Donnerstag, 31. Mai 2012

Unternehmerisch handelnde Mitarbeiter

In letzter Zeit häufen sich Beiträge, in denen beschrieben wird, wie Angestellte in Unternehmen Geschäftsideen entwickeln und voran treiben, ohne dass sie dafür einen offiziellen Auftrag haben oder gar Mittel zur Verfügung gestellt bekommen. Was macht die "Wissenschaft" daraus? Sie schaut sich an, ob das Vorgehen dieser "Entrepreneure" Parallelen aufweist, um daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Wie gehen diese "Mitunternehmer" also vor? So wie "richtige" Unternehmer, die erfolgreich ein Unternehmen aufgebaut haben, auch. Zunächst betrachten sie die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel. Dann orientieren sie sich an dem maximalen Verlust, den sie sich leisten können - nicht am erwarteten Erfolg. Sie ergreifen Gelegenheit und nutzen Zufälle. Und sie suchen sich Mitstreiter und Verbündete.
Dann basteln und tüfteln sie gemeinsam mit den Verbündeten so lange an der Idee, bis sie Ihre Chefs überzeugen können.

Wenn das tatsächlich so ist, dann ist es schon ein schlaues Vorgehen. Die Alternative wäre ja, erst eine Idee zu entwickeln, große Erfolge in Aussicht zu stellen, ein dickes Budget zu beantragen, Meilensteine und Ziele festzulegen und ein umfangreiches Projekt zu starten. Von denen so manches am Ende kläglich scheitert.

Top-Down oder Bottom-Up?

Sollten Sie also angestellt sein und trotzdem unternehmerisches Blut in sich tragen, wäre es einen Versuch wert, in kleinen Schritten wie oben beschrieben Ihre Idee in die Tat umzusetzen (aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es durchaus funktioniert!)

Was aber können Unternehmen tun, die es gerne sehen, wenn Mitarbeiter eigene Geschäftsideen entwickeln und im Unternehmen anstoßen?

Wenn man mal davon ausgeht, dass unternehmerisches Handeln keine Persönlichkeitseigenschaft ist (so dass man nur die richtigen Mitarbeiter einstellen muss), dann bleiben laut den Autoren des Beitrags "Effectuation" zwei Möglichkeiten:

1. Top-Down
Man fährt ein klassische Change-Programm: Erst wird der Ist-Zustand analysiert, dann der Soll-Zustand (mit konkreten Zielen wie: "In drei Jahren hat sich die Zahl der Produkte, die auf unternehmerische Tätigkeiten von Mitarbeitern zurückgehen, verdoppelt!"), dann wird ein Trainingsprogramm gestartet, die Ziele mit dem Anreizsystem (den beliebten Zielvereinbarungen) verknüpft, eine eigene Abteilung mit der Koordination der Aktivitäten gegründet und anschließend fleißig der Fortschritt "gemonitort".

2. Bottom-Up
Man lädt interessierte Führungskräfte und Mitarbeiter (also Freiwillige) zu einer Impulsveranstaltung ein, präsentiert und diskutiert dort das Konzept der "Effectuation" mit der typischen Vorgehensweise wie oben beschrieben. Dann schreibt man 100 Teilnehmerplätze in zweitägigen Workshops aus, daraus gehen 50 freiwillige "Erstanwender" hervor. Diese werden begleitet und gecoacht. Die Vorgesetzten werden informiert und angehalten, die "Entrepreneure" zu unterstützen und in keinem Fall zu behindern. Auf diese Weise, so die Autoren, würde das Unternehmertum quasi durch die Hintertür eingeführt.

Mmmh....

Bottom-Up ist daran für mich maximal die Tatsache, dass sich die interessierten Unternehmer freiwillig melden und nicht "nominiert" werden. Ansonsten besteht der Unterschied zum Top-Down-Vorgehen darin, dass nicht jeder Schritt genau "überwacht" wird.

Aber was wird den praktisch geschehen? Wird nicht in dem Moment, in dem man zum Kreis der Auserwählten gehört, auch die Erwartung groß sein, mit einem Produkt aufzuwarten? Kann man auf "Ansage" Unternehmer werden? Oder passiert hier etwas Ähnliches wie bei der paradoxen Aufforderung: "Sei doch mal spontan!"

