Mittwoch, 27. Mai 2009

Ende der Privatsphäre?

Das ist ja schon ein sehr spannendes Thema: Muss man als Person im Internet vertreten sein, mit seinem persönlichen Profil, seinen Vorlieben, Fähigkeiten, Qualifikationen? Oder ist man praktisch nicht auf der Welt, wenn man von Google & Co. nicht gefunden wird?

Diese Ansicht vertritt Jeff Jarvis in seinem Buch "Was würde Google tun?" Andere warnen vor der völligen Transparenz und sehen den Verlust jeglicher Privatsphäre voraus. Wenn es nur das wäre: Im Zeitalter des Mitmach-Webs erscheint ja nicht nur das, was wir selbst über uns veröffentlichen (was mitunter peinlich genug ist), sondern es gibt auch viele Zeitgenossen, die sich einen merkwürdigen Spaß daraus machen, gezielte Unwahrheiten in die Welt zu setzen und sich daran freuen, wenn diese den Weg in die Massenmedien schaffen. So kann man auch zu Ruhm gelangen.

Tatsächlich aber sieht es wohl eher so aus: In früheren Zeiten war man auf den Nachbarschaftsklatsch und Tratsch angewiesen, wenn man etwas über Leute erfahren wollte. Der "Wahrheit" dürfte das wohl kaum entsprochen haben, und die Betroffenen hatten kaum eine Chance, sich zu wehren.

Mit den Massenmedien wurde es möglich, Informationen über Personen einem extrem großen Kreis von Menschen zugänglich zu machen. In der Regel waren und sind das allerdings "Prominente" und jene, die BILD in das Licht der Öffentlichkeit zerrt. Da fällt das Sich-Wehren ebenso schwer, auch wenn man vor Gericht zieht.

Mehr Chance als Risiko?

Im Internet nun erwischt es jeden, egal ob prominent oder nicht. Aufzuhalten ist es nicht. Und wie bei den Massenmedien wird es jene geben, die das als Chance begreifen, sich selbst zu vermarkten und mit Gewinn "zu verkaufen". Sie verzichten bewusst auf so etwas wie Privatsphäre und nehmen die Risiken in Kauf. Andere werden es verstehen, sich rar zu machen, das gelingt ja auch einigen Prominenten heute - trotz BILD.

Und die anderen? Es gibt ja einen Unterschied zu den Gerüchten unter Nachbarn und denen in den "herkömmlichen" Massenmedien: So transparent das Internet uns alle erscheinen lässt, so transparent sind diese Informationen auch für uns. Wenn andere mich über Google finden, dann finde ich mich auch. Es dürfte zwar schwer sein, falsche Informationen zu löschen, aber zumindest weiß ich, war über mich veröffentlicht wird. Und ich kann meine eigene Sicht der Dinge verbreiten - über die ganze Welt. Wenn das keine Chance ist...

Rezensionen zum Thema:
Das Leben ist ein Prototyp, Wirtschaftswoche 19/2009
Digitales Utopia, Wirtschaftswoche 19/2009
Digitale Wahrheiten,
Financial Times Deutschland 16.3.2009

Sonntag, 24. Mai 2009

Alte Bücher

Ich habe gerade einen Artikel über die Probleme von Antiquariaten im Zeitalter des Internets gelesen. Manche von ihnen leben vom Porto, das ihnen Amazon überweist, weil man nahezu jedes alte Buch irgendwo für wenige Euro, manchmal sogar Cent erwerben kann.

Da kommen Erinnerungen hoch an viele, viele Besuche im ehemaligen Ostblock. Kein Besuch in Budapest verging, ohne dass schwere Bände von Dostojewski, Schiller, Shakespeare u.a. im Gepäck landeten. Etliche sind in alter Druckschrift, damals wie heute nur schwer zu lesen. Stundenlang stöberte ich durch die verstaubten Regale, fand Erstausgaben, Bildbände oder auch Kuriositäten, die mich magisch anzogen. Alle, die ich damals mitbrachte, stehen immer noch im Bücherregal.

