Mittwoch, 29. Februar 2012

Wider die Komplexität

Je größer eine Organisation, desto komplexer die Prozesse. Leider lässt sich Komplexität nicht steuern. D.h. man kann versuchen, steuernd einzugreifen, aber selten lässt sich vorhersehen, wie sich diese Eingriffe auswirken. Was daran liegt, dass niemand weiß, wie bestimmte Teile miteinander zusammenhängen und welche Wechselwirkungen es zwischen ihnen gibt. Was aber tut ein Manager, wenn er nicht managen kann? Er gestaltet die Rahmenbedingungen so, dass die Mitarbeiter "die für komplexe Herausforderungen gemeinsam kreative Lösungen entwickeln können."
Ein sehr vereinfachtes Beispiel:

Angenommen, in einem Bereich treten seltene Ereignisse auf, die für Ärger in den Abläufen sorgen. Ich kann nun versuchen, für jedes dieser Ereignisse eine klare Handlungsanleitung zu verfassen, Gegenmaßnahmen entwickeln und auf diese Weise "steuernd" eingreifen. Ich kann aber auch dafür sorgen, dass Mitarbeiter sich regelmäßig über ihre Arbeit austauschen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dabei auch eine Information weiter gegeben wird, wie man in einem bestimmten kritischen Ereignis zu verfahren hat. So viel zur Regel Nr.1, die die Boston Consulting Group zur Gestaltung eines entsprechenden Umfeldes gefunden hat: "Verstehen, was die Kollegen tun!"

Im gleichen Beitrag findet sich ein Kasten, in dem erklärt wird, was man lieber vermeiden sollte. Diese fünf "Regeln" sind eine nähere Betrachtung wert:

Führen Sie keine neuen Prozesse oder Ebenen ein, wenn es nicht absolut notwendig ist.
Heißt nichts anderes als: Machen Sie es nicht komplexer als es ohnehin schon ist.

Lasten Sie Probleme niemals der Mentalität oder Einstellung Ihrer Mitarbeiter an.
Habe ich schon immer merkwürdig gefunden, wenn sich Manager über ihre Mitarbeiter, für die sie verantwortlich sind, beklagt haben.

Lassen Sie nicht zu, dass Entscheidungen nach oben delegiert werden. 
Wie war das mit dem Minuten-Manager und dem Klammeraffen? Ein ganz alter Hut.

Verlassen Sie sich nicht auf finanzielle Anreize.

Versuchen Sie nicht, bestimmte Verhaltensweisen zu messen.

Nr. 4 und 5 sind spannend. Die Berater warnen bei finanziellen Anreizen vor erheblichen Nebenwirkungen und empfehlen, lieber direkte Feedbackschleifen einzuführen. Wenn inzwischen sogar Strategieberater, die einst glaubten, mit Aktienoptionen die Leistungen von Managern steuern zu können, plötzlich erkennen, dass die Geschichte mit den Anreizsystemen ihre Tücken hat, dann ist in der Tat Hoffnung in Sicht.

Noch erstaunlicher ist der letzte Tipp. Hier heißt es: "Das nützlichste Verhalten - Kooperation - lässt sich nicht messen." Sieh an, sieh an. Was ist aus dem Credo "Nur was sich messen lässt, lässt sich auch managen" geworden? Während woanders noch fleißig beurteilt wird und Noten nach vorgegebenen Verhaltenskriterien verteilt werden, heißt es hier plötzlich: "Konzentrieren Sie sich auf Ergebnisse und setzen sie auf Ihr eigenen Urteilsvermögen statt auf quantitative Messungen."

Das ist nun mal in der Tat eine weise Erkenntnis. Und ein Anlass, sich doch arg zu wundern, woher auf einmal diese Weisheiten stammen.

Rezension zum Thema:
Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser, Harvard Business Manager 11/2011

Freitag, 24. Februar 2012

Auch als Schwabe...

