer neuen Stelle ist, der fragt nicht nur nach dem zu erwartenden Gehalt oder den möglichen Aufstiegschancen. Er hätte auch zu gern gewusst, was ihn an seinem neuen Arbeitsplatz erwartet. Eines steht mal fest: Das, was darüber in den Stellenbeschreibungen zu lesen ist, kann man getrost als Fantasie abtun. Ein wahllos herausgegriffenes Beispiel:
"Wir bieten eine anspruchsvolle, interessante und spannende Aufgabe in einer dynamischen Organisation. Gestalten Sie Ihre und unsere Zukunft aktiv mit!" Wow! Wer's glaubt...

Wie aber sieht es tatsächlich aus in dem Unternehmen, bei dem Sie sich bewerben? Wie sind die Kollegen? Wie geht es dort zu? Einen Schnuppertag bieten die wenigsten an. Die Antwort: Videos im Internet. Immer mehr Unternehmen sollen inzwischen mit solchen Videos potenzielle Bewerber anzulocken versuchen. Was zunächst nach einer guten Idee klingt, ist auf den zweiten Blick arg kompliziert. Produziert man professionelle Filme, weiß der Betrachter zwar, dass hier viel Geld angepackt wurde, aber der Inhalt mit der Praxis wenig gemein hat. Wie dieser bekannte Streifen von Accenture bei Youtube - sehr authentisch...



Nun könnte man ja auch einfach die Kamera im Büro laufen lassen und zeigen, wie es wirklich zugeht. Oder die Kollegen bitten, sich mit Amateurvideos vorzustellen (habe in einer kurzen Recherche nichts dergleichen gefunden, vielleich hat ja jemand die entsprechenden Links parat). Das aber wiederum könnte peinlich bis abschreckend wirken. Ein Dilemma.

Der Ausweg: Professonell erstellte Amateurvideos, die so aussehen, als seien sie "echt". Wie bei den Rundgängen durch den Big Boss, wenn alle so tun, als arbeiteten sie wie immer, aber zuvor haben sie den kompletten Betrieb eifrigst auf Hochglanz poliert.

Der Bewerber hat am Ende nur die Möglichkeit, sich für den Arbeitgeber zu entscheiden, der das cleverste Video gedreht hat. Vielleicht ist die gute alte Stellenanzeige dann ja doch besser. Da weiß man wenigstens, dass die Aussagen auf jeden Fall gelogen sind.

Rezension zum Thema:
Achtung, Film täuscht, Wirtschaftswoche 36/2008

Sonntag, 14. September 2008

Warum halten wir so viel fest?

Wer hängt nicht an etwas, das er besitzt? Warum ist es schöner, ein Buch selbst im Regal stehen zu haben statt es sich auszuleihen? Warum ziehen wir einen Zaun um unseren Garten, statt eine gemeinsame Parklandschaft zu gestalten, die alle Nachbarn genießen können? Warum stehen im Plattenregal so viele CDs, dass ein einziges Leben nicht ausreicht, alle Titel zu hören, selbst wenn man rund um die Uhr Musik abspielen würde?

Kurz: Was treibt uns eigentlich an, Dinge zu besitzen, und zwar in einem Umfang, der bei manchen Menschen jede Vorstellung sprengt? Das Thema "Besitz" in der Ausgabe 7/2008 der Brand eins hat mich nachhaltig beschäftigt. Ich, der an jedem alten T-Shirt hängt und der kaum etwas wegwerfen kann. Wieso eigentlich?

Ich gestehe, dass ich ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Besitz habe. Ich kann mich auf der einen Seite nur schwer trennen, auf der anderen Seite erscheint es mir immer sinnloser, sein Herz an Gegenstände zu hängen.

Was das mit Management zu tun hat? Nichts direkt sicherlich. Aber so, wie wir an Dingen hängen, so klammern wir uns auch an Gewohnheiten, an Lebensumstände, an Beziehungen, an unseren Job - und wenn er noch so belastend und frustrierend ist. Mag sein, dass ich im Moment besonders sensibel gegenüber allem, was scheinbar so unverrückbar ist, bin. Es ist mitunter bitter zu sehen, wie sich Menschen an Dinge wie Karriere, Status und Position klammern und was sie an Lebensqualität bereit sind, dafür zu opfern. Dann schon lieber an alten T-Shirts hängen...

Rezension zum Thema:
Ich brauche das nicht, Brand eins 7/2008

Sonntag, 7. September 2008

Management by Values?

Management by Objectives ist Schnee von gestern. Warum? Weil heute kaum jemand, der über ausreichend Realitätssinn verfügt, Ziele über einen längeren Zeitraum definieren kann. Wie auch? Ich habe mal einen Personalentwickler beraten, der in seinen Zielvereinbarungen die Einführung eines Vorgesetzten-Feedbacks stehen hatte. Die ersten Gespräche verliefen vielversprechend, doch vor dem nächsten Termin kam ein Anruf, den ich schon erwartet hatte: Das Unternehmen war übernommen worden, die neue "Mutter" hatte andere Pläne, und Vorgesetzten-Feedback gehörte schon gar nicht zu den priorisierten Themen.