Ich vermute, dass es auch heute noch einige dieser unglaublichen Läden gibt, nach wie vor werden Tausende von Büchern auf irgendwelchen Dachböden vor sich hinschlummern. Aber tatsächlich dürften ihre Tage gezählt sein. Wenn jedermann sein eigener Antiquar ist und nicht mehr benötigte Titel über das Internet verhökert, wird in nicht allzu ferner Zukunft der Begriff "Antiquariat" verschwinden und unsere Kinder fragen: "Was ist das?"
Hat etwas von einem evolutionären Prozess, einem natürlichen Vorgang. Schade ist es trotzdem...

Rezension zum Thema: Gefangen im Netz, Wirtschaftswoche 17/2009

Dienstag, 19. Mai 2009

Das System oder: Wer hat Schuld?

Kennen Sie die Geschichte von der Schwanzprämie? Sie stammt aus dem Buch "Der dressierte Bürger" von Reinhard Sprenger und könnte sich so oder so ähnlich in jedem größeren Unternehmen zugetragen haben. Sie ist übrigens tatsächlich in der Google-Buchsuche zu finden - erstaunlich.

Es geht darum, wie Systeme menschliches Verhalten beeinflussen. Lesern dieses Blogs dürfte es nicht entgangen sein, dass ich jedem System sehr skeptisch gegenüber stehe. Mir ist sehr bewusst, dass es ohne nicht geht. Systeme entwickeln sich einfach, sobald es etwas zu regeln gibt. So wie in dem Beispiel der Schwanzprämie.
Wir haben zu Hause ein ganz einfaches System zur Versorgung der Zwergkaninchen, nachdem es ständig Streit darum gab. Nun geht immer abwechselnd. Soviel zum Nutzen von Systemen...

Dass Systeme immer Nebenwirkungen haben (siehe Schwanzprämie) habe ich schon häufiger dargestellt. Und wenn diese eintreten, dann stellt sich die Frage: Wer hat Schuld? Das System, das Menschen dazu bringt, alle Vorsicht zu vergessen und ihr Geld in dubiosen Anlagen zu versenken? Das Investmentbanker zu immer riskanteren Spielereien verleitet? Das Manager dazu bringt, sich gegenseitig hohe Prämien zu genehmigen? Ist es das System, das einen Fußballmanager auf die Idee brachte, Steuererleichterungen für seine Profitruppe zu ermöglichen, indem er ihre Spiele am Sonntag als Wochenendarbeit deklarierte und die Gehälter zu Wochenendzuschlägen machte?

Falsche Frage

Blödsinn, das System macht nichts dergleichen, insofern ist es Unsinn, von der Schuld des Systems zu sprechen. Wer sich damit herausredet, entmündigt sich selbst. Leider führt die Frage aber in eine Sackgasse: Die richtige müsste lauten: Was lässt sich leichter ändern: Das System oder die Menschen? Und dann sind wir doch wieder beim System. Man kann die "Schwanzprämiensammler" schulen und "umerziehen", das Schwanzprämiensammeln einzustellen oder auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren, aber welchen Aufwand und welche Energieleistung würde das kosten? Oder man ändert das System. Dass auch das nicht immer leicht ist, dürfte klar sein. Aber allemal leichter als die Menschen zu trainieren, ein System nicht zu missbrauchen...

Sonntag, 10. Mai 2009

Leben und Arbeiten

Witzig. Als ich meine ersten Texte ins Internet stellte (Rezensionen von sieben Artikeln der Zeitschrift "Personalführung"), da wurde oft gefragt: "Was machst du da eigentlich?" Heute weiß ich, dass meine Antwort hätte lauten müssen: "Ich überspringe ein Glied in der Wertschöpftungskette!" Oder gleich mehrere. Genau das passiert ja in der Tat heute an unglaublich vielen Stellen. Schreiberlinge wie ich verzichten auf Verlage und Druckereien, sondern wenden sich über das Internet direkt an den Kunden. Ein Bekannter von mir ordert elektronische Geräte in China und verkauft sie über einen Profi-Shop bei Ebay. Zwischenhändler? Ladenlokale? Überflüssig.

