Sonntag, 28. Februar 2010

Schlechte Zeiten für Vorbilder

"Schlechte Zeiten für Vorbilder", meinte mein Kollege Paul Williams nebenbei in einem Gespräch. In der Tat: Ein Post-Chef enthält dem Finanzamt Millionen vor und zerstört seinen Ruf; eine Bischöfin überfährt betrunken eine rote Ampel; katholische Geistliche müssen sich wegen jahrelangen Missbrauchs von Schutzbefohlenen entschuldigen; ein golfendes Sportidol bekennt sich reumütig zum mehrfachen Seitensprung und begibt sich in Therapie; ein Ministerpräsident hat keine Ahnung, dass seine Gespräche mit Wirtschaftsvertretern von diesen gegen Bezahlung gebucht werden können; ein Außenminister wettert gegen den Missbrauch von Sozialleistungen, während er für "Reden über das, wofür man eh bezahlt wird" (Financial Times Deutschland, 26.2.2010), in Wirtschaftsunternehmen jeweils mindestens 7000 Euro kassiert (na gut, Politiker haben sich noch nie wirklich als Vorbilder empfohlen), und die Öffentlichkeit rätselt darüber, was denn wohl los ist mit den Eliten dieser Gesellschaft.

Hoppla, werden Sie sagen, diese Vorkommnisse wollen Sie doch wohl nicht alle in einen Topf werfen!? Zugegeben, die Schwere der "Verfehlungen" ist nicht vergleichbar, aber das ist nicht das Thema. Das Problem ist, dass Institutionen und Personen, die im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens stehen und einen gewissen Anspruch an moralisch und ethisch vorbildliches Verhalten erheben, diesem Anspruch nicht gerecht werden und damit nicht zur Orientierung taugen.

Dem mag man entgegenhalten, dass es letztlich in der Verantwortung eines jeden Einzelnen liegt zu entscheiden, was "richtig" und "falsch" ist und es einfach naiv sei anzunehmen, dass die Vertreter von Wirtschaft, Kirchen, Staat oder Spitzensport die "besseren Menschen" seien. Trotzdem beschleicht einen doch ein mehr als mulmiges Gefühl, wenn hoch gebildete Menschen und Autoritäten die Folgen ihres Treibens so wenig einschätzen können - oder, schlimmer noch, wenn diese Folgen ihnen gleichgültig sind.

Ein besonders krasses Beispiel

Der Satz des Kollegen fiel, als ich ihm von einem Interview erzählte, das ich in einem Filmbericht über die KarstadtQuelle-Pleite gesehen hatte (KARSTADT - Der große Schlussverkauf. Wie das Warenhaus in die Pleite geriet, Ein Film von Ingolf gritschneder und Georg Wellmann.) Darin wurde der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende und spätere Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff gefragt, wieso er für seine Prachtvilla am Mittelmeer eine so undurchsichtige rechtliche Konstellation gewählt habe. Antwort: Sein Anlageberater habe ihm dies aus steuerlichen Gründen empfohlen. (Wobei er sein hübsches Anwesen und die Luxusyacht als Lohn für 30 Jahre harte Arbeit dargestellte.)



Ähnlich fielen die Antworten auf Fragen zur Konstruktion der Unternehmung aus, die die Warenhäuser übernahm, dann nach Amsterdam verschwand und nur einen Teil der Kaufsumme an den später insolventen Arcandor-Konzern bezahlte. 900 Millionen Euro gingen für Berater, Banken und andere Beteiligte verloren - wobei der große Vorsitzende leider keine Ahnung hatte, an wen genau. Sind ja auch keine bedeutenden Beträge...

Die Botschaft war klar: "Wer es zu etwas bringen will, muss manchmal tricksen." Botschaft Nr.2: "Nicht ich, Thomas Middelhoff, bin verantwortlich, sondern meine Ratgeber."
Oder so: "Seht her, man kann einen ganzen Konzern in den Abgrund reißen, so lange man clever genug ist, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen."

Auch das hat ja Vorbildwirkung. Bitter...

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