Meiner Meinung nach kann ein Management nur eins tun, um selbstständiges Handeln im Unternehmen zu fördern: Es nicht allzu sehr behindern! Gar nicht zu behindern oder gar mit allen Mitteln zu fördern, scheint mir kontraproduktiv zu sein. Unternehmer reizt doch gerade der Widerstand, die Meinung der anderen, dass die Idee niemals funktionieren wird.
Wie furchtbar, wenn plötzlich alle Vorgesetzten bei jeder neuen Produktidee vor Freude in die Hände klatschen und dem Mitarbeiter alle Zeit, die er sich wünscht, zur Verfügung stellen würden.

Nur wenn sich jemand mit seiner Idee durchgesetzt hat, dann sollte er die angemessene Wertschätzung erfahren und entsprechend gewürdigt werden.

Rezension zum Thema:
Effectuation, Zeitschrift Führung + Organisation 05/2011


Samstag, 26. Mai 2012

Zweifel an Facebook

Facebook finde ich spannend. Stelle hin und wieder selbst Fotos ein und nutze es, um ein witziges Projekt zu fördern. Ein Café in meiner Heimatstadt, an dem ich mit drei Freunden beteiligt bin und das seit einem Jahr existiert. Macht einfach Spaß, mit Kunden zu kommunizieren und witzige Geschichten und Fotos zu verbreiten.
Wer mal zufällig in Dormagen ist, kurz per Mail Bescheid geben und auf einen Kaffee vorbei schauen: Café seitenweise

Was mich aber zunehmend wundert ist die Tatsache, dass man dem Portal so viel zutraut. Zugegeben, wer eine Millarde Menschen erreicht, der sollte das Potenzial haben, aus diesem Kapital weiteres Kapital zu schlagen. Aber drei Dinge lassen mich daran zweifeln, alle entstammen der eigenen Erfahrung.

Ich sehe zwar die Werbung, aber ich habe noch nie auf eine solche geklickt. Was bei Google anders ist. Warum? Wenn ich auf Facebook bin, suche ich nichts, sondern tausche mich aus oder teile mich mit. Ich gehe kaum zielgerichtet auf das Portal, sondern hin und wieder, um mal zu schauen, was los ist.
Bei Google hingegen bin ich auf der Suche nach bestimmten Informationen, mein Radar ist anders eingestellt. Wenn dann eine Anzeige mir verspricht, genau das zu bieten, was ich suche, dann nehme ich sie auch wahr.

Den Like-Button betätige ich ganz gerne - allerdings nur auf Facebook selbst. Wenn einer meiner "Freunde" etwas gepostet hat und ich Spaß daran habe, bekommt ein den blauen Daumen. Das ist der Regel etwas Persönliches, Privates oder Witziges. Aber Beiträge aus dem Netz per Like-Button anderen zu empfehlen, fällt mir nur sehr selten ein. Weil es mich selbst nervt, wenn solche "Tipps" meine Pinwand verstopfen. Wenn sich andere ähnlich verhalten, dann dürfte das mit dem Empfehlen von anderen Inhalten außerhalb von Facebook eher abnehmen.

Der gravierendste Hinweis allerdings stammt von meinem Sohn. "Wer geht denn heutzutage noch auf Facebook!?!" Nanu, ich dachte, die Plattform sei DAS Medium der Jugend. Zumal ich lange erlebt habe, wie er und seinesgleichen auf ihren Smartphones per Facebook kommuniziert haben. E-Mail war out, es hatte gar keine Sinn, dieser Generation Mails zu schicken.
Heute aber nutzen sie nur noch WhatsApp oder iMessages, ununterbrochen zeigen Signale neue Meldungen an.

Was ist hier los? Mein Verdacht: Es war eine Weile chic, viele "Freunde" zu versammeln, aber nun kehrt man zurück zum "engen" Netzwerk, den Kumpels und Freunden aus dem "wahren" Leben. Wer braucht da noch Facebook? Wen interessiert noch, was irgendjemand von über 600 "Freunden" gerade so treibt?

