Dienstag, 28. Dezember 2010

Verletzten Seelen in die Augen schauen

Den Beitrag habe ich schon vor längerer Zeit entdeckt und mir vorgenommen, dazu etwas zu verfassen: Eris und Menschenbeurteilungsangst (Daily Dueck 126, Oktober 2010). Gefällt mir gut, musste mehrfach schmunzeln und dachte: Schön formuliert und ach so zutreffend. Vor allem diese Passage: "Tatsächlich haben die meisten Chefs Angst, ihre Mitarbeiter zu beurteilen und ihnen das Urteil zu erklären. Sie müssen dazu nämlich verletzten Seelen in die Augen schauen. Könnte doch eine Maschine nach Zahlen entscheiden!"

Es ist genauso, wie Gunter Dueck es beschreibt: Kein System der Welt macht aus einem schlechten Chef einen guten. Und kein Beurteilungssystem der Welt macht aus einem feigen Chef einen mutigen. Logische Schlussfolgerung: "Wer also solche neuen Systeme einführt wie der öffentliche Dienst und andere, muss sich deshalb auch um bessere Chefs kümmern." Wirklich logisch?

Nein, nicht logisch, sondern ein Denkfehler. Menschen, die in der Lage sind, andere Menschen in Bewertungssysteme einzusortieren und das Ergebnis den Betroffenen unter die Nase zu halten, sind keineswegs bessere Chefs. Sondern allenfalls gefühlskalt. Weil sie offensichtlich kein Problem damit haben, andere Menschen mit Noten zu belegen, komplexe Fähigkeiten und Eigenshaften mit schlichten Zahlen zu bewerten, wohlwissend, dass sie ihnen damit nur Unrecht tun können. Und sich dann haarsträubende Erklärungen einfallen lassen, um diese Machwerke zu rechtfertigen.

Klar, ich weiß schon, Lehrer bewerten Schüler ja auch mit Noten. Stimmt aber nicht: Sie bewerten bestimmte Werke (Klassenarbeiten, Tests) zu bestimmten Zeitpunkten, und nicht eine bestimmte Fähigkeit auf Basis mehr oder weniger vage erstellter Beschreibungen. Außer bei den unsäglichen Kopfnoten, die genauso unsinnig sind wie die Bewertungen von Mitarbeitern.

Und dennoch hat Herr Dueck in zweierlei Hinsicht Recht: Feige Chefs, die Mitarbeitern nicht offen und ehrlich Rückmeldung über ihre "Werke" geben, sind ein Übel. Und in der Tat ist jeder Chef in der Lage, seine "besten" Mitarbeiter zu benennen.

Aber genau das verlangen diese Beurteilungssysteme ja gar nicht. Sie fordern, die eigenen Mitarbeiter in Relation zu ALLEN Mitarbeitern des Unternehmens einzusortieren. Das aber ist völliger Blödsinn, das kann in der Tat niemand.

Ich gehe jede Wette ein, dass Vorgesetzte mit Beurteilungssystemen, die von ihnen verlangen,  Mitarbeiter bezüglich bestimmter Kriterien in eine Rangfolge zu bringen, deutlich besser klarkommen. Das würde zwar auch noch etwas Mut erfordern, aber macht Führung nicht unnötig schwierig.

Allerdings hätten dann die Personalstrategen keine vergleichbaren Daten über alle Bereiche und Mitarbeiter hinweg in der Hand, könnten keinen schönen Zahlenspiele veranstalten und keine tollen Charts produzieren. Und sich irgendwie überflüssig fühlen...

Montag, 20. Dezember 2010

Verändern? Auf jeden Fall. Aber immer anders.

Wann sollte man in einem Unternehmen neue Strukturen einführen? In einem sind sich die Fachleute einig: Nicht erst dann, wenn die Krise schon eingetreten ist, sondern viel früher. Aber nicht verändern um jeden Preis, sagen die einen. Vielmehr sollte man sich die Entscheidungsprozesse regelmäßig anschauen und überlegen, ob die Entscheidungen auch an den richtigen Stellen getroffen werden. Wenn nicht, ist es Zeit für eine Veränderung.

Im Gegenteil, sagen die anderen. Man sollte auf jeden Fall Veränderungen vornehmen. Weil nämlich der Mensch ein Gewohnheitstier ist, er bildet Netzwerke, greift auf bewährte Lösungen und Strategien zurück und wird von selbst kaum etwas ändern. Also muss er in regelmäßigen Abständen zu seinem Glück gezwungen werden.

Aber: Zu viel Regelmäßigkeit bei Veränderungen tut auch nicht gut. Denn auch daran gewöhnt sich der Mensch. Man muss also schon ein bisschen kreativ sein. Wie wäre es damit: Man führt ein neues Beurteilungssystem ein, das die individuellen Leistungen belohnt. Wenn sich die Mitarbeiter daran gewöhnt haben, stellt man um auf Teamleistungen. Anschließend geht es keineswegs zurück zur individuellen Prämie, sondern zur Abwechslung honoriert man langfristige Erfolge. Danach orientiert man die Leistungszulagen am Umsatz. Auf diese Weise bleibt die Organisation in Bewegung, und man erspart sich schmerzhafte Umstrukturierungen im großen Stil.

Nein, keine Satire, so gelesen im Harvard Businessmanager 8/2010. Damit wird mir so manches klarer. Das ständige Herumbasteln an den Organigrammen, Führungsinstrumenten und Leitlinien dient gar nicht der Suche nach der optimalen Version. Es ist sogar völlig egal, wie man sich organisiert, welche Werte ein Unternehmen vertritt oder mit welchen "Tools" die Führungskräfte gerade beschäftigt werden. Die Organisations- und Personalentwickler verfolgen lediglich die Absicht, die Mitarbeiter in Schwung zu halten und vor der nächsten großen Umstrukturierung zu schützen. Kaum haben sie sich das eine ausgedacht und eingeführt, sitzen sie zusammen und überlegen, was sie noch nicht probiert haben.

Womit auch jeder zukünftige Versuch, uns von den Vorteilen einer Matrix- gegenüber einer klassisch funktionalen Organisation zu überzeugen, einer Projektstruktur, zentralen oder dezentralen, kleinen oder großen Einheiten als Augenwischerei enttarnt ist. Wir müssen uns in Zukunft nur noch fragen: Hatten wir das schon? Wenn nicht - nichts wie ran...

Kleiner Spaß am Rande: In beiden Artikeln wird Cisco als Beispiel präsentiert. 

Rezension zum Thema:
Fitnessprogramm für Unternehmen, Harvard Businessmanager 8/2010
Das Entscheider-Prinzip, Harvard Businessmanager 8/2010

Mittwoch, 15. Dezember 2010

Werte einführen geht nicht

Es scheint das angesagte Thema zu sein: Führen mit Werten. Und schwups, wird daraus ein nettes Change-Projekt: "Wir führen neue Werte ein!" Der Ablauf kommt aus dem Rezeptbuch: Ist-Zustand analysieren, Soll-Werte definieren, einführen. Fertig. Mit den entsprechenden Aktivitäten wie Workshops, Kamingespräche, Intranet-Kommunikation usw. usw. Hin und wieder staunt der interessierte Leser, z.B. über "Oscar-Verleihungen" für Führungskräfte, die die neue Werte besonders gut verinnerlicht haben. Oder über "Wertebeobachter", die eigens hierfür installiert werden.

Ich halte nicht viel davon. Aus mehreren Gründen.

  1. Werte sind Dinge, die Menschen für wünschenswert, für wichtig halten. Manche werden von vielen Menschen geteilt (Gesundheit z.B. oder Freundschaft), andere werden unterschiedlich stark verbreitet sein (wie Sicherheit, Qualität, Status etc.) Egal, für welche Werte Menschen stehen: Jeder hat seine individuelle "Prioritätenliste", und diese dürfte sehr stabil sein. Diese "Wertehierarchie" zu ändern nach dem Motto: "Ab sofort gelten bei uns andere Werte!" ist mehr als anmaßend.
  2. Werte dienen der Orientierung, wir richten unser Handeln nach ihnen aus. Wir werden - so gut es eben geht - auch die Wahl unseres Arbeitgebers bzw. unserer beruflichen Tätigkeit entsprechend unserer Werte treffen. Kommt nun jemand daher und erklärt mir: Ab sofort gelten hier andere Werte, ändert sich damit mein (psychologischer) Vertrag. 
  3. In jedem Unternehmen gelten bestimmte Werte mehr als andere, und das in der Regel über viele Generationen. Das ist nur deshalb möglich, weil das Top-Management so ausgewählt wird, dass seine Werte zu denen des Unternehmens passen. Was auch sehr schlau ist, denn sonst müsste mit jedem Vorstandswechsel ein Großteil der Belegschaft ausgetauscht werden. 
Der letzte Punkt ist der entscheidende. Wenn ein Mangement ankündigt: "Ab sofort gelten neue Werte", ist das wenig glaubwürdig und wird immer im Sande verlaufen. Denn ein Management besteht aus Menschen, und diese wiederum stehen für bestimmte Werte, an denen sie ihr eigenes Handeln ausrichten. Egal, wie groß der Aufwand für ein Change-Projekt ist: Das Top-Management wird weiter die Werte vorleben, für die es schon immer gestanden hat, alle "neu implementierten" Werte werden keine Rolle spielen, sondern nur Irritationen auslösen.

Was anderes geschieht, wenn ein neuer Vorstand berufen wird, der tatsächlich andere Werte als das Unternehmen bisher vertritt. Ich bezweifle, ob solche Entscheidungen immer mit Bedacht getroffen werden, denn die Folgen dürften dramatisch und sehr teuer sein. Dann wäre ein "Change-Prozess" in der Tat eine Möglichkeit, um der Organisation klar zu machen, welche Werte ab sofort die Hauptrolle spielen. Aber diese werden nicht "implementiert", sondern werden sich ganz schnell in den ersten Entscheidungen und Handlungen des neuen Vorstandes zeigen. Unterscheiden sie sich gravierend von denen seines Vorgängers, wird sich das auch in den Personalentscheidungen zeigen, so dass im oberen Management etliche Positionsinhaber das Unternehmen wechseln.

Für den Rest, der im Unternehmen bleibt, kann ein möglicher "Werte-Prozess" dann maximal darin bestehen, dass die neuen Werte offen diskutiert werden, über die Folgen, die Risiken und Chancen gesprochen wird. Es wird Führungskräfte und Mitarbeiter geben, die unter den neuen Werten aufleben und begeistert mitziehen. Sie mit einem Award auszuzeichnen, ist kaum notwendig. Und es wird jene geben, die verunsichert sind oder sich gar betrogen fühlen. Will man diese dafür zu belohnen, wenn sie die neuen Werte vorbildlich umsetzen, hat das etwas von Dressur an sich, etwa so: "Wir wissen, dass diese Werte nicht deinen Überzeugungen entsprechen. Wenn du trotzdem brav mitziehst, kriegst du auch eine entsprechende Belohnung!"

Sie für die neuen Werte zu gewinnen, kann nicht bedeuten, dass sie die eigene Wertehierarchie über den Haufen werden müssen. Es kann nur bedeuten, dass man mit ihnen gemeinsam überlegt, welche Rolle sie mit ihren Prioritäten in dem "neuen Unternehmen" spielen können. Das dürfte für viele ein schmerzhafter Prozess sein, und so mancher wird früher oder später erkennen, dass er die neue Richtung nicht mitgehen kann und wird. Da hilft auch kein Change-Prozess...

Rezension zum Thema:
Mit Werten führen, wirtschaft + weiterbildung 5/2010

Montag, 13. Dezember 2010

Nur noch mit Sonnenbrille

Sollten Ihnen einmal am Flughafen Werbung für Anti-Falten-Créme oder Anti-Haarausfall-Schampoo auffallen, könnte diese etwas mit Ihrem Alter zu tun haben. Und sollte sich die Werbung mit einer Spielekonsolen-Reklame abwechseln, liegt das vielleicht daran, dass Sie von Ihrem 15jährigen Sohn begleitet werden. Wie das geht? Gesichtserkennungssoftware macht es möglich. Die Technik ist so weit fortgeschritten, dass sie offensichtlich bald in größerem Umfang Einzug in unser Leben hält. Sie ist angeblich sogar schon so weit, dass sie aus Seitenansichten oder Aufnahmen, die von schräg oben oder unten gemacht wurden, die "Frontalansicht" berechnen und damit einem Namen zuordnen kann. Bisher freuten sich vor allem Geheimdienste und Sicherheitsorganisationen, nun bekommen die Marketing-Fachleute strahlende Augen.