Dabei hat man sich so viel davon versprochen: Wer sein Ziel kennt, der kann seine Handlungen daran ausrichten. Ziele geben Orientierung, sorgen dafür, dass alle an einem Strang ziehen (naja, zumindest theoretisch, wenn man nicht nur Inidividualziele vereinbart) und geben den Führenden das Gefühl, alles im Griff zu haben. Was kommt nun?

Werte als Orientierungshilfe?

Bei Lands' End, so behauptet deren oberste Personalentwickler, wird mit Hilfe von Werten geführt. Ist das eine Alternative? Ich finde ja. Relativ schnell erkennt jeder neue Mitarbeiter, was wirklich zählt im Unternehmen.
Beispiel: Mir hat einmal ein Außendienstmitarbeiter erzählt, dass er als Neuer nicht sofort einen Dienstwagen zur Verfügung gestellt bekommen konnte. Da er aber umgehend einen Wagen brauchte, bekam er ein älteres Modell. Problem: Dieses gehörte einer Kategorie an, die nicht seinem "Status" entsprach: Es hatte ein Schiebedach! Ein solches jedoch stand ihm nicht zu. Die Lösung? Sie ahnen es: Das Schiebedach wurde zugeschweißt. Eine Posse?

Bei Lands' End soll das anders sein. Wenn Werte wie "Respekt" und "Verantwortung" tatsächlich gelten, dann passt dazu, dass Mitarbeiter im Call Center selbst entscheiden, wie lange sie mit einem Kunden telefonieren. Oder das man auf Vorzimmer als Statussymbole verzichtet.

Kann man hier von einem "Management by Values" reden? Kann man. Wenn ich weiß, was in meinem Unternehmen zählt, bietet mir das eine Orientierung für mein Verhalten - gegenüber Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern und Kunden. Eigentlich ganz einfach. Für das Management gilt dann nur noch, dass es sich gemäß diesen Werten auch verhält - vorbildlich eben, auch wenn der Ausdruck altmodisch erscheint. So was von banal, oder?

Rezension zum Thema:
Blick hinter die Kultur-Kulisse, managerSeminare 2/2008

Ein interessantes Video zu dem Thema (Tipp von einem Leser) ist der Beitrag von Peter Kruse auf Youtube.

Donnerstag, 4. September 2008

Mehr experimentieren

Als Kinder und Jugendliche haben wir ständig experimentiert - mit Bauklötzen, Matsch, Papier, mit neu gewonnenen Freiheiten und Rechten, mit unseren physischen und psychischen Möglichkeiten. Aber irgendwann im Laufe unseres Lebens hören wir merkwürder Weise damit auf. Wir verlassen uns auf das Bekannte, das Vertraute.

Ich habe den Eindruck, Unternehmen funktionieren genauso. In ihrer "Jugend" wird noch fleißig herumprobiert, doch irgendwann ist es vorbei mit den Experimenten. Damit meine ich nicht die heute weit verbreitete (Un)sitte, die Organisation ständig neu zu gestalten. Das ist eher vergleichbar mit einem Wohnungsinhaber, der jedes Wochenende seine Möbel umräumt und am Montag nicht mehr weiß, in welchem Schrank sich seine Schuhe befinden.

Nein, ich meine die Art von Experimenten, bei denen eine neue Regel, eine neue Arbeitsform, eine neue Organisationsform in einem kleinen, überschaubaren Rahmen getestet werden. So wie bei dem Modellversuch, bei dem Führungskräfte einen Teil ihrer Tätigkeit von zu Hause ausführten. Auf diese Weise wollte man herausfinden, ob ein flexibler Arbeitseinsatz (flexible in Bezug auf Zeit und Ort) mit der Führungsaufgabe vereinbar ist.

Einmal unabhängig vom Ergebnis: Was hält Unternehmen eigentlich davon ab, solche Experimenten in begrenztem Umfang durchzuführen? Ich habe nie verstanden, warum man Veränderungen immer nach dem Motto "ganz oder gar nicht" umsetzt. Wieso probiert man nicht viel mehr einfach aus? Vertrauensarbeitszeit, Telearbeit für Führungskräfte, Mitarbeiterbeteiligung, Teamarbeit, Selbstorganisation und und und... Wo ist das Risiko? Klappt es nicht, dann hat man es wenigstens versucht.

Angst vor dem Ergebnis

Ich fürchte, der Grund für die mangelnde Experimentierfreude ist die Angst, es könnte ja klappen. Was, wenn die "Versuchskaninchen" begeistert sind und weitermachen wollen? Und was, wenn dann alle kämen?

Oder es ist umgekehrt: Die Angst, das Experiment könnte misslingen. Was, wenn das (Personal-)Management unbedingt Gruppenarbeit einführen will, aber der Feldversuch scheitert? Wie bringt man das den Chefs bei?