Wenn das ein Trend ist, dann dürfte Facebook in absehbarer Zeit Geschichte sein. Ich kaufe auf jeden Fall keine Aktie...

Mittwoch, 23. Mai 2012

Zielvereinbarungen mit Puffer

Manchmal sind wissenschaftliche Artikel unfreiwillig komisch. Aber zuerst mal zur Wissenschaft. Geprüft werden sollte die Hypothese, dass Mitarbeiter, die an der Formulierung von Zielen beteiligt werden, motivierter sind als jene, denen man die Ziele nur vorsetzt. Oder nein, eigentlich lautete die Hypothese anders: "Je höher der Partizipationsgrad eines Mitarbeiters an der Zielvereinbarung ist, desto höher wird auch die Arbeitsmotivation sein, die aus der Zielvereinbarung resultiert."

Da kommt schon das erste erstaunte Schmunzeln. Beteiligung an einer Vereinbarung - ja wie kann man denn etwas vereinbaren, ohne den anderen zu beteiligen? Der Titel "Partizipative Zielvereinbarungen" allein macht ja schon stutzig.

Egal, schauen wir weiter. Man hat 118 Menschen, mit denen regelmäßig Ziele vereinbart werden, mit Hilfe eines eigens konstruierten Fragebogens befragt. Darbei sollten die Probanden angeben, wie sehr sie sich engagieren, wie SMART die Ziele sind, die sie vereinbaren, ob sie überhaupt vereinbart werden, wie motivierend die Ziele sind usw.

Dann hat man geschaut, welche Items wie zusammenhängen. Und siehe da: Je mehr Mitspracherecht die Mitarbeiter erleben, desto positiver erleben sie die Zielvereinbarungen. Überrascht?

Nun aber kommt es: Je mehr sie beteiligt werden, umso weniger strengen sie sich an, die Ziele auch zu erreichen. Mitarbeiter an der Formulierung der Ziele zu beteiligen ist demnach sogar kontraproduktiv.

Wie das sein kann? Die Autoren liefern folgende Erklärung: Wenn Mitarbeiter mitreden dürfen, dann tendieren sie zur "Pufferbildung". Gemeint ist, dass sie darauf achten, dass die Ziele nicht zu hoch gesteckt werden bzw. dass ausreichend Ressourcen an Zeit und Material zur Verfügung stehen. Weil sie sichergehen wollen, die vereinbarten Ziele auch zu erreichen. Wobei sich herausstellt, dass die Pufferbildung umso größer ist, je genauer man die Ziele formuliert.

Ob das eine zulässige Interpretation ist, weiß ich nicht, finde ich aber gewagt. Dass es diese "Puffertendenz" gibt, steht auf jeden Fall fest. Ist aus Sicht des Mitarbeiters ja auch mehr als sinnvoll. Was sollte nun der Vorgesetzte tun?

Auch dafür haben die Wissenschaftler einen Rat: Sie sollten froh sein! Zumindest, wenn es sich um einen Bereich oder ein Unternehmen handelt, das auf Innovationen angewiesen ist. Dann nämlich, so die kühne Hypothese, haben die Mitarbeiter Zeit und Muße, die "Puffer" zu nutzen, um die allseits geforderten Innovationen voranzutreiben.

Und die Vorgesetzten "sollten die Tendenz zur Pufferbildung im Zielvereinbarungsgespräch erkennen und auf ihre Notwendigkeit z.B. im Hinblick auf die Innovationskraft hin beurteilen."

Hoppla, wie geht das denn? "Herr B., ich merke, Sie planen da einen ordentlichen Puffer ein bei der Verfolgung Ihrer Ziele, da haben Sie ja genug Zeit für Kreativität. Ich hoffe, dass Sie diese Zeit auch wirklich nutzen!"

Da wird sich der Mitarbeiter aber sehr freuen und beim nächsten Mal geschickter vorgehen. Andernfalls wird er am Ende des Jahres zu hören bekommen: "Die Ziele waren ja mit weniger Aufwand erreichbar, daher ist das Ergebnis weniger wert. Wie steht es denn mit den Innovationen in der Zeit?"

