Mittwoch, 24. Oktober 2012

Autoritär führen

Ich finde wissenschaftliche Experimente zum Thema "Führung" spannend. Noch spannender ist es, die Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen für die Praxis zu lesen. Hier das Experiment: Vierköpfige Teams - meist bestehend aus Studenten - sollten komplexe Aufgaben am Computer lösen. Alle Teams hatten einen Teamleiter, der allerdings einen unterschiedlichen Führungsstil pflegte. Soweit, so alt. Das Besondere: Die "Teamleiter" wurden mit unterschiedlichem Status versehen. Soll heißen: Es gab "Führungskräfte", die weiter oben in der Hierarchie angesiedelt waren und solche, die weiter unten platziert wurden.
In einem zweiten Experiment schauten sich Business School Absolventen und Studenten Videos an, in denen Mitarbeiter ihre Teamleiter beschrieben.

Ergebnis: Unerfahrene Teamleiter und solche, die in der Hierarchie weiter unten stehen, wurden bezüglich Effizienz und Selbstbewusstsein besser bewertet, wenn sie autoritär führten, sprich: Wenn sie klare Anweisungen gaben. Bezogen sie hingegen die Mitarbeiter in die Entscheidungen ein, erhielten sie schlechtere Bewertungen.

Die Erklärung der Autoren: Wenn ein unerfahrener Manager seine Mitarbeiter nach ihrer Meinung fragt, werden diese ihn als unsicher und inkompetent einstufen, nach dem Motto: "Der hat selbst keine Ahnung, deshalb fragt er uns." Tritt er hingegen selbstbewusst und autoritär auf, werden sie das als Selbstbewusstsein interpretieren und damit auch als kompetent und effektiv.

Klingt plausibel. Erst mal...

Nun schauen wir uns die Empfehlungen für die Praxis an. Ein frisch gekürter Manager sollte herausfinden, ob seine Mitarbeiter ihn als erfahren und kompetent ansehen. Wenn das der Fall ist, kann er ihnen Mitspracherechte einräumen. Merkt er jedoch, dass er eher als unerfahren und inkompetent angesehen wird, sollte er klare Akzente setzen und die Richtung vorgeben. Erst wenn er dann einen höheren Status in der Organisation erreicht hat, sollte er einen kooperativen Führungsstil einschlagen.

Klingt das noch sinnvoll? Ich stelle mir vor, ich sitze in einem Experiment und muss Aufgaben am Computer bearbeiten. Dabei kriege ich einen "Teamleiter" vorgesetzt, der scheinbar keine Ahnung hat und mich dann auch noch fragt, wie ich vorgehen würde. Natürlich halte ich ihn für inkompetent und diejenigen, die das Experiment veranstalten, vermutlich ebenso, weil sie mir eine Pfeife als Teamleiter vorsetzen.

Aber ist das in der Unternehmenspraxis auch so? Wenn ich einen neuen Chef kriege, der sich selbst nicht auskennt - möchte ich dann, dass er ohne Ahnung klare Anweisungen gibt? Oder fände ich es nicht mehr als vernünftig, wenn er mich um meine Meinung fragt - und dann klar entscheidet? Mag ja sein, dass ein neuer, der forsch und selbstsicher auftritt, erst einmal Eindruck schindet. Aber wehe, er stellt sich dann als "Dünnbrettbohrer" (der Begriff entstammt dem Beitrag im HBM) heraus...

Was lehrt uns also dieses Experiment? Zumindest, dass solche "Forscher" sich sehr zurückhalten sollten, Ergebnisse ihrer Experimente 1:1 auf die Praxis zu übertragen. Und dass Herausgeber von "Fachzeitschriften" ihre Veröffentlichungen kritischer betrachten sollten, statt den Artikel mit dem Titel: "Haut auf den Tisch, Jungchefs!" (Harvard Business Manager 9/2012, S. 13-14) zu versehen.
Sonst noch was?


1 Kommentar:

Marijan Kosel hat gesagt…


Hallo Herr Thönneßen,
ich kann Ihnen nur beipflichten. Dieses Beispiel zeigt mir wieder einmal, dass es besser ist, auf seinen gesunden Menschenverstand zu vertrauen, anstatt irgendwelche pseudo-wissenschaftlichen Ergebnisse auf die Praxis zu übertragen. Wir leben - zum Glück - in einer Gesellschaft, in der ein autoritärer Umgang mit anderen Menschen langfristig nicht zum Erfolg führt. Daher gilt für mich nach wie vor: gute Führung basiert immer auf der Grundlage humanistischer Werte, vor allem auf Wertschätzung. Nicht autoritäre Führung ist gefragt, sondern konsequente. Das bedeutet, als Führungskraft konsequent für die Interessen des Unternehmens einzustehen und gleichzeitig eine wertschätzende Grundhaltung gegenüber den Mitarbeitern einzunehmen. Gestatten Sie, das ich dabei auf mein kürzlich erschienenes Buch "Aktiv und konsequent führen" verweise. :-)
Herzliche Grüße vom Bodensee
Marijan Kosel