Naja, auf mich zugeschnittene Werbung - was soll's, könnte man sagen. Kenne ich doch aus dem Internet. Wenn ich mich bei Amazon einwähle, bekomme ich doch gleich Angebote, die zu meinen letzten Einkäufen passen.

Genau dieses Prinzip könnte nun auch im "richtigen Leben" genutzt werden. Kaum betreten Sie den Supermarkt Ihrer Wahl, empfängt Ihr Handy Sonderangebote derjenigen Produkte, die Sie bevorzugt erwerben. Oder Sie gehen an Reklametafeln, die, kaum dass Sie auftauchen, die Schrift wechseln und Sie mit Namen begrüßen.

Woher der zu Ihrem Gesicht passende Name kommt? Sollten Sie fleißig Fotos von sich selbst z.B. in Facebook hinterlegt haben, ist das sicher kein Problem.

Spinnen wir das mal ein wenig weiter: Sie betreten ein Amt und ohne sich zu erkennen zu geben, werden Sie mit Namen begrüßt und zu dem Schalter geleitet, wo Sie Ihren neuen Ausweis abholen können. In der Bank kommt Ihnen ein Berater entgegen und führt Sie in sein Büro, um Ihnen unter vier Augen mitzuteilen, dass Ihr Konto überzogen ist. Auch nicht verkehrt: Ihr Auto erkennt, dass Sie es sind, wenn Sie einsteigen und stellt Sitzhöhe und Spiegel automatisch ein. Mehr noch: Es registriert, wenn Ihnen die Augen zufallen und warnt Sie vor dem Sekundenschlaf. Praktisch eigentlich.

Dass Datenschützer die Haare zu Berge stehen, lässt sich leicht ausmalen. Nicht das Erkennen der Menschen per Computer ist das Problem, sondern die Möglichkeit, mit Hilfe dieser Technik unsere Wege bis auf den letzten Schritt zu verfolgen. So wie wir Spuren im Internet hinterlassen, kann auch im richtigen Leben jeder Weg aufgezeichnet werden. Da hilft laut Wirtschaftswoche nur eines: Eine große Sonnenbrille. Werden wir uns daran gewöhnen müssen, unseren Mitmenschen in Zukunft zu jeder Tageszeit vermummt zu begegnen? Ich bin ziemlich gespannt, was da noch auf uns zukommt. Rezensionen zum Thema: Im Fokus der digitalen Augen, Wirtschaftswoche 45/2010

Sonntag, 5. Dezember 2010

Ist der Mensch doch kein Egoist?

Die Diskussion irritiert und beschäftigt mich. Ich meine die Diskussion um den sogenannten Homo oeconomicus. Nach diesem Modell handelt der Mensch immer so, dass er den größtmöglichen Vorteil aus seinem Verhalten ziehen kann. Was bedeutet: Wir wägen ab, was uns ein Verhalten kostet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass wir einen Nutzen daraus ziehen, wie groß dieser ist und entscheiden uns dann entsprechend. Andersherum ausgedrückt: Wenn der Nutzen geringer ist als die Kosten, lassen wir es bleiben. Erst recht, wenn nur andere einen Nutzen daraus ziehen, wir selbst aber nicht.

Nun kommen immer mehr Wissenschaftler daher und erklären, dass diese Theorie nicht zutrifft. Dass der Mensch durchaus in der Lage ist, altruistisch zu handeln. So spenden reiche Menschen riesige Summen für Hilfsbedürftige, wodurch sich ihr Vermögen reduziert statt vermehrt. Und viele Deutsche erklären sich in Umfragen bereit, mehr Steuern zu zahlen zum Wohle der Allgemeinheit. Was ihr privates Kapital reduziert. Ein Beleg gegen die Theorie des Homo oeconomicus?

Natürlich. Zumindest gegen die simple Variante, dass Menschen stets danach streben, ihre materillen Güter zu mehren. Wenn das so wäre, gäbe es weder Ehrenamt noch Menschen, die 1.Hilfe bei Verletzten leisten.

Was aber, wenn man die Theorie erweitert? Nach Erkenntnissen der Hirnforscher und Psychologen erleben wir erhebliche Glücksgefühle, wenn wir anderen etwas Gutes tun. Und schon Babys sind in der Lage, einem Erwachsenen die Tür zu öffnen, wenn dieser einen Stapel Bücher in der Hand hat und sie nicht allein öffnen kann - ohne Aussicht auf eine Prämie. Nach diesen Erkenntnissen könnte man also sagen: Wir handeln so, dass wir irgendeine Art von Belohnung erhalten - und wenn es das Glückshormon ist, das unser Hirn freisetzt. Damit würde die Theorie doch wieder stimmen.

Wenn diese Babys nichts tun und zusehen, wie der Mensch verzweifelt versucht, die Tür mit dem Fuß zu öffnen, gibt es keine Glückshormondusche. Nun müssen sie nur noch abwägen, ob der Aufwand, ihm zu helfen, in Relation zur Hormondusche zu einer negativen oder einer positiven Bilanz führt. Und der Homo oeconomicus ist gerettet.

Theorien und ihr Nutzen

Was meiner Meinung nach nur zu einer Erkenntnis führt: Wenn Menschen sich altruistisch verhalten, findet man im Nachhinein immer irgendetwas, das als Belohnung interpretiert werden kann. Wenn ich mich um meine pflegebedürftige Mutter kümmere, ohne dicke Erbschaft erwarten zu können, dann werden mir andere auf die Schulter klopfen und mein gutes Herz preisen. Oder mein Pflichtgefühl.
Und dann kann man daraus schlussfolgern, dass diese Anerkennung (zumindest für mich) einen höheren Wert darstellt als die Folgen eines alternativen Verhaltens. Ich handele damit also auch rational und mit dem Ziel, irgendeinen Nutzen zu mehren.

Das Problem solcher Theorien: Sie erklären alles und überhaupt nichts. Das gilt übrigens auch für die biologischen Ansätze: Wenn die Wissenschaft feststellt, dass unser Gehirn Glückshormone ausschüttet, wenn wir selbstlos handeln, dann hilft mir das nicht wirklich weiter. Weil in diesem Fall auch erst im Nachhinein eine Erklärung gefunden wird: Er hat einem anderen Menschen geholfen, also war die Aussicht auf das folgende Wohlgefühl wohl groß genug. Hat sich jemand aber anders verhalten, dann war der "Lohn" wohl nicht groß genug.

Ähnliches gilt auch für den evolutionstheoretischen Ansatz. Wem nützt eine solche Theorie?

Etwas anderes allerdings ist spannender: Theorien beeinflussen die Realität. Wenn ich davon überzeugt bin, dass Menschen ihr Verhalten am potenziellen materiellen Nutzen ausrichten, dann schaffe ich entsprechende wirtschaftliche und politische Systeme. Nach dem Motto: Wenn jeder seinen eigenen Nutzen maximiert, dann steigt insgesamt der Wohlstand. "Das war auch gut so", schreibt Daniel Rettig in der Wirtschaftswoche. Ach ja? Man stelle sich vor, die Ökonomen hätten einer anderen Theorie den Vorzug gegeben: Menschen handeln stets so, dass es ihren Mitmenschen
an nichts fehlt. Welche Gesellschaft hätten wir dann wohl?

Statt neue Theorien aufzustellen, die altruistisches oder egoistisches Verhalten erklären können, wäre das meiner Meinung nach eine viel interessantere Forschungsrichtung: Welchen Einfluss hat eine - vorherrschende - Theorie auf die Entwicklung einer Gesellschaft? Wenn der Homo oeoconomicus jetzt so sehr in der Diskussion ist, dann ist das m.E. ein Zeichen dafür, dass er seine Schuldigkeit getan hat. Er hat dazu beigetragen, dass wir in einer wohlhabenden Gesellschaft
leben, allerdings auch in einer Welt, in der Güter extrem ungleich verteilt sind. Was zu massiven Problemen führt und führen wird.

Durch welche Theorie wird er wohl ersetzt? Ich kann noch keine erkennen - was wohl nichts anderes bedeutet, als dass er zumindest vorerst noch das Denken und Handeln bestimmen wird. Bis ein Modell im Angebot ist, dass sich als "praktischer" herausstellt.

Rezension zum Thema:
Nicht ich, Wirtschaftswoche 43/2010
Der Mensch ist sozial, Wirtschaftswoche 43/2010

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Wikileaks und der Zeitungstest

Die Aufregung ist groß. Wikileaks hat höchst vertrauliche Informationen ins Internet gestellt. Z.B. dass Kanzlerin Merkel wenig risikofreudig ist, Herr Westerwelle inkompetent und Herr Berlusconi unfähig und dazu noch eitel. Wer hätte das gedacht. Was ist daran so erschütternd? Dass es die Meinung amerikanischer Diplomaten ist? Peinlich ist daran nur, dass diese ihre Zeit damit zubringen, derartige Belanglosigkeiten als Erkenntnisse an ihre Regierung zu übermitteln.

Bitterer für die Politiker ist da schon, wenn sich herausstellt, dass die amerikanische Außenministerin ihre Diplomaten anweist, ausländischen Kollegen auszuspionieren. Wie FTD-Kommentator Axel Kintzinger schreibt: Das ist der Skandal, nicht die Enthüllung.

Nun sollen demnächst vertrauliche Informationen aus amerikanischen Großbanken enthüllt werden. Nehmen wir mal an, dass hier keine Kontonummern von Kunden veröffentlicht werden, dann frage ich mich, was daran so beängstigend sein soll? Ich habe ein interessantes Argument eines Journalisten gelesen (Joachim Zepelin in der FTD vom 1.12.2010), der die Rolle der kritischen Presse betont. Diese sei auch auf vertrauliche Informationen angewiesen, wenn sie unsaubere Machenschaften aufdecken will. Aber der Journalist prüft die Information und entscheidet dann "nach seinen Kriterien, ob und wie er sie veröffentlichen will und kann." Wikileaks hingegen gibt wahllos unübersehbare Mengen an sensiblen Daten preis.

Das ist doch interessant, oder? Da drängt sich ein ganz anderer Verdacht auf: Die Enthüllungsportale machen all diese sensationellen Details einer breiten Öffentlichkeit zugänglich, den Journalisten geht die Exklusivität flöten. Und das Argument, dass verantwortungsbewusste Journalisten die Informationen sichten und sorgfältig abwägen, was sie veröffentlichen, hat einen ganz faden Beigeschmack, wenn man an den Müll denkt, der über die Medien verbreitet wird. Im Übrigen sind es ja die Medien, die aus der Menge an Dokumenten genau jene herauspicken, über die sich jetzt die Welt empört. Wer von uns wühlt sich denn schon durch Wikileaks?

Bleibt das Argument des Vertrauensverlustes, von dem überall geschwafelt wird. Klar, den Diplomaten muss es peinlich sein, ihren Kollegen aus anderen Nationen beim nächsten Mal unter die Augen zu treten. Was sage ich einem Menschen, den ich woanders als aggressiv und inkompetent bezeichnet habe:  "War nicht so gemeint?" Wer Mumm hat, sagt: "Sorry, dass du es auf diesem Weg erfährst, was ich von dir halte. Ich vermute, du hast es ohnehin geahnt. Aber wo wir schon mal gezwungenermaßen ehrlich sind: Dann verrate mir doch gleich mal, was du über mich denkst?" Offene Feedback-Kultur - davon träumen wir "Soft Skills Experten" doch schon lange.

Wer nun aber Angst hat, sich überhaupt noch zu äußern, dem sei ein ganz einfacher Test empfohlen: Der Zeitungstest. Wenn man sich schon über jemanden äußern oder ein Urteil abgeben muss, sollte man sich überlegen, ob man damit leben könnte, wenn genau darüber am nächsten Tag ein Bericht in der Zeitung stehen würde. Wenn nicht, sollte man lieber den Mund halten. Wikileaks ist der Zeitungstest.

Dienstag, 30. November 2010

Gestatten: Manager

Management sollte man zu einem festen Berufsstand machen - mit klaren Ausbildungsstandards, einer Zertifizierung und einem Verhaltenskodex. Würde sich doch gut machen auf der Visitenkarte: Ralf Müller, Dipl. Manager. Oder so ähnlich.

Was nach einem Anfall von Regelungswut klingt, stammt jedoch keineswegs von einem deutschen Berufsverband, sondern von Harvard Professoren. Wobei die Forderung schon recht alt ist, nämlich von 2005. Eine gute Idee?