Das ist eben das Risiko von Experimenten. Sie können scheitern und sie können gelingen. Aber macht das nicht auch den Reiz aus? Würden sie das Leben in Organisationen nicht ungeheuer bereichern? Ich wünschte, mehr Verantwortliche hätten den Mut, neue Dinge auszuprobieren. Sie nicht gleich der ganzen Organisation überstülpen, sondern in kleinem Rahmen testen. Und das Risiko des Scheiterns, aber auch des Gelingens gelassen zu tragen.

Rezension zum Thema:
Mehr Flexibilität, PERSONAL 7/8/2008

Mittwoch, 3. September 2008

Niemand hört mehr zu

Kaum jemand hört noch richtig zu. Es ist erschreckend, wie sich Menschen in Gesprächen verhalten. Der Verlauf ist meist wie folgt: "Wie geht's?" oder "Was macht der Job?" oder "Wie geht es den Kindern?" Antwort: "Die Kinder sind bei unseren Verwandten in England." Doch das ist schon zu zu viel der Information. Sofort hat der andere eigene Erfahrungen zu berichten. "Mein Sohn ist zur Zeit in Frankreich. Er fühlt sich total wohl..." Und er erzählt und erzählt Dinge, nach denen ich nie gefragt habe. In mir wühlt es und ich möchte am liebsten brüllen: "Wer will das wissen? Frag mich nicht mehr, wenn du meine Geschichte nicht hören willst!"

Nicht nur von der Vielzahl an Medien werden wir zugeschüttet mit Informationen, die kein Mensch benötigt, es scheint, als seien auch die meisten Menschen bestrebt, andere mit unverlangten Texten einzudecken.

Es gibt noch eine zweite Art des "Nicht-Zuhörens", auch dazu ein Beispiel. Ein Kollege hat einem anderen Vorwürfe zu dessen angeblichen Äußerungen gemacht, es kam zum Konflikt. Die anderen unterhalten sich über den Fall und diskutieren, ob die Vorwürfe berechtigt waren oder nicht. Ich werfe ein: "Das lässt sich wohl schwer herausfinden, ist aber meines Erachtens nicht das Hauptproblem. Ich denke, er sollte die Geschichte im persönlichen Gespräch klären und in Zukunft den Kollegen in dem Moment ansprechen, in dem ihm das Verhalten geärgert hat statt im Nachhinein auf ihn loszugehen."

Antwort: "Aber wenn der Kollege das wirklich gesagt hat, dann verstehe ich seinen Ärger und würde das auch loswerden wollen."
Hallo? Habe ich etwas anderes gesagt? Habe ich nicht. Anders als in dem ersten Fall, in dem die Antworten erst gar nicht interessieren, wird hier nicht genau zugehört.

Meine frustrierende Erkenntnis: Viele wollen gar nicht zuhören, und wenn, dann versuchen sie nicht wirklich, die Botschaft zu verstehen. Beides hat erschreckend zugenommen, sei es im Berufsleben oder im Privatbereich. Ich frage mich natürlich, was mein Anteil daran ist, finde aber keine Erklärung. Vielleicht höre ich mir selbst nicht richtig zu?

Den folgenden Link schickte mir Roland Kopp-Wichmann zum Thema: Warum können viele Menschen nicht zuhören?

Dienstag, 2. September 2008

Altersgerechte Bezahlung?

Es gibt Kulturen, in denen Alter und Erfahrung besonderen Respekt genießen. Und es gibt Unternehmenskulturen, in denen Alter und die Dauer der Betriebszugehörigkeit dafür sorgten, dass das Gehalt kontinuierlich stieg und gegen Ende des Arbeitslebens seinen höchsten Stand erreicht hatte.
Bis der Ruf nach "Leistungsorientierter Bezahlung" immer lauter wurde. Warum eigentlich soll jemand nur deshalb mehr verdienen, weil er dem Unternehmen lange die Treue gehalten hat? Ist doch seine eigene Entscheidung. Es soll einzig und allein die Leistung zählen. Basta. Selbst in japanischen Unternehmen soll ein Umdenken stattfinden.

Ich kann mich gut erinnern, dass ich als junger Angestellter ähnlich dachte. Da erhielten Kollegen ein erheblich höheres Gehalt als ich, deren Leistung ich keineswegs deutlich über der meinen einstufte. Manchmal sogar traf das Gegenteil zu. Aber Leistung zählte offenbar nicht, man musste einfach lange durchhalten, dann stieg auch das Gehalt. Was für eine verkehrte Welt, dachte ich. Braucht man nicht gerade als junger Mensch das Geld, um sein Leben aufzubauen? Und wird es nicht im Alter eher unwichtiger?

Heute, gealtert und gereift, erlebe ich es wieder anders. Da kommen junge Menschen daher, haben noch nicht wirklich etwas auf die Beine gestellt und verlangen den gleichen Lohn wie ihre erfahrenen und verdienten Kollegen - wie kann das sein? Das soll "gerecht" sein? Es ist ein wirkliches Dilemma: Wer früher weniger verdient hat mit der Aussicht, dass mit fortschreitendem Alter das Gehalt steigen wird, fühlt sich jetzt betrogen. Und wie die heute noch jungen Leistungsträger im Alter reagieren werden, wenn man ihr Gehalt zugunsten der dann jüngeren Kollegen stutzt, ahnt man sicher.

