Dienstag, 23. November 2010

Gläserne Wohnzimmer

Ich habe schon so manches Bürogebäude von innen gesehen: Lange Flure ohne Tageslicht, lauter geschlossene Türen, hinter denen Menschen sich verstecken. Dann wieder gläserne Türme mit gläsernen Wänden, die von den Bewohnern von innen zugeklebt oder zugestellt wurden, damit man ihnen nicht auf den Schreibtisch schauen kann. Großraumbüros mit stallartigen Kammern, in die man von oben hineinschauen konnte, wenn sich auf die Zehenspitzen stellte. Großraumbüros voller Pflanzen und flexibler Stellwände, in denen ohne erkennbare Ordnung Schreibtische zusammengestellt waren. In den meisten hätte ich mir nicht vorstellen können zu arbeiten.

(c) Stefan Uhl / pixelio.de

Wenn ich nun von preisgekrönten Modellen lese, in denen hunderte von Mitarbeitern in Bürolandschaften tätig sind, die größtenteils aus Glas bestehen, von Kaffeeküchen und Sitzecken unterbrochen, mit Dachterassen und Balkonen, auf die man sich mit seinem mobilen Arbeitsplatz zurückziehen kann, dann denke ich einerseits: Wie genial - immer dort arbeiten, wo man sich gerade am wohlsten fühlt. Andererseits merke ich an mir selbst aber, wie wenig mobil ich doch selbst bin bei der Wahl des eigenen Arbeitsplatzes. Bin ich ungeeignet für moderne Bürowelten?

Noch ein interessanter Gedanke: Angeblich haben Wissenschaftler des MIT herausgefunden, dass Menschen "die persönliche Kommunikation in Erwägung ziehen, wenn der Fußweg zu ihnen unter 200 Meter liegt. Alles darüber wird per E-Mail oder Telefon erledigt."

Ich habe keine Ahnung, wie sie zu dieser Erkenntnis gelangt sind. Ich glaube, dass Menschen maximal ins Nachbarbüro gehen, vielleicht noch drei oder vier Türen weiter. Und der Gang in die Kaffeeküche, die am Ende eines Ganges von über 100m liegt, ist wohl nur etwas für Kaffee-Süchtige. Ein Facility-Manager hat aus der MIT-Erkenntnis die Schlussfolgerung gezogen, Abteilungen, die häufig miteinander zu tun haben, über mehrere Geschosse hinweg unter- und übereinander anzusiedeln.

Ich glaube, all diese Konzepte, so toll sie in der Praxis auch aussehen, haben einen grundlegenen Konstruktionsfehler: Sie wollen zu viele Menschen miteinander verbinden. Eines der gelobten Unternehmen, Voestalpine in Linz, hat einen 220 Meter langen Stahlwurm gebaut, in dem 425 Menschen arbeiten. Ich glaube, den Klotz kann man noch so wohnlich einrichten: Ein Wohnzimmer für 400 Leute wird nie ein Wohnzimmer. Vielleicht hat Gore einfach recht, wenn man dort Fabriken mit maximal 150 Mitarbeitern schafft. Für diese lässt sich dann auch der Bürobereich so gestalten, dass man die Chance auf echte Begegnungen hat.

Rezension zum Thema:
Freiheit auf der Wiese, Wirtschaftswoche 41/2010

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