Freitag, 14. Mai 2010

In Häppchen lernen

Auch wenn sich so einiges in mir dagegen sträubt - ich fürchte, an dem herbeigeschriebenen Trend zum Lernen in Häppchen ist etwas dran. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, in denen wir fünf Tage am Stück mit Führungskräften in einem Seminarhotel verbracht und Planspiele organisiert haben, in denen jeder der Teilnehmer einmal in die Rolle des Vorgesetzten geschlüpft ist, mit seiner Gruppe an einem Auftrag gearbeitet hat, jede Menge Störungen bewältigen musste und am Ende ausführlich Feedback bekam.
Irgendwann wurde die Veranstaltung auf drei Tage reduziert, die einzelnen Phasen wurden gekürzt, das Feedback gestrafft.

Der Trend geht angeblich zu Halbtagesveranstaltungen, oder noch besser zu zweistündigen Abendseminaren. Da werden kurze Inputs geliefert, für eine Fallstudie und ein Rollenspiel reicht die Zeit auch noch. Fortsetzung folgt, dazwischen wird am Arbeitsplatz gelernt. Wenn es die Zeit zulässt. Und natürlich gibt es dafür auch einen Begriff: "Blended-Workflow-Learning".

Ist das die "moderne" Weiterbildung? Auch wenn ich jetzt wieder den Beratern auf die Füße trete: Das ist doch alles andere als neu. Noch nie haben Menschen nur auf dem Seminar gelernt. Genauso wenig, wie Schüler nur in der Schule lernen. Schon immer musste das Wissen "zwischendurch" erworben werden, außerhalb der institutionalisierten "Lernmodule". Und dass man sich in Arbeitsgruppen zusammenschließt, um das neue Wissen aufzuarbeiten und zu rekapitulieren, kennen wir auch alle aus Studentenzeiten. Neu ist höchstens, dass wir heute weniger aus Büchern lernen, nicht mehr in den Copy-Shop rennen müssen, und dass wir die Arbeitsgruppe per Videokonferenz oder per Chat unterstützen - vielleicht. Und dass wir keine Mitschriften bei Vorlesungen mehr anfertigen müssen, sondern die letzte Vorlesung mit Hilfe von iTunes aus dem Internet herunterladen.

Und was ist mit der Verkürzung der "Präsenzphasen"? Das scheint in der Tat etwas Neues zu sein, wobei dies weniger der Erkenntnis entspringt, dass mehrtätige Seminare nichts bringen. Es dürfte mehr damit zu tun haben, dass kaum noch jemand Mitarbeiter länger als einen Tag entbehren kann und will. Wenn nun Anbieter daherkommen und den gleichen Nutzen mit anderthalb-stündigen Abendseminaren versprechen, dann hat es der Personalentwickler schwer, dagegen zu halten.

Trainingshappen statt Trainingslager?

Da bietet sich mal wieder der Vergleich zum Sport an. Der Trainer der Nationalmannschaft kommt zum DFB-Vorstand und sagt, er möchte ein Trainingslager abhalten. Nix da, sagt der Vorstand, zu teuer, zu aufwändig, das muss billiger gehen. Also hält er kurze Impulsvorträge, zeigt Videoschnipsel, wie man denn richtig flankt und gibt Hausaufgaben auf. Beim nächsten Kurz-Training lässt er zwei Spieler demonstrieren, ob sie die Bananenflanke beherrschen und verteilt die nächste Aufgabe.

Im Ernst: Ich glaube natürlich auch an das "Training am Arbeitsplatz". Auch in Zukunft werden wir vor allem dann lernen, wenn wir Neues ausprobieren und anwenden. Aber schon bald werden die Berater kommen und als super-neuen Trend der Weiterbildung mehrtägige "Trainingslager" anpreisen, in denen sich Menschen weitab vom Alltag mit voller Konzentration einem Thema widmen können. Und sie werden uns genau vorrechnen, wie viel günstiger das für ein Unternehmen wird, als ständig den Arbeitsprozess zu unterbrechen und "Lernhäppchen" absolvieren zu lassen. Jede Wette...

Rezension zum Thema:
Seminartrends 2010, wirtschaft + weiterbildung 3/2010

7 Kommentare:

Roland Kopp-Wichmann hat gesagt…

Gut prophezeit, Herr Thönneßen!
Genauso wie es bei Jacken und Hosen Moden gibt, findet man die bei den Managementlehren - und immer häufiger jetzt auch in der Weiterbildung.

Es muss halt was Neues her, was die entsprechenden Zeitschriften füllt. Ob es sinnvoll ist oder nicht, spielt keine Rolle, denn gute Argumente lassen sich immer finden.

Deshalb hier mein neuer Vorschlag zur Arbeitseffizienz: Weg mit dem zweiwöchigen Urlaub! Ab jetzt werden in fortschrittlichen Unternehmen nur noch zweitägige Kurzurlaube erlaubt. Begründung: das Wochenende ist auch nur so kurz und eine längere Abwesenheit des Mitarbeiters kostet zu viel.

Fehlt nur noch ein zündender Name. Müsste aber englisch sein. Jemand eine Idee?

