Freitag, 7. November 2008

Teil 1: Assessment Center zur Personalauswahl

Die Diskussion um das Assessment Center ist in vollem Gang, schön, dass in diesem Blog mal Meinungen ausgetauscht werden. Einer der ersten Kommentatoren fragte mich nach Alternativen zum AC. Nun denn...

Zunächst möchte ich unterscheiden, ob es um die Auswahl von externen Bewerbern geht oder um die interne Entwicklung von Kandidaten. In beiden Fällen werden ACs eingesetzt, in diesem Beitrag möchte ich auf das Auswahl AC und seine Alternativen eingehen. Teil 2 folgt später.

Was weiß ein Arbeitgeber, der einen neuen Mitarbeiter einstellen will? Wenig, wenn er keine Referenzen einholt. Er hat die Bewerbungsunterlagen, das wars. Dass der Einsatz eines ACs hier verlockend ist, verstehe ich. Dann kann man neben dem - hoffentlich gut geführten - Einstellungsinterview den Kandidaten beim Agieren zuschauen, sie sozusagen Probehandeln lassen. So wie Fußballvereine neue Spieler zum Probetraining bestellen.

Das, was man dort beobachtet, ist allerdings vor allem erst mal nur eines: Die Fähigkeit von Menschen, in einer künstlichen Situation das Verhalten zu zeigen, was von ihnen erwartet wird - oder besser: von dem sie glauben, dass es von ihnen erwartet ist.

Muss ja nicht verkehrt sein: Jemand, der im Rollenspiel seinen "gespielten" Kunden höflich so lange bequatscht, bis er etwas kauft, hat gezeigt, dass er dieses Verhalten zeigen kann. Ob er es in der realen Situation dann auch tut, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass er auch in anderer Umgebung das Verhalten reproduziert, ist höher als bei einem Konkurrenten, der es im AC eben nicht gezeigt hat. Er mag es zwar auch können, aber wir wissen es nicht.
Das spricht also für ein Auswahl AC. Und was spricht dagegen?

Warum das AC nicht die beste Alternative ist

1. Die meisten Beobachter sind nicht in der Lage, differenziert zu beobachten und Kriterien auseinander zu halten - und sage mir keiner, er würde die Beobachter intensiv schulen. Würde er das tun, wäre der Aufwand so immens, dass das ganze Verfahren völlig unwirtschaftlich wäre. Bleibt die Beobachtung durch Experten (die selten im Unternehmen "vorrätig" sind). Wer sich das erlauben kann und damit zum eigenen Eindruck (z.B. aus dem Einstellungsinterview) eine zweite Meinung einholt, warum nicht? Nur besteht dann die Gefahr, dass man die Entscheidung delegiert und beim Scheitern immer auf die Fachleute zeigen kann.

2. ACs sind etwas für Wettkampftypen. Es gibt Kandidaten, die sich in der Konkurrenzsituation wohl fühlen und Spaß daran haben, sich zu behaupten und durchzusetzen. Wenn ich genau solche Personen suche, halte ich das Verfahren sogar für sehr geeignet - auf in den Ring, der Stärkste möge gewinnen. Die anderen aber fühlen sich unwohl, gezwungen, sich zu produzieren, sich darzustellen, zu kämpfen. Wer gut ist und die Wahl hat, wird sich diesem Verfahren nicht stellen und zu einem anderen Untenehmen gehen.

3. Der Aufwand ist zu hoch: X hochbezahlte Beobachter sitzen ihre Zeit ab und beobachten jeden Kandidaten jeweils wenige Minuten beim Verhalten - egal, wie gut man so etwas organisiert. Rechnen Sie einfach mal nach...
Warum sie dennoch immer wieder durchgeführt werden? Der hohe Aufwand suggeriert: Wir haben alles getan, um den besten Kandidaten zu entdecken, mehr geht nicht. Kritisieren Sie mal vor Beobachtern, die sich so viel Mühe geben, das Verfahren - damit kritisieren Sie auch deren Aufwand und Einsatz. Wer lässt sich schon gerne sagen: Nett gemeint, aber wenig sinnvoll.

4. Die Entscheidung treffen selten diejenigen, die am Ende mit dem Auserwählten zusammen arbeiten. Oder kennen Sie ACs, in denen zukünftige Kollegen und Mitarbeiter als Beobachter sitzen? Das nährt den Verdacht, dass es sich beim Beobachterspiel um eine Art Machtdemonstration handelt: AC Beobachter zu sein ist ein Privileg, das man sich verdienen muss.

Die Alternativen

Trotz aller Vorbehalte - Kandidaten in eine Situation zu bringen, in denen sie sich verhalten müssen, ist ein guter Ansatz. Aber muss man sie dafür auf einer Bühne gegeneinander antreten lassen? Warum lädt man sie nicht ein, den Tag im Unternehmen zu verbringen, mit zukünftigen Chefs und Kollegen zu sprechen, diese zu befragen und deren Fragen zu beantworten und das Unternehmen kennen zu lernen? Glauben sie mir - ein härterer Test als der, sich den zukünftigen Kollegen zu stellen, ist das AC sicher nicht. Nur haben sie anschließend ein Meinungsbild vieler. Mit einem entscheidenden Vorteil: Wer ja sagt zu dem Neuen, der wird ihn nachher auch entsprechend unterstützen und dafür sorgen, dass er integriert wird und "funktioniert".

Womit wir bei einem weiteren Nachteil des ACs sind: Wenn der Kandidat nachher nicht die Erwartungen erfüllt, wer wird dann wohl versagt haben: Die Top-Manager, die gleich zu mehreren den Betreffenden einer peniblen Prüfung unterzogen haben oder sein Vorgesetzter, der ihn einarbeitet? Und wird dieser in der Probezeit den Mut haben zu sagen: "Liebe hochqualifizierte und gestandene Managerkollegen, da habt Ihr kräftig daneben gelegen?"
Also sagt er am Ende der Probezeit lieber: "Das wird schon irgendwie!"