Aber das ist ja nur ein Teil der neuen Arbeitswelt. Noch viel spannender finde ich die Diskussion über die Aufhebung der Trennung Arbeit und Leben. Eine Kollegin, die bis zu ihrer Selbstständigkeit in Teilzeit angestellt war, sagte mir: "Ich möchte dieses Verhältnis von Arbeit und Freizeit beibehalten, so zwanzig Stunden in der Woche ist für mich ideal. Ständig online sein wie du, das kann ich mir gar nicht vorstellen." Damals musste ich schon schmunzeln. Heute erreichen mich ihre e-Mails zu jeder Tages- und Nachtzeit, und sie möchte ihr Leben mit dem alten (Teilzeit-)dasein nicht mehr eintauschen.

So ungewöhnlich das für viele andere, die der "Präsenzarbeit" nachgehen", auch klingen mag: Es gibt ein Leben, bei dem die Trennung von Arbeit und Leben bzw. Freizeit einfach nicht passt. Arbeite ich gerade in diesem Moment, in dem ich den Blog-Beitrag schreibe? Ist es Arbeit, wenn ich mit Kollegen über mögliche Geschäftsmodelle fantasiere? Ist es Freizeit, wenn ich jogge und dabei über die neue Struktur der MWonline-Webseite nachdenke?
Es gibt übrigens ein ganz aufschlussreiches Buch, dass sich mit dem Phänomen beschäftigt: Wir nennen es Arbeit. Durchaus lesenswert, auch wenn sich das eine oder andere wiederholt und die Sprache ein wenig "sozialwissenschaften-lastig" ist.

Wie schwierig es wird, das zu beschreiben, was diese Form der Arbeit auszeichnet, zeigt folgendes Phänomen: Gefragt, welchen Beruf man eigentlich ausübt, zucke ich immer häufiger mit den Schultern. Was soll ich sagen? Ich schreibe, fasse Texte zusammen, bewerte sie und stelle sie ins Internet. Ich verkaufe Werbung, halte hin und wieder einen Vortrag, moderiere einen Workshop. Ich berate Unternehmen, die sich mit Beurteilungssystemen herumschlagen. Ich bin Psychologe, zumindest habe ich ein Diplom in dieser Disziplin. Aber welchen Beruf ich habe? In "Wir nennen es Arbeit" würde ich unter die Kategorie der "Digitalen Boheme" fallen. Aber so richtig passt das auch nicht.

Rezension zum Thema:
Überall im Netz, immer informiert, Financial Times Deutschland 3.2.2009

Samstag, 9. Mai 2009

Selbstkritik? Fehlanzeige

Ein Bericht über die Situation in der Finanzmetropole London ist höchst aufschlussreich. Tausende von Bankern haben ihren Job verloren, betroffen davon ist eine Stadt, die nahezu vollständig von Dienstleistungen lebt. Restaurants müssen dicht machen, Chauffeure, Butler und sonstige Bedienstete sitzen auf der Straße. Der Investmentbanker fährt U-Bahn. Grund genug, sich darüber Gedanken zu machen, was eigentlich schief gelaufen ist? Oder darüber, welchen Anteil man selbst an dem Desaster hat?

Nicht wirklich. Diejenigen, die ihren Job nicht verloren haben, fühlen sich sogar bestätigt nach dem Motto: "Wer selbst solch ein Gemetzel überlebt, der ist wirklich gut, ein Star, unantastbar sozusagen. Auch wenn die Prämien geringer ausfallen - ich bin noch im Geschäft, also habe ich alles richtig gemacht. Erwischt hat es alle, die ohnehin nur mitgeschwommen sind, in guten Zeiten Geld zu scheffeln, das kann halt jeder."

Das schmerzt natürlich die anderen, die ohne Job dastehen. Haben sie wenigstens einen Anlass, sich über grundlegende Dinge Gedanken zu machen? Offensichtlich auch nicht. Wer seine Millionen nicht sofort verprasst hat, der sagt sich: "Da habe ich endlich mal Zeit zum Golfspiel oder Segeln, tut mir auch gut. Habe ich mir schließlich verdient durch harte Arbeit all die Jahre, manchmal muss man eben zu seinem Glück gezwungen werden. Ist nicht das schlechteste Leben. Und irgendwann geht es wieder aufwärts, dann werden Experten wie ich gefragt sein..."

Grund zur Selbstkritik? Fehlanzeige...