Das haben die Autoren offenbar auch erkannt und stellen fest, dass die Führungskraft deutlich mehr Zeit benötigt, um Zielvereinbarungsgespräche zu führen. Was natürlich nur geht, wenn die Führungskräfte nicht zu viele Mitarbeiter führen.

Au weia - wie sehr wird denn hier um die Ecke gedacht? Arme Führungskräfte, die solchen Erkenntnissen ausgesetzt werden.

Rezension zum Thema:
Partizipative Zielvereinbarungen, Zeitschrift Führung + Organisation 4/2011

Freitag, 18. Mai 2012

Glücksforscher

Glücksforscher müssen einen tollen Beruf haben. Sie befragen Menschen danach, was sie glücklich macht und helfen uns allen, mit den Erkenntnissen ein glücklicheres Leben zu führen. Allerdings ist es offenbar gar nicht so einfach, dem Glück auf die Spur zu kommen. Was für ein Glück, dass es heutzutage Smartphones gibt. Diese nützlichen Geräte dienen uns nicht nur zum Telefonieren,  verschaffen uns den Zugang zu weltweiten Informationen, lassen uns jeden Moment als Foto oder Film festhalten und was nicht sonst noch alles. Sie bieten auch die Möglichkeit, Menschen in willkürlichen Abständen zu befragen, wie glücklich sie gerade sind.

Auf diese Weise können die Glücksforscher an Daten kommen, an die sie vorher höchstens in Experimenten gelangten. Oder dadurch, dass sie Menschen im zeitlichen Abstand zu einer Tätigkeit befragten.

Und was haben sie dank der Mini-Computer herausgefunden? Je konzentrierter wir Menschen bei einer Sache sind, desto größer ist das Glücksempfinden. Tatsächlich aber weichen wir fast 50 Prozent der Zeit gedanklich von der eigentlichen Tätigkeit ab. Und das wirkt sich negativ auf die Stimmung aus.

Kommt uns irgendwie doch bekannt vor, oder? Der Herr mit dem unaussprechlichen Namen Mihaly Csikszentmihalyi hat uns die Sache mit dem Flow erklärt, dem völligen Aufgehen in einer Tätigkeit. Und aus eigener Erfahrung wissen wir alle, welch gewaltigen Unterschied es ausmacht, ob wir in Gedanken bei der Sache sind oder abgelenkt durch andere Dinge.
Meine letzten Versuche, beim Tennisspiel vernünftige Ballwechsel hinzubekommen, haben mich das wieder schmerzlich spüren lassen. Am Dienstag war ich dermaßen in das Spiel vertieft, dass der Schläger praktisch meine Hand führte und ich nach 90 Minuten zwar erschöpft, aber in der Tat regelrecht glücklich war. Gestern hingegen beschäftigten mich andere Dinge - das Tennisspiel war nicht nur weitaus anstrengender, sondern auch noch grottenschlecht.

Was bedeutet das für die Arbeitswelt und für den Manager? Zitat: "Also sollten Manager sich vielleicht überlegen, wie sie ihren Mitarbeitern helfen können, konzentriert zu bleiben. Damit täten sie nicht nur ihrem Unternehmen, sondern auch den Mitarbeitern etwas Gutes."

Das ist nun ein ganz weiser Rat, der in dem Beitrag des Harvard Business Manager nicht weiter ausgeführt wird. Ja wie bitteschön soll denn der Manager das machen? Klingt fast so weise wie "Sorgen Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter glücklich sind!"

Ganz so banal aber ist der Rat dann vielleicht doch nicht. Natürlich kann der Manager niemanden dazu bringen, in Gedanken bei seiner Arbeit zu bleiben. Wer private Probleme hat, finanzielle Sorgen, Ärger mit dem Vermieter oder ähnliches, wird in Gedanken abschweifen. Aber der Manager kann vielleicht ein Umfeld schaffen, das konzentriertes Arbeiten zumindest erleichtert.

Leider sieht aber genau das in der Realität oft ganz anders aus. Der Manager ist gerade zu genial erfinderisch, wenn es darum geht, den Mitarbeiter von seiner eigentlichen Arbeit abzulenken. Wie oft höre ich von Angestellten Klagen, in welche unsäglichen internen politischen Auseinandersetzungen ihre Chefs verwickelt sind, in die sie hineingezogen werden. Wie viel Energie geht dabei drauf, Material für Präsentationen zu erstellen, um das eigene Tun zu rechtfertigen - um nur zwei Beispiele zu nennen.