Mein Fazit: Ein Einstellungsinterview, das sich auf das Verhalten, die Erfolge und Misserfolge des Kandidaten in der Vergangenheit konzentriert und dann - absolut zulässig - aus dem vergangenen auf zukünftiges Verhalten schließt, verbunden mit einem "Schnuppertag" (so gelesen in der Ausgabe 6/2008 Seite 98 des Personalmagazin, praktiziert von der Firma IKB Leasing GmbH) halte ich für die weitaus tauglichere Alternative. Mal abgesehen davon, dass man die Probezeit viel mehr nutzen sollte, um sich der Entscheidung auch wirklich sicher zu sein, was leider selten geschieht.

Teil 2, das AC als Personalentwicklungsmaßnahme, folgt in Kürze.

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Einverstanden. In meiner Zeit als Personalleiter habe ich "Schnuppertag" und bewusste Nutzung der Probezeit bereits vor Jahren erfolgreich als Instrumente genutzt.

Dies schließt doch ACs als EINES der Vorauswahlinstrumente nicht aus, oder?

Entscheidend ist der Mix der Instrumente und dass man sich der Grenzen der einzelnen Instrumente bewusst ist. So ist zum Beispiel einer der wichtigen Nachteile von ACs, dass Fleiß nicht beoabachtet werden kann.

Johannes hat gesagt…

Hallo Armin, klar kann man beides machen - meine Behauptung war aber, dass es Möglichkeiten mit weniger Aufwand gibt. Wer sogar noch mehr Aufwand auf sich nehmen möchte, kann auch noch Management Audits in Auftrag geben, Arbeitsproben verlangen, Tests anwenden usw.
Alle Instrumente haben ihre Grenzen - und ihre Nebenwirkungen.
Meine Haltung ist, dass ein AC nach wie vor bei großem Aufwand den geringsten Nutzen und erhebliche Nebenwirkungen hat. Letztere treten vor allem beim "Entwicklungs-AC" auf. Dazu später mehr...

Herzliche Grüße
Johannes Thönneßen

Anonym hat gesagt…

Ich habe ein Problem damit, ACs grundsätzlich als Option auszuschließen.
Da die Anforderungen immer auf Konstruktionen basieren werden, ist jedes Instrument angreifbar.
Weniger aufwändige Verfahren laufen immer Gefahr, zu pseudo-objektiven Ergebnissen zu führen. Man beachte nur den haarsträubenden Test-Markt.
Ein Vorteil, den ich - trotz aller berechtigter Kritik - bei ACs sehe, ist der der Multi-Subjektivität. 5 gefühlte (intuitive) Meinungen können nicht völlig daneben liegen. Ein angreifbarer Punkt, ich weiß.

Johannes hat gesagt…

Volle Zustimmung: Ein gutes Verfahren sollte diese "Multi-Subjektivität" garantieren. Die Kandidaten von möglichst vielen Menschen im Unternehmen "beschnuppern" zu lassen und dann deren subjektive Meinung gezielt einholen - das ist mein Favorit.
Scheitert aber in der Regel an der Angst der Manager und Personaler, damit ein Stück ihrer "Macht" abgeben zu müssen, während sie diese im AC ungehemmt demonstrieren dürfen.
Herzliche Grüße
Johannes Thönneßen

Anonym hat gesagt…

Danke, dass Sie sich trauen, Klartext zum AC zu reden. (deshalb Link von http://www.arbeitsratgeber.com/assessment_0029.html) Die angesprochenen Kritikpunkte halte ich für äußerst wichtig. Auf einem AC habe ich mal zusammengerechnet, was die Führungskräfte wohl kosten dürften und mich gefragt, wie lange es dauert, dass diese Kosten vom ausgewählten Kandidaten eingespielt werden. In meinen Augen führt die Probezeit ein reines Schattendasein dabei hat man 6 Monate Zeit, um den Kandidaten auf Herz und Nieren zu überprüfen. V.a. um zu sehen, ob mehr rauskommt als man reinsteckt und das ohne Zusatzkosten.

Anonym hat gesagt…

Hallo, ich stimme den Grundthesen voll und ganz zu. Die Kosten für AC's stehen in keinem Verhältnis zu dem Aufwand. AC's sind nicht Garanten für den idealen Kandidaten. Als Personalverantwortlicher habe ich oft genug erlebt, dass trotz höchstem Aufwand in der Einstellungsphase die neuen Mitarbeiter nicht integriert wurden oder sich nicht integrieren konnten und das Unternehmen nach einigen Monaten wieder verliessen. Assessoren lassen sich trotz Schulung immer wieder von nicht-objektiven Faktoren leiten und wenn die Kandidatin eben besser aussieht als die Mitwettbewerber, dann wird sie auch ausgewählt. Da kann man sich den Mund fusselig reden über die Ausschaltung von subjektiven Wahrnehmungsfallen, das hilft alles nichts. Nicht selten habe ich zudem AC's als Leitungsshows erlebt, wo sich die Führungskräfte gegenseitig auf die Schultern klopfen, was für tolle Kerle sie doch sind. Und dann gaben sie sich weiterhin der Illusion hin, dass sie aufgrund ihrer Funktion auch befähigt sind, über andere Menschen zu urteilen. Oft ist es für manche Führungskräfte auch nur eine Auszeit, um im Hotel bei leckerem Essen dem beruflichen Stress zu entfliehen. Viele Grüße Detlef