Mittwoch, 2. Dezember 2009

Doc around the clock

Wie oft läuft der Deutsche im Durchschnitt pro Jahr zum Arzt? Ca. 18 mal. Das ist rekordverdächtig (der Schwede geht 2,8 mal im Jahr zum Medizinmann). Und in der Schweiz könnte die Zahl weiter sinken, denn dort experimentiert man seit geraumer Zeit mit dem medizinischen Rat per Telefon. Schon jetzt haben 30% aller Schweizer Zugang zu dem kostenlosen Service. Verrückt? Ganz und gar nicht.

Am anderen Ende der Leitung sitzen ausgebildete Fachärzte, und die tun etwas, das man im Grunde jedem Arzt empfehlen sollte: Fragen und zuhören. Im Durchschnitt dauert ein solches Gespräch 15 Minuten, während der Arztbesuch häufig nach 8 Minuten beendet ist. Kein Wunder, denn der deutsche Mediziner schleust im Schnitt 38 Patienten pro Tag durch seine Praxis.

Aber kann man am Telefon wirklich helfen? Man kann. Ein Drittel möchte nur eine zweite Meinung einholen, ein Drittel möchte wissen, ob man sich selbst helfen kann. Und ein Drittel wird zum richtigen Facharzt oder an eine Klinik verwiesen. Je spezifischer die Beschreibung der Symptome, umso eher kann der telefonische Ratgeber helfen. Und das rund um die Uhr und praktisch ohne Wartezeit.

In Deutschland trifft das Modell auf wenig Gegenliebe. Bei den Berufsverbänden, versteht sich. Da herrscht ein Dogma, und das lautet: Ein Arzt muss seinem Patienten persönlich gegenüber sitzen, um ihm helfen zu können. Aha. So wie bei dem Fall, den mir ein befreundeter Facharzt erzählte. Ihm hatte nämlich ein Kollege einen Patienten überwiesen mit Verdacht auf Blinddarmentzündung. Als er diesen Patienten nun untersuchte, fand er an einer verdächtigen Stelle eine Narbe vor. Die Frage, ob er am Blinddarm bereits operiert worden sei, bejahte der Patient. Real-Satire. Jede Wette, dass bei einer telefonischen Diagnose dieser Gang zum Arzt verhindert worden wäre.

Übrigens: Wer glaubt, dass mit diesem Modell viel Geld gespart wird, der wird in dem Beitrag der brand eins enttäuscht. Es werden immer noch genug Patienten ins Krankenhaus geschickt, und der Service kostet die Krankenkassen natürlich auch einiges. Aber dem einzelnen Patienten wird so manche Stunde in hässlichen Wartezimmern erspart, die Qualität der Behandlung steigt (wenn der Arzt vor Ort sich die gewonnene Zeit nimmt) und man könnte dem drohenden Ärztemangel ein gutes Stück begegnen. Wenn da nicht das Dogma wäre...

Rezension zum Thema:
In Rufweite, Brand eins 11/2009

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