Völlig daneben, war mein erster Gedanke. Wer will denn, dass Menschen Organisationen führen, die nur "Management" gelernt haben, aber nichts von der Materie verstehen? Ich möchte auch nicht, dass meine Kinder von Pädagogen unterrichtet werden, die "nur" Lehrer gelernt haben.

Grober  Denkfehler. Es ist ja eher anders herum. Organisationen werden von Menschen geführt, die zwar Betriebswirtschaft, Ingenieurwesen, Chemie, Jura oder Medizin gelernt haben, aber möglicherweise keinerlei Kenntnisse in der Führung von anderen Menschen oder gar ganzen Organisationen haben. So gesehen würde ich stark dafür plädieren, eine spezielle Ausbildung zu kreieren, die solche Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt. So wie jemand erst dann auf Patienten losgelassen wird, wenn er die entsprechenden Nachweise seiner Qualifikation erbracht hat, darf auch dann erst "geführt" werden, wenn man eine entsprechende Ausbildung absolviert hat. Doch kein so abwegiger Gedanke. Wobei ich den Berufsstand "Führungskraft" oder "Leader" interessanter finde als "Manager".

Problem dabei: Es ist wohl kaum damit zu rechnen, dass sich die "Management-Vordenker" darauf verständigen können, was alles zu einem qualifzierten Manager gehört. Warum eigentlich? Ein Argument: Es gibt viele Möglichkeiten, als Manager erfolgreich zu sein. So viele, dass es fast schon wieder völlig beliebig erscheint, wie man "managt" - Hauptsache, man hat Erfolg. Da kommt mir - mal wieder - der Vergleich mit dem Sport in den Sinn: Hier hat man sich, zumindest in Deutschland, offenbar darauf verständigt, dass jemand, der sich als Trainer bezeichnet und andere Menschen anleitet, eine entsprechende Qualifikation nachweisen muss. Mehr noch: Er muss sie sogar in regelmäßigen Abständen auffrischen.

Das wäre doch gar nicht so schlecht, denke ich mir. Bei Trainern wie auch bei Managern ist am Ende nicht die formale Ausbildung ausschlaggebend, sondern der Erfolg. Aber zumindest muss man nachweisen, dass man sich mit den Herausforderungen auseinandergesetzt hat - egal, wie erfolgreich man in seinem "eigentlichen" Fach ist. Ein Spitzensportler muss noch lange kein Spitzen-Trainer sein - so wie ein Genie im Bereich der Medizin noch lange kein genialer Klinikleiter sein muss.

Trotzdem: So wenig es einen "Elternführerschein" geben wird, so wenig wird es ein "Leader-Diplom" geben. Es sei denn, es bietet endlich eine Business School eine Ausbildung, die wirklich gute Manager hervorbringt, die sich als würdig erweisen, den Begriff Manager (oder Leader) im Titel zu tragen und sich als "Meister ihrer Zunft" erweisen. Hiervon sind wir offensichtlich noch ein ganzes Stück entfernt - auch in Harvard...

Rezension zum Thema:
Ehrenkodex für die Kaderschmiede, Financial Times Deutschland, 27.10.2010

Montag, 29. November 2010

Regeln und wie man sie umgeht

Ich mag das Thema. Weil es ständig neue Blüten produziert, aber die "Regelmacher" offensichtlich einfach nichts daraus lernen. Das folgende Beispiel stammt aus dem Sport (womit ich mich oute und zugebe, zu denjenigen zu gehören, die als erstes auch in der Financial Times Deutschland die Sportberichte lese).

Im europäischen Fußball gibt es die Regel, dass ein Spieler nach fünf gelben Karten für das nächste Spiel gesperrt ist. Das ist besonders ärgerlich, wenn das nächste Spiel ein sehr wichtiges ist. Was aber, wenn die nächste Begegnung bedeutungslos ist? Da kann man sich ein absichtliches Foul leisten, das mit einer gelb-roten Karte geahndet wird. Die Folge: Eine (regelkonforme) Sperre für das nächste (aber bedeutungslose) Spiel. So kann der Spieler unbelastet von einer gelben Karte in der nächsten Runde wieder einsteigen. Clever, sagen die einen. Unsportlich, sagen die anderen. Nun ermittelt der Verband und denkt sich vermutlich neue Regeln und wahrscheinlich auch Strafen aus (Schon passiert, siehe diesen Bericht).

Ist die Regel nun unsinnig? Ich habe keine Ahnung, wie man das besser lösen kann. Einfach ersatzlos streichen, wäre in einem solchen Fall mein Vorschlag. Und beim nächsten Mal im Vorfeld überlegen, welche Auswirkungen eine Regel haben könnte, wenn man sich konsequent an ihr orientiert. Denn so viel ist sicher: Es wird früher oder später jemand daherkommen, der eine Regel so anwendet, wie sie bestimmt nicht gemeint war. Zumindest für schlechte Regeln gilt das immer...

Sonntag, 28. November 2010

Lästige Interviews

Ein Gedanke, der mir heute bei der Lektüre der Wirtschaftswoche kam: Wie überfüssig doch die meisten Interviews sind. Kann das überhaupt anders sein? Man denke nur an die sogenannten Interviews nach Fußballspielen. Die Sportler, die dort vor die Kamera treten, können einem in der Tat leid tun.
"Hätten Sie mit dem Ergebnis gerechnet?" - "Nö!"
"Wie erklären Sie sich den Erfolg?" - "Wir haben hart gearbeitet!"
"Wie geht es nach dieser Niederlage weiter?" - "Wir müssen weiter hart arbeiten."
"Wie wollen Sie aus dem Tabellenkeller wieder herauskommen?" - "Wir müssen unsere Spiele gewinnnen..."

Nein, nicht die Antworten sind Müll, sondern die Fragen. Aber die Sendeminuten müssen eben gefüllt werden - so wie auch die Seiten in den Wirtschaftsmagazinen.
"Wenn ein 40-Jähriger sich heute selbstständig machen will: Zu welcher Branche würden Sie ihm raten?" - "Schwer zu sagen... in der er Spaß bei der Beschäftigung hat."
Na sowas...

Aber manchmal findet man dann doch interessante Antworten auf dämliche Fragen:
"Gibt es in Detuschland etwa zu wenig Menschen mit kreativen Ideen?" Antwort des SAP-Gründers: In Deutschland will jeder ein Alleinherrscher sein, statt einen Teamansatz zu verfolgen, nach dem Motto: "Lieber 100% Anteil an einer Firma, die eine Million Umsatz macht als ein Prozent an einer, die 100 Millionen umsetzt."
Ist das so?

Rezension zum Thema:
Gründen ist eine Typfrage, Wirtschaftswoche 42/2010

Dienstag, 23. November 2010

Gläserne Wohnzimmer

Ich habe schon so manches Bürogebäude von innen gesehen: Lange Flure ohne Tageslicht, lauter geschlossene Türen, hinter denen Menschen sich verstecken. Dann wieder gläserne Türme mit gläsernen Wänden, die von den Bewohnern von innen zugeklebt oder zugestellt wurden, damit man ihnen nicht auf den Schreibtisch schauen kann. Großraumbüros mit stallartigen Kammern, in die man von oben hineinschauen konnte, wenn sich auf die Zehenspitzen stellte. Großraumbüros voller Pflanzen und flexibler Stellwände, in denen ohne erkennbare Ordnung Schreibtische zusammengestellt waren. In den meisten hätte ich mir nicht vorstellen können zu arbeiten.

(c) Stefan Uhl / pixelio.de

Wenn ich nun von preisgekrönten Modellen lese, in denen hunderte von Mitarbeitern in Bürolandschaften tätig sind, die größtenteils aus Glas bestehen, von Kaffeeküchen und Sitzecken unterbrochen, mit Dachterassen und Balkonen, auf die man sich mit seinem mobilen Arbeitsplatz zurückziehen kann, dann denke ich einerseits: Wie genial - immer dort arbeiten, wo man sich gerade am wohlsten fühlt. Andererseits merke ich an mir selbst aber, wie wenig mobil ich doch selbst bin bei der Wahl des eigenen Arbeitsplatzes. Bin ich ungeeignet für moderne Bürowelten?

Noch ein interessanter Gedanke: Angeblich haben Wissenschaftler des MIT herausgefunden, dass Menschen "die persönliche Kommunikation in Erwägung ziehen, wenn der Fußweg zu ihnen unter 200 Meter liegt. Alles darüber wird per E-Mail oder Telefon erledigt."

Ich habe keine Ahnung, wie sie zu dieser Erkenntnis gelangt sind. Ich glaube, dass Menschen maximal ins Nachbarbüro gehen, vielleicht noch drei oder vier Türen weiter. Und der Gang in die Kaffeeküche, die am Ende eines Ganges von über 100m liegt, ist wohl nur etwas für Kaffee-Süchtige. Ein Facility-Manager hat aus der MIT-Erkenntnis die Schlussfolgerung gezogen, Abteilungen, die häufig miteinander zu tun haben, über mehrere Geschosse hinweg unter- und übereinander anzusiedeln.

Ich glaube, all diese Konzepte, so toll sie in der Praxis auch aussehen, haben einen grundlegenen Konstruktionsfehler: Sie wollen zu viele Menschen miteinander verbinden. Eines der gelobten Unternehmen, Voestalpine in Linz, hat einen 220 Meter langen Stahlwurm gebaut, in dem 425 Menschen arbeiten. Ich glaube, den Klotz kann man noch so wohnlich einrichten: Ein Wohnzimmer für 400 Leute wird nie ein Wohnzimmer. Vielleicht hat Gore einfach recht, wenn man dort Fabriken mit maximal 150 Mitarbeitern schafft. Für diese lässt sich dann auch der Bürobereich so gestalten, dass man die Chance auf echte Begegnungen hat.

Rezension zum Thema:
Freiheit auf der Wiese, Wirtschaftswoche 41/2010

Freitag, 19. November 2010

Fragen wir doch mal die Mitarbeiter

Die Geschichte habe ich schon mal erzählt (Wer braucht Mitarbeiterbefragungen): Ein Bereich wollte eine Mitarbeiterbefragung durchführen, um das Management auf Zustände aufmerksam zu machen, die bekannt waren. In einer der typischen Fallstudien im Harvard Businessmanager geht es um einen Vorstandschef, der die Hälfte des Jahresgewinns in ein wohltätiges Projekt stecken will. Aber nicht irgendein Projekt: Sein Kind leidet an einer seltenen, lebensbedrohenden Krankheit, und er will das Geld in die Erforschung dieser Krankheit stecken. Ein konstruierter Fall, sicher, aber er ist ja übertragbar auf viele schwierige Entscheidungen an der Unternehmensspitze.

Nun steht die Personalchefin vor der Frage, ob sie ihre Bedenken klar zum Ausdruck bringen soll oder welche Möglichkeiten ihr sonst bleiben. Eine Expertin rät, eine anonyme Mitarbeiterumfrage zum Thema "Soziales Engagement" zu starten, bei der die Meinung zu bisherigen Projekten, aber auch zu Initiativen zur Erforschung seltener Krankheiten erfasst wird.
Mal abgesehen von der Durchschaubarkeit der Aktion ist das ein schönes Beispiel, wie man sich vor Verantwortung drückt. Statt zur eigenen Meinung zu stehen, wird hier empfohlen, die eigenen Argumente durch die Meinung der Mitarbeiter zu untermauern. Der Trick ist hier besonders heikel: Es wird nicht empfohlen, die konkrete Entscheidung mit allen Hintergrundinformationen zur Abstimmung zu geben, sondern die eigentliche Absicht verschleiert. Da mag so mancher Mitarbeiter der Meinung sein, es könne dem Unternehmen durchaus gut stehen, in die Erforschung seltener Krankheiten zu investieren, auch wenn das mit dem Geschäft nichts zu tun hat. Dann könnte das Management beruhigt dem CEO zustimmen. Oder aber die Mehrheit ist der Meinung, man sollte lieber in Projekte Geld und Zeit stecken, die direkt etwas mit dem Unternehmen zu tun haben. Dann könnte man die eigene Skepsis verstecken und auf die Meinung der Mitarbeiter verweisen. 

Ich fürchte, so manche Mitarbeiterumfrage verfolgt solch versteckte Absichten. Oder kennen Sie Umfragen, in denen eine ganz konkrete Entscheidung zur Wahl steht, von der Art: Sollen wir fusionieren oder nicht? Sollen wir ein bestimmtes Vergütungssystem einführen oder nicht? Würde mich mal wirklich interessieren...  