Wir hinken etwas mit der Besprechung der Managementzeitschriften hinterher - was mitunter zu lustigen Entdeckungen führt. Die Ausgabe 2/2012 der Wirtschaftswoche vom 16.1. wartet mit einem Zitat auf:

"Also auch als Schwabe bin ich bereit, sechs sehr gute badische Weißweine und sechs sehr gute württembergische Rotweine darauf zu setzen, dass Christian Wulff in den nächsten Jahren ein sehr guter Präsident Deutschlands bleibt."

Günther Oettinger hat aber auch ein Pech. Aber wieso ist es etwas Besonderes, wenn Schwaben auf das falsche Pferd setzen?

Donnerstag, 16. Februar 2012

Rolle rückwärts

Ich kann mich gut erinnern. Vor 25 Jahren arbeitete ich in einem Unternehmen, das recht gut für seine Mitarbeiter sorgte. Besonders beliebt: Die Jahresprämie. Jeder Mitarbeiter erhielt einen bestimmten Betrag überwiesen, wobei das Gesamtbudget für den Bonus vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens im vergangenen Jahr abhing, der Einzelbetrag einen Prozentsatz vom Jahresgehalt betrug.

Soll heißen: Hatte das Unternehmen viel Geld verdient, bekam man eine hübsche Summe überwiesen, wobei diejenigen, die ein hohes Jahresgehalt bezogen, entsprechend mehr bekamen. Das war nicht immer gerecht, denn die Fixgehälter orientierten sich doch sehr am Senioritätsprinzip. Aber so war das eben...

Dann kamen die Zeiten, in denen die Prämien nicht nach Gesamterfolg berechnet wurden, sondern jeder Geschäftsteil seine eigenen Zahlen ermittelte. Mit der Folge, dass Kollegen, die eng zusammen arbeiteten und ähnliche Tätigkeiten verrichteten, aber zu unterschiedlichen Geschäftsfeldern gehörten, sehr unterschiedliche Boni erhielten. Nicht immer nachvollziehbar, aber so war das eben...

Und schließlich ging es los mit den individuellen Zielvereinbarungen, die ganz oben begannen und Schritt für Schritt in einem unglaublich mühsamen und bürokratischen Prozess nach ganz unten "heruntergebrochen" wurden. Zum Jahresende bzw. Jahresanfang fanden dann die Zielvereinbarungsgespräche ab, in denen dem begeisterten Mitarbeiter auch sein Zielerreichungsgrad mitgeteilt wurde. Dieser war dann maßgeblich für die individuelle variable Entgeltkomponente.

Zurück auf Null

Ich schätze, das erging vielen Mitarbeitern in vielen Unternehmen ähnlich. Mit für manchen "Entgeltstrategen" höchst unerwünschten Folgen: Am Ende eines Jahres belief sich der Zielerreichungsgrad auf durchschnittlich nahe 100% - mitunter deutlich darüber. Das allerdings korrelierte nicht unbedingt mit dem Unternehmensergebnis. Die Ursachen hierfür mag man sich selbst ausrechnen.

Mit anderen Worten: Von variabler Vergütung also keine Spur, man steckte im Korsett des eigenen Systems fest. Wenn jeder seine Ziele erreichte und die entsprechende Prämie erhielt - wozu dann nur die schrecklich lästigen Prozesse?

Genau das hat offensichtlich irgendjemand bei Infineon begriffen. Und dafür gesorgt, dass die Bewertung der Zielerreichung mit Bezug zur Prämie abgeschafft wurde. "Weltweiter Neustart" heißt der lustige Beitrag im Personalmagazin, in dem die "Erfinder" des "neuen" Systems entwaffnend offen von ihren "Erkenntnissen" berichten.

Übrigens führt die Orientierung der Prämie rein am Unternehmensergebnis dazu, dass die Fixgehälter wieder einen höheren Anteil haben, denn der Einzelne kann ja das Gesamtergebnis nur bedingt beeinflussen.

Lernfähig, könnte man dazu sagen. Ich finde es eher bitter, denn dass es genauso laufen würde, haben kluge Menschen schon vor 25 Jahren gewusst...