Anonym hat gesagt…

Guten Tag,

sind es nicht "wir" die Berater, die es nicht so gerne sehen, dass dieser Trend uns die Butter vom Brot nimmt? Ich selbst befürworte diese Entwicklung. Gerade aus systemischer Sicht geht es darum die richtige, möglichst knappe Intervention zu setzen. Tendenz: homöopathische Menge, und dann das "System", die Menschen etc. dieses weiter verarbeiten zu lassen.

Wenn ich für Seminare angefragt werde, empfehle ich immer häufiger (ein-mehrmalige) Halbtagsveranstaltungen, evtl. mit 4-wöchiger Pause zwischendrin, um die Teilnehmer das Gehörte/Gelernte ausprobieren zu lassen. Das kommt gut an, bei Auftraggeber und Teilnehmern. und ich bekomme so ganz natürlich ein schnelles Feed Back und kann in der Folgeveranstaltung nacharbeiten.

Dagmar Wiegel

Karsten Gärtner hat gesagt…

Herr Thönneßen, Sie sind ein Seher,

An Wochenseminare kann ich mich kaum noch erinnern und den beschriebenen Trend erlebe ich in der eigenen Arbeit aktuell mit.
Veranstaltungen über 3 Tage werden selten; 2 Tage sind der neue Standard.
Das Angebot an Abendveranstaltung und Webinaren ist inflationär.
Was tun?
Auftraggeber unterliegen den von Ihnen beschriebenen "Zwängen". Oder ist das nur konstruiert?



Von Max Frisch soll der Satz stammen "jeder Mensch erfindet sich früher oder später ein Geschichte, die er für sein Leben hält"

In diesem Sinne konstruieren wir alle unser Leben, unsere Arbeitswelt.
Das aktuelle Kapitel zumindest trägt die Überschrift "Keine Zeit, wir müssen arbeiten".

Ich denke dabei gern an die Stephen R. Covey zugeschriebene Metapher vom Säge schärfen ...

Gut möglich, dass bald ein Kapitel folgt, in dem alte Lernformen wie Wochenseminare wieder neu belebt werden.

Bis dahin werden wir uns aber in neuen Lernformen üben (müssen) und sicher viele positive Elemente kennenlernen.
Die Virtualisierung von Lernen ist ebenso wenig aufzuhalten wie Ebbe und Flut (um Joschka Fischer's Satz zur Globalisierung ein wenig zuverbiegen)

Mein Angebot als Trainer und Coach richte ich entsprechend aus. Im Ergebnis möchte ich, daß meine Teilnehmer "die Säge schärfen".

Im Zweifel auch im Webinar, in einer Abendveranstaltung oder meinetwegen beim Laufen.




Bitte bleiben Sie journalistisch am Ball. Ich freue mich auf Ihre nächsten Artikel.

Kollegialen Gruß - virtuell

Karsten Gärtner

Johannes hat gesagt…

Hallo zusammen,

ich bin keineswegs gegen kurze "Lehreinheiten" und persönlich mag ich auch solche "Inputs". Nur glaube ich nicht, dass man nun jegliches Lernen in dieser Form "abwickeln" kann.

Wenn ich neue Fähigkeiten erwerben will, muss ich vor allem "trainieren". Sportler trainieren mehrmals täglich in kurzen Einheiten, bis eine neue Bewegung sitzt und angewendet werden kann. Sie fahren aber auch in mehrtägige Trainingslager, um sich auf neue Herausforderungen einzustellen.
Ich finde es daher falsch, nun bei jedem Thema auf den Zug aufzuspringen nach dem Motto: "Kunde, wenn du Abendseminare wünschst, dann trainiere ich deine Führungskräfte eben auch in Abendkursen." Dass der Kunde dann irgendwann sagt: "Warum soll ich noch mehrtätige Seminare einkaufen, wenn es doch offensichtlich auch anders geht?" ist ja nachvollziehbar.

Es sind diese sogenannten Trends, die mich einfach nerven...

In diesem Sinne allen viel Erfolg, ganz gleich, welche "Produkte" Sie anbieten. :-)

Christoph Schlachte hat gesagt…

Hallo Herr Thönneßen,

ja das ist wohl ein Trend auch in Weiterbildungen: Zeitmangel und/oder die Fähigkeit oder Luxus sich mehrere Tage mit einem Thema konzentriert beschäftigen zu können.

Da gefällt mir mein Angebot des "Coaching on the Job". Das gibt es mehr Nachfrage und das ist mir sehr recht.

Herzliche Grüße, Christoph Schlachte

Dagmar Wiegel hat gesagt…

Nun nochmal ein Kommentar von mir:

Möglicherweise habe ich zu wenig mit "typischen Trainings" zu tun, in denen es tatsächlich um das Erlernen von Abläufen (s. Sport) geht. Also müsste man in der Diskussion zusätzlich das Kriterium der Inhalte mit berücksichtigen.

Dagmar Wiegel

Prof. Dr. Kira Klenke http://www.klenkecoaching.com hat gesagt…

Auch an den Hochschulen geht seit der Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge der Trend leider dahin, die Zeiten der Präsenz-Lehrveranstaltungen zu verkürzen.
Aufgrund der kontinuierlichen auf die Studenten einprasselnden Stoff-Fülle bleibt dann auch noch das regelmäßige Nacharbeiten der Veranstaltungen auf der Strecke.
Es wird Zeit, an deutschen Hochchschulen das Lernen an sich zum Unterrichtsfach zu machen!