Rezension zum Thema:  
Was ist wichtiger - Firma oder Familie? Harvard Businessmanager 7/2010

Dienstag, 16. November 2010

Starke Persönlichkeit von außen

Alle Funktionen in einem Unternehmen stehen auf dem Prüfstand, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob man etwas selbst macht oder lieber von außen zukauft. Inzwischen wissen wir, dass selbst die Produktionen nicht unbedingt zu den Kernaufgaben eines Unternehmens gehört. Woanders lässt man Forschung extern betreiben. Was hat dann Personalentwicklung noch innerhalb eines Unternehmens zu suchen? "Personalentwicklung gehört in keiner Organisation zum Kerngeschäft", sagt Rolf Stiefel. Er plädiert dafür, "die Personalentwicklungsabteilung komplett an einen Generalunternehmer, einen sehr guten, erfahrenen, unabhängigen ehemaligen Personalentwickler auszulagern."

Aufgabe der Personalentwicklung sei es, die Mitarbeiter zu befähigen, die Unternehmensstrategie umzusetzen. Dazu aber muss erst einmal das Top-Management voll und ganz hinter dem Vorgehen stehen. Und genau hier sieht Stiefel die Vorteile der externen Personalentwicklung: Ein starker Charakter, Typ "prozessorientierter Rambo-Moderator mit hohem strategischen Sachverstand" würde wesentlich eher die Akzeptanz des Managements haben als ein interner PE-ler, nach dem Motto vom Propheten im eigenen Land, der nichts gilt.

Einspruch, Herr Stiefel. Ich kann aus eigener Erfahrung beide Rollen gut beurteilen. Das Merkmal "extern" halte ich für nebensächlich, das Merkmal "starke Persönlichkeit" für wesentlich. Natürlich kann ein Personalentwickler im eigenen Haus wenig anrichten, wenn er keine Akzeptanz hat - das Gleiche gilt aber für alle Funktionen. Das zweite Argument, dass ein Interner immer Teil des Systems ist und deshalb schlecht strategie-umsetzende Prozesse moderieren kann, halte ich für ebenso wenig stichhaltig. Dann dürften Vorstandsvorsitzende keine Vorstandssitzungen leiten, schließlich sind auch sie immer Teil des Systems.

Und warum sollte der externe Personalentwickler den Vorständen eher widersprechen und ihnen ein klares Feedback geben als der interne? Er wird ebenso daran interessiert sein, seine Kunden zu behalten wie der Interne seinen Arbeitsplatz und seine Karriere sichern will - wobei ich erlebt habe, dass interne Personalentwickler durchaus Widerspruch riskieren können, ohne gleich um ihre Position bangen zu müssen. Da kenne ich Externe, die weitaus weniger mutig waren und eher auf den nächsten Auftrag schielten.

Was das Thema "Kerngeschäft" betrifft - denkt man das einmal zu Ende, dann ist das "Managen" einer Organisation ja auch nie "Kerngeschäft". Wäre es dann nicht logisch, externe Manager zu engagieren, möglichst charakterstarke versteht sich, die den Eigentümern nicht nach dem Mund reden müssen? Das wäre doch witzig: Der externe Personalentwickler erklärt dem externen Geschäftsführer, warum er endlich mit dem externen Forschungs- und Produktionsleiter einen Strategieworkshop durchführen sollte...

Rezension zum Thema:
Martin Pichler: Strategien umsetzen! wirtschaft + weiterbildung 4/2010
PE-Abteilungen komplett auslagern, wirtschaft + weiterbildung 4/2010

Samstag, 13. November 2010

Führungsaufgabe "Informieren"

Das ist doch mal ein witziger Satz: "Solange im Betrieb alles nach Plan läuft, sind Führungsqualitäten nicht explizit gefragt. Schöne neue Blumen im Aufenthaltsraum oder eine großzügige Regelung der Kaffeepause reichen dann schon aus, um die Belegschaft bei der Stange zu halten."

Nein, das stammt nicht aus einem Satiremagazin, sondern aus einem Artikel der Financial Times Deutschland ("Reden ist Gold", 21.9.2010) zum Thema "Führen in der Krise". Nehmen wir mal an, die Autorin wollte nur originell sein oder hervorheben, wie wichtig es gerade in Krisenzeiten ist, die Mitarbeiter offen über alles zu informieren. Da werden nämlich anschließend eine Reihe von Experten zitiert, die genau das propagieren. Mitarbeiter sollten wissen, wo das Unternehmen steht, wie ernst die Situation ist und was die Unternehmenführung plant. Und wenn Entlassungen anstehen, dann sollte auch darüber Klartext geredet werden, so dass alle, auch diejenigen, die im Unternehmen verbleiben, nicht lange im Unklaren gelassen werden und mehr mit ihren Ängsten und Sorgen beschäftigt sind als mit den eigentlichen Aufgaben.

In dem Artikel wird ein Unternehmen hervorgehoben, der die Belegschaft nicht nur kontinuierlich informiert hat, sondern den Mitarbeitern "sogar persönliche Gespräche anbot." Das muss man sich mal vorstellen.

Interessanter ist da schon das Ergebnis einer Umfrage, die ebenfalls hier zitiert wird. Danach meint die Hälfte aller befragten Führungskräfte, dass man in schwierigen Zeiten seinen Führungsstil ändern müsse. Ich fürchte, dass hier hier verhängnisvoller Irrtum vorliegt. Wer in guten Zeiten dazu neigt, Blumen in den Aufenthaltsraum zu stellen, statt Mitarbeiter informiert zu halten, der wird in schlechten Zeiten höchstens die Blumen streichen. Warum sollten Führungskräfte ausgerechnet in der Krise plötzlich ihr Führungsverhalten ändern.
Übrigens: Noch ein spaßiges Ergebnis: 90% der befragten Manager sind der Meinung, sie hätten immer ein offenes Ohr für ihre Mitarbeiter. Was weniger ein Zeichen für eine dramatische Selbsteinschätzung sein dürfte als für die Unsinnigkeit derartiger Umfragen. Als Alternativen standen offenbar zur Verfügung: "Ich habe selbst keine Zeit..." und "Komplexe Geschäfstprozesse sind schwer nachvollziehbar und daher reine Chefsache."

Rezension zum Thema:
Reden ist Gold, Financial Times Deutschland, 21.9.2010

Dienstag, 9. November 2010

Taylor in der Service-Gesellschaft

Frederick Winslow Taylor gilt als der Erfinder einer Form von Arbeit, die bis heute mit Fließbandarbeit gleichgesetzt wird. Die einfache Überlegung: Wenn man Arbeitsprozesse in viele kleine Bausteine zerlegt und die Menschen dann so einsetzt, dass jeder nur einen dieser Schritte bearbeitet, dann geht alles viel schneller. Und das stimmt ja auch. Dass diese Form der Arbeit dem menschlichen Wesen nicht sonderlich entgegenkommt und zu extremer Monotonie führt, hat schon früh die Gegner auf die Barrikaden geholt.

Keine Frage, der Ansatz dürfte der Automatisierung mächtigen Auftrieb gegeben haben - einfachste Tätigkeiten können auch Maschinen den Menschen abnehmen - und tun dies heute auch. Zumindest in der westlichen Welt. Dort, wo Arbeitskräfte noch billiger als Maschinen zu haben sind, herrscht weiterhin Taylors Arbeitsform.

Ein Aspekt wird dabei immer wieder genannt: Die Trennung von Denken und Handeln. Während im Management geplant und gedacht wird, benötigt man zur Ausführung nur sehr kleine Teile des Großhirns. Praktisch, weil eine umfangreiche und teure Ausbildung überflüssig ist.

Was ich zunehmend erschreckend finde, ist die Tatsache, dass man heute den Taylorismus in Bereichen findet, die man zu seiner Zeit sicher kaum für möglich gehalten hat. Da kommt eine Bank zu der Erkenntnis, dass Mitarbeiter nicht so glücklich sind, wenn sie nur kleinste Prozessschritte bearbeiten - und das Tag für Tag. Na, das ist mal eine echte Überraschung - als ob es Taylor und die Kritik an diesem Ansatz nie gegeben hätte.

Die Zustände in vielen Call Centern sind offenbar noch dramatischer. Eingesperrt wie Legehennen werden den Agenten die Gespräche automatisch zugespielt, kaum dass das letzte Gespräch beendet ist - so wie in Chaplins Film "Moderne Zeiten" die Bauteile vorbeirasten. Wer auf's Klo muss, kann das "Band" stoppen - wobei in dem Moment die Stoppuhr läuft und die Pausenzeit abgezogen wird. Der Text, den die Agenten ins Mikrofon sprechen, wird vorgegeben - daher fällt es uns genervten Kunden, die angerufen werden, so schwer zu erkennen, ob man mit einem Menschen oder einer Maschine spricht.



Wenn man den Experten glauben darf, ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, zu dem tatsächlich Computer das Telefonieren übernehmen. Ob Taylor dann endgültig ausgedient hat, wage ich allerdings zu bezweifeln.


Rezension zum Thema:
Orientierung im Wandel geben, Personalmagazin 10/2010

Mittwoch, 3. November 2010

Drei Kreise ziehen

Ich habe mich an dieser Stelle schon häufiger mit Ansätzen herumgeschlagen, bei denen Unternehmen erklärt wird, wie man Corporate Social Responsibility mit der Unternehmensstrategie sinnvoll verbindet. Dabei ging es stets darum, dass man natürlich Gutes tun soll, aber doch bitte so, dass es auch dem Unternehmenszweck dient. Habe ich nie nachvollziehen können. Klar: Wenn ein Pharma-Unternehmen Krankenhäuser in der 3.Welt unterstützt, mag das nach außen irgendwie sinnvoller wirken - aber warum sollte es weniger richtig sein, eine Schule in der 3.Welt zu bauen? Dürfen das wiederum nur Bauunternehmen oder Bildungseinrichtungen?

Umgekehrt hatte es für mich immer einen faden Beigeschmack, wenn Banker plötzlich ihre Krawatten auszogen und sich beim Bau von Kindergärten versuchten oder einen Tag im Obdachlosenheim aushalfen. Abgesehen von der Idee, eine etwas andere Art der Personalentwicklung zu betreiben - welche Art soziale Verantwortung sollte hier übernommen werden?

Ein Beitrag im Harvard Businessmanager hat mir nun ein ganzes Stück weiter geholfen. Die Autoren gehen die Sache von der anderen Seite an. Also nicht mit der Frage: Was können wir sinnvollerweise Gutes tun? Und passt das auch zu unserer Unternehmensstrategie? sondern: Welche Auswirkungen hat unser unternehmerisches Handeln auf Umwelt, Gesellschaft und den einzelnen Menschen? Oder besser: Welche Nebenwirkungen hat unser Tun?

Dann werden Manager drei mögliche Arten von Wirkungen finden:

(A) Wirkungen, die eindeutig auf das Unternehmen selbst zurückgehen, die ihm also ohne Zweifel zuzuordnen sind. Diese sind gedanklich auf dem 1.Kreis um die Kerntätigkeiten des Unternehmens anzusiedeln. Für diese (Neben)Wirkungen sollte es auch voll und ganz die Verantwortung übernehmen und sie genauso konsequent managen wie seine Kernaktivitäten.

(B) Wirkungen, die man vermutlich mit beeinflusst, wobei der Zusammenhang zum eigenen Tun aber nicht so eindeutig abzuleiten ist bzw. nur vermutet werden kann. Auch hier sollte das Unternehmen handeln, aktiv werden. Es demonstriert damit, dass es sich kümmert, auch wenn die eigene Verantwortung nicht erwiesen ist. Das ist der zweite Kreis.

(C) Wirkungen, die niemandem eindeutig zuzuordnen sind, die nur in einem sehr entfernten und konstruierten Zusammenhang zum unternehmerischen Handeln des Unternehmen stehen. Hierfür sollte man Interesse zeigen, z.B. bei der Erforschung mitwirken. Das ist der dritte Kreis.

Es geht also nicht darum, auf Feldern wohltäterisch aktiv zu werden, die dem Unternehmenszweck dienen, sondern darum, die Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen. Das mag zwar hier und dort auf das Gleiche hinauslaufen - aber es ist eine völlig andere Haltung.

Und dann fand ich in dem wirklich lesenswerten Artikel noch diesen Hinweis: Natürlich können sich Unternehmen auch darüber hinaus sozial engagieren, dagegen spricht ja nichts. Nur werden sie mit diesen Aktivitäten nie die Dinge ausgleichen können, die sie zuvor angerichtet haben.