Jetzt, wo der Nachwuchs knapp wird, kann es aber auch durchaus sein, dass die Unternehmen wieder umschwenken. Dennoch: Die Entlohnung an der tatsächlich erbrachten Leistung zu orientieren wird wohl bleiben - wobei die Frage immer wieder lauten wird: Was ist eigentlich "Leistung"? Und wie misst man diese?

Aber vielleicht wird es so wie in vielen Dingen: Es kommt darauf an, was einem Unternehmen wichtig ist: Will es loyale Mitarbeiter, wird es auch Loyalität und Treue zum Unternehmen honorieren. Wer ausschließlich auf die momentane Leistung schaut, wird damit leben müssen, dass die Leistungsträger sich wie jeder Marktteilnehmer verhalten: Sie wechseln wie Profi-Fußballer zum Arbeitgeber, der das höchste Gehalt zahlt. Wäre für alle, die das hohe Lied der leistungsorientierten Bezahlung singen, mal ein Anlass zum Nachdenken.

Rezension zum Thema:
Vergütung und Versorgung gestalten, PERSONAL 3/2008

Montag, 1. September 2008

Totes Holz

Wissen Sie, was "Deadwoods" sind? Mitarbeiter, die weder wollen noch können. 20% soll ihr Anteil im Unternehmen ausmachen. Da müssen Führungskräfte reagieren, im Zweifel ist die Trennung erforderlich. Im Gegensatz zu den "Workhorses", die zwar auch nicht so fähig sind, aber sehr willig. Bis zu 70% hiervon finden sich in den Unternehmen.

Sie stolpern über die Begriffe? Ich auch. Ich finde sie zynisch und menschenverachtend. Vielleicht bin ich da etwas zu empfindlich. Und vielleicht wirken sie in dem Buch, aus dem sie stammen (Praktische Psychologie für den Umgang mit Mitarbeitern), auch nicht so dramatisch. Aber sie klingen sehr vertraut, weil Personalberater sie im Rahmen von Management-Audits gerne verwenden, indem sie die beurteilten Manager in "Portfolios" einsortieren, deren Felder ähnliche Titel tragen.

Vor allem die Angabe von Prozentzahlen finde ich gefährlich. Spielen wir den Fall durch: Ein Manager hat 20 Mitarbeiter, also hat er darunter vier "Deadwoods" - statistisch gesehen. Findet er sie nicht, müssen in anderen Abteilungen eben deutlich mehr zu entdecken sein. Natürlich wird er Mitarbeiter haben, die weniger können und auch weniger motiviert sind als der Rest. Kritisch wird das, wenn alle tatsächlich die gleiche Aufgabe haben und die Diskrepanz erheblich ist. Ansonsten sind die Merkmale "Können" oder "Wollen" sicher nicht auf jede Anforderung anwendbar und eine solche Statistik wertlos.

Das eigentlich Gefährliche an dieser Betrachtung aber ist, dass sie die Führungskraft von ihrer Verantwortung freispricht. Wer vier "Deadwoods" unter seinen 20 Mitarbeitern hat, hat entweder bei der Einstellung gepennt und die falschen Mitarbeiter rekrutiert. Wenn es die richtigen waren, dann hat er sie falsch eingesetzt. Und wenn sie richtig eingesetzt waren und früher über das erforderliche Können verfügten, dann hapert es in Sachen Personalentwicklung. Mit der Statistik im Rücken kann der Vorgesetzte nun prima auftreten und sagen: "In jedem Unternehmen sitzen 20% Pfeifen, das ist doch ganz normal."
Ist es das?

Buchrezension zum Thema:
Lorenz, Michael / Rohrschneider, Uta: Praktische Psychologie für den Umgang mit Mitarbeitern. Die vier Mitarbeitertypen führen, Campus 2008.

Mittwoch, 27. August 2008

Gefangen in der Organisation?

Der Titel sprang mir ins Auge, und ohne Details des Beitrags zu kennen, blieb ich an einer Feststellung hängen: "Kaum hat der Spitzenpolitiker oder der Wirtschaftskapitän seinen Posten verlassen, redet er plötzlich ganz anders als bisher." In Wirklichkeit hat er seine Meinung gar nicht geändert, sondern sie vorher nur nicht geäußert. Weil sie einfach nicht gewünscht war und weil sie die Organisation ohnehin nicht von ihrem Pfad hätte abbringen können.

Kleine Geschichte dazu: Montag in einem Krankenhaus, Chefvisite. Die Tür geht auf, sieben Damen und Herren in Weiß treten auf, der Chef vorweg. Er blickt in die Patientenakten, die man ihm reicht, stellt kurze Fragen, erläutert für den Patienten kaum nachvollziehbar den Verlauf und nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei.

