Mittwoch, 31. Dezember 2008

Blick zurück und nach vorn

Ist der 31.12. eines jeden Jahres wirklich geeignet, sich zu besinnen und gleichzeitig nach vorn zu schauen? Ich war heute in der Stadt und habe nur mit Mühe einen Parkplatz gefunden. Alle Welt war auf den Beinen, als ob es die letzte Gelegenheit war, Lebensmittel zum Überleben zu ergattern. Der Silvester-Tag scheint mir vor allem für Hektik und Stress zu bestehen, und der Neujahrstag darin, sich von den Strapazen zu erholen.

Und dennoch - da gibt es so einen kleinen Moment, nämlich den kurz nach Mitternacht, wenn alles um einen herum sich in den Armen liegt und ein frohes neues Jahr wünscht und der Sektkorken nicht aus der Fasche will. In diesem Moment laufen einige der besonderen Momente des vergangenen Jahres vor dem inneren Auge ab. Wohl dem, der sich mit Dankbarkeit und Freude erinnern kann.


Was aber, wenn diese Momente einfach nur schrecklich waren? Wenn das Jahr überschattet war von Abschied, Trauer und unendlicher Verzweiflung? Was, wenn jeder Gedanke an schöne Dinge, die geschehen sind oder vor einem liegen, sofort beiseite geschoben wird von der Erkennntnis, dass nichts wirklich Bestand hat? Für mich war es ein Jahr, das nahezu alles in Frage gestellt hat, was bisher so selbstverständlich erschien. Und das den Blick nach vorn so stark trübt, dass Pläne und Wünsche nur mühsam formuliert werden können.

Das klingt depressiv, mutlos und hoffnungslos, ich weiß. Und es ist nicht das, was man zum Jahreswechsel lesen möchte, weil es nichts als Hilflosigkeit auslöst. Was soll man jemandem sagen, was für ihn tun, der so denkt? Die Antwort habe ich in diesem Jahr vielfach erfahren und sie ist so einfach: Mitgefühl zeigen. Womit der Wunsch im Namen aller, die diesen Jahreswechsel ähnlich empfinden, lautet: Versucht nicht, anderen in diesen Situationen gute Ratschläge zu geben oder mit aufmunternden Worten Trost zu spenden nach dem Motto: "Es wird schon weiter gehen!" Zeigt einfach nur Mitgefühl. Mehr ist gar nicht nötig.

Dienstag, 16. Dezember 2008

Wann Bezahlung als fair erlebt wird

Schon wieder das Thema "Bezahlung"? Klar, weil man darüber so wunderschön diskutieren kann. Seit Herzberg wissen wir, dass Geld zu den Hygienefaktoren zählt, nicht zu den Motivatoren. Das bedeutet, dass immer dann, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass ihr Gehalt fair ist, sie nicht unzufrieden sind. Über die Zufriedenheit entscheiden andere Dinge, die sogenannten "Motivatoren". Aber Mitarbeiter zu haben, die nicht unzufrieden sind, wäre ja schon mal etwas. Und dazu gehört, ein Gehaltsystem zu schaffen, das von allen - oder zumindest von einem Großteil - als angemessen und fair erlebt wird.

Nun zeigt eine Umfrage des Great Place to Work® Institute Deutschland, dass selbst in den Unternehmen, die von den Mitarbeitern eigentlich gut beurteilt werden, das Gehalt nur von einem Teil als gerecht erlebt wird. Außer bei Adobe Systems, hier sind 93% der Befragten der Ansicht, bei ihnen ginge es fair zu. Das lässt aufhorchen und macht neugierig. Was macht das Personalmanagement dort anders?

Mitarbeiter können Kollegen, die die Werte vorbildlich leben, ein Zertifikat und eine Auszeichnung zukommen lassen, beides wird mit einem "Bonus" prämiert. Neben der Grundvergütung gibt es eine Reihe von Boni, Aktien und Zusatzleistungen, dabei achtet man auf länderspezifische Rahmenbedingungen wie Lebenshaltungskosten. Die Gehälter werden jährlich überprüft, es gibt quartalsweise Zielvereinbarungen und eine Erfolgsbeteiligung.
Mal abgesehen von der Möglichkeit, Kollegen indirekt Geld zukommen zu lassen - klingt das irgendwie anders als das, was die meisten Unternehmen in Sachen Gehalt anbieten?

Liegt das Erfolgsgeheimnis also darin, ein besonders ausgeklügeltes Belohungssystem zu etablieren? Oder darin, für alle möglichen Leistungen finanzielle Gegenleistungen und sonstige Belohnungen bereitzuhalten?

Ich glaube, der Grund ist ein anderer. Welches Gehalt jemand als gerecht erlebt, hängt in erster Linie davon ab, welche Vergleiche er zieht. Innerhalb einer Organisation wird er vor allem auf das Gehalt der Kollegen achten, deren Leistung mit der eigenen vergleichen und dann entscheiden, ob die Relation stimmt.