Wenn ich es mir recht überlege, so ist die Hilfe von Bankern in Obdachlosenheimen dann vielleicht doch eine Aktivität, die in direktem Zusammenhang steht mit dem unternehmerischen Handeln...

Rezension zum Thema:
Leadership im Zeitalter der Transparenz, Harvard Businessmanager 6/2010

Dienstag, 19. Oktober 2010

Erstaunliche Irrtümer

Zwei Quellen, ein Thema: In dem einen Fall wurden Manager gefragt, was ihrer Meinung nach Wissensarbeiter besonders motiviert. Auf Platz 1 landete "Anerkennung" gefolgt von "finanzielle Anreize" und "persönliche Unterstützung". Auf Rang 4 landete "Fortschritte bei der Arbeit". Die Studie stammt aus den USA, die Autorin von der Harvard Business School.

Im zweiten Fall geht es um die Motivation der Generation Y. Das sind die Menschen, die jetzt ins Arbeitsleben eintreten und mit dem Internet groß geworden sind. Hier hat man Managern eine Liste von Attributen vorgelegt und sie gebeten einzuschätzen, was diese jungen Leute besonders motiviert. Hier landete "Karrieremöglichkeiten" auf Platz 1, gefolgt von "Weiterbildungsmöglichkeiten" und "Work-Life-Balance". Dann kommt "herausfordernde Arbeit" vor "Anerkennung der Arbeit". Die Studie stammt von Kienbaum.

Bemerkenswert daran finde ich schon, dass Manager Dinge, die mit der Arbeit selbst erst einmal wenig zu tun haben wie "Karriere" und "Anerkennung" auf die vorderen Plätze setzen. Überspitzt formuliert: Nicht die Arbeit selbst ist es, die Menschen motiviert, sie zu "betreiben", sondern sekundäre "Motivatoren". Arbeit als Mittel, um aufzusteigen oder Anerkennung zu erhalten. Wie mögen sie darauf nur kommen?

Noch interessanter wird es, wenn man die Ergebnisse der Befragung der Betroffenen selbst daneben legt. Die nämlich unterscheiden sich zum Teil erheblich von der Einschätzung der Manager. Die Wissensarbeiter bat man, täglich über einen längeren Zeitraum Tagebuch zu führen, 12.000 Einträge wurden ausgewertet. Das Ergebnis: Die Tage, die als besonders gute Tage erlebt wurden, waren keineswegs diejenigen, an denen sie Anerkennung erhielten. Es waren diejenigen, an denen sie Fortschritt der eigenen Arbeit erlebten. Am zweithäufigsten wurden Dinge berichtet, die sich auf die Zusammenarbeit bezogen.

Bei der Generation Y landete - ja was wohl - die herausfordernde Arbeit auf Platz 1, gefolgt von der Vergütung und dem kollegialen Arbeitsumfeld (welches die Manager kaum auf dem Schirm hatten). Das Thema "Anerkennung" landete weit abgeschlagen.

Ich ziehe daraus drei Schlüsse (die allerdings keinesfalls sonderlich neu sind):

(1) Es gibt Menschen, die arbeiten, weil sie etwas schaffen wollen, Fortschritte erleben und Herausforderungen meistern möchten. Führungskräfte täten gut daran, sie dabei nicht zu behindern, sondern diese Fortschritte zu ermöglichen.

(2) Anerkennung ist für viele nicht das Ziel ihrer Tätigkeit, sondern eine Folge, die eintritt, wenn sie Erfolg haben. Anerkennung mag den Stolz und die Freude vergrößern, aber ohne wahre, vom Menschen selbst erlebte Fortschritte ist Anerkennung wertlos. Da kann man sich jedes Lob schenken.

(3) Manager können sich offensichtlich nur schlecht vorstellen, dass ihre Mitmenschen arbeiten, weil sie arbeiten möchten. Kein Wunder, dass Seminare zum Thema "Mitarbeitermotivation" immer noch Teilnehmer finden.

Ach ja: Ich frage mich angesichts dieser "Studienergebnisse" immer wieder, wie oft Wissenschaftler noch nachfragen wollen, um die immer gleichen Ergebnisse zu erzielen.

Rezensionen zum Thema:
Die Arbeit zählt, Personalwirtschaft 9/2010
Was Mitarbeitern wirklich hilft, Harvard Businessmanager 5/2010

Samstag, 16. Oktober 2010

Die Nebenwirkung von Systemen

Das Thema fasziniert mich einfach. Immer wieder entwickeln Menschen Systeme, die anderen Menschen das Leben ein Stück leichter machen sollen. Manchmal allerdings übersehen sie dabei die Nebenwirkungen, die diese Systeme entfalten. Und wie bei Medikamenten muss man dann Mittel gegen die Nebenwirkungen einsetzen.

Es ist offensichtlich ein bisschen so wie bei den Ingenieuren, die vor lauter Begeisterung über die Fähigkeiten ihrer technischen Errungenschaften derartig viele Funktionen einbauen, die kein Mensch wirklich verwendet, dass sie darüber den Kunden vergessen. Ein Beispiel aus einem Bereich, der auf den ersten Blick nur indirekt etwas mit dem Personalmanagement zu tun hat.

Man stelle sich vor, der Außendienstler sitzt beim Kunden und präsentiert die neuesten Produkte. Auf jede Frage des Kunden zaubert er eine Antwort aus seinem Smartphone, kann die aktuellen Preise abrufen, dazu im Vergleich, wie teuer die Produkte des Konkurrenten sind, wie es mit Reklamationen aussieht und was Kundenumfragen zum Produkt ergeben haben. Dann schaut er nach, wie hoch der Umsatz mit diesem Kunden bisher ist, erfährt auch mit wenigen Klicks, wie es um die Zahlungsmoral bestellt ist, sieht, was der Kunde bisher alles bei seinem Unternehmen gekauft hat und kann entsprechende Rabatte einräumen bzw. Paket-Angebote unterbreiten. Natürlich prüft er gleichzeitig, ob alle Waren auf Lager sind, nimmt sofort die Bestellung elektronisch auf und kann dem Kunden den genauen Liefertermin nennen. Fast so perfekt wie bei Amazon, nur dass hier dem Kunden ein leibhaftiger Mensch gegenüber sitzt, der alle Schritte für ihn abwickelt.

"Sales-Force-Automation" nennt man das, und damit sollte der Außendienstler nun wirklich glücklich sein. Eigentlich. Wenn da nicht eine unangenehme Nebenwirkung wäre. Mit Hilfe solcher Systeme können die Controller im Unternehmen wunderbares
Performance-Management betreiben. Sie könnten per Knopfdruck erfassen, wie hoch der Umsatz ist, denn der Verkäufer je Kunde und Besuch erzielt, sie könnten ihm aufzeigen, welche Chancen er ergriffen und welche er versäumt hat und vor allem, wie er im Vergleich zum Vorjahr, zum letzten Quartal und zu seinen Kollegen dasteht. Und sie könnten ihm basierend auf diesen Zahlen konkrete Vorgaben machen, was er zu welchem Preis beim nächsten Mal verkaufen muss, um seine Ziele zu erreichen.

Was wird passieren? Eine neue Nebenwirkung, die wohl bekannt ist. Die Verkäufer werden Mittel und Wege finden, das System auszutricksen. Sie werden sich absprechen, die Zahlen frisieren, die Quoten schönen. Dagegen werden wiederum Maßnahmen gefunden werden - Medikamente gegen Nebenwirkungen mit neuen Nebenwirkungen. Alles wohlbekannt und im Vorfeld leicht auszumachen. Berücksichtigt aber wird all das selten...

Rezension zum Thema:
Hilfreiche Heinzelmännchen, acquisa 8/2010
Alles unter Kontrolle, Financial Times Deutschland, enable Heft 9/2010

Dienstag, 12. Oktober 2010

Wenn Vorgesetzte beurteilt werden

Wie wäre es, wenn Führungskräfte von ihren Mitarbeitern beurteilt werden und die Ergebnisse im Intranet veröffentlicht werden?Angeblich hat ein indischer Vorstands-Chef genau das gemacht. Mehr noch: Er fordert Mitarbeiter auf, die Präsentationen von Führungskräften im Intranet zu bewerten, mit dem Effekt, dass diese sich nun besondere Mühe geben, gut zu präsentieren.

Hat etwas von einem Pranger? Einerseits ja. Andererseits: Welche Führungskraft ist denn so naiv zu glauben, dass ihr Ruf nicht ohnehin im ganzen Unternehmen verbreitet ist? Der große Unterschied ist: Nun werden die Manager praktisch gezwungen, sich diesem Ruf zu stellen. Wo sie vorher noch wegschauen konnten oder Feedback einfach nicht wahrnahmen, können sie jetzt kaum noch daran vorbei. Auch hier verändert das Internet die (Unternehmens-)welt. Dabei hat das eigentlich gar nichts mit dem Internet zu tun. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal den Vorschlag gemacht habe, die Ergebnisse von Vorgesetzten-Feedbacks ans Schwarze Brett zu hängen - damals kannten wir noch kein Intranet. Der Vorschlag wurde natürlich nur milde belächelt. Was ist heute anders?

Wir haben uns offensichtlich daran gewöhnt, bewertet zu werden. Ob als Verkäufer bei ebay, also Buchautor bei Amazon, als Lehrer, Professor, Dozent, Arzt, Arbeitgeber... überall finden sich Plattformen, auf denen nicht nur Produkte und Dienstleistungen, sondern auch Menschen bewertet werden. Warum dann nicht auch Führungskräfte? Wenn auch - vorläufig - nur im Intranet.

Die öffentliche Bewertung von allen, die in irgendeiner Form Leistungen für andere erbringen, wird zum Teil unseres Lebens, zu ändern dürfte das nicht mehr sein. Wir gewöhnen uns besser wirklich daran und nutzen es, um daraus zu lernen. So wie die Manager des indischen Unternehmens. Und ehrlich gesagt - ich hätte nichts dagegen, wenn einige der genannten Personengruppen die Bewertungen zur Optimierung ihrer Leistung nutzen würden. Hoffen wir nur, dass die Systeme, mit denen die Urteile erfasst werden, uns auch die Chance geben, einmal erfasste Urteile zu revidieren - indem alte Bewertungen z.B. an Gewicht verlieren.

Apropos Systeme: In dem Artikel von Herrn Leitl im Harvard Businessmanager las ich, dass ein Beratungsunternehmen einen Fragebogen zur Beurteilung von Führungskräften entwickelt hat, bei dem keine absoluten Werte erfasst werden, sondern die Bewertung in Relation zu den Erwartungen der Mitarbeiter gesetzt wird. Sehr sinnvoll, finde ich. Als ob es DAS richtige Führungsverhalten gibt. So wie es nicht DEN Mitarbeiter gibt. Also sollte man Führungsleistung in der Tat danach beurteilen lassen, ob sie dem entspricht, was Mitarbeiter erwarten und für ihre Arbeit benötigen.

Erheiternd finde ich daran, dass ich über ein solches Verfahren 1999 in einem Beitrag im HBM berichtet habe (Mitarbeiter beurteilen ihre Chefs - das Beispiel Bayer, Harvard Businessmanager Jg. 1999 Heft 5). Da waren wir wohl unserer Zeit voraus. (Wer sich für den Artikel und das Verfahren interessiert, bitte per Mail melden.)


Rezension zum Thema:
Noten für das Management, Harvard Businessmanager 5/2010

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Sich selbst vermarkten

Da habe ich doch wieder einen neuen Begriff gelernt: "Individual Branding". Zum ersten Mal habe ich vor Jahren bei Tom Peters von der Idee gelesen, dass der Mensch sich als Marke begreifen und natürlich auch entsprechend vermarkten sollte. Nun begegnete mir der Ansatz wieder, verblüffenderweise diesmal im Zusammenhang mit dem Thema "Personalentwicklung". Das Argument: Der berufliche Erfolg hängt zu 10% von der eigenen Leistung, zu 30% von der Selbstpräsentation und zu 60% vom Bekanntheitsgrad im Unternehmen ab. Grandios. Wie immer bei solchen Zahlen fragt sich der verdutzte Leser, wie diese wohl zustande gekommen sind. Und er fragt sich weiter, was das denn bedeutet? Zwei Schlussfolgerungen fallen mir da ein:

Nur nicht zu viel Zeit damit verschwenden, Leistung zu erbringen, denn diese trägt kaum etwas zum beruflichen Erfolg bei. Dafür mehr Energie in die Selbstpräsentation stecken. Oder: Hauptsache, bekannt werden im eigenen Unternehmen, egal wie. Es muss nicht unbedingt durch Leistung sein.