Kurz danach, Auftritt eines der Ärzte, der im Schlepptau des Chefs mit von der Partie war. "Ich vermute, Sie haben nicht allzu viel verstanden. Ich erkläre Ihnen alles nachher noch einmal, wenn die Visite vorbei ist." Tatsächlich kommt er wieder und macht sein Versprechen wahr. Auf die Frage: "Sagen Sie mal: Welchen Sinn hat diese Chefvisite eigentlich?" antwortet er: "Keine Ahnung, das versteht hier niemand. Aber es war schon immer so und wird wohl auch noch in 100 Jahren so sein."

Jede Wette, dass auch der Chefarzt (ein ganz netter übrigens, wenn man ihn allein spricht) nach seiner Pensionierung sagen wird: "Das war vielleicht ein Quatsch, hätte man längst abschaffen sollen!" Hat er aber nicht. Gefangen in der Organisation, in ihren Ritualen und Abläufen, von vielen längst als überholt erlebt und mitunter sogar verhasst.

Mitleid und Verachtung

Allzu viel Verständnis habe ich für diese Form der "Toleranz" bis heute nicht. Ich kann nachvollziehen, dass man sich gut überlegt, wie viel Energie man bereit ist zu investieren, um sinnlose Dinge abzuschaffen oder Veränderungen anzustoßen und sorgfältig die Chancen und Risiken abwägt. Aber wenn einen Manager nach seiner Pensionierung plötzlich die große Erkenntnis überfällt und er dann allen anderen rät, wie sie es besser machen können, dann entsteht bei mir eine Mischung aus Mitleid und Verachtung. Und ich denke: Wenn du bis jetzt nicht den Mut hattest, dann halte lieber auch danach die Klappe und hoffe, dass deine Nachfolger über mehr Rückgrat verfügen.

Rezension zum Thema:
Gefangen in der Organisation, managerSeminare 3/2008

Dienstag, 26. August 2008

Brutal offen

Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, wie skeptisch ich gegenüber Studien bin, die dem folgenden Muster gehorchen: Man suche nach erfolgreichen Unternehmen, schaue sich die führenden Köpfe dort an, was sie auszeichnet und was sie anders machen und schließe daraus auf die Ursache für den Erfolg des Unternehmens. Es ist nämlich nichts anderes als die bekannte Henne-Ei-Diskussion: Haben die erfolgreichen Unternehmen die erfolgreichen Führer hervorgebracht oder umgekehrt?

Ein Beispiel: Die beschriebenen Manager haben ihren Weg durch die Organisation gemacht, sind also Eigengewächse. Dies, so die Autoren der Studie, stehe im krassen Gegensatz zu der immer wieder erhobenen Forderung, frisches Blut von außen zu holen und damit den Erfolg zu sichern. Das kennen wir doch aus der Fußball-Bundesliga, oder? Langfristiges Arbeiten mag in einem Verein den Erfolg sichern, ebenso trifft es zu, dass ein Trainerwechsel tatsächlich den Umschwung bringt.

Und dennoch: Manchen Aussagen aus solchen Untersuchungen vermag ich mich dann auch nicht zu entziehen. Eine davon lautet: Diese Top-Manager verdienen sich das Vertrauen ihrer Mitarbeiter und Partner durch brutale Offenheit. Und sie suchen den Kontakt - zu jeder nur denkbaren Gelegenheit.

Das erscheint mir so plausibel, dass ich eigentlich gar keine Studie dafür benötige. Wer keinen Zweifel daran lässt, was er meint, denkt und erwartet, der ist berechenbar. Ob man ihn mag oder nicht, man weiß, woran man ist. Und wer den Kontakt zu jedem Mitarbeiter sucht, der erfährt, was los ist im Unternehmen und weiß folglich, woran er ist.

Bemerkenswert daran ist, dass man es mit dieser Einstellung offensichtlich bis an die Spitze großer Unternehmen bringen kann. Oder sollten diese Manager diese Haltung erst auf der Position erworben haben? Unwahrscheinlich.

Rezension zum Thema:
The Uncompromising Leader, Harvard Business Review 7/8/2008

Montag, 18. August 2008

Flucht in die Selbstständigkeit?

Ist das so? Wird jemand, der sich in Deutschland unter die Unternehmer begibt, eher als "Versager" wahrgenommen nach dem Motto: "Zu einer Anstellung hat es wohl nicht gereicht?" Als ich den Satz las, fiel mir ein, dass mir tatsächlich so eine Haltung begegnet ist, als ich verkündete, dass ich mich zu dem Schritt entschieden hätte. Die Reaktion (eines angestellten Kollegen aus dem Personalbereich) war sinngemäß: "Für mich sind Leute, die aussteigen und sich selbstständig machen, nur nicht in der Lage, sich innerhalb eines Unternehmens zu behaupten und durchzusetzen."

Ich weiß noch, dass ich damals kurz überlegte, ob ich mir den Schuh anziehen sollte. Aber nur ganz kurz... Die Reaktion, die ich viel häufiger erhielt, lautete: "Ich bin sehr beeindruckt." - "Das finde ich total mutig." oder "Ich wünschte, ich hätte den Mut dazu."