Was muss ein Unternehmen also tun, um dieses Gefühl von Fairness zu ermöglichen? Es muss selbst diesen Abgleich regelmäßig vornehmen und darf ihn nicht an ein System delegieren. Ich kann mich gut an den Satz erinnern: "Ja, Sie haben natürlich Recht, die Gehaltsanpassung steht Ihnen eigentlich zu, aber das Gehaltssystem lässt das leider nicht zu, da spielt die Personalabteilung nicht mit." Arme Personalabteilung, aber wer solche Systeme entwickelt und einführt, darf sich da nicht wundern.

Es bleibt meines Erachtens gar keine andere Möglichkeit, als regelmäßig z.B. im Rahmen von Entgeltkonferenzen (oder wie auch immer man so etwas nennt) zu überprüfen, ob die Gehaltshöhe mit dem wahrgenommenen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens im Einklang steht - und das für jeden Mitarbeiter. Diese werden feststellen: "Sieh mal an, da zieht sich niemand auf die Spielregeln eines einmal festgelegten Systems zurück. Man gibt sich Mühe, beschäftigt sich ernsthaft mit meiner Leistung und tut alles, um ihr gerecht zu werden."
Das ist aufwändig, keine Frage. Aber es ist möglich, wie das Beispiel von Adobe zeigt.

Ein Gegenargument, das ich immer wieder zu hören bekomme: "Gehaltsfragen werden bei uns vertraulich behandelt, die Tatsache, dass Kollegen mehr bzw. weniger verdienen, kann da gar nicht der Grund für die Unzufriedenheit sein." Naiver geht's nimmer, oder?

Rezension zum Thema:
Leistung und Werthaltung als Maß, Personalmagazin 8/2008

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Nicht auszurotten

Der Glaube, dass man nur die richtigen Anreizsysteme schaffen müsse, und schon funktionieren Menschen und ganze Organisationen wie gewünscht, ist weit verbreitet und nicht tot zu kriegen. Es klingt ja auch ungeheuer plausibel: Man möchte, dass Bankberater mehr eigene Bankprodukte verkaufen, also muss man doch nur die variable Vergütung an die Anzahl der abgeschlossenen Verträge koppeln, und schon stellen die Mitarbeiter ihr Verhalten von Beratung auf Verkauf um. Natürlich wird das so nicht kommuniziert, aber das ist eine andere Geschichte.

Man möchte, dass Pharmavertreter den Gewinn steigern? Dann muss man ihr Gehalt an die Höhe des Gewinns koppeln. Dumm, wenn sie dann nur noch die Produkte in den Markt drücken, die eine hohe Marge abwerfen, obwohl man doch, aus strategischen Gründen, andere Produkte stärker platzieren möchte. Kein Problem, koppelt man einen Teil der Prämie an die Anzahl der verkauften "strategischen Produkte". Irgendwann wird das System undurchschaubar. Gut für den Verkäufer, der es dann prima austricksen kann. Dagegen gibt es dann wieder ein Mittel usw. usw.

Was in der "freien Wirtschaft" so toll funktioniert, das können wir doch auch bei der Finanzierung von Universitäten einsetzen, dachte sich die Politik. Nun erhalten die Hochschulen in NRW die Landesmittel in Abhängigkeit davon, wie viele Studenten wie schnell zum Abschluss kommen, wie viele Promotionen betreut werden und wie viele Drittmittel sie an Land ziehen.

Ein Gedankenexperiment

Ein interessantes Gedankenexperiment wäre, einmal zu überlegen, welche Möglichkeiten es denn gibt, diese Zahlen in die Höhe zu treiben. Schnelligkeit des Studiums? Kein Problem, dann darf man bei den Prüfungen nicht so hart sein. Anzahl der Promotionen? Da wird sich so einiges finden lassen.

Es kommt noch besser: Wenn eine Uni es schafft, diese Kennzahlen zu "optimieren", kriegt sie nur dann mehr Geld, wenn andere schlechter abschneiden, denn der Gesamttopf bleibt ja gleich. Was muss sie also anstellen, damit die Konkurrenz schlechter abschneidet?

Die Sache mit dem Kuchen

Ich denke zu schlecht von den Menschen? Wie wäre es mit diesem Gedankenexperiment: Sie haben einen großen Kuchen und sagen Ihren drei Kindern: Wie groß der Anteil jedes einzelnen von euch ist, hängt davon ab, wie schnell Ihr euer Zimmer aufgeräumt habt, wie schnell Ihr eure Hausaufgaben fertig habt und wie viele Karten Ihr an die liebe Verwandschaft zu Weihnachten geschrieben habt.

Was wird geschehen? Werden sie den Müll in ihrem Zimmer in Schubladen und unter dem Bett verstauen? Werden sie die Zahl der (angeblichen) Hausaufgaben reduzieren? Und werden sie sich anschließend gegenseitig denunzieren? Oder sind sie so clever, sich abzusprechen und am Ende alle gleichzeitig fertig zu sein?
Ich bin gespannt, wie lange das gut geht mit der Geldverteilung nach "Leistung". Nicht lange, ist meine Prognose, weil der Aufwand, zu kontrollieren, ob alles auch in der erforderlichen Qualität abläuft, immens sein wird.