Wenn Führungskräfte dazu beitragen wollen, dass Mitarbeiter in Gedanken nicht von der Arbeit abweichen, dann sollten sie damit anfangen, sie nicht bei ihrer Arbeit zu stören. Damit wäre schon viel erreicht.

Übrigens: Die willkürliche Abfrage des Glückszustandes per Smartphone hat ergeben, dass "Arbeiten" ziemlich weit links (schlechte Stimmung) auf der Glücksskala liegt. Ganz weit rechts hingegen (sehr gute Stimmung) liegt ... Sex. Aber nur bei jenen, die dabei ihr Smartphone in Greifweite haben...

Rezension zum Thema:
Dem Glück auf der Spur, Harvard Business Manager 4/2012

Mittwoch, 9. Mai 2012

Motivation mit Kaffeekanne

Welch wunderbare Vorstellung. Statt mit der Gehaltserhöhung Mitarbeiter zu höherer Leistung zu bewegen, schenkt man ihnen eine Thermoskanne. Wirkt wahre Wunder. Allerdings noch größere Wirkung erzielt ein als Origami-Männchen gefalteter 7-Euro-Schein. (Habe ich nicht erfunden, ich schwöre. Steht tatsächlich so in einem Interview im Harvard Businessmanager: Ans Schenken denken, April 2012 S. 16).

Der Hintergrund: An der Universität Bonn haben Verhaltensökonomen die Wirkung materieller Anreize untersucht. Das Besondere: Den Versuchspersonen war nicht bekannt, dass sie an einem Experiment teilnahmen. Man rekrutierte Studenten, um für 12 Euro pro Stunde Bücher zu katalogisieren. Insgesamt sollte der Job drei Stunden dauern.  Und jetzt kommt es: Eine Gruppe erhielt überraschend eine Lohnerhöhung von sieben Euro, eine andere den hübsch gefalteten Schein, eine dritte eine Thermoskanne im Wert von sieben Euro. Und schließlich gab es eine Gruppe, die wählen konnte zwischen der Thermoskanne und den sieben Euro. Anschließend wurde ihre Leistung gemessen.

Die reine Gehaltserhöhung bewirkte - gar nichts! Der Origami-Männchen-Schein führte zu einer Steigerung von 30%, die Thermoskanne zu 25%, die Gruppe, die wählen konnte, schaffte ebenfalls 25% mehr.

Was lernen wir daraus? Hin und wieder kleine Geschenke verteilen steigert die Leistung? Wohl kaum. Wohl eher das: Menschen, die erfahren, dass man ihre Arbeit wertschätzt, dass man sich Mühe gibt und sich um sie kümmert, leisten mehr.
ABER: Das funktioniert nur, wenn nicht gleichzeitig Erwartungen enttäuscht werden. Wer einen bestimmten Lohn in Aussicht stellt, sich anschließend aber nicht daran hält, der kann schenken so viel er will, die Leistung wird sinken. Und damit dürfte auch die Idee, regelmäßig mit kleinen Prämien und Geschenken die Motivation aufrecht zu erhalten, scheitern. Auch wenn der Professor aus Bonn das nicht untersucht hat - ich würde jede Wette halten, dass der 7-Euro-Schein seine Wirkung verliert, wenn er mehrfach hintereinander "überraschend" verteilt wird. Irgendwann wird aus der "Überraschung" eine Erwartung.

Am Ende hilft dann vielleicht doch nur echte Wertschätzung...

Mittwoch, 2. Mai 2012

Ratings als menschliche Fähigkeit?

Das Gewicht eines Steins mit Hilfe einer Waage und entsprechender Messwerte zu bestimmen, ist sehr sinnvoll. Die Länge einer Strecke mit Hilfe eines Bandmaßes und allgemein anerkannter Maßeinheiten zu messen, ebenso. Kompetenzen von Menschen mit Ratingskalen zu erfassen - ist das angemessen?

