In der Financial Times findet sich eine Serie über "Neue Denker" in den Wirtschaftswissenschaften. Zugegeben, die Portraits sind so kurz, dass die Theorien der vorgestellten Wissenschaftler allenfalls rudimentär dargestellt werden können. Was aber auffällt: Immer wieder geht es um die Abkehr vom "Homo oeconomicus", vom Modellmenschen der Ökonomen, der sein Handeln danach ausrichtet, seinen Nutzen zu maximieren. Es scheint, als halte langsam aber sicher die Psychologie Einzug in die Welt der Ökonomie, man erkennt, dass der Mensch weitaus komplexer ist und keinesfalls einer einfachen Formel von der Art: "Wieviel kriege ich heraus, wenn ich den Betrag X investiere bzw. den Aufwand Y betreibe - übersteigt der Nutzen den Einsatz oder nicht?" folgt.
Mit Staunen, so scheint es, stellen die Ökonomen fest, dass Menschen offensichtlich nicht nur auf kurzfristige Nutzenmaximierung aus sind, und dass deshalb Anreizsysteme von der Art "Wir loben höhere Prämien aus, dann erhöhen die Mitarbeiter/Manager ihren Einsatz und das Unternehmen steigert seinen Ertrag - und das möglichst so, dass der Gewinn die ausgelobte Prämienhöhe übersteigt!" auch mal schwer in die Hose gehen können.
In einem Beitrag wurde behauptet, dass die Tatsache, dass Menschen Trinkgeld geben, für Ökonomen bis heute ein Rätsel darstellen. Allenfalls wenn der Betreffende annähme, er würde den Taxifahrer wiedersehen, könnte man von einem angenommenen Eigennutzen ausgehen. Mit Verlaub - was für ein Schwachsinn. Hier wird Eigennutz offensichtlich immer noch in extrem schlichten Zusammenhängen gesehen: "Ich gebe einem Taxifahrer Trinkgeld, damit er mich beim nächsten Mal besser behandelt/schneller befördert/freundlicher zu mir ist." War die Theorie des Homo oeconomicus wirklich jemals so schlicht?
Der Beitrag bietet eine andere Erklärung an. Professor Fehr von der Universität Zürich erklärt solch faires Verhalten als Folge der Evolution. Gesellschaften, in denen Versprechen eingehalten werden, in denen sich Menschen fair verhalten, funktionieren besser als andere, also ist es eine Frage des Überlebens einer Gesellschaft, fair zu handeln.
Eine interessante Annahme, die mich aber zu einem anderen Gedanken führt. Theorien über das Zustandekommen menschlichen Verhaltens haben wie alle Theorien einen Bezugsrahmen. Ich kann Verhalten vermutlich immer evolutionstheoretisch erklären: Verhalten wird gezeigt, weil es das Überleben der Spezies verspricht.
Ich kann aber auch von der psychologischen Seite kommen und die Behauptung aufstellen, dass Menschen als soziale Wesen bestrebt sind, gemocht zu werden, Anerkennung zu erhalten und sich einfach besser fühlen, wenn ihr Gegenüber sie für großzügig und dankbar hält statt für geizig und arrogant.
Hirnforscher werden vermutlich zu wieder anderen Theorien neigen und nachweisen, dass Menschen sich selbst mit irgendwelchen "Glückshormonen" belohnen, wenn sie anderen Gutes tun.
Wie auch immer: Mein Problem mit den meisten Theorien ist, dass sie entweder nur manches Verhalten erklären (Wenn ich ein Außendienstlern Reisen in exotische Länder in Aussicht stelle und diese den Umsatz prompt drastisch erhöhen, passt die Theorie des "Eigennutzes", wenn Menschen sich anstrengen und für die Firma aufopfern, ohne das Sonderprämien ausgelobt werden, versagt sie) oder dass sie so zurecht gedreht werden können, dass sie alles erklären (wie die erwähnte Evolutionstheorie).
Und ich bin ganz zuversichtlich, dass eine Univeraltheorie zur Frage: "Was motiviert Menschen eigentlich?" so rasch nicht gefunden wird.
Rezensionen zum Thema:
Die Vermessung der Rache, Financial Times Deutschland, 29.6.2010
Verhaltensforscher studieren den Betriebsalltag, Handelsblatt, 4.3.2010
Manchmal braucht es nur einen Stups, Financial Times Deutschland, 13.4.2010
Sonntag, 8. August 2010
Die Weisheit der Ökonomen
Eingestellt von Johannes um 10:53:00
Labels: Motivation, Wissenschaft
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2 Kommentare:
.... dass der Mensch weitaus komplexer ist ....
hmm. Vielleicht ändert sich in der westlichen Welt etwas. Aus einer Perspektive des Überflusses und einer weitgehenden "Vollversorgung" entsteht hier ein Wandel. Möglicherweise aus Einsicht und Vernunft. Möglicherweise auch aus der Angst vor einer "schlechteren" Zukunft (Umwelt, Nahrung, Energie)
Das die Menschen in Asien und Afrika in der Fläche nach vergleichbar "guten" Lebensbedingungen streben wie in den USA und Europa ist doch nachvollziehbar...
Und da wird aus meiner Sicht noch sehr lange das Prinzip "Was habe ich davon?" das (wirtschaftliche) Denken in Richtung mehr Waren, Güter und "Geld" beeinflussen.
Kurzfristige (materielle) Nutzenmaximierung wird aus meiner Sicht noch sehr lange das Handeln -im doppelten Sinne - vieler Menschen beeinflussen.
@Trinkgeld - abgesehen von der Tatsache, dass "tip" in einigen wirtschaftlichen Systemen "Lohnbestandteil" ist ... gibt es hierzu wissenschaftliche Forschung? Ich bin sehr an validierten Aussagen interessiert!
Danke für den Artikel.
Karsten Gärtner
Hallo Herr Gärtner,
danke für Ihren Kommentar. Wissenschaftliche Forschung zum Thema "Trinkgeld" ist mir leider auch nicht bekannt.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Thönneßen
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