Am Wochenende traf ich einen Bekannten, der es in seinem Fachgebiet weit gebracht hat, den Schritt aber mit Anfang 40 nun ebenfalls gegangen ist. Seine Hauptargumente: "Es wurde Zeit für etwas Neues!" und "Am Schluss habe ich nur noch gearbeitet, es gab keinen Feierabend und keine Wochenende und die Kinder bekamen mich nicht mehr zu Gesicht."

Das dürfte in der Tat neu sein: Erfolgreiche Menschen, die sich selbstständig machen, weil auch die Festanstellung keine Trennung von Beruf und Freizeit mehr ermöglicht. Und wenn schon Arbeiten ohne Ende, dann wenigstens selbst über die eigene Zeit verfügen können.

Der Personaler von damals hat sich übrigens nicht lange nach mir in die Selbstständigkeit begeben...

Rezension zum Thema:
Gründer verzweifelt gesucht, Financial Times Deutschland, 27.6.2008

Sonntag, 17. August 2008

Werbung für Microsoft auf Apple Computern?

Das ist doch mal eine witzige Story: Microsoft hat eine neue Agentur verpflichtet, um sich ein neues, frischeres Image zu verpassen. Agenturen schwören bei ihren Arbeitsmitteln häufig auf Apple und outen sich als eingefleischte Microsoft-Gegner. Da muss der Leser grinsen. Zerreißt es den Kreativen nicht innerlich, wenn er Ideen für den "Erzfeind" zu sammeln soll?

Ich hätte zu gerne gesehen, wie wohl die Präsentation vor den Entscheidern von Microsoft abgelaufen ist. Haben die Kreativen ihre Apple-Computer angeschleppt und ihre Ideen an die Wand geworfen? Oder sie als PCs "verkleidet"?
Sei's drum, mit dem richtigen Honorar wird sich der Widerwillen überwinden lassen.

Rezension zum Thema:
Believe It or Not, He´s a PC, Fast Company 6/2008

Freitag, 15. August 2008

Klartext reden?

Mitarbeiter, die auf eigenen Wunsch das Unternehmen verlassen, sind eine wertvolle Quelle höchst nützlicher Informationen - so man sie denn haben möchte. Gibt es Unternehmen, die "Austrittsinterviews" konsequent betreiben? Bei Otto ist das angeblich Standard. Eine gute Sache, kaum nachvollziehbar, dass viele Unternehmen sich diese Chance entgehen lassen, Missstände, Ärgernisse oder einfach nur Missverständnisse auszuräumen. Oder zu erfahren, was die Konkurrenz in Sachen Personalmarketing einem vorraus hat.

Kaum nachvollziebar? Viele müssten das aus persönlicher Erfahrung kennen. Sie halten einen Vortrag, die Resonanz ist bescheiden. Wer fragt seine Zuhörer, warum sie nicht in Begeisterungsstürme ausbrechen?
Sie organisieren eine Besprechung, die Beteiligung ist schleppend. Fragen Sie konkret nach, was Sie besser machen können? Offensichtlich ist es einfach unangenehm bis peinlich, sich die eigenen Versäumnisse vorhalten zu lassen.

Den Personaler, der das "Austrittsinterview" führen sollte, quält womöglich noch etwas anderes. Was, wenn da Dinge zu Tage treten, die man gar nicht ändern kann? Oder sogar nicht ändern will? Muss man sich das antun? Tipp in dem Artikel "Wer geht, redet Klartext" von der "Leiterin Recruiting und Beratung Personal":
"Hinterfragen Sie nur Themen, von denen Sie wissen, dass das Unternehmen gewillt ist, sie zu ändern."
Begründung: Der Mitarbeiter spricht nachher mit jenen, die bleiben. Und wenn der Personaler genauer nachfragt, weckt das die Hoffnung, dass sich etwas ändert.

Fehlender Mut?

Das ist hübsch, oder? Da ärgert sich ein Mitarbeiter, der kündigt, darüber, dass jüngere Mitarbeiter trotz gleicher Leistung weniger verdienen als alte Hasen. Sie wissen, dass dieses Senioritätsprinzip auf jeden Fall beibehalten wird. Also gehen Sie auf den Punkt nicht ein? Merkwürdiger Rat. Wäre es nicht sinnvoller, gerade den Punkt aufzugreifen, ihn zu respektieren, dann aber klar zu äußern, dass man sich dieser Wirkung bewusst ist? Dass man aber Treue zum Unternehmen letztlich höher gewichtet als "Leistungsorientierte Bezahlung" und von daher auf Mitarbeiter, die dies anders sehen, eher verzichtet als das System zu ändern?

Aber dazu gehört schon wieder Mut zur Offenheit und Bekenntnis zu personalrelevanten Unternehmensentscheidungen. Offensichtlich zu viel verlangt...

Rezension zum Thema:
Wer geht, redet Klartext, Personalmagazin 4/2008

Dienstag, 12. August 2008

Seminare vom Discounter?

