Wie leichtfertig wir mitunter mit Begriffen hantieren, ohne uns zu vergewissern, ob es überhaupt ein gemeinsames Verständnis davon gibt, was diese Begriffe genau bezeichnen. Potenzial ist so ein Begriff, Kompetenz ein anderer. Und dann gibt noch den Begriff der Fähigkeit. Wie stehen sie zueinander? Was meinen wir, wenn wir sagen, jemand habe das Potenzial zu einem großen Künstler? Einem erfolgreichen Sportler? Einer Führungskraft?
Ich habe viele Definitionen bisher gelesen und bin nach wie vor dankbar für jeden Versuch, ein wenig Licht in das Begriffschaos zu bringen. So geschehen in der Ausgabe 9/2012 der managerSeminare. Kompetenz als bewusst wiederholtes Verhalten zu definieren gefällt mir gut. Einmal einen Golfball richtig zu treffen, ist noch keine Kompetenz. Dies bewusst zu wiederholen, allerdings schon. Mit anderen Worten: Jemand hat die Kompetenz, andere zu erfolgreich zu führen, wenn ihm dies in vielen Situationen immer wieder konkret gelingt.
Aber was sind dann Fähigkeiten? In dem Beitrag wird sie als handwerkliche Komponente, die "Ausführungskompetenz" definiert, die wir durch Übung weiterentwickeln. Das ist merkwürdig. Nicht nur, weil hier Fähigkeit durch einen Begriff erklärt wird, der "Kompetenz" als Bestandteil hat. Später taucht dann auch noch der Begriff "Talent" auf, mit dem die Begrenzung unserer Fähigkeiten gemeint ist.
Fähigkeiten sind zweifellos Voraussetzungen für Kompetenz. Jemand, der nur eine begrenzte Fähigkeit besitzt, Arme und Beine zu koordinieren, wird wohl kaum eine herausragende Kompetenz in Sachen Tennis entwickeln. Ist Fähigkeit damit die angeborene Disposition für ein Verhalten? Irgendwie schon, aber da sie angeblich trainiert und damit verbessert werden kann, auch nicht ausschließlich.
Versuchen wir es einmal so: Jemand besitzt die Fähigkeit, seine Finger schnell zu bewegen, durch Übung kann er dies bis zu einem gewissen Grad steigern. Besitzt er zudem die Fähigkeit, Töne zu erkennen, und dann noch die Fähigkeit, sich zu konzentrieren usw., dann besteht die Chance, die Kompetenz des Geigespielens auf einem bestimmten Niveau zu erwerben - nämlich immer wieder ein Konzert in einer bestimmten Qualität zu spielen.
Besitzt er damit auch die Fähigkeit, Geige zu spielen? Na gut, wollen wir mal nicht spitzfindig sein...
Der wichtigste Aspekt einer Kompetenz ist laut Paschen/Dihsmeier die Orientierung. Wer keine Präferenz bzw. kein Motiv zur Kunst hat, dem werden alle Fähigkeiten (oder Talente?) nicht helfen, also wird er auch keine entsprechende Kompetenz erwerben.
Und was ist nun Potenzial?
Ganz einfach: Noch nicht realisierte Kompetenzen. Sprich: Jemand hat die Fähigkeit (Talent?) und die Orientierung, aber setzt es (noch) nicht in konkretes, wiederholtes Verhalten um. Klingt sinnvoll, oder? Mit welchen Konsequenzen für die Potenzialanalyse?
Wäre zuerst einmal zu klären, wann und wozu wir überhaupt Potenzial erfassen wollen. Bei der Einstellung von neuen Mitarbeitern? Bei Entscheidungen über den weiteren Verlauf einer Karriere, der sogenannten "Personalentwicklung"? Überhaupt bei Entscheidungen über Investitionen in Menschen, etwa bei angehenden Sportlern, Künstlern, Wissenschaftlern, Führungskräften...?
Soll heißen: Wir wollen wissen, ob es sich lohnt, Geld und Zeit in die Förderung von Menschen zu stecken, sie auszubilden, ihnen Aufgaben anzuvertrauen. Wie stellen wir das an?
Da wird es leider kompliziert. Was immer wir tun