Samstag, 14. Februar 2009

Von Trendforschern und "Trendnörgelparasiten"

Wie wird sie aussehen, die zukünftige Arbeitswelt? Die Trendforscher sagen es uns schon länger: Jeder Mensch ist ein eigenes Unternehmen, mehr noch: Eine eigene Marke. Egal, ob hochqualifizierter Forscher oder Kassierer am Supermarkt, ob Top-Manager oder Fensterputzer: Wer es schafft, seine Leistungen am Markt zu verkaufen, wird erfolgreich sein. Je weniger spezialisiert, je weniger einzigartig sein "Angebot" ist, desto flexibler muss er sein. "Smart Capitalism" nennt das der Hellseher Matthias Horx in seinem letzten Buch. Rosig ist diese Zukunft, einfach herrlich. Privat und Berufsleben verschmelzen, jeder ist sein eigener Herr, es lebe die Wissensgesellschaft.

Kalkül und nicht anderes als ein "krasser Neoliberalismus", schimpft da der Professor Holger Rust, und hat das natürlich auch in einem Buch festgehalten. Es trägt den Titel "Zukunftsillusionen" und rechnet mit den selbsternannten Trendforschern ab.

Ich gestehe, ich mag die Vision der Wissensgesellschaft. Arbeiten, wo, wann, mit wem man will. Flexibel sein, nicht mehr gebunden an einen Arbeitgeber, der mir "Arbeit gibt". Ich weiß sogar, dass es funktioniert. Und wenn ich die Kritiker höre, die vor Selbstausbeutung warnen, dann kann ich nur den Kopf schütteln. Es ist doch meine Entscheidung, wie viel ich arbeite und was ich überhaupt als "Arbeit" bezeichne. In der Tat verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit - aber der Begriff Freizeit ist doch ohnehin antiquiert. Was bitte schön ist den "freie Zeit"? Warum soll nicht meine ganze Zeit "frei" sein - ich teile sie mir frei ein...

Die Konsequenz ist auch klar: Da ist niemand mehr, der sich um meine Altersvorsorge kümmert, der dafür sorgt, dass ich auch noch ein Gehalt bekomme, wenn die Aufträge ausbleiben. So, wie die Anweisungen eines "Arbeitsgebers" entfallen, so entfällt auch seine "Fürsorge". Der Preis, den die neue Freiheit hat.

Rückkehr der Industrialisierung

Sieht so also die schöne Zukunft aus? Es gibt Anzeichen, die ins Gegenteil verweisen. Die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft weist in Teilen Züge einer Art von Industrialisierung auf, die längst überwunden zu sein schien. Man denke an Call Center mit Taktvorgaben für Kundengespräche. Heute las ich eine Meldung, nach der die Leiterin eines Call Centers verknackt wurde, weil sie Mitarbeiterinnen eingesperrt hatte, bis sie die geforderte Anzahl von Zeitschriftenabonnements verkauft hatten. Schöne neue Wissensgesellschaft?

Man ahnt es schon, die Wahrheit wird in der Mitte liegen. Es wird Menschen geben, die sich Ort, Zeit und Art ihrer beruflichen Tätigkeit aussuchen können - so wie es gestern und heute Menschen gab und gibt, die sich den Arbeitgeber aussuchen können, weil ihre Leistung begehrt ist. Und es wird andere geben, die, betriebswirtschaftlich betrachtet, ein "No-Name-Produkt" anbieten, das es zuhauf gibt, auswechselbar und günstig.

Und dazwischen wird es Menschen geben, die sich entscheiden müssen. Oder sogar gezwungen werden, sich zu entscheiden. Ich glaube, dass es viele (heute noch abhängig Beschäftigte) geben wird, die entweder den Weg des "freien Unternehmers" gehen und die Sicherheit des Angestellten aufgeben müssen. Oder aber in noch größere Abhängigkeit geraten und Tätigkeiten annehmen müssen, die ihnen angeboten werden, um zu überleben.

Wenn Horx Recht hat, dann werden das nur wenige sein, und um die könnte sich die Gesellschaft ja noch kümmern. Das wäre in der Tat eine andere (Arbeits-)Welt, aber eine, die mir gefallen könnte.

Wenn Rust Recht hat, dann wird es nur wenige "Creative Workers", "Freeployers", "Selbstpreneure", "Flexisten" geben. Am großen Rest wird die Entwicklung vorüber gehen.

Optimisten oder Pessimisten?

Und nun? Was bedeutet das für Gesellschaft? Und für den Einzelnen?
Letzteres ist einfach zu beantworten: Man kann jedem nur raten, sich dem Horxschen Optimismus anzuschließen und sich auf die Seite der (kleinen) Gruppe der Wissensarbeiter zu schlagen, sein eigenes Geschäft aufzubauen und vorbereitet zu sein. Ich kenne Leute, die vor 10 Jahren niemals gedacht hätten, dass sie ihre persönliche berufliche Zukunft als "Freie" verbringen werden. Und sich heute nicht mehr vorstellen können, jemals noch einmal als Angestellter zu arbeiten.

Und ich kenne Angestellte, die hoffen, dass sie die Zeit bis zu ihrer Pensionierung noch irgendwie überstehen. Nach dem Motto: Bisher hat es ja auch immer geklappt. Ich fürchte, dass einige von ihnen diese Haltung noch sehr bereuen werden.

Was die Gesellschaft betrifft, neige ich zur Rustschen "linken Jammerkultur". Was, wenn es gar nicht genug Arbeit für all die "Freeployer" gibt? Was, wenn der Taylorismus der Dienstleistungsgesellschaft weiter Raum gewinnt? Was, wenn die Menge der Menschen als frei verfügbare Zeitarbeiter, die nur dann benötigt werden, wenn gerade mal wieder etwas Arbeit im Angebot ist, ihren Lebensunterhalt verdienen muss? Dann gilt der amerikanische Traum: Jeder kann ihn träumen, aber nur für wenige geht er in Erfüllung.

Rezension zum Thema:
Unternehmen wird verkauft, was sie hören wollen, managerSeminare 2/2009

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