Merkwürdige Idee, dachte ich, als ich zum ersten Mal von einem Anbieter hörte, der Seminare zu Discount-Preisen auf den Markt bringen wollte. Funktioniert nie, war meine erste Reaktion. Wie denn auch? Woran kann man bei Seminaren sparen, um am Ende noch ein paar Euro übrig zu haben? Am Material? An der Unterbringung? Die Möglichkeiten sind begrenzt.

Also am Personal - aber welcher Trainer mit Namen verkauft sich für einen Bruchteil des bisherigen Honorars? Und die Teilnehmer in Billiglohnländer auszufliegen ist ja wohl auch keine Alternative.

Bleibt noch die Standardisierung - ein Trainer, der sich intensiv auf eine Zielgruppe vorbereitet, wird auch diesen Aufwand honoriert bekommen wollen. Zieht er fertige Konzepte aus der Tasche, kommt das günstiger. Das aber führt zu einer klaren Beschränkung der Themen - oder möchten Sie im Führungs- oder Kommunikationstraining mit Standardinhalten abgefüttert werden? Erinnert mich an die Vorlesungen in Entwicklungspsychologie, in der der Dozent seit 10 Jahren die gleichen Texte ablas und wir nur noch anwesend waren, um mitzubekommen, ob sich vielleicht doch noch das eine oder andere am Skript geändert hatte (weil genau das garantiert in der Prüfung vorkam).

Wenn also bei all dem wenig Spielraum für Einsparungen ist, muss es die Masse machen. Womit wir wieder beim Hörsaal wären. Aber genau hier setzt ja auch die Kritik am Bildungssystem an. Wer Massenbetrieb zulässt, bekommt keine Qualität.

Noch ein Grund, warum die Sache mit dem Seminardiscount keine gute Geschäftsidee ist. Lernen im Seminar ist immer ein Erlebnis, das extrem vom Trainer/Dozenten geprägt wird. Ist dieser in der Lage, Menschen zu interessieren, anzuregen, zu fesseln, funktioniert Lernen und damit das Geschäft. Würde es renommierte Trainer geben, die für wenig Geld vor Massen auftreten, wären sie nicht lange renommierte Trainer. Oder?

Rezension zum Thema:
Die Billigheimer, managerSeminare 8/2008

Freitag, 8. August 2008

Böse Nachbarn

So manch einer hätte wohl eine andere Wohnung oder ein anderes Haus erworben, hätte er gewusst, in welche Nachbarschaft er gerät. Die Wohnlage lässt sich einigermaßen beurteilen, die Bausubstanz wohl auch. Aber was ist mit den Menschen, die rechts und links, über oder unter einem ihr Heim haben? Wer erkundigt sich schon im Voraus, ob diese Kinder mögen, Hunde vergiften, im Sommer jeden Tag den Grill anwerfen, jeden zweiten Abend Partys veranstalten oder im Garten mit Unkrautvernichtungsmitteln um sich werfen? Oder gar mit jedem bisherigen Nachbarn vor Gericht gelandet sind?

Im Zeitalter des Internets kann man solche Informationen nun ganz einfach erhalten. Ein Amerikaner hat die Webseite rottenneighbor.com gegründet, dort kann man sich die Gegend seiner Wahl als Landkarte heranzoomen und an roten und grünen Häuschen erkennen, ob die dort lebenden Menschen nett oder weniger nett sind.

Da ist man erst einmal sprachlos, oder? Und denkt vielleicht: Was für eine Gelegenheit, die bösesten Verleumdungen und Anschuldigungen loszuwerden. Und welche Möglichkeiten für Manipulationen eine solche Webseite bietet: Da können die Immobilienpreise einer ganzen Gegend in den Keller fallen, wenn man nur die richtigen Gerüchte streut.

Aber nicht nur für Makler eine erschreckende Vorstellung. Was ist mit potenziellen Arbeitgebern? Würden Sie jemanden einstellen, über den im Internet verbreitet wird, er sei ein Stinkstiefel? Und können so ganze Familien ins Unglück gestürzt werden?

Eine Frage der Perspektive?

Es geht noch viel weiter. Bekanntlich werden in den USA vorbestrafte Sexualtäter im Internet mit Namen und Adresse veröffentlicht. Auch deren Wohnorte sind auf rottenneihbor per Symbol abzulesen, ein Klick, und sie erscheinen samt Name und Foto. Würden wir eine solche Information schätzen, bevor wir ein Haus direkt gegenüber erwerben?

Je nachdem, aus wessen Perspektive man die Sache sieht, schüttelt es einen. Nein, ich möchte keine bösen Gerüchte über mich im Internet lesen und ständig auf der Suche nach diesen sein, um sie wieder zu löschen. Andererseits: Ich kenne Nachbarschaftsverhältnisse, bei denen ich Menschen abraten würde, dorthin zu ziehen. Nichts anderes geschieht auf dieser Webseite. Und jede Wette - solche Angebote wird es noch zuhauf geben - vorausgesetzt, es lässt sich damit irgendwie auch Geld verdienen. Ansonsten wird es ein kurzer Spuk bleiben. Wetten würde ich darauf nicht.

