Sonntag, 25. Juli 2010

Die eingeschränkte Sicht der Top-Manager

Muss das Top-Management eine andere Sicht der Dinge haben als das mittlere Management oder gar "die da ganz unten"? Zweifellos. Das bringt ja schon die Aufgabe mit sich. Aber was bedeutet hier "anders"?

In der Financial Times Deutschland erfahren wir, dass Vorstände mitunter sehr gefährliche Visionen entwickeln, vom großen Wurf träumen und ihr Unternehmen in ruinöse Abenteuer stürzen. Schlussfolgerung des Autors: Die Verantwortlichen bekommen schon auf der Business Schule beigebracht, dass sie für die große Strategie verantwortlich sind, da bleibt einfach keine Zeit für das operative Geschäft - sprich: die harte Realität.

Was mich immer wieder erstaunt: Irgendwann hat doch jeder mal "unten" angefangen - werden diese Erfahrungen später völlig ausgeblendet? Ist offensichtlich so, das nennt man wohl "Dissonanzreduktion". Ein schönes Beispiel dafür findet sich im Harvard Businessmanager: Hier wurden Vorstände, Geschäftsleitungen, Personalmanager und mittlere Manager zum Thema "Unternehmenskultur" befragt, und siehe da: Die Antworten unterschieden sich durchaus, je nachdem welche Position die Befragten innehaben.

Unter anderem wurde gefragt, ob die eingesetzten Führungsinstrumente zur Unternehmenskultur passen. 73% der Top-Manager waren dieser Meinung, bei den Personalern waren es nur noch 53%, die Führungskräfte der mittleren Ebene hingegen waren nur noch zu 39% dieser Meinung.

Erstaunlich ist hier, dass es offensichtlich durchaus Vorstände gibt, die das eigene System als unpassend erleben. Ansonsten wundert das Ergebnis kaum, denn was soll ein Top-Manager auch anders antworten, wenn er selbst ein solches Instrument eingeführt hat?

Die Rolle des Personalers

Der Personaler hat es da schon schwerer: Er wird in der Regel die Einführung begleitet oder sogar initiiert haben. Nun festzustellen, es passt aber nicht ins Unternehmen, muss weh tun. Andererseits kann er immer noch argumentieren, dass er die Zielvereinbarungen, wie sie letztlich umgesetzt werden, unpassend findet, und für die Anwendung ist er schließlich nicht zuständig. Hier wird er das Top-Management in der Verantwortung sehen.

Am einfachsten hat es hier das Mittelmanagement. Dieses hat ein Instrument wie die Zielvereinbarungen auf's Auge gedrückt bekommen und hat daher kein Problem damit, es als unvereinbar mit der Unternehmenskultur zu bezeichnen.

Ein kritisches Ergebnis? Sicher, zumal man getrost davon ausgehen kann, dass etwas Ähnliches bei vielen anderen Fragen herauskommen würde. Was müsste sich ändern?

Es ist so einfach: Miteinander reden. Würde sich das Top-Management anhören, wie es um die Einstellung auf den unteren Ebenen bestellt ist, könnte es eine durchaus differenzierte Sicht der Dinge bekommen. Aber dafür hat es in der Regel keine Zeit - es muss sich ja um die Vision kümmern.

Eine Alternative wäre, wenn die Personalmanager korrigierend eingreifen würden. Offensichtlich haben sie das Ohr näher am Geschehen, nur müssten sie die (schlechten) Nachrichten auch weiterleiten. Ein unangenehmer Job, aber eigentlich genau der richtige für Personaler, oder?

Da fällt mir ein Erlebnis aus vergangenen Tagen ein. In einem Konzern wurde ein Zielvereinbarungssystem eingeführt, der Personalchef trat vor einen Kreis ausgewählter Führungskräfte und erläuterte das neue Vorgehen. Er durfte sich eine Menge kritischer Anmerkungen anhören, die schließlich vom anwesenden Vorstandsmitglied mit wenigen Worten vom Tisch gewischt wurden nach dem Motto: "Jedes neue Verfahren wird erst einmal abgelehnt. Man muss ihm auch eine Chance geben!"

Auf dem Weg aus dem Konferenzsaal hörte ich, wie der Personalleiter zu einem Kollegen sagte: "Kein Wunder, dass sich alle aufregen. Das ist ja auch kein gutes System und wird uns eine Menge Ärger machen!" Ich konnte mir nicht verkneifen zu bemerken: "Schon blöd, wenn man etwas verkünden muss, hinter dem man selbst nicht steht...", worauf ich verdutzte Blicke erntete.

Rezension zum Thema:
Vorsicht, der Chef hat Visionen, Financial Times Deutschland 16.6.2010
Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor, Harvard Businessmanager 1/2010

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