Dienstag, 8. Dezember 2009

Verhandlungstipps - irgendwie paradox

Vielleicht fehlt mir einfach das "Verhandlungs-Gen" - auf jeden Fall habe ich Verständnisprobleme, wenn ich Bücher oder Artikel zum Thema "Verhandeln" lese. Mal abgesehen davon, dass mir nach dem "Harvard-Konzept" nicht mehr wirklich Neues begegnet ist, kann ich mit den meisten Ratgebern nichts anfangen. Immer wieder erhalte ich den weisen Rat, dass ich beim Verhandeln stets den Nutzen für beide Seiten im Blick haben sollte, und dass es zumindest für eine langfristige Beziehung zum anderen kontraproduktiv ist, wenn man "gewinnt". Also stets eine "Win-Win-Lösung" anstreben. So weit kann ich ja noch folgen.

Was aber ist dann von den unzähligen "Verhandlungstaktiken" zu halten, die uns immer wieder empfohlen werden? Z.B. "Fordern Sie deutlich mehr, als Sie tatsächlich erreichen wollen, um den Verhandlungspartner von seinem Ziel abzubringen." Das nennt sich "Der große Biss" und erinnert an den sprichwörtlichen türkischen Basar. Oder "der Gute und der Böse" - wenn man zu zweit ist, kann der eine ständig mit Abbruch drohen, während der andere beschwichtigt und scheinbar vermittelt (auch aus Polizeifilmen bekannt). Auch ein beliebter Tipp: Dem anderen ein "Gefühl geben". Z.B. dass er gewonnen hat.

Paradoxe Botschaften

Noch mehr Beispiele? "Erhöhen Sie die eigene Glaubwürdigkeit, indem Sie Argumente gegen die eigenen Interessen vorbringen." Oder: "Stellen Sie Gemeinsamkeiten heraus, auch wenn sie für die Verhandlung irrelevant sind. So schaffen Sie Vertrautheit und Wir-Gefühl."

Diesen "Ratschlägen" schließen sich dann immer Hinweise an, welche Gefahren solche Taktiken bergen. Dass sie durchschaut werden z.B. Noch besser: Gleichzeitig werden Tipps gegeben, wie man diesen Taktiken begegnet, wenn der andere sie anwendet.

Und die Krönung ist dann dieser Rat: "Setzen Sie die Taktiken immer nur mit dem Ziel einer Win-Win-Lösung ein!" Hallo? Welche Botschaft ist das denn? "Wir zeigen Ihnen alle Tricks und wie Sie diese einsetzen können. Aber wundern Sie sich nicht, wenn Sie erwischt werden. Und beschweren Sie sich nachher nicht bei uns, wir haben Sie gewarnt."

Erinnert mich an Fußballtrainer, die ihren Spielern empfehlen, dem Gegner freundschaftlich in die Knochen zu treten, aber so, dass er nicht merkt, dass es Absicht ist und sich beim nächsten Mal revanchiert.

Ich könnte ja noch verstehen, wenn Ratgeber sich ganz darauf konzentrieren, wie man diesen Tricks begegnet. Aber sie gleichzeitig zu empfehlen und von ihnen abzuraten? Irgendwie mies, oder ich verstehe es einfach nicht...

Rezensionen zum Thema:
Hepper, Astrid / Schmidt, Michael: Verhandlungstechniken - Ein Hörbuch
Trau, schau, wem, Wirtschaftswoche 44/2009

9 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ja, das haben sie nicht verstanden. "Win-Win" in solchen Zusammenhängen heißt doch nicht, dass tatsächlich beide gewinnen. (Und sowieso schon mal nicht gleich viel ...) Sondern es heißt: "Geben Sie dem Verhandlungsgegner, ähm -Partner das Gefühl, er habe mehr gewonnen als Sie (und natürlich, er habe gleichzeitig Ihnen das Gefühl gegeben, gewonnen zu haben). Aber natürlich soll das ein Gefühl bleiben und nicht faktisch so sein!

Unsere gesamte etablierte Wirtschaftswissenschaft basiert doch auf dem "Ich will mehr"-Prinzip. Das muss man doch nicht andauernd betonen, besonders nicht, wenn man Bücher verkaufen kann, die dem Leser das Gefühl geben, er hätte dabei was gewonnen ... capiche?

Johannes hat gesagt…

Ach sooooo ist das.... :-)

Christoph Schlachte hat gesagt…

In Workshops zu Verhandlungen erlebe ich auch immer wieder den Wunsch von Auftraggebern und Teilnehmern zu erfahren, was sind "dirty tricks", wie begegne ich diesen wirkungsvoll.
Gleichzeitig gibt es das Verlangen nach dem "alleinigen" Wissen über Verhandlungsmacht: Wie bekomme ich meine Ergebnisse so durch, dass die andere Partei nichts dagegen machen kann?
Viele Bücher & Seminare & Unternehmensberater bieten den Nachfragenden doch "die Methode" in immer neuen Beschreibungen und Methoden an. Funktioniert es nicht, dann geht es zum nächsten Anbieter. Der Markt für "die Methode" wird auch weiter gut bleiben so meine Prognose. Nachdenken

Bei Verhandlungen hat das aus meiner Sicht sehr viel mit der Unternehmenskultur zu tun. Wie sehen die "Chefs" Verhandlungen (hart, muss man kämpfen, nicht unterbuttern lassen, klug eine stimmiges Ergebnis für beide erarbeiten, ...)? Welche "Geschichten" gibt es dazu im Unternehmen?

