Berater sind es gewohnt, praktisch rund um die Uhr zu arbeiten, Tageszeiten spielen keine Rolle. Wenn überhaupt, dann schaltet man am Wochenende ab. Wie reagieren Berater, wenn man ihnen plötzliche einen freien Tag in der Woche "verpasst"? Einen Tag von fünf, an dem sie keine e-Mails empfangen dürfen, eine Telefonate führen und keine Anrufbeantworter abhören sollen?
Ablehnend, skeptisch, ungläubig. So berichtet der Harvard Businessmanager von einem Experiment bei der Boston Consulting Group. Dort hat man den Versuch gestartet, begleitet von Wissenschaftlern, die zunächst einige Mühe hatten, Befürchtungen zu begegnen, dass die Beratungsqualität leide, der Kunde nicht mitspiele, vor allem aber die Karriere leide.
Das Experiment wurde, mit Unterstützung der Partner, aber trotzdem durchgezogen. Vierer-Teams, in denen jeder einen kompletten Tag abschaltete, erhielten einen fünften Berater, um die Tage im Projekt konstant zu halten. Kunden wurden beruhigt, dass man den Versuch abbrechen würde, falls es zu Problemen kommen sollte. Und in regelmäßigen Teammeetings wurde über die Erfahrungen diskutiert. Witziges Zitat: "Uns einen ganzen freien Tag aufzuzwingen war so, als ob man jemandem die rechte Hand auf dem Rücken festbindet, damit er lernt, die linke zu gebrauchen..."
Zwei Dinge finde ich spannend: Zum einen mussten die Berater sich nun besser abstimmen: Wer fehlt an welchem Tag? Wer übernimmt dann seine Aufgaben? Woran arbeitet wer gerade? Aber noch wichtiger: Wie erledigen wir eigentlich unsere Arbeit? Worauf kommt es an? Mit anderen Worten: Die Kommunikation verbesserte sich, das Miteinander war ein ganz anderes als vorher. Ein schönes Beispiel dafür, wie sich Verhalten ändert, wenn man neue Spielregeln einführt.
Zum anderen musste ich schmunzeln, als ich vom zweiten Experiment las: Man verordnete Beratern einen freien Abend, an dem all die genannte Dinge tabu waren. Da waren die Widerstände ähnlich. Vor allem: Berater sind viel unterwegs und wohnen in Hotels - was sollen sie da mit einem freien Abend anfangen? Für mich unmittelbar nachvollziehbar, kenne ich gut. Nach dem Motto: Ist doch noch früh, da kann ich doch mal eben noch ein paar Mails beantworten und noch schnell einen Entwurf fertigstellen. Was ich heute Abend schaffe, muss ich morgen nicht mehr...
Offensichtlich geland es aber auch hier, die Berater zu überzeugen, sich auf den Versuch einzulassen. Und siehe da, nach einiger Zeit konnten die ach so schwer Beschäftigten auch diesen freien Abend genießen.
Wer jetzt den Kopf schüttelt und meint, wieso man denn Menschen zwingen muss, nicht zu arbeiten - schließlich könne das doch jeder für sich selbst entscheiden, der sei daran erinnert, dass es in vielen Unternehmen, gewollt oder ungewollt, eine Art "Zwang" zum überall und immerzu Arbeiten gibt. Hier wird man schräg angeschaut, wenn man sich die Freiheit nimmt, an einem Abend ab 18.00 Uhr auf keine Anfragen mehr zu reagieren und püntlich das Büro zu verlassen. Erst wenn dieses Verhalten offiziell genehmigt, ja sogar gewünscht wird, kann sich eine solche Einstellung ändern. Wie in dem Beitrag beschrieben.
Da habe ich es leichter. Als Selbstständige kann ich mir den freien Abend selbst genehmigen. Es ist einen Versuch wert - ich werde an dieser Stelle über meine Erfahrungen berichten.
Rezension zum Thema:
Weniger arbeiten - mehr leisten, Harvard Businessmanager 1/2010
Freitag, 23. Juli 2010
Erzwungene Auszeiten?
Eingestellt von Johannes um 09:25:00
Labels: Karriere, Selbstständigkeit, Unternehmenskultur
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