Donnerstag, 2. August 2012

Instandhaltung statt Gemeinschaft

Der Chef ist ratlos. "Meine Manager trauen sich die einfachsten Entscheidungen nicht zu. Ständig kommen sie zu mir und ich muss es dann richten. Ich brauche Leute, die Mumm haben, auch mal Risiken eingehen und zu ihrer Meinung stehen. Ich sag es ihnen immer wieder, aber es hilft nichts. Ich hab schon gedroht, sie alle vor die Tür zu setzen, wenn sie nicht endlich in die Gänge kommen. Aber laut werden hilft auch nichts, dann schauen sie nur verschreckt und ziehen sich noch mehr zurück."

Der Berater nickt verständnisvoll und schlägt ein umfangreiches Personalentwicklungsprogramm vor. Zuerst sollen alle Manager einen Persönlichkeitstest absolvieren, dann, nach einer Kick-off-Veranstaltung, ein modulares Trainingsprogramm durchlaufen, wobei der Schwerpunkt auf Durchsetzungsfähigkeit und Entscheidungsverhalten liegt und das von Coachings begleitet wird. Er rechnet dem Chef vor, dass sich jeder Euro, den er in derartige Personalentwicklungsmaßnahmen steckt, vervierfachen wird, weil zahlreiche Studien ergeben haben, dass Mitarbeiter, die an einem derartigen Training teilgenommen haben, anschließend viel unternehmerischer denken und damit weitaus produktiver arbeiten.

Albern? So kommt mir die Sache mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement vor. Glaubt man den Zahlen, dann sind immer mehr Menschen mit ihrer Arbeit unzufrieden, die psychischen Erkrankungen nehmen zu und stellen schon die häufigste Ursache für vorzeitige Pensionierungen dar. Der Zusammenhang mit den dramatischen Veränderungen in der Arbeitswelt scheint unstrittig: Wo das Bedürfnis nach Sicherheit und Anerkennung immer seltener erfüllt wird und so etwas wie Zugehörigkeitsgefühl verloren geht, steigt die Belastung für den Einzelnen und die Gefahr des Burnouts - was auch immer man darunter verstehen mag - steigt.

Und wie das so ist, wenn ein Problem erkannt und den Weg in die Medien gefunden hat, tauchen zahlreiche Anbieter auf, die ein Geschäftsmodell entdecken. In Sachen Gesundheitsmanagement funktioniert es prima: Gesundheitscheck, Gesundheitstage, Massagen am Arbeitsplatz, Ernährungsberatung, Fitness-Angebote - des einen Leid ist des anderen Freud. Alles verbunden mit dem Versprechen: Jeder Euro, den ein Unternehmen in das betriebliche Gesundheitsmanagement steckt, zahlt sich vierfach aus. Weil gesunde Mitarbeiter seltener fehlen, mehr leisten, produktiver sind.

Ein interessanter Kreislauf: Um die Rendite zu erhöhen, werden Produktionsprozesse verschlankt, Personal abgebaut, Leistungsanreize gesetzt und der Druck erhöht. Mit der Folge, dass die Produktivität der Mitarbeiter sinkt, damit auch das Ergebnis beeinträchtigt wird. Um deren Leistungsfähigkeit wieder herzustellen, gibt man Geld für gesundheitsfördernde Maßnahmen aus. Mit der Botschaft: Wir tun das für euch, damit Ihr dem Druck, den wir (bzw. die Globalisierung, der Wettbewerb, die Konkurrenz...) erzeugen, besser stand haltet.

Warum auch nicht, könnte man einwenden. Das ist bei Maschinen ja nicht anders. Wenn sie rund um die Uhr laufen, ohne Pause und ohne regelmäßige Pflege, verschleißen sie. Wer kein Geld für Instandhaltung in die Hand nimmt, der braucht bald neue Anlagen. Da ist es doch besser, Maßnahmen zur Pflege der Maschinen zu bezahlen. So wie man eben auch Geld für die "Instandhaltung" der Mitarbeiter ausgibt.

Ein Vergleich, der hinkt? Ich fürchte nicht. Statt neben dem x-ten Programm zu Förderung der Mitarbeiterkompetenzen nun auch noch ein Gesundheitsmanagement zu installieren, könnte man Unternehmen und Organisationen als Gemeinschaft begreifen. Als Gemeinschaft von Menschen, die ein gemeinsames Ziel haben und für dieses arbeiten, ohne dabei krank zu werden. Aber vermutlich wäre der Aufwand ungleich größer, als einen Anbieter zu engagieren, der den Mitarbeitern eine gesunde Lebensweise vermitteln soll.

Rezension zum Thema:
Anti-Stress-Kosmetik, pseudoempathische Phrasen und Systemkritik
Jenseits von Gewinn und Profit
Wirtschaftspsychologie-aktuell 2/2012

2 Kommentare:

Coaching|Christoph Simon hat gesagt…

Dieser Zirkel tritt mit Sicherheit in ganz vielen Unternehmen auf, was mir mal wieder zeigt, dass sich Wirkungen ganz unterschiedliche Ursachen suchen können.

Was ich aber nicht ganz verstanden habe - wie sind Sie denn auf das Gesundheitsmanagement gekommen? Da ging es doch anfangs nur um Mitarbeiter, die sich nicht trauen Ihrem Chef zu sagen, was er für ein Depp ist.

Johannes hat gesagt…

Ooops, das hab ich wohl nicht mitbekommen. Sowas.... :-)