Habe ich eine "Macher Kultur, die herausfordernde Ziele realisiert" in meinem Unternehmen dann ist es aus meiner Sicht eher weniger möglich für Mitglieder dieser Organisation aktiv mit dem "Harvard Modell" in Verhandlungen zu gehen.

Für Verhandlungs-Workshops, die das Unternehmen weiterbringen, macht es viel Sinn, erst mal die Unternehmens-Kultur im Zusammenhang mit Verhandeln zu verstehen.

Viele Grüße, Christoph Schlachte

Johannes hat gesagt…

Hallo Herr Schlachte,
ein guter Punkt, den Sie da einbringen: Verhandlungsstrategien und -verhalten in Zusammenhang mit der Unternehmenskultur diskutieren. Und das mit Geschichten zu belegen. Gefällt mir...

Heiko van Eckert hat gesagt…

Hallo Herr Thönneßen,

ich habe in meinem Blog gerade gestern auf einen intzeressante Artikel zu diesem Thema verwiesen:
Hier mein Blog: http://blog.salegro.de/2009/12/09/win-win-in-business-negotiations/
Und hier gleich zum englischen Artikel des Kollegen: http://ultimatesalesexecresource.blogspot.com/2009/12/what-is-wrong-with-win-win-negotiation.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+TheUltimateSalesExecutiveResource+%28The+Ultimate+Sales+Executive+Resource%29

Erklärt so manches, oder?
Liebe Grüße
Heiko van Eckert
Verhandlungscoach

Charlotte Venema hat gesagt…

Da im Moment die Zeiten etwas härter werden, sind auch die möglichen Umgangsformen und Methoden in Verhandlungen "variantenreicher". Das erklärt den Boom der Verhandlungsratgeber. Ich kann nur empfehlen, sich mit den Methoden der Profis zu beschäftigen, die von Verhandlungen leben. Es gibt zur Zeit kaum eine wichtige geschäftliche (insbesondere internationale) Verhandlung, die nicht von Profis begleitet und vorbereitet wird. In der Regel nicht offen, sondern im Hintergrund. Viele Methoden stammen ursprünglich aus der Erfahrung von Verhandlungsführern der Polizei. Hier kommt alles vor - win-win-Strategien, Harvard, die gezielte Eskalation, Körpersprache, die Kenntnis von Dominanzritualen usw. Vor allem Dingen aber die Empfehlung, mit Realitätssinn die eigenen Methoden zu wählen. Die eigene Unternehmenskultur mit ihren Erwartungen einzubeziehen ist schon mal eine sehr gute Idee. Ein guter Verhandlungsführer auf der Gegenseite hat sich darüber bereits informiert, bevor Sie am Tisch sitzen. Ein paar Artikel dazu finden Sie im Heft 1/2009 der Weiterbildung unter dem schönen Stichwort "Ghost Negotiation". So heißt dieser neue Geschäftszweig.

Johannes hat gesagt…

Ich finde die Geschichte mit den "Profi-Verhandlern" (Ghost-Negotiators) schräg. Und dieses Lernen von "Polizei-Verhandlungen" führt meines Erachtens in die falsche Richtung.
Bei Entführungen wird mir eine Verhandlung aufgezwungen. Da geht es um Leben von Menschen und für beide Seiten ist klar, dass es auf jeden Fall zu einem Ergebnis kommt - im Extrem zu einem blutigen. Da sind für mich auch alle Mittel erlaubt, und niemand ist an einer langfristigen Beziehung zu den Entführern interessiert.

Aber Geschäftsverhandlungen sind durchaus denkbar unter dem Vorzeichen, dass beide Seiten etwas "gewinnen" können. Und dass der Gewinn des einen nicht unbedingt zu einem Verlust des anderen führt.
Naiv gedacht? Vermutlich. Und wenn die eine Seite einen "Ghost-Negotiator" beschäftigt, dann muss die andere nachziehen. Hoffentlich wird die Sache irgendwann den Beteiligten einfach zu teuer...

Charlotte Venema hat gesagt…

Wieso glauben Sie denn, dass die Einbeziehung eines Profis gegen Win-Win spricht? Das Vertrauen für Win-Win muss erst entstehen - dafür ist Naivität kontraproduktiv. Die Aufgabe der Profis ist eher, aus einer Blockade zu einer Lösung zu kommen. Welcher Weg gegangen wird, ist dabei völlig offen.

Ich wollte darauf hinweisen, dass Verhandlungen und ihre Umgangsformen sehr stark kontextabhängig sind. Sie verändern sich mit dem gesellschaftlichen Klima. Es ist sinnvoller, prinzipiell mit der ganzen Bandbreite menschlicher Verhaltensweisen zu rechnen. Also beschäftige ich mich lieber mit den Profis als mit Trainern, die Harvard in ein Seminar umsetzen.
Und bitte die Polizeitaktiken nicht nach der Lektüre von Kriminalromane beurteilen.
Die Lektüre lohnt sich, nicht zuletzt, weil es unglaublich ist, welche Situationen positiv gedreht werden könne. Dass jetzt auch die Hirnforschung entdeckt hat, dass Menschen gerne gewinnen, finde ich dagegen wenig aufschlußreich.

Roland Kopp-Wichmann hat gesagt…

In meinem letzten Blogbeitrag habe ich mich auch mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Harvard vs. Polizei-Verhandlungen beschäftigt: http://3.ly/w7Xw