Der Titel sprang mir ins Auge, und ohne Details des Beitrags zu kennen, blieb ich an einer Feststellung hängen: "Kaum hat der Spitzenpolitiker oder der Wirtschaftskapitän seinen Posten verlassen, redet er plötzlich ganz anders als bisher." In Wirklichkeit hat er seine Meinung gar nicht geändert, sondern sie vorher nur nicht geäußert. Weil sie einfach nicht gewünscht war und weil sie die Organisation ohnehin nicht von ihrem Pfad hätte abbringen können.
Kleine Geschichte dazu: Montag in einem Krankenhaus, Chefvisite. Die Tür geht auf, sieben Damen und Herren in Weiß treten auf, der Chef vorweg. Er blickt in die Patientenakten, die man ihm reicht, stellt kurze Fragen, erläutert für den Patienten kaum nachvollziehbar den Verlauf und nach wenigen Minuten ist der Spuk vorbei.
Kurz danach, Auftritt eines der Ärzte, der im Schlepptau des Chefs mit von der Partie war. "Ich vermute, Sie haben nicht allzu viel verstanden. Ich erkläre Ihnen alles nachher noch einmal, wenn die Visite vorbei ist." Tatsächlich kommt er wieder und macht sein Versprechen wahr. Auf die Frage: "Sagen Sie mal: Welchen Sinn hat diese Chefvisite eigentlich?" antwortet er: "Keine Ahnung, das versteht hier niemand. Aber es war schon immer so und wird wohl auch noch in 100 Jahren so sein."
Jede Wette, dass auch der Chefarzt (ein ganz netter übrigens, wenn man ihn allein spricht) nach seiner Pensionierung sagen wird: "Das war vielleicht ein Quatsch, hätte man längst abschaffen sollen!" Hat er aber nicht. Gefangen in der Organisation, in ihren Ritualen und Abläufen, von vielen längst als überholt erlebt und mitunter sogar verhasst.
Mitleid und Verachtung
Allzu viel Verständnis habe ich für diese Form der "Toleranz" bis heute nicht. Ich kann nachvollziehen, dass man sich gut überlegt, wie viel Energie man bereit ist zu investieren, um sinnlose Dinge abzuschaffen oder Veränderungen anzustoßen und sorgfältig die Chancen und Risiken abwägt. Aber wenn einen Manager nach seiner Pensionierung plötzlich die große Erkenntnis überfällt und er dann allen anderen rät, wie sie es besser machen können, dann entsteht bei mir eine Mischung aus Mitleid und Verachtung. Und ich denke: Wenn du bis jetzt nicht den Mut hattest, dann halte lieber auch danach die Klappe und hoffe, dass deine Nachfolger über mehr Rückgrat verfügen.
Rezension zum Thema:
Gefangen in der Organisation, managerSeminare 3/2008
Mittwoch, 27. August 2008
Gefangen in der Organisation?
Eingestellt von Johannes um 17:04:00
Labels: Karriere, Leitbilder, Unternehmenskultur, Werte
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