Mittwoch, 8. August 2012

Wir-Gefühl

So ein Wir-Gefühl ist was Feines. Wir haben alle schon erlebt, wie motivierend und energiespendend es sein kann, wenn man in einem Team für ein Ziel arbeitet und kämpft. Wenn alle an einem Strang ziehen und am Ende gemeinsam jubeln oder leiden - je nachdem, wie erfolgreich man war. Kennt man nicht nur aus dem Sport. Das funktioniert auch in der Wirtschaft. Und es funktioniert sogar in gewisser Weise in großen Organisationen, bei denen man als Ganzes kaum von einem Team sprechen kann. Es scheint ja auch heute noch Unternehmen zu geben, bei denen die Mitarbeiter stolz darauf sind, dort arbeiten zu dürfen und sich entsprechend ins Zeug legen.

Dieses Phänomen lässt sich auch als "Wir-Gefühl" beschreiben. Das soll inzwischen immer häufiger verloren gehen. Mögliche Gründe sollen sein:

(1) Das Verständnis von Karriere hat sich verändert. Früher hatte Treue zum Unternehmen einen Wert, man war jemand, wenn man sein 25jähriges Firmenjubiläum feierte. Heute ist so etwas eher ein Karrierekiller.

(2) Die flachen Hierarchien und Matrix-Organisationen führen dazu, dass die Orientierung verloren geht. Früher wusste man um seinen Platz in der Organisation, da herrschte Klarheit und Ordnung.

(3) Die Zunahme der virtuellen Zusammenarbeit tut ein Übriges. Wenn man seinen Kollegen nur aus E-Mails oder maximal von Videokonferenzen kennt, fördert das kaum das Wir-Gefühl.

Mag sein, dass all das eine Rolle spielt. Aber legen Unternehmen überhaupt noch Wert auf "Wir-Gefühl"? Geht es nicht um ganz andere "Werte"? Wenn man Unternehmen in kleine "Business-Units" aufteilt, die im Wettbewerb zu einander stehen, die um die Ressourcen konkurrieren und deren Mitarbeiter unterschiedlich prämiert werden - wie soll dann ein Gefühl von Gemeinsamkeit entstehen? Das wäre ja so, als würde man die Abwehr einer Fußballmannschaft getrennt vom Sturm bewerten und honorieren, aber gleichzeitig verlangen, füreinander zu spielen. Hier geht der eigentliche Zweck einer Organisation, nämlich eben gemeinsam für ein Unternehmensziel zu arbeiten, ganz zwangsläufig verloren.

Eine weiterer Grund scheint mir der Handel mit Unternehmen bzw. Unternehmensteilen zu sein. Wer erfährt, dass er an die Konkurrenz verkauft wurde und ab dem nächsten Tag Mitarbeiter des bisherigen Wettbewerbers oder einer Investorengruppe ist, die sich zum Ziel gesetzt hat, ihre Errungenschaft so bald wie möglich mit einem schönen Gewinn zu veräußern - wie soll man da ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln?

Maßnahmen nichts als Kosmetik

Was kann man tun? Natürlich wissen die Experten Rat. Ziele formulieren, gemeinsame Werte benennen, Erfolge feiern, für gemeinsame Erlebnisse sorgen. Funktioniert das? Vielleicht zu Beginn. Aber spätestens, wenn man das zweite Mal veräußert wird, werden die Mitarbeiter abwinken und auf die Werte und Events pfeifen. Weil sich spätestens mit dem nächsten Besitzerwechsel die Werte verändern und die Erfolge der Vergangenheit niemanden mehr interessieren.

Halt - ist das im Sport nicht genauso? Da baut man ein Team auf und am Ende der Saison wird auch die halbe Mannschaft verkauft. Und trotzdem entsteht so etwas wie ein Mannschaftsgeist....

Sicher, ein Teamgeist für eine Saison. Da weiß jeder, auf was er sich einlässt, wenn er zu einem Verein wechselt. Und der Verein jammert anschließend über die "Söldnermentalität". Auch so kann man erfolgreich sein - aber sollte sich nicht beschweren, wenn es eben kein Wir-Gefühl gibt...

Rezension zum Thema: 
Vom Wert des Wir, managerSeminare 4/2012

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