Mittwoch, 31. August 2011

Die Suche nach Charisma

Keine Frage: Es gibt Menschen, die üben auf andere eine besondere Anziehungskraft aus. Aber vielleicht ist schon dieser Satz falsch. Richtig müsste er heißen: Jeder Mensch über auf andere Menschen eine Anziehungskraft aus, manchen aber gelingt es, auf mehr Menschen in dieser Art zu wirken. Wenn diese Ausstrahlung viele Menschen berührt, spricht man wohl von Charisma.

Nicht weiter erstaunlich, dass man immer wieder versucht ist, das Besondere an dieser Fähigkeit zu beschreiben. Warum gelingt es manchen Menschen, viele andere von etwas zu begeistern, anderen eher nicht? Man könnte es nun einfach so hinnehmen, so wie man akzeptiert, dass es Leute gibt, die besonders gut Basketball spielen können, die besonders strahlend blaue Augen haben, die sich extrem elegant bewegen können.

Aber nein, Charisma soll etwas mit Führung zu tun haben. Große Führer haben besonders viel Charisma, und da eben viele Menschen so sehr danach streben, andere zu führen, hätten sie gerne ein Stück dieser besonderen Ausstrahlung. Also wie geht das?

Gar nicht, fürchte ich. Blödsinn, ich fürchte es nicht, ich bin eher froh darüber. Und bin genervt von den Beratern, die uns erklären, was Charisma ist und was man tun kann, um dieses zu entwickeln.

Hier ein paar Bespiele:
"Vertraue darauf, dass du es schaffst... Erfolgreiche Führungskräfte haben immer einen narzisstischen Kern ... "

"Suche dir eine Krise und wenn notwendig mache eine ..." Menschen folgen uns, wenn wir ihnen das Krisenhafte einer Situation überzeugend klar machen.

"Verkünde die Bewältigungstheorie enthusiastisch ... Charisma und Gehemmtheit ... passen nicht zusammen."

"Suche dir identitätsschwache, erfahrungssüchtige, beziehungshungrige und haltlose Menschen und bestärke diese positiv." Diese nämlich lassen sich für ein Ziel einnehmen und begeistern. "Wer von einem Führer nichts braucht, lässt sich nicht in einem charismatischen Beziehungsvertrag einbinden."

Die letzten beiden Tipps in dem Aufsatz lauten "Inszeniere dich rituell." und "Schaffe eine Elite."

Sollte jemand mit diesen Ratschlägen Probleme haben, dann gibt es dafür eine Erklärung. "In gewisser Weise sind wir Deutschen aufgrund unserer Geschichte vielleicht beim Thema Charisma skeptischer als andere Nationen."

Keine Ahnung, ob meine Skepsis was mit unserer Geschichte zu tun hat. Wenn ja, bin ich dankbar dafür. Dann hätte diese Geschichte einen Sinn.

Vielleicht ist es ja so: Es gibt Ideen, die eine große Kraft haben. Weil sie in eine Zeit passen, zur rechten Zeit kommen, bestimmte Bedürfnisse treffen. Und wenn zufällig Menschen sich genau für diese Ideen begeistern, die gleichzeitig auch gut andere begeistern können, dann wird daraus eine große Sache. Leute mit "Charisma" ohne Ideen wird man für Blender halten, und Ideen, die nicht begeisternd präsentiert werden, keine Beachtung finden.

Und ich warte auf Beiträge, in denen uns erklärt wird, wie man große Ideen entwickelt und sie begeisternd verkündet. Auf dass wir alle kleine Steve Jobs werden... 

Rezension zum Thema:
Warum Charisma eine Krise braucht, Wirtschaftspsychologie-aktuell 1/2011


Dienstag, 16. August 2011

Werte pflegen

Da war ich schon ziemlich neugierig: Was stellen Unternehmen an, um ihre Werte bei den Mitarbeitern lebendig zu halten? Vier Beispiele sollten mustergültig sein. Um es vorweg zu nehmen: Ich fand sie alle vier eher merkwürdig als vorbildlich. Hier kommen sie:

Bei Hilti lässt man verkleidete Menschen am Arbeitsplatz auftauchen. Diese stehen für bestimmte Werte (ein Mr.C für Competition) und sollen so die Mitarbeiter daran erinnern, diese auch zu leben. Hat was vom Nikolaus und Knecht Ruprecht, die - allerdings nicht ganz so überraschend - einmal im Jahr die lieben Kleinen daran erinnern, auch schön brav das zu tun, was ihre Eltern ihnen sagen.

Bei Sapient Nitro werden Mitarbeiter, die sich in besonderer Art und Weise um einen Unternehmenswert verdient gemacht haben, mit dem Core Value Award ausgezeichnet und an der Wall auf Fame verewigt. Wahrscheinlich so lange, bis die Werte neu formuliert werden oder der Mitarbeiter genug hat vom Werterummel und das Unternehmen verlässt.

Bei Telefónica sorgten Kulturagenten dafür, dass die Werte mit Leben gefüllt werden und übergaben am Ende die Verantwortung für die Umsetzung der Maßnahmen an die Führungskräfte. Eine besonders beliebte Methode, die ich schon selbst erlebt habe. Die Kulturagenten stürzen sich mit Feuereifer auf die Aufgabe und die anderen sagen sich: Lass sie mal machen. Besonders begeistert sind am Ende die Vorgesetzten, die bis dahin skeptisch abgewartet haben.

Am ehesten kann ich da noch dem Ansatz bei W.L.Gore folgen. Hier holt man die Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen zusammen und veranstaltet Kultur-Workshops in Form des World Cafés. Hier diskutiert man über die Unternehmenswerte und über Möglichkeiten der Optimierung in der täglichen Arbeit.