Rezension zum Thema:
Im Auge des Sturms, Financial Times Deutschland 26.2.2009

Montag, 4. Mai 2009

Immaterielle Millionen

Es ist ja schon ein Phänomen: Da verdient ein Mensch jährlich mehrere Millionen Euro und scheint gar nicht genug davon zu bekommen. Ob im Top-Management oder im Profi-Fußball (Magath soll eine Gehaltserhöhung in Wolfsburg gefordert haben, bei 2,5 Millionen Euro schwer nachvollziehbar) - Grenzen nach oben scheint es nicht zu geben. Nun fällt es den meisten schwer sich vorzustellen, worin denn bei solchen Summen eigentlich noch der Unterschied besteht. Kann man sich mit dem Geld Wünsche erfüllen, die zuvor nicht möglich gewesen sind? Geht es hier tatsächlich um eine "Gehaltserhöhung"?

Eine interessante These stellt Stephan Jansen in der Brand eins 4/2009 auf: Wer an der Spitze ist, dem gehen die Ziele aus, das Karriereende ist erreicht. Wer aber gewohnt ist, nach Höherem zu streben, der misst Erfolg eben am Gehalt.

Eine ähnliche Erklärung wäre, dass es hier eigentlich mehr um eine immaterielle Anerkennung geht: Einkommen als Zeichen für Wertschätzung. Die einen erhalten die Auszeichnung "Mitarbeiter des Monats", die anderen eine mehrstellige Millionensumme als Prämie, die zeigt, was sie wert sind und dass dieser Wert auch wahrgenommen wird.

Und tatsächlich tun wir alle ihnen auch den Gefallen: Es gibt Ranglisten der bestverdienenden Manager und Spitzensportler, der reichsten Menschen Deutschlands und der Welt, und wer schaut nicht mit ungläubigem Staunen auf die Liste...

Was zu der Frage führt, welche Alternativen es zu den zusätzlichen Millionen gibt. Ab einer bestimmten Gehaltshöhe das Bundesverdienstkreuz? Die Aufnahme in eine "Hall-of-Fame" der Menschen, die eine bestimmte Gehaltsgrenze gesprengt haben? Denkmähler an ausgewählten öffentlichen Plätzen? Mit ein wenig Fantasie müsste es doch gelingen, immaterielle Anreize für Bestverdienende zu finden...

Rezension zum Thema:
Reize der Anreize, Brand eins 4/2009

Sonntag, 3. Mai 2009

Trügerische Statistik

Tagtäglich werden uns Zahlen und Statistiken präsentiert, die bestimmte Zusammenhänge erklären sollen. Bekannt sind z.B. Untersuchungen, nach denen Frauen im Schnitt 25% weniger verdienen als Männer in vergleichbaren Berufen und Positionen. Die Erklärung ist so naheliegend: Frauen werden benachteiligt, und Schuld daran haben die Männer. Die Zahlen sind Beweis genug. Sind sie das?

In einem interessanten Beitrag der Brand eins werden eine Reihe von Studien zitiert, die versucht haben herauszufinden, welche Faktoren noch eine Rolle spielen könnten. Haben die Frauen die gleiche Berufserfahrung? Haben sie vielleicht ihre Laufbahn unterbrochen, um Kinder zu erziehen und sind deshalb im Gehalt stehengeblieben? Oder sind sie vielleicht gar nicht bereit, 60 Stunden in der Woche zu malochen um der Karriere und des Geldes willen?

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Geschlecht allein kaum der Grund für den statistischen Unterschied im Gehalt darstellt. Das passt natürlich nicht so recht in die politische Diskussion, aber das ist ein anderes Thema. Erschreckend ist nur immer wieder, wie leicht wir auf solche Zahlenspielereien hereinfallen.

Ein Beispiel, das die Absurdität von derartigen Untersuchungen deutlich macht, habe ich vor vielen Wochen in einer seriösen Zeitschrift gelesen und heute tatsächlich im Internet wieder gefunden: Frühstücksverweigerer haben in Japan eher Sex. Erklärung eines Forschers: "Ein ausgeglichenerer Lebensstil kann dazu führen, dass Menschen bedächtiger an sexuelle Aktivitäten herangehen." Das ist Wissenschaft (welche eigentlich?), oder? Ob da vielleicht bestimmte Lebensumstände der Grund für beide Phänome sind - wer will das wissen bei solch eindeutigen Zusammenhängen?

Rezension zum Thema:
Die Besserverdienerinnen, Brand eins 4/2009