Sonntag, 10. Mai 2009

Leben und Arbeiten

Witzig. Als ich meine ersten Texte ins Internet stellte (Rezensionen von sieben Artikeln der Zeitschrift "Personalführung"), da wurde oft gefragt: "Was machst du da eigentlich?" Heute weiß ich, dass meine Antwort hätte lauten müssen: "Ich überspringe ein Glied in der Wertschöpftungskette!" Oder gleich mehrere. Genau das passiert ja in der Tat heute an unglaublich vielen Stellen. Schreiberlinge wie ich verzichten auf Verlage und Druckereien, sondern wenden sich über das Internet direkt an den Kunden. Ein Bekannter von mir ordert elektronische Geräte in China und verkauft sie über einen Profi-Shop bei Ebay. Zwischenhändler? Ladenlokale? Überflüssig.

Aber das ist ja nur ein Teil der neuen Arbeitswelt. Noch viel spannender finde ich die Diskussion über die Aufhebung der Trennung Arbeit und Leben. Eine Kollegin, die bis zu ihrer Selbstständigkeit in Teilzeit angestellt war, sagte mir: "Ich möchte dieses Verhältnis von Arbeit und Freizeit beibehalten, so zwanzig Stunden in der Woche ist für mich ideal. Ständig online sein wie du, das kann ich mir gar nicht vorstellen." Damals musste ich schon schmunzeln. Heute erreichen mich ihre e-Mails zu jeder Tages- und Nachtzeit, und sie möchte ihr Leben mit dem alten (Teilzeit-)dasein nicht mehr eintauschen.

So ungewöhnlich das für viele andere, die der "Präsenzarbeit" nachgehen", auch klingen mag: Es gibt ein Leben, bei dem die Trennung von Arbeit und Leben bzw. Freizeit einfach nicht passt. Arbeite ich gerade in diesem Moment, in dem ich den Blog-Beitrag schreibe? Ist es Arbeit, wenn ich mit Kollegen über mögliche Geschäftsmodelle fantasiere? Ist es Freizeit, wenn ich jogge und dabei über die neue Struktur der MWonline-Webseite nachdenke?
Es gibt übrigens ein ganz aufschlussreiches Buch, dass sich mit dem Phänomen beschäftigt: Wir nennen es Arbeit. Durchaus lesenswert, auch wenn sich das eine oder andere wiederholt und die Sprache ein wenig "sozialwissenschaften-lastig" ist.

Wie schwierig es wird, das zu beschreiben, was diese Form der Arbeit auszeichnet, zeigt folgendes Phänomen: Gefragt, welchen Beruf man eigentlich ausübt, zucke ich immer häufiger mit den Schultern. Was soll ich sagen? Ich schreibe, fasse Texte zusammen, bewerte sie und stelle sie ins Internet. Ich verkaufe Werbung, halte hin und wieder einen Vortrag, moderiere einen Workshop. Ich berate Unternehmen, die sich mit Beurteilungssystemen herumschlagen. Ich bin Psychologe, zumindest habe ich ein Diplom in dieser Disziplin. Aber welchen Beruf ich habe? In "Wir nennen es Arbeit" würde ich unter die Kategorie der "Digitalen Boheme" fallen. Aber so richtig passt das auch nicht.

Rezension zum Thema:
Überall im Netz, immer informiert, Financial Times Deutschland 3.2.2009

2 Kommentare:

Angela Bauer hat gesagt…

Vielen Dank, dass Sie dieses Thema so klar ansprechen. Mir geht es ähnlich. Selbst zwischen 2 Kochtöpfen beantworte ich mittlerweile eine Mail. Und welch ein Spaß ist es, auf einer Radltour ein Konzept zu erarbeiten, das nach der Dusche nur noch ins Reine zu schreiben ist. Eine Trennung von Arbeit und Freizeit macht für mich keinen Sinn mehr. Selbst manche Plauderrunde bringt wichtigen Input oder eine neue Idee für das berufliche Schaffen. Diese Ganzheit macht das Leben erst so richtig lebenswert.

Anonym hat gesagt…

Für die Frage nach dem Beruf hätte ich zwei Antwortmöglichkeiten:
1. Leben.
2. Entrepreneur.

Je nach Gesprächspartner.