Zu Beginn dieser Workshops bekommen die Teilnehmer einen Film gezeigt, in dem der Unternehmensgründer seine Werte erläutert. Ich stelle mir vor, wie die Mitarbeiter spätestens bei der zweiten Vorstellung des Films reagieren. Und irgendwie drängt sich das Bild einer Sekte auf, in der alle Mitglieder regelmäßig dem Gründer und seiner Botschaft lauschen...

Den Ansatz, immer mal wieder die Werte zum Thema zu machen, halte ich allerdings schon für sinnvoll. So wie wir selbst uns und unsere Ziele und Wünsche immer wieder hinterfragen und prüfen, ob sich die Prioritäten nicht verändert haben, ob wir noch zum dem stehen, was wir uns vorgenommen haben, sollten auch Unternehmen hin und wieder klären, ob der Weg, den sie einschlagen, auch noch zu ihnen passt. Wie oft merken wir zwar, dass sich die Atmosphäre verändert, wenn etwa das Unternehmen schnell wächst, die Kunden wechseln, die Rahmenbedingungen sich ändern. Dann stand vielleicht mal am Anfang ein Wert besonders im Mittelpunkt, aber er spielt längst keine große Rolle mehr. Ein Nachdenken darüber, ob das in Ordnung ist oder ob man nicht lieber doch zu ihm zurückkehren möchte, halte ich für extrem sinnvoll.

Ich stelle mir das auch gar nicht so schwer vor. Der Geschäftsführer könnte doch in Gesprächen mit den Mitarbeitern die Frage stellen: "In unserer Firma spielte Kollegialität von Anfang an eine große Rolle und stellte einen zentralen Wert da. Empfinden Sie das heute auch nocht so?" Solche "Reflexionsgespräche" bedürfen meines Erachtens keiner "Wall of Fame" oder Ansprachen des großen Vorsitzenden. Man muss sie nur führen.

Rezension zum Thema:
Mitarbeiter inspirieren, Personalmagazin 6/2011

Donnerstag, 4. August 2011

Burn-out diagnostizieren?

Als "einen Glücksfall" bezeichnet ein Beitrag der wirtschaft + weiterbildung die Popularität des Burn-out-Phänomens für einen Oberarzt und seine Kollegen, die ein Programm entwickelt haben, in dem Führungskräften vermittelt wird, wie sie Erschöpfungszustände erkennen können. Vorgesetzte sollen klinische Fälle zumindest einmal gesehen haben, um angemessen reagieren zu können. Das denken auch Personaler, die in einer Umfrage bestätigt haben, dass die Führungskräfte Burn-out nur schlecht erkennen und mehr Kenntnisse über die Symptome haben sollten.

Für den falschen Weg halten das andere Experten. Sie möchten Führungskräfte allgemein für Abweichungen im Verhalten sensibilisieren. Und ihnen beibringen, wie sie Mitarbeiter in einem solchen Fall ansprechen können. Mit anderen Worten: Genau das lernen, was ihr Job ist. Menschen zu befähigen und zu unterstützen, ihrer Aufgabe nachzugehen. Und wenn sie merken, dass diese beeinträchtigt sind, warum auch immer, angemessen reagieren.

Da kann ich nur zustimmen, sonst müssten Führungskräfte ja zu Medizinern ausgebildet werden. Sie müssten Suchtsymptome diagnostizieren, Haltungsschäden erkennen, Infarktgefährdungen wahrnehmen und wer weiß was sonst noch...

Mich beschäftigt aber eine ganz andere Frage. Bei der erwähnten Umfrage unter Personalern ist herausgekommen, dass eine wirklungsvolle Maßnahme die betriebliche Gesundheitsförderung sein soll - sagen die Personaler. Damit soll psychischen Belastungen vorgebeugt werden. Gleichzeitig werden als Hauptbelastungsfaktoren der starke Erfolgsdruck, der Zeitdruck, die ständige Erreichbarkeit und die Arbeitsverdichtung genannt.

Hier stimmt doch etwas nicht, oder? Mal angenommen, ein Unternehmen stellt fest, die Mitarbeiter erkranken häufig und die Ursache ist die hohe Schadstoffbelastung an den Arbeitsplätzen. Würde man dann den Führungskräften beibringen, die Symptome einer Vergiftung zu erkennen und ein umfassendes Gesundheitsförderungsprogramm ins Leben rufen mit Waldläufen zum Ausgleich und einer Anlaufstelle außerhalb des Unternehmens für vergiftete Mitarbeiter, die sich anonym Hilfe holen können?

Wenn doch der Druck am Arbeitsplatz die Ursache für die psychischen Belastungen ist - wieso kümmert man sich nicht darum? Warum analysiert man nicht mal, warum der Druck stetig wächst? Vermutlich würde man dann feststellen, dass zu viel Arbeit auf zu wenigen Schultern ruht, aber neue Mitarbeiter einzustellen ist offenbar weitaus weniger attraktiv als Experten mit der Entwicklung von Gesundheitsprogrammen zu beschäftigen, entsprechende Beratungen einzukaufen und externe Anlaufstellen einzurichten, an die sich die überforderten Mitarbeiter wenden können. Da kann man schöne Projekte mit wunderbarer Außenwirkung aufsetzen, fröhliche Mitarbeiter beim Rückentraining zeigen und feine Seminare zur Stressreduktion durchführen.
Merkwürdig...

Rezensionen zum Thema:
Führungskräften zu Therapeuten ausbilden, wirtschaft + weiterbildung 6/2011
Chefs sind ratlos gegenüber Burn-out-Opfern,  wirtschaft + weiterbildung 6/2011