Hier kommt noch eine Schlussfolgerung, die nicht von mir stammt: Leute, die sich nicht richtig selbst vermarkten, werden im Unternehmen nicht bekannt, und damit entgeht dem Unternehmen möglicherweise das eine oder andere Talent, das vor sich hinschlummert. Also täten Unternehmen gut daran, ihre Mitarbeiter in Sachen Selbstvermarktung zu unterstützen. Sie sollten ihnen einen Karrierecoach zur Seite stellen, der dann mit ihnen analysiert, wie es um den Bekanntheitsgrad aussieht, wer die wichtigen Menschen im Unternehmen sind, die sie noch nicht kennen und wie sie es schaffen, sich ihnen zu präsentieren.

Ob man sich auf diese Weise teure Personalentwicklungssysteme schenken kann? Ich habe so das Gefühl, dass "Individual Branding" kein neuer Megatrend wird und als untauglicher Versuch der Coaching-Branche, sich neue Aufgabenfelder zu verschaffen, in Erinnerung bleiben wird. Wenn sich jemand überhaupt daran erinnern wird.

Rezension zum Thema:
Marketing in eigener Sache, Personalwirtschaft 8/2010

Montag, 4. Oktober 2010

Aussagekraft von Tests

Das mit dem Psychologie-Studium ist schon eine Weile her. Mag sein, dass ich wesentliche Erkenntnisse der Testtheorie verdrängt habe, aber dann werde ich sicher schnell korrigiert. Es geht um Folgendes: Da entwickeln Berater einen neuen Test, in diesem Fall eine Postkorb-Übung zum Einsatz im Assessment Center. In dem speziellen Fall geht es darum, 20 e-Mails zu verarbeiten, sie also zu löschen, zu delegieren, Kalendereinträge vorzunehmen etc. Eben das, was auch im klassischen Postkorb verlangt wird.

Ich kann mich erinnern, dass es so etwas wie "Augenschein-Validität" gibt. Der Kandidat kann auf Grund der gestellten Aufgabe erkennen, was gemessen werden soll, nämlich seine Fähigkeit, mit der Flut von e-Mails umzugehen. Ob er in der Praxis sich ähnlich verhält, steht ja wie immer bei solchen Simulationen auf einem anderen Blatt.

Dann gibt es Validitätsberechnungen, die das Testergebnis mit dem Verhalten bzw. dem Erfolg in der Praxis vergleichen. Führen diese zu einem hohen Zusammenhang, würde man von einem validen Test sprechen. Solche Vergleiche wurden hier nicht angestellt. Dafür wurden die Resultate mit dem Ergebnis eines numerischen Intelligenztests verglichen. Und hier versagt mein Erinnerungsvermögen. Was sagt es mir, wenn die Autorinnen schreiben: "Das Ergebnis ... zeigt in der Tat tendenziell einen Übereinstimmung zwischen der Höhe des Testergebnisses im Mailboxverfahren sowie im numerischen Test"?

Mal abgesehen davon, dass bei 30 Probanden eine "tendenzielle Übereinstimmung" mehr als fragwürdig ist - was wäre, wenn sie extrem hoch wäre? Dann wüsste ich doch, dass die Beherrschung des e-Mail-Chaos von der numerischen Intelligenz abhängt - dann brauche ich den Test nicht, sondern könnte es bei dem Intelligenztest belassen. Ist der Zusammenhang gleich Null, weiß ich, dass hier eine völlig andere Fähigkeit (bzw. ein Mix aus anderen Fähigkeiten) gefordert ist. Was aber weiß ich über die Aussagekraft (Validität) des neuen Verfahrens, wenn die Bewältigung der Aufgabe irgendwas mit numerischer Intelligenz zu tun hat?

Es ist schon ein Kreuz mit den diagnostischen Testverfahren zur Messung von Managementfähigkeiten, oder?

Rezension zum Thema:
Mit Grips gegen die Mail-Flut, Personalmagazin 9/2010

Montag, 27. September 2010

C-Mitarbeiter vor die Tür setzen

Manchmal macht es richtig Spaß, einen polemischen Artikel zu lesen. Den Beitrag "Minderleister raus!" in der managerSeminare von einem Professor Knobloch, dessen Haltung zum Umgang mit Minderleistern angeblich durchaus im Einklang zu den "Grundsätzen und Werten der Bibel" steht, finde ich weniger spaßig. Dort geht es um sogenannte C-Leister, die "Under-Performer" (im Gegensatz zu den A-Leistern oder Top-Performern und B-Leistern oder auch Mitläufern). Andere Beschreibungen für die drei Schubladen: Der A-Leister spricht über Ideen, B-Mitarbeiter reden über Vorgänge und C-Mitarbeiter ziehen über Kollegen her. Das nenne ich mal eine gelungene Typologie.

Ähnlich banal sind die Tipps: Man sollte Mitarbeiter sorgfältig auswählen, um keine faulen Äpfel zu erwischen. Also z.B. auch den letzten Arbeitgeber anrufen. Man sollte die Probezeit nutzen und hier schon klare Ziele vereinbaren. Man sollte regelmäßig die Leistung beurteilen und zurückmelden, damit der C-Leister nicht überrascht wird, wenn er gekündigt wird. Wer will dagegen etwas sagen?

Nun kommt aber der Teil, der mich wirklich ärgert: Da ist einmal die Aussage, dass wir in Deutschland nicht mit Leistung umgehen können und deshalb "Low-Performer" jahrelang auf ihren Arbeitsplätzen belassen, womit wir den Fortbestand unserer Unternehmen riskieren. Ganz anders als in den USA, wo Leistung etwas bedeutet. Deshalb stehen die USA ja auch wirtschaftlich so toll da und in Deutschland liegt die Wirtschaft am Boden. Weil wir zu viele faule Äpfel beschäftigen. Nach den Erfahrungen von Herrn Knobloch bringen Weiterbildung, ernsthafte Gespräche und Abmahnungen in der Regel nichts, also setzen wir sie vor die Tür. Das ist nur fair, sagt er, dann hat der Mitarbeiter die Chance, woanders einen Arbeitsplatz zu finden, der ihm mehr Spaß macht und wo er besser hinpasst. Es sei denn, der potenzielle neue Arbeitgeber nimmt sich den Tipp mit dem Einholen von Referenzen zu Herzen und ruft uns vorher an - dann kriegt er den Job erst gar nicht.

Zum anderen sollen wir genau hinschauen, ob jemand nicht will oder nicht kann. Will er nicht, fliegt er sofort. Kann er nicht, probiert man es erst einmal mit Förderung - und wirft ihn raus, wenn auch das nichts hilft. Es kann natürlich sein, dass Herr Knobloch nur ein sehr kleines Unternehmen führt, in dem für einen Mitarbeiter nur eine einzige mögliche Aufgabe in Frage kommt - der Hinweis, dass man im eigenen Haus schaut, wo seine Fähigkeiten besser zum Einsatz kommen, fehlt nämlich. Führt man seine Argumentation fort, so ist der C-Leister ja auch ein gesellschaftliches Problem, dann sollten wir ihn vielleicht des Landes verweisen. So wäre die Gefahr gebannt, dass er in einem anderen Unternehmen weiteren Schaden anrichtet. Ich habe lange in einem Konzern gearbeitet, in dem Mitarbeiter, die nicht konnten, auf anderen Arbeitsplätzen weiter beschäftigt wurden, einfach aus sozialer Verantwortung heraus. Und das führte keineswegs dazu, dass die Leistungsträger ihren Hut nahmen.

Schon wieder lustig finde ich das Vorgehen im Unternehmen des Autors. Dort erhalten A-Mitarbeiter nach der Leistungsbeurteilung A-Briefe, B-Mitarbeiter B-Briefe und C-Mitarbeiter C-Briefe. Nanu, dachte ich, hat da die Auswahl versagt? Warum haben die C-Mitarbeiter die Probezeit überlebt? Und wieso bekommen Mitarbeiter Briefe, um zu erfahren, wie sie eingeschätzt werden?

Eine Botschaft wird hier nicht vermittelt, die aber mehr als offensichtlich ist: Leistung ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern das Ergebnis vieler Faktoren. Wer einen Funken Verantwortung hat, der schaut sich diese genauer an. Dass am Ende eines solchen Prozesses auch eine Kündigung stehen kann, bestreitet ja niemand. Aber dafür muss man nicht mit dem Untergang der deutschen Wirtschaft drohen.

Rezension zum Thema:
Minderleister raus! managerSeminare 9/2010

Dienstag, 21. September 2010

Die Sache mit dem positiven Denken

Gleich zwei Artikel, die sich mit dem amerikanischen Traum beschäftigen - und dem Phänomen, dass dem Amerikaner das positive Denken vergeht. Der eine erschien in der Wirtschaftswoche und ist ein Auszug aus dem Buch "Smile or Die" der Amerikanerin Barbara Ehrenreich. Der andere stammt aus der Financial Times Deutschland und beschreibt den Niedergang der amerikanischen Durchschnittsfamilie. Beide Beiträge empfand ich als bedrückend, ja fast beängstigend.

Dass sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten die Kluft zwischen den Besserverdienenden und der durchschnittlichen Bevölkerung drastisch vergrößert hat, ist bekannt, ähnliche Phänomene kennen wir aus allen Teilen der Welt.

Bisher war es nur so, dass man uns Deutschen immer vorgehalten hat, wir würden den Reichen ihren Reichtum nicht gönnen und schürten so etwas wie Sozialneid, während man in den USA diese Unterschiede nicht nur toleriert, sondern sie als Anreiz begreift. Sie dienten zur Motivation, es selbst einmal ins Lager der Top-Verdiener zu schaffen, ganz gleich, woher man kommt. Und damit seien die Unterschiede auch der Motor für Fortschritt und Entwicklung.

Nun aber zeigen Statistiken zwei gravierende Entwicklungen: Zum einen ist das Durchschnittseinkommen der normalen Familie in den USA in den letzten 30 Jahren kaum gesteigen, und noch bitterer: Es ging ihnen am Ende eines Aufschwungs schlechter als zu Beginn.

Zum anderen stellt sich heraus, dass die Chance eines sozialen Aufstiegs in den USA deutlich geringer ist als zum Beispiel in vielen europäischen Ländern. Mit anderen Worten: Der amerikanische Traum bleibt heute tatsächlich für die meisten Amerikaner ein Traum, der Alltag besteht aus mehreren parallelen Jobs, Angst vor Erkrankung und Unfall und geringeren Chancen auf eine angemessene Bildung, die für die meisten nicht mehr zu bezahlen ist.

Womit sich die Frage stellt, ob das positive Denken nichts weiter als ein großer Schwindel ist. Etwa vergleichbar mit der Hoffnung auf den Lottogewinn: Jeder, der spielt, hat die Chance auf den Jackpot, aber kaum jemand wird diesen jemals erhalten.

Falsch, werden jetzt die Optimisten sagen: Positives Denken hilft beim Lotto natürlich wenig, aber beim eigenen Lebensweg sehr wohl. Weil man diesen, anders als beim Lotto, selbst beeinflussen kann. Tja, das ist einerseits richtig. Andererseits: Wenn die breite Masse der Menschen unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ihren Lebensstandard nicht verbessert - liegt das dann wirklich daran, dass sie nur nicht positiv genug denken?

Drehen wir es mal anders herum: Jemand, der erfolgreich ist, wird immer von sich sagen, dass seine Fähigkeit, positiv zu denken, einen Anteil daran hatte. Aber ich fürchte, dieser Anteil wird gnadenlos überschätzt. In Wirklichkeit wird es so aussehen, dass eine ganze Reihe anderer Faktoren den Erfolg möglich gemacht haben, wobei der eigenen Optimismus nicht geschadet haben dürfte.

Und die Alternative? Barbara Ehrenreich sagt, dass die Menschen die Welt so sehen sollten, wie sie ist. Sie sollten die Chancen und Gefahren abschätzen und daraufhin eine realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten vornehmen. Ein guter Rat? Was macht der Amerikaner, wenn er erkennt, dass er niemals im Leben zum oberen Prozent gehören wird, realistisch betrachtet? Er verliert seinen Optimismus. Und dann?

Rezensionen zum Thema:
Das Ende des amerikanischen Traum, Financial Times Deutschland 9.8.2010
Lächle oder stirb, Wirtschaftswoche 34/2010

Montag, 20. September 2010

Verlernen wir das Schreiben?