Rezensionen zum Thema:
Ohne Fleiß kein Preis / Wenn der Vertrieb über alles geht, Financial Times Deutschland, 22.10.2008

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Wenn Berater Werte entdecken

Das ist lustig - oder besser: Peinlich. Es soll Berater geben, die sich abwenden vom Streben nach der schnellen Kohle und stattdessen entdeckt haben, dass es so etwas wie "Werte" gibt. Zitat: "Werte werden in der Beratung wichtiger!" Plötzlich sei die eigene Arbeit "von Werten geprägt!" Da sollten wir uns doch freuen, oder? Und fragen uns, wovon die Arbeit denn bisher bestimmt war...

Es ist schon erstaunlich, dass der Begriff "Werte" so positiv geprägt ist, oder? Werte sind also an sich etwas Gutes, dabei sind sie erstmal neutral. Als ob die Arbeit bisher ohne Werte auskam. Es waren vielleicht andere, z.B. Wettkampf, Gewinnen, Erfolg, Reichtum, Status...

Auch an diesen ist doch erst einmal nichts Verwerfliches. Problematisch wird es, wenn sie keinen Raum für andere Werte lassen. Wenn es eben ausschließlich um Wohlstand und Ansehen geht. Wenn jetzt ein Berater daherkommt und behauptet, seine Arbeit sei "von Werten geprägt", dann sollte man mal nachfragen, von welchen denn. Fallen dann Begriffe wie "Verantwortung", "Ehrlichkeit", "Vertrauen", dann sollten Sie vielleicht mal nachfragen, wie er denn davon zu leben gedenkt.
Schon erstaunlich, wie naiv Wirtschaftsjournalismus manchmal daherkommt...

Rezension zum Thema:
Zurück auf den Pfad der Tugend, Financial Times Deutschland, 13.10.2008

Dienstag, 2. Dezember 2008

Die Sache mit der Gier

Wir Menschen tendieren immer wieder zu einfachen Ursachenzuschreibungen. Und dazu, bei Problemen nach Schuldigen zu suchen. Da haben wir eine globale Finanzkrise, also muss es doch Menschen geben, die Mist gebaut haben. Haben sie auch, und damit sie in Zukunft mit dem Geld, das ihnen anvertraut wird, vernünftig umgehen, sollten sie ensprechende Konsequenzen ziehen.

Aber haben wir damit DIE Ursache gefunden? Ist es die unersättliche Gier der (Finanz-)Manager, die für das Desaster verantwortlich gemacht werden kann? Ein Wirtschaftsethiker stellt klar, dass unser ganzes Wirtschaftssystem auf dieser Gier basiert. Was hätten wohl die Anleger gesagt, wenn die Fondsmanager und Investmentbanker, die ihre Millionen vermehren sollten, sich früh von den gewagten "Produkten" (warum habe ich nur nach wie vor ein Problem damit, spekulative Anlagen und Wetten auf Kursgewinne bzw. -verluste als "Produkt" zu begreifen?) distanziert hätten? Vermutlich hätten sie ihnen die Hölle heiß gemacht, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen.

In der Tat basiert doch der freie Markt auf dieser "Gier" nach "Mehr", was für eine Heuchelei, jetzt die bis dahin bewunderten Investment-Banker zu verteufeln. Und wenn diese jetzt argumentieren, sie hätten gar nicht anders gekonnt als mitzuspielen, dann ist da sicher was dran.

Also liegt die Ursache im System? AUCH, deshalb erscheint es sehr sinnvoll, dass nun nach klaren Spielregeln und Kontrolle durch den Staat gerufen wird. Allein auf die Selbstregulation zu vertrauen, hat sich als extrem naiv herausgestellt. Wer weiterhin vor einer "Überregulierung" warnt, wird im Moment schlechte Karten haben. Obwohl man deren "Nebenwirkungen" nicht aus den Augen verlieren darf. Es gibt eben nicht die EINE Ursache.

Entlastet das nun den Einzelnen, der mitgespielt und verloren hat? Wohl kaum: Wer frühzeitig erkennt, dass das, was angeblich alle machen, Unsinn ist oder gar unethisch, hätte sich ja trotzdem verweigern können. Der persönliche Preis dafür mag zunächst hoch sein. Er wäre wahrscheinlich als ängstlich, pessimistisch und risikoscheu verunglimpft worden. Und hätte möglicherweise sogar seinen Job riskiert. Aber wie stünde er jetzt da?

Neben der Gier und der unzureichenden Kontrolle scheint mir die beschriebene "Ich kann doch nicht anders, mir bleibt ja nichts anderes übrig als mitzumachen-Haltung" eine weitere Ursache des Problems zu sein. Sie hat es schon zu allen Zeiten gegeben. Manchmal denke ich, dass es zur Pflicht jeglicher Ausbildung gemacht werden sollte, Fallbeispiele von "Ungehorsam" und "Verweigerung" zu studieren. So eine Art Unterricht in "Sich verweigern". Ein Name für dieses "Fach" müsste noch gefunden werden.

Rezension zum Thema:
Kategorien wie Gier führen in die Irre, Financial Times Deutschland 14.10.2008