Zitat: "Ratingverfahren haben - richtig angewandt - unschätzbare Vorteile und in vielen Fällen gibt es kaum eine Alternative, die dem Untersuchungsgegenstand angemessen wäre."

Der Satz soll von Langer und Schulz von Thun stammen und wird in einem Beitrag in der Wirtschaftspsychologie-aktuell als Argument für die Anwendung der allzu bekannten Methode, Mitarbeiterkompetenzen zu beurteilen, verwendet.

Ein zweites Argument, das ebenfalls von Langer und Schulz von Thun (2007: Messung komplexer Merkmale in Psychologie und Pädagogik) stammt: Das menschliche Gehirn ist zur "Indikatorenverschmelzung" fähig. Soll heißen: Beim Rating berücksichtigt es die vielen Einzelindikatoren einer komplexen Sache wie sie z.B. eine Kompetenz darstellt. Oder anders ausgedrückt: Man muss eine Kompetenz nicht erst in zahlreiche kleine Einzelkompetenzen zerlegen, um sie messen zu können, das macht schon unser Gehirn, wenn wir ihm eine solche Skala vorlegen. Und zwar ganz automatisch und zuverlässig
Was zur Schlussfolgerung führt: Der Skalenwert, den ein Gehirn in Sachen Kompetenz auswirft, stimmt.
Angeblich funktionieren wir alle so - sei es im Verkehr, wenn wir komplizerte Entfernungs- und Geschwindigkeitsverhältnisse abschätzen oder wenn wir die Vertrauenswürdigkeit anderer Menschen beurteilen.

Einen kleinen Einschub in dem Zitat von Langer und Schulz scheint mir der Autor übersehen zu haben: "richtig angewandt". Müssen wir also richtiges Rating doch lernen?

Ich glaube, dass hier fundamentale Denkfehler vorliegen. Tatsächlich funktioniert unser Gehirn so, wie Langer und Schulz von Thun schreiben. Wenn uns jemand fragt: "Wie gut beherrschen Sie die Sprache auf einer Skala von 1 bis 10?" oder "Wie weit von Ihrem Ziel sind Sie entfernt, beurteilt auf einer Skala von 1 bis 10?" dann können wir dies ganz gut beurteilen. Intuitiv, automatisch.
Aber wie gut sind wir, wenn wir externe Phänome einschätzen? Lassen Sie mal mehrere Leute eine Strecke von A nach B einschätzen - und das ist alles andere als komplex. Oder das Gewicht eines Paketes. Welch ein Glück, dass wir hierfür andere Messverfahren als das des Ratings haben.

Soll heißen: Zwingt man uns, unsere Eindrücke der eigenen Befindlichkeit oder Eindrücke in einer Zahl auszudrücken, dann kriegen wir das gut hin. Aber wie sieht es mit der Beurteilung der Fähigkeiten anderer aus?

Langer und Schulz von Thun schreiben ja, es funktioniert, wenn es richtig angewandt wird. Der Beitrag handelt offenbar nicht von der Beurteilung von Mitarbeiterkompetenzen, sondern der Messung komplexer Merkmale in der Psychologie oder Pädagogik. Ich will nicht in Abrede stellen, dass gut trainierte Fachleute zu einigermaßen reliablen Ergebnissen bei der Anwendung von Ratingskalen kommen. Allerdings habe ich auch hier meine erheblichen Zweifel, basierend auf eigenen Beobachtungen in Forschungsprojekten mit psychisch Kranken, deren Verhalten nach der Einnahme von Medikamenten von Forschern "geratet" wurden. Die Ergebnisse gingen in statistische Auswertungen der Wirkung von Psychopharmaka ein... ohne Worte...

Aber Führungskräfte, die so komplexe Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit u.ä. mit Ratingsskalen bewerten sollen? Wenn die Ergebnisse überhaupt etwas aussagen, dann maximal über das Verständnis der Führungskräfte der jeweiligen Kompetenz. Mit anderen Worten: Das Ergebnis von Ratings sagt einiges über den Rater aus - aber mehr auch nicht.

Rezension zum Thema:
Siegeszug trotz Kritik, Wirtschaftspsychologie-aktuell 1/2012