Sollten Sie jetzt denken: Naja, das ist eben Amerika - weit gefehlt. Geben Sie mal den Namen Ihrer Stadt in die Suche ein, Sie werden sich wundern. Die "Qualität" der dortigen Kommentare lässt allerdings vermuten, dass dieses Angebot nicht überlebt....

Rezensionen zum Thema:
Mein Feind, der Nachbar, Financial Times Deutschland vom 30.6.2008

Mittwoch, 6. August 2008

Was Menschen ans Unternehmen bindet

Wer braucht eigentlich noch all diese Studien, die herausfinden wollen, was Menschen an ihrem Arbeitsplatz motiviert? Es ist dermaßen ermüdend, immer wieder davon zu lesen, dass vor allem eine interessante Aufgabe Menschen nicht nur zufrieden macht, sondern sie auch an ein Unternehmen bindet, dass man allen Redaktionen von Fach- und Wirtschaftsmagazinen untersagen sollte, noch weitere dieser Ergebnisse zu veröffentlichen.

Viel Arbeit und ein Leben in der Provinz

Zwei weitere Aspekte, die in einem Beitrag der managerSeminare 1/2008 über die "Hidden Champions" aufgeführt werden, lassen den Leser schmunzeln:

Unternehmen, die langfristig erfolgreich sind und sich als Arbeitgeber beliebt machen, sorgen für "mehr Arbeit als Köpfe". Soll heißen: Es gibt so viel zu tun, dass es gar keinem einfällt, sich über mangelnde Herausforderungen zu beklagen.

Solche Unternehmen zieht es häufig gar nicht in die Metropolen, sondern in die Provinz. Damit schaffen sie ein Gefühl von Heimat, von Verbundenheit mit einer Region, die man auch nicht so schnell aufgibt.

Das Resultat: Lange Karrieren, sprich eine lange Betriebszugehörigkeit ist die Regel. Wer wechselt den Arbeitgeber, wenn er sich dort aufgehoben fühlt?

Klingt zu einfach, oder? Dann doch lieber höchst komplexe Karrierepfade entwickeln, mit jeder Menge Potenzialbeurteilungen, Assessment Centern, Management- und Nachwuchsprogrammen, Auslandsaufenthalten und Job-Rotationen. Sorgt zwar selten für echte Mitarbeiterbindung, aber macht sich gut auf den Karriereseiten im Internet und lässt sich viel besser verkaufen als: "Bei uns haben Sie immer genug zu tun und Sie leben abseits der angesagten Metropolen..."

Rezension zum Thema:
HR der heimlichen Helden, managerSeminare 1/2008

Samstag, 2. August 2008

Freiwillige Selbstverpflichtung?

Es gibt eine bekannte Übung, immer wieder gerne im Seminar eingesetzt: Prisoners Dilemma heißt sie. Dabei geht es darum, dass zwei (oder vier) Gruppen nur dann gewinnen, wenn sie zusammen halten. Es besteht auch die Möglichkeit, auf Kosten des anderen erfolgreich zu sein, was jedoch unweigerlich dazu führt, dass der andere sein kooperatives Verhalten aufgibt und dann alle verlieren. Selbst wenn die Absprachen zwischen den Runden gelingen und sich alle in die Hand versprechen, sich ab sofort kooperativ zu verhalten, erliegt immer eine Gruppe der Versuchung und holt sich einen Vorteil zu Lasten der anderen.

Wie im richtigen Leben

An diese Übung erinnert mich die Diskussion um den Corporate Governance Kodex. Unternehmensführer haben sich zusammen gesetzt und Spielregeln aufgestellt, an die sich alle halten sollen. Tun sie aber nicht, zumindest halten sie die wenigsten an alle dieser Spielregeln. Das nun wiederum könnte eventuell ein Nachteil für diejenigen darstellen, die den Empfehlungen in vollem Umfang folgen. Also wird der Ruf nach dem Staat laut. Wenn nicht alle mitspielen, müssen eben Gesetze her, die eine Zuwiderhandlung mit Sanktionen belegen.

Genauso läuft auch die Diskussion mit Seminarteilnehmern nach Beendigung der Prisoners Dilemma-Übung. Man kann darauf wetten, dass die Teilnehmer, nachdem sie sich gegenseitig heftige Vorwürfe wegen ihres illoyalen Verhaltens, des Nicht-Einhaltens von Absprachen gemacht haben, irgendwann den Trainer attackieren nach dem Motto: "Sie hätten einfach klar sagen müssen, dass es darauf ankommt, dass man sich als ganze Gruppe versteht und nicht gegeneinander kämpfen soll!"

Jede Wette, dass man das Spiel auch mit Top-Managern noch spielen kann - mit dem gleichen Ergebnis. Am Ende werden sie den Trainer verantwortlich machen - und nach dem Staat rufen, damit er ihnen die Spielregeln vorgibt, an die sie sich freiwillig nicht halten wollen - weil sie den anderen und sich selbst nicht trauen.
Menschen sind merkwürdig - manchmal...

Rezensionen zum Thema:
Freiwillige vor, Financial Times Deutschland, 9.6.2008