Dienstag, 9. November 2010

Taylor in der Service-Gesellschaft

Frederick Winslow Taylor gilt als der Erfinder einer Form von Arbeit, die bis heute mit Fließbandarbeit gleichgesetzt wird. Die einfache Überlegung: Wenn man Arbeitsprozesse in viele kleine Bausteine zerlegt und die Menschen dann so einsetzt, dass jeder nur einen dieser Schritte bearbeitet, dann geht alles viel schneller. Und das stimmt ja auch. Dass diese Form der Arbeit dem menschlichen Wesen nicht sonderlich entgegenkommt und zu extremer Monotonie führt, hat schon früh die Gegner auf die Barrikaden geholt.

Keine Frage, der Ansatz dürfte der Automatisierung mächtigen Auftrieb gegeben haben - einfachste Tätigkeiten können auch Maschinen den Menschen abnehmen - und tun dies heute auch. Zumindest in der westlichen Welt. Dort, wo Arbeitskräfte noch billiger als Maschinen zu haben sind, herrscht weiterhin Taylors Arbeitsform.

Ein Aspekt wird dabei immer wieder genannt: Die Trennung von Denken und Handeln. Während im Management geplant und gedacht wird, benötigt man zur Ausführung nur sehr kleine Teile des Großhirns. Praktisch, weil eine umfangreiche und teure Ausbildung überflüssig ist.

Was ich zunehmend erschreckend finde, ist die Tatsache, dass man heute den Taylorismus in Bereichen findet, die man zu seiner Zeit sicher kaum für möglich gehalten hat. Da kommt eine Bank zu der Erkenntnis, dass Mitarbeiter nicht so glücklich sind, wenn sie nur kleinste Prozessschritte bearbeiten - und das Tag für Tag. Na, das ist mal eine echte Überraschung - als ob es Taylor und die Kritik an diesem Ansatz nie gegeben hätte.

Die Zustände in vielen Call Centern sind offenbar noch dramatischer. Eingesperrt wie Legehennen werden den Agenten die Gespräche automatisch zugespielt, kaum dass das letzte Gespräch beendet ist - so wie in Chaplins Film "Moderne Zeiten" die Bauteile vorbeirasten. Wer auf's Klo muss, kann das "Band" stoppen - wobei in dem Moment die Stoppuhr läuft und die Pausenzeit abgezogen wird. Der Text, den die Agenten ins Mikrofon sprechen, wird vorgegeben - daher fällt es uns genervten Kunden, die angerufen werden, so schwer zu erkennen, ob man mit einem Menschen oder einer Maschine spricht.



Wenn man den Experten glauben darf, ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, zu dem tatsächlich Computer das Telefonieren übernehmen. Ob Taylor dann endgültig ausgedient hat, wage ich allerdings zu bezweifeln.


Rezension zum Thema:
Orientierung im Wandel geben, Personalmagazin 10/2010

1 Kommentar:

Christoph Schlachte hat gesagt…

Der Wunsch nach Kontrolle und Reglementierung des Verhaltens der Menschen ist groß. Ich frage mich, ob das direkte Ergebnisse des Menschenbildes in der Organisation sind (Misstrauenskultur) oder der Glaube das mit diesen Mitteln tatsächlich Effizienz langfristig gesteigert werden kann? Die Aus- und Nebenwirkungen dieser Maßnahmen werden leider nicht thematisiert. Das ist allerdings Aufgabe des Managements dem verantwortungsvoll nachzugehen.

Ich kenne ähnliche Auswüchse in Behörden, in denen eine große "Expertenberatung", die Geschwindigkeit der Bearbeitung von Akten mit der Stoppuhr gemessen hat. Mit dem Ergebnis, dass es keine Zeit für Mitarbeitergespräche (Führungsgespräche) und Teammeetings gibt. Nun wundert man sich über die Effekte?

Der Gedanke von Peter F. Drucker, dass wir es heute oft mit gut ausgebildeten und qualifizierten Mitarbeitern zu tun haben, die oft die Details ihrer Arbeit besser verstehen als das Management, bleibt oft aussen vor.

Auch die Ergebnisse der Vertrauensforschung. Wer engagierte Mitarbeiter möchte, die sich gerne für die Ziele des Unternehmens einsetzen, braucht eine Vertrauenskultur anstatt eine Misstrauenskultur oder einer Kultur, wo alle "Gleichgeschaltet" sind und keiner mehr mitdenkt. Anschließend stößt dem Management auf, dass die Mitarbeiter nur "Dienst nach Vorschrift machen" und investiert mehr in Kontrolle. Ein sehr ungünstiger Teufelskreis.
Siehe auch Buchbesprechung Investition Vertrauen: http://www.mwonline.de/online/literatur/1398/Investion+Vertrauen/

Christoph Schlachte
Organisationsberater & Coach DBVC