Dienstag, 17. Februar 2009

Kantinenclubs

Kantinen seien Orte, wo Kapitalismus und Sozialismus miteinander versöhnt sind. Sagt der russische Schriftsteller Kaminer, der für das Magazin eines großen Beratungshauses Kantinen deutscher Unternehmen getestet hat. Egal welchen Ranges - alle essen das Gleiche, alle sitzen auf den selben harten Stühlen, alle zahlen das Gleiche, es gibt keine Klassenunterschiede. Es sei denn, die Räumlichkeiten für die Leitenden Angestellten sind von jenen der Werktätigen getrennt. Soll es auch noch geben, wo kämen wir denn sonst hin?

Meine Erinnerungen an Kantinengänge sind von anderen Eindrücken geprägt. Es gab feste Clubs, Gruppen von Menschen, die jeden Mittag zur gleichen Zeit aufbrachen und einen Tisch bzw. eine Tischecke belegten. Das war eine Selbstverständlichkeit, und wehe, man brach einmal aus dem vertrauten Kreis aus und verabredete sich mit einem anderen Kollegen. Dann durfte man sich sicher sein mit Bemerkungen wie: "Wir sind dir wohl nicht mehr gut genug!" oder "Haben Sie was gegen uns?" konfrontiert zu werden.

Auch eine Erfahrung: Nirgendwo sonst konnte man so herrlich über Kollegen und Vorgesetzte herziehen. Jeden Mittag die gleiche Frage: "Was gibt es Neues von X?" Und die herbe Enttäuschung, wenn man keine bemerkenswerten Anekdoten zu erzählen hatte. Dann mussten eben vertraute Geschichten von früher herhalten.

Peinlich wurde es, als irgendjemand meinte, den riesigen Saal durch brusthohe Stellwände etwas gemütlicher, intimer gestalten zu müssen. Da saß man nun etwas abgetrennt von anderen Clubs und hatte nicht mehr so genau im Auge, wer denn noch alles die Gaumenfreuden der Kantine genoss. Und es konnte passieren, dass mitten im herrlichsten Klatsch über den Abteilungsleiter Y dieser sich plötzlich am Nachbartisch hinter der Stellwand erhob und mit seinem Tablett Richtung Ausgang strebte. Dumm gelaufen...

Rezension zum Thema:
Kantinen sind gerecht, Financial Times Deutschland, 12.12.2008

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Meine Freundin arbeitet in einem großen Versicherungskonzern mit mehreren Tausend Mitarbeitern an diesem Standort, und die haben da eine - wie ich finde - wahnsinnig tolle Kantinenkultur, die sie pflegen und die auch Neulingen sofort ans Herz gelegt wird:
Mittagsdates.

Zu Mittagsdates, so wird man ermutigt, solle man explizit wechselnd mit anderen Kollegen - auch solchen, mit denen man nur mal per Telefon zu tun hat oder die man auf einem Seminar mal kennengelernt hat - eine Verabredung zum Essen eingehen.

Dabei gibt es dann Dauerdates in größeren Abstand (z. B. "einmal im Monat mit der netten Kollegin aus der Personalabteilung") oder eben auch Einzeldates. Das Ganze oft wochenweise im voraus festgelegt. Aber nicht zwanghaft, sondern eben ermutigend.

Auf diese Weise mischen sich die Leute, tauschen sich aus, bleiben (besonders auch in so einem Riesenunternehmen!) mit anderen Leuten in Verbindung und wechseln immer schön durch.

Das finde ich eine ganz großartige und bereichernde Sache. Und ich bin seit Jahren schwer beeindruckt, dass das in so einem großen Unternehmen auch funktionieren kann.

Viele Grüße
Gitte