Rezension zum Thema:
Ein weltweiter Neustart, Personalmagazin 11/2011

Mittwoch, 15. Februar 2012

Kollektiv ohne Chefs

Ich mag solche Geschichten, ich mochte sie schon immer. Vermutlich, weil ich mit Hierarchien noch nie viel anfangen konnte. Nie wirklich verstanden habe, warum Menschen es zulassen, dass man über sie verfügt, "sich führen lassen". Inzwischen habe ich mich längst damit abgefunden, dass es eben so ist.

Nicht, dass ich daran glaube, dass, wie mir immer wieder versichert wird, es nun mal Menschen gibt, die Führung brauchen. Abgefunden habe ich mich damit, dass viele Menschen es einfach vorziehen, in einem vermeintlich sicheren Rahmen mit (manchmal) klaren Strukturen und Spielregeln sowie einem vertraglich zugesicherten Einkommen zu leben und zu arbeiten und dafür die Einschränkung ihrer Handlungs- und Entscheidungsfreiheit in Kauf nehmen.

Wenn dann über Unternehmungen berichtet wird, in denen es eben keine Chefs gibt, in denen sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen und trotzdem wirtschaftlich erfolgreich sind, werde ich in meiner Hoffnung bestärkt, dass Organisationen auch ohne formale Hierarchie existieren können. Hier ist die Rede vom Café Ruffini in München, der Artikel erschien in der Brand eins 1/2012 und ist einfach lesenswert. 25 Gesellschafter hat das Unternehmen, alle tragen Verantwortung, Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Und das funktioniert? Offenbar, das Lokal gibt es seit 1978 und die Leute stehen Schlange.
Unser Rezensent bezeichnete das Modell als "anachronistische Basisdemokratie, die offensichtlich funktioniert". Für mich ist es einfach nur ermutigend. Mal wieder ein Dank an die Brand eins.

Rezension zum Thema:
Das Kollektiv, Brand eins 1/2012

Montag, 6. Februar 2012

Erfahrung als Argument

Es ist ein Kreuz mit diesen "Management Gurus". Wenn man nicht aufpasst, jubeln sie uns weltbewegende Erkenntnisse unter, die wir für bare Münze nehmen. Ein nettes Beispiel dazu aus dem Harvard Businessmanager 10/2011. Da hat die Harvard Professorin Rosabeth Moss Kanter einen Beitrag veröffentlicht, in dem sie uns erklärt, dass es Manager mit Weitwinkel-Einstellung gibt und andere, die mit Vorliebe heranzoomen und die Details betrachten. Und das soll keineswegs nur eine Metapher sein.

Es folgen Beispiele für Manager, die gerne heranzoomen und solche, die lieber herauszoomen. US-Präsident Obama soll zu letzteren gehören. Natürlich gibt es auch jene, die beides können, die sozusagen ein Universalobjektiv besitzen. Je nach Bedarf nutzen sie den Weitwinkel oder die Lupe - als Beispiel dient hier Ex-Präsident Clinton (der sich ja auch um die einfachen Mitarbeiter rührend gekümmert hat.)

Ich habe nichts gegen Analogien und Metaphern, sie können mitunter sehr hilfreich sein beim Verständnis von menschlichem Verhalten. Was mich ärgert, ist der Trick, uns banale Erkenntnisse als das Ergebnis umfangreicher Erfahrungen schmackhaft zu machen. In dem besagten Artikel erklärt Frau Kanter, dass sie 25 Jahre das Wirken von Managern beobachtet hat, mit "Tausenden von Managern zusammengearbeitet und systematische Studien ... in Hunderten von Unternehmen durchgeführt hat."

Diesen "Trick" findet man bei den "Gurus" häufiger. Sie geben ihren Weisheiten den Anstrich von Seriosität und Wissenschaftlichkeit, indem sie sich auf ihre gewaltigen Erfahrungen berufen. Was soll das sein? Wissenschaft? Vermutlich geht es auch hier darum, möglichst viele Veröffentlichungen zu erzielen. Ach ja, das ist ja Wissenschaft...

Rezension zum Thema:
Der richtige Blickwinkel, Harvard Businessmanager 10/2011

Mittwoch, 1. Februar 2012

Talente mit der Maschine erkennen

Haben Sie schon mal etwas vom "Footbonaut" gehört? Das ist ein Apparat oder besser ein Raum, in dem ein Fußballer steht und auf den Ball wartet. Der kommt aus irgendeiner Ecke auf den Spieler zugeflogen, dieser muss schnell reagieren und ihn in bestimmte Felder schießen. Gemessen werden Handlungsgeschwindigkeit, Schusspräzision und Leistungskonstanz. Wer mit dem "Footbonaut" regelmäßig trainiert, der verbessert diese Fertigkeiten gravierend. Borussia Dortmund soll den Apparat bereits nutzen.

Was hat das mit Management zu tun? Die Analogie ist nicht, dass man Manager in ein Büro setzt und mit Anrufen und Anfragen bombardiert, um so ihre Handlungsgeschwindigkeit und Leistungskonstanz zu erhöhen. Es geht um die Messung von Talent. Zum "Footbonauten" gehört eine ausgeklügelte Software, die jede Reaktion genau aufzeichnet. So lassen sich objektive Daten erheben, und diese lassen Rückschlüsse auf vorhandenes Talent zu.

In dem Beitrag der Personalwirtschaft wird die Parallele zum Assessment Center gezogen. Auch dort versucht man, Menschen mit "Arbeitsproben" zu konfrontieren, die der Anforderung in der Praxis möglichst nahe kommen.
Kennen wir doch, oder? Ich denke an die gute alte Postkorb-Übung. Die wird ja immer mehr ersetzt durch die elektronische Variante. Hier könnte man den Kandidaten mit Mails, Instant-Messages, PowerPoint-Charts, Anrufen und Sitzungsprotokollen peinigen und auch seine Handlungsgeschwindigkeit und Belastbarkeit testen bzw. exakt messen. Wie lange benötigt jemand, um eine Mail als unwichtig zu erkennen? Wann gibt er entnervt auf und delegiert den ganzen Kram (immerhin auch eine Management-Kompetenz)?

Wie gut, dass Management nicht allein aus "Ball annehmen und wieder wegschießen" besteht. Fußball zum Glück auch nicht. Angeblich wird gerade erst untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der Leistung im "Footbonauten" und auf dem Spielfeld gibt. Ob Berti Vogts oder "Katsche"  Schwarzenbeck (Sie erinnern sich?) es wohl zum Weltmeistertitel gebracht hätten, wären sie in ihrer Jugend mit dem Apparat getestet worden?

Ein anderes Zitat finde ich noch bemerkenswerter: "Ebenso sind sekundenschnelle Marktwertschätzungen möglich." Alle Achtung: Innerhalb weniger Sekunden kann man also den Marktwert eines Spielers bestimmen - oder wie ist das gemeint? Weiter heißt es "Letztere sind allerdings nur im Sinne einer Schätzung der Größenordnung zu verstehen, da Spielertalent laut einer britischen Studie für sich allein genommen lediglich 32 Prozent der Marktvolatilitätauf dem Transfermarkt erklärt."
Wie bitter. Wenn ich mal davon ausgehe, dass Talent nicht aus dem schnellen und genauen Reagieren besteht, dann leistet so eine Maschine am Ende nicht allzu viel Beitrag zur Bewertung von Talenten.  bedeutet.

Andererseits: Glaubt man der Biografie von Andre Agassi, dem amerikanischen Tennis-Star, dann hat ihn sein Vater als Kind stundenlang vor eine Ballmaschine gestellt und dem Knaben die Bälle in Serie um die Ohren geschossen. Bin mal gespannt, wann die ersten Eltern ihre Sechsjährigen im "Footbonauten" aufziehen...

Rezension zum Thema:
High Tech aus dem Profifußball, Personalwirtschaft 9/2011