Freitag, 19. November 2010

Fragen wir doch mal die Mitarbeiter

Die Geschichte habe ich schon mal erzählt (Wer braucht Mitarbeiterbefragungen): Ein Bereich wollte eine Mitarbeiterbefragung durchführen, um das Management auf Zustände aufmerksam zu machen, die bekannt waren. In einer der typischen Fallstudien im Harvard Businessmanager geht es um einen Vorstandschef, der die Hälfte des Jahresgewinns in ein wohltätiges Projekt stecken will. Aber nicht irgendein Projekt: Sein Kind leidet an einer seltenen, lebensbedrohenden Krankheit, und er will das Geld in die Erforschung dieser Krankheit stecken. Ein konstruierter Fall, sicher, aber er ist ja übertragbar auf viele schwierige Entscheidungen an der Unternehmensspitze.

Nun steht die Personalchefin vor der Frage, ob sie ihre Bedenken klar zum Ausdruck bringen soll oder welche Möglichkeiten ihr sonst bleiben. Eine Expertin rät, eine anonyme Mitarbeiterumfrage zum Thema "Soziales Engagement" zu starten, bei der die Meinung zu bisherigen Projekten, aber auch zu Initiativen zur Erforschung seltener Krankheiten erfasst wird.
Mal abgesehen von der Durchschaubarkeit der Aktion ist das ein schönes Beispiel, wie man sich vor Verantwortung drückt. Statt zur eigenen Meinung zu stehen, wird hier empfohlen, die eigenen Argumente durch die Meinung der Mitarbeiter zu untermauern. Der Trick ist hier besonders heikel: Es wird nicht empfohlen, die konkrete Entscheidung mit allen Hintergrundinformationen zur Abstimmung zu geben, sondern die eigentliche Absicht verschleiert. Da mag so mancher Mitarbeiter der Meinung sein, es könne dem Unternehmen durchaus gut stehen, in die Erforschung seltener Krankheiten zu investieren, auch wenn das mit dem Geschäft nichts zu tun hat. Dann könnte das Management beruhigt dem CEO zustimmen. Oder aber die Mehrheit ist der Meinung, man sollte lieber in Projekte Geld und Zeit stecken, die direkt etwas mit dem Unternehmen zu tun haben. Dann könnte man die eigene Skepsis verstecken und auf die Meinung der Mitarbeiter verweisen. 

Ich fürchte, so manche Mitarbeiterumfrage verfolgt solch versteckte Absichten. Oder kennen Sie Umfragen, in denen eine ganz konkrete Entscheidung zur Wahl steht, von der Art: Sollen wir fusionieren oder nicht? Sollen wir ein bestimmtes Vergütungssystem einführen oder nicht? Würde mich mal wirklich interessieren...  

Rezension zum Thema:  
Was ist wichtiger - Firma oder Familie? Harvard Businessmanager 7/2010

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