Das Ende einer Kulturtechnik? Verlernen wir das Schreiben mit der Hand? Was mir immer mehr auffällt, ist wie schwer mir tatsächlich das Verfassen von Scthriftstücken fällt, wie mühsam es ist, den Stift zu führen. Und das Ergebnis ist erschütternd: Unregelmäßig, fahrig, unleserlich. Mitunter erschließt sich die Bedeutung eines Wortes nur noch aus dem Zusammenhang.


Kein Wunder, sagen die Experten. Schreiben muss man üben, und zwar regelmäßig, sonst verlernt man es tatsächlich. Aber wer setzt sich schon hin und übt? Was früher selbstverständlich Teil des täglichen Lebens war, ist heute die Ausnahme. Wir hacken unsere Briefe in eine Tastatur, wir verfassen Notizen auf dem Smartphone und statt kurze Mitteilungen auf Zetteln an den Kühlschrank zu heften versenden wir lieber eine SMS. Den Stift nehmen wir nur noch in die Hand, um eine Unterschrift zu leisten - und die fällt dann schon schwer.

Nun treten wahrscheinlich die ersten Retter auf den Plan und plädieren dafür, die Kunst des Schreibens zu retten. Und wirklich, es erscheint auch mir kaum vorstellbar, dass die nächsten Generationen die Handschrift als Relikt aus der Vergangenheit betrachten werden. Sie werden kaum nachvollziehen können, wozu sie diese überhaupt noch in der Schule lernen sollen? Es werden Kinder in der ersten Klasse auftauchen, die eine Tastatur perfekt beherrschen und den Lehrer erstaunt anschauen, wozu sie denn die Worte mit einem Stift auf das Papier bringen sollen, wo man sie doch viel einfacher ausdrucken kann.

Wem das jetzt völlig absurd und undenkbar vorkommt, der sei daran erinnert, dass heute auch niemand mehr die Keilschrift beherrscht oder weiß, wie man per Rauchzeichen kommuniziert. Alles hat seine Zeit....

Noch etwas, das mir beim Versuch, die Zeilen auf das Papier zu bannen, auffiel: Ich hatte arge Mühe mich darauf zu konzentrieren, keine Fehler zu machen - die Löschfunktion fehlt ja völlig. Das war schon fast eine Überraschung. Welche Folgen diese Funktion für das Festhalten von Informationen bzw. die schriftliche Kommunikation hat, wäre mal interessant zu untersuchen...

Rezension zum Thema:
Das kann ja keiner lesen, Financial Times Deutschland, 13.8.2010

Samstag, 11. September 2010

Talentmanagement oder Personalentwicklung?

Talentmanagement - wie viel besser klingt das als der hausbackene Begriff "Personalentwicklung". Hat wohl auch damit zu tun, dass man es im Englischen ebenso verwenden kann - "Tälentmänitschment". Schmunzeln musste ich, als ich in der Serie "Summerschool" der FTD, in der der aktuelle Stand wichtiger Managementtrends auf einer Seite zusammengefasst und mit Beispielen versehen werden, das Thema "Personalentwicklung" fand - neben solchen inzwischen nur noch selten erwähnten Titeln wie Kaizen, Business-Process-Reengineering, Balanced Scorecard, Wissensmanagement oder Outsourcing. Warum wurde es nicht "Talentmanagement" genannt?

Ein Verdacht kam mir beim Lesen. Da werden Beispiele von Firmen aufgeführt, die sich ganz gezielt um ältere Mitarbeiter kümmern. Datev schneidet Seminare speziell auf diese Zielgruppe zu, bietet den "Senioren" die Möglichkeit, sich in ganz neue Aufgaben einzuarbeiten und setzt auf altersgemischte Teams.

Im Beispiel der Bädereikette "Der Beck" setzt man auf Quereinsteiger und Ungelernte. Von den 850 Mitarbeitern im Verkauf haben die wenigsten diesen Beruf erlernt. Sie wurden durch Produktschulungen und Verkaufstrainings für diese Tätigkeit fit gemacht. Und wer aus der Branche stammt, aber sich für eine andere Tätigkeit interessiert, hat dazu auch die Möglichkeit. So gibt es einen Bäcker als Verkaufsleiter oder eine Konditorin als Werbeleiterin.

Das nennt sich also "Personalentwicklung". Ältere Mitarbeiter und Ungelernte - und dann "Talentmanagement", das passt irgendwie nicht.
Mir ist der Begriff "Personalentwicklung" einfach sympathischer...

Rezension zum Thema:
Latente Talente, Financial Times Deutschland 3.8.2010

Mittwoch, 8. September 2010

Alleinstellungsmerkmal

Wer neue Mitarbeiter sucht und diesen etwas bieten will, sollte in die Personalentwicklung investieren. Den Rat haben wir schon oft gehört, nun wird er um eine neue Empfehlung bereichert: Das Angebot sollte ein Alleinstellungsmerkmal besitzen, eben ganz besonders sein, unverwechselbar und einzigartig. Auch "unique selling proposition" (USP) genannt.

Das Konzept des Alleinstellungsmerkmal taugt vielleicht für Produkte und Dienstleistungen (auch wenn hier Nachahmer mitunter mehr Erfolg haben als die Erstanbieter), aber sollten sich auch Personalentwickler darum bemühen?

Wohl kaum. Ich glaube, dass Personalentwicklung nur einen kleinen Teil der Gesamtvereinbarung zwischen Unternehmen und Mitarbeiter ausmacht. Sicher ist er wichtig, und sicherlich fragen viele Kandidaten beim Einstellungsgespräch danach, welche Entwicklungsmöglichkeiten sie erwarten dürfen. Aber kann man sie mit Maßnahmen locken, die es nur bei diesem einen Unternehmen gibt? Oder geht es nicht vielmehr darum, vernünftige, nachvollziehbare und vor allem verlässliche Personalentwicklung zu betreiben? Eben Personalentwicklung, die Hand und Fuß hat? Und die vor allem glaubwürdig ist?

Wer tolle Seminare an ungewöhnlichen Orten verspricht oder in Aussicht stellt, dass man als Mitarbeiter auch mal dem Vorstand über die Schulter schauen darf; wer großartige Jobrotationsmöglichkeiten oder einzigartige Führungskräfteentwicklungsprogramme verspricht, der mag vielleicht im ersten Moment Eindruck schinden. Aber erstens sind all diese Dinge ohnehin direkt kopierbar und alles andere als einzigartig. Zum anderen zeigt die Erfahrung, dass die Mittel für Personalentwicklung in der Regel als erstes gestrichen werden, wenn es ans Sparen geht.

Wäre es nicht viel wichtiger, die grundlegenden Dinge zu leisten, und zwar zuverlässig und "handwerklich" sauber? Den neuen Mitarbeiter so einarbeiten, dass er schnell in der Lage ist, sein Können zu zeigen, statt erst dann an seinen Arbeitsplatz zu stellen, wenn sein Vorgänger schon lange weg ist? Ihm einen Paten zur Verfügung zu stellen, damit er einen Ansprechpartner für alle offenen Fragen hat? Gerade am Anfang regelmäßige Gespräche mit seinem Vorgesetzten zusagen und auch einhalten und dabei vor allem nachfragen, was ihm als dem "Neuen" aufgefallen ist? Ihm erklären, dass es keine vorgegebenen Karrierepfade gibt (denn solche werden meist von der Realität schnell überholt), dafür Beispiele erzählen von Kollegen, die eine interessante Laufbahn vorweisen können? Ihm die Möglichkeit einräumen, seinen Weiterbildungsbedarf jederzeit zu formulieren und dann zu unterstützen, um ihn auch zu erfüllen? Und dafür einen kompetenten Ansprechpartner nennen?

Ich vergleiche das mit dem Gang zum Arzt. Wenn dieser mir ein tolles Medikament oder eine Behandlungsmethode empfiehlt, die kein anderer zu bieten hat, werde ich vielleicht im ersten Moment begeistert sein. Aber dann werde ich furchtbar misstrauisch. Will ich nicht viel lieber eine bewährte Methode, ein erprobtes Medikament? Eines, das mir wirklich hilft?

Mit anderen Worten: Gefragt ist das alltägliches "PE-Handwerk", aber das solide und zuverlässig. Normal? Wohl kaum - und vielleicht deshalb sogar ein Alleinstellungsmerkmal. Dann passt die Analogie zu dem Marketingkonzept doch wieder.

Rezension zum Thema:
Personalentwicklung als Marke, Personalmagazin 8/2010

Dienstag, 31. August 2010

Von Tieren lernen

Die Brand eins hat eine ganze Ausgabe dem Thema "Tierisch" gewidmet. Unter anderem geht es dabei natürlich auch wieder um die Frage, was wir von den Tieren lernen können. Ich habe mich schon mal darüber ausgelassen, was man uns alles als "Lernmodell" unter die Nase reibt. Überhaupt: Warum sollten ausgerechnet Tiere die besseren Menschen sein?


Und dann fällt mein Blick auf unseren Hund Ronja. "Eine Seele von Mensch", wie kürzlich eine Bekannte sagte. In der Tat, von diesem Tier würde ich mir gerne eine Scheibe abschneiden. Die unfassbare Gelassenheit. Die klaren Botschaften, wenn sie sich ihre Streicheleinheiten abholt oder mal kurz in den Garten möchte. Die Fähigkeit, der Welt ihren Lauf zu lassen und ganz entspannt im Hier und Jetzt zu leben. Sie regt sich nicht auf, wenn mal wieder etwas nicht nach ihrer Nase läuft. Sie freut sich, wenn sie mich sieht, ohne mich mit unwichtigen Botschaften zu überfrachten. Sie kann die Sonne genießen und hat aber auch kein Problem damit, wenn sie mal nicht scheint. Sie tobt herum, wälzt sich vor Wonne im Sand und auf Wiesen und freut sich einfach, dass sie lebendig ist. Sie hat unendliches Vertrauen und lässt sich geduldig von uns hin- und herrollen, am Bauch kraulen und sogar unseren Kopf auf ihrem weichen Fell lagern.

Okay, ich muss nicht unbedingt so verfressen sein wie sie und bei jedem Knistern von Papier aufspringen. Ich bin auch froh, dass ich nicht im Angesicht anderer Menschen (Hunde) zur Salzsäure erstarre. Und in stinkendem Fisch möchte ich mich auch nicht wälzen.
Aber wer sagt, dass wir alles von unseren Vorbildern übernehmen müssen? Ich glaube, ich werde in Zukunft gnädiger sein mit Artikeln zum Thema "Was wir lernen können von..." Zumindest, wenn es sich um Tiere handelt.

Und Führung kann man doch lernen

Ein Gastkommentar von Dr. Frank Edelkraut: Danke für Ihren Blog-Eintrag "Erfolgreiche Führungsstile" - ein immer wieder spannendes Thema. Mit den vorgestellten Meinungen gehe ich teilweise konform, teilweise nicht. Daher hier ein Kommentar.

Dass es einen richtigen Führungsstil gibt, bestreite ich ebenfalls. Das kann es auch gar nicht, da Führungsaufgaben und –situationen immer komplex sind und die unterschiedlichen Einflussfaktoren stets an irgend einer Stelle im Widerspruch zueinander stehen. "Eine" Lösung wird es nicht geben. Daher kann es aus meiner Sicht auch keinen Zusammenhang zwischen Führungsumwelt und Führungspersönlichkeit geben. Im Prinzip kann jede Persönlichkeit für unterschiedliche Situationen passende Verhaltensweisen an den Tag legen. Wie diese anschließend bewertet werden, ist dann eher vom Erfolg und der "Vermarktung" abhängig. Hierzu eine erlebte Anekdote.

Während einer Betriebsbesichtigung einer Studentengruppe unter Beteiligung mehrerer Führungskräfte eines Chemie-Unternehmens fällt eine Mitarbeiter in einen leeren, heißen Kessel. Drei Führungskräfte reagieren sehr spontan und nicht abgestimmt. Der vorgesetzte Abteilungsleiter reißt sich sein Sakko vom Leib und springt in den Kessel, um den Mann zu retten ("Held"). Eine andere Führungskraft ruft Arbeiter zusammen, um eine Rettung zu organisieren ("Koordinator"). Der Dritte rennt zum nächst gelegenen Telefon, um die Rettungskette auszulösen ("Controller"). Wer hat richtig, wer falsch reagiert?

Alle drei haben richtig, aber gleichzeitig falsch reagiert. Warum? Entscheidend ist in jeder (nicht nur Krisen wie im Beispiel) Führungssituation zu analysieren, welche Faktoren die Situation beeinflussen, Prioritäten zu setzen und dann zu entscheiden. Diese Kette wird bei spontanen Reaktionen zumindest an einer Stufe eine Schwäche aufweisen. Nach meiner Erfahrung wird meist zu wenig "durchdacht" und zu spontan "aus der Persönlichkeit heraus" gehandelt.
Unser Held hat die Priorität auf Geschwindigkeit und möglicherweise auf die persönliche Beziehung gelegt. Gleichzeitig hat er sich selbst massiv gefährdet und ein schlechtes Beispiel für das Verhalten in Unfallsituationen abgegeben. Der Koordinator hat die Priorität auf Verantwortlichkeit und ein abgesichertes Vorgehen gelegt und die Sicherheitsfachkräfte "in Szene gesetzt". Dafür benötigt er mehr Zeit und tritt als Führungskraft nicht so sehr in Erscheinung (u.U. Interpretation von Führungsschwäche). Der Controller hat die Priorität auf die Einhaltung der bestehenden Sicherheitsrichtlinien (diese sahen zuerst den Notruf vor) gelegt und gleichzeitig den Eindruck einer "Flucht" vermittelt. Es ist auch zu bezweifeln, dass die Werksfeuerwehr rechtzeitig eingetroffen wäre.

Diese Geschichte zeigt aus meiner Sicht zwei Dinge:

  1. Wenn Führung nötig ist (in Ausnahmefällen und für Entscheidungen) geht es nicht um Persönlichkeit, Theorie oder Verhalten alleine. Es muss die "beste Option" aus mehreren Alternativen entschieden und konsequent zum Ergebnis geführt werden.

  2. Dies können Führungskräfte (alle anderen auch) lernen. Führungskräftetrainings machen daher Sinn! Es geht aber nicht darum, definierte Verhaltensweisen und Theorien zu trainieren, sondern die Fähigkeit, Situationen und Sachverhalte schnell zu analysieren und durchdenken, zielgerecht zu entscheiden und konsequent zu handeln. Wenn diese Kette sichtbar oder vermittelt wird, wird das gezeigte Führungsverhalten auch von den Mitarbeitern akzeptiert. Egal ob der Held, Koordinator oder Controller zugange ist.
P.S. Der Mitarbeiter hat außer einer Platzwunde und einer leichten Atemwegsverätzung keinen Schaden davon getragen. Gelitten hat der Anzug des Vorgesetzten, der mit seinem Mitarbeiter nur aus dem Kessel herauskam, weil die anderen Mitarbeiter inzwischen zur Stelle waren und die geeigneten Rettungsmittel dabei hatten.

Dienstag, 24. August 2010

Erfolgreiche Führungsstile

Theoretische Modelle zum Thema "Führungsstil" gibt es viele, und die Suche nach der Antwort auf die Frage, welcher Führungsstil nun der wirklich erfolgreichste ist, scheint noch lange nicht beendet zu sein. Zwei Autoren in der Zeitschrift Führung + Organisation haben Studien zusammengetragen, die sich mit verschiedenen "Erfolgsmessungen" beschäftigt haben und in einer Meta-Analyse herausgefunden, dass im Grunde kein Stil dem anderen wirklich überlegen ist. Tröstlich für alle Anhänger des mitarbeiterorientierten Stils: Dieser hat besser abgeschnitten als in Zeiten der harten Fakten und Zahlen zu vermuten war.

In dem Beitrag wird ein Modell vorgestellt, das "Mitarbeiterorientierung", "Aufgabenorientierung", "transaktionale Führung" und "transformationale Führung" in einen Zusammenhang zur Organisation und zur Aufgabe stellt. Sehr verkürzt dargestellt bedeutet das:

In statisch-einfachen Umwelten bzw. Organisationen mit einfachen, monotonen Aufgaben ist ein aufgabenorientierter, transaktionaler Stil am wirkungsvollsten, hier sind eher "Controller" gefragt, während z.B. in dynamisch-komplexen Umwelten mit offenen Aufgaben die "Helden" zum Zuge kommen. Das sind die Führungskräfte mit dem transformationalen, mitarbeiterorientierten Stil. Daneben gibt es noch den "Coach" und den "Missionar".

Wissenschaftlich untersucht ist das Modell nicht, daher ist es müßig, hier darüber zu philosophieren, wie zutreffend es ist. Ich glaube, dass in dem Modell die Mitarbeiter völlig vernachlässigt werden: Ob ein bestimmter Stil erfolgreich ist, hängt neben der Umwelt und der Aufgabe sicher auch von den Persönlichkeiten der "Geführten" ab - insofern ist Führung wohl weitaus komplexer, als alle bestehenden Modelle das abbilden können.

Führungstrainings von begrenztem Nutzen

Interessant an dem Beitrag erschien mir der letzte Absatz. Hier geht es um die Frage, ob man nun Führungskräfte trainieren kann, sich je nach Umwelt und Aufgabe zu verhalten, sprich: Sind Führungskräfte in der Lage, den eigenen Führungsstil den Rahmenbedingungen anzupassen? Die Autoren verneinen dies. Sie glauben, dass "unterschiedliche Kontexte jeweils andere Führungspersönlichkeiten erforderlich machen". Ich neige dazu, ihnen zuzustimmen. Was allerdings bedeutet, dass Führungstrainings im Sinne von "TRAINING" nur bedingt erfolgreich sein können. Was außerdem bedeutet, dass Führungskräfte je nach Art der Organisation und der zu bewältigenden Aufgaben ausgewählt werden müssen.

Was aber auch bedeutet, dass, wer die Organisation und die Aufgaben verändern will, Führungskräfte austauschen muss. Wovon ich auf jeden Fall überzeugt bin.

Rezension zum Thema:
Welcher Führungsstil führt zum Erfolg? Zeitschrift Führung + Organisation 3/2010

Freitag, 20. August 2010

Wolfsrudel

In einem Interview in der Brand eins 8/2010 erzählt Irina Schefer, die Manager coacht und sie dazu auch manchmal mit einem Wolfsrudel zusammenbringt, welche Rollen es in einem solchen gibt. Da findet man den Leitwolf, der offensichtlich sehr intelligent seine Rolle wahrnimmt. Er praktiziert das "Management by Walk around", löst Konflikte und ist nicht nachtragend, ist fürsorglich und verantwortungsbewusst und bietet den Jungtieren die Möglichkeit, Fehler zu machen. Er lässt diese sich entwickeln und kann offenbar perfekt delegieren. Nur bei Gefahr übernimmt er ohne Wenn und Aber das Kommando.

Das klingt vertraut, als stamme es aus Managementratgebern. Hinzu kommen drei Hinweise, die mich haben aufmerken lassen. Da ist zum einen die Frage nach der Motivation. Können Leitwölfe auch motivieren? Antwort: So etwas gibt es nicht, weil es nicht nötig ist. "Wölfe sind von Natur aus zum Jagen motiviert." Sie haben Hunger und fühlen sich für das Rudel verantwortlich. Was Leitwölfe durchaus tun: Sie loben durch Zärtlichkeit. Und sie unterlassen alles, was demotivieren könnte.
Auch schon mal irgendwo gelesen, oder?

Der zweite interessante Hinweis: In Rudeln gibt es einen Omega-Wolf, eine Art Blitzableiter, der von anderen gebissen wird, ihre Aggressionen ableitet und kanalisiert und auch mal dazwischen geht, wenn es Streit gibt. Schefer nennt ihn eine Art "Hofnarren". Das klingt nach einer traurigen Rolle. Allerdings heißt es hier, dass diese Rolle in der freien Wildbahn seltener besetzt ist als im Gehege und auch nur temporär. Und dass der Omega-Wolf durchaus in der Hierarchie aufsteigen kann.

Und schließlich geht es um den Begriff der Karriere: Junge Wölfe verlassen das Rudel und gründen eine eigene Familie, in der sie den Leitwolf geben. Da das im Gehege allerdings nicht möglich ist, gibt es einen jährlichen Kampf um die Rangfolge. Was dabei für die Wölfe spricht: Es gewinnt nicht unbedingt das größte und stärkste, sondern das sozial und emotional intelligentere Tier.

Ich fantasiere mal ein bisschen, wohl wissend, dass solche Analogien immer hinken. Unternehmen sind wie ein Wolfsrudel im Gehege. Es gibt Machtkämpfe um die Alpha-Positionen und es gibt Blitzableiter, Menschen, die die Aggressionen ableiten und die "Bisse" der anderen abbekommen. Es sind auch immer die sozial Intelligenten, die aufsteigen, schließlich gehört ja schon einiges an Netzwerkfähigkeiten dazu. Ob es auch die emotional Intelligenten sind, wage ich zu bezweifeln.

Allerdings sind die Zäune der Gehege nicht unüberwindlich. Anders als im Wolfsgehege muss man nicht um seinen Rangplatz kämpfen, und die Rolle des Omega-Wolfes muss man ebenfalls nicht aushalten. Man kann seine eigene Familie, sprich: Sein eigenes Unternehmen gründen. Leider scheinen aber viele Menschen zu glauben, dass sie für immer in dem Gehege festsitzen, das Kämpfen sich nicht lohnt und es schließlich ganz bequem ist, regelmäßig gefüttert zu werden.
Mein Mitleid ist eher mit den Wölfen in den Gehegen - ihnen bleibt die Karriere außerhalb des Rudels verwehrt...

Foto: © Templermeister / PIXELIO

Donnerstag, 12. August 2010

Bachelor, Master, MBA und ein wenig Wehmut

Ich gestehe, dass ich mich als "Diplomer" mit Abschluss in den 80er Jahren mit dem neuen System von Bachelor und MBA schwer tue. Schlimmer noch - ich verstehe es nicht so wirklich.

Zugegeben: Mein Studium war bis zum Vordiplom nicht gerade aufregend. Man schaufelte sich eine Menge Theorie in den Kopf, und hätte mich damals jemand gefragt, ob ich mit dem Vordiplom in der Hand in der Lage wäre, einen Job anzunehmen, ich hätte herzhaft gelacht. Das war nicht das, was ich mir von Psychologie erwartet hatte.

Bis zum Hauptdiplom änderte sich das Bild und meine Einstellung. Nun hatte nach und nach die Praxis das Sagen, und endlich konnte ich mit meinem angereicherten Wissen auch etwas anfangen (dass Bekannte und Verwandte schon bald die Augen verdrehten, wenn sie Persönlichkeits- und Fähigkeitstests, oder noch schlimmer, projektive Verfahren über sich ergehen lassen mussten, gehörte dazu.)

Nun aber sieht die Sache ganz anders aus. Da sollen die Absolventen mit dem Bachelor in der Hand auf die Menschheit losgelassen werden. Das wissenschaftliche Know how benötigen sie nicht, das können sie sich aneignen, wenn ihnen nach einer entsprechenden Laufbahn zumute ist. Dann geht es an den Master, und das muss nicht unbedingt sofort im Anschluss an den Bachelor sein.

So weit, so gut. Wir haben damals eine Menge unnützes Zeugs gelernt. Wirft man all das über Bord, könnte ich mir durchaus vorstellen, Menschen auch in wesentlich kürzerer Zeit zu einem ganz passablen Diagnostiker auszubilden.

Was aber soll das Brimborium um den MBA-Titel? Ein Artikel der Financial Times Deutschland brachte die Sache auf den Punkt. Für Menschen mit einer Fachausbildung, die sich besser in Sachen Wirtschaft auskennen wollen (General Management) - also z.B. Psychologen, Ingenieure, Naturwissenschaftler... - bekommen hier das nötige Rüstzeug. Vielleicht ein bisschen so, wie wir früher versucht haben, uns durch die Wahl von geeigneten Nebenfächern breiter auszubilden. Natürlich viel besser, umfassender und vor allem teurer.

Nun gibt es aber doch auch Studiengänge wie Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaftspsychologie - als die Verbindung zweier ehemaliger "Fakultäten". Und dann gibt es jede Menge Spezial-MBA-Ausbildungen (entweder spezialisiert auf bestimmte Themen wie Finanzen, Personal, IT etc. oder bezogen auf Branchen wie Gesundheit, Logistik...) - ein völliger Widerspruch, denn der Anspruch lautet ja, "General Manager" heranzuziehen. Aber das soll ein typisch deutsches Phänomen sein, woanders kennt man solche Ausbildungsgänge nicht.

Kein Wunder, dass der Ruf nach dem schönen alten Diplom nicht verstummt. Nicht nur, weil ein wenig Wehmut dabei mitschwingt.

Rezension zum Thema:
Klare Sache von Augenmaß, Financial Times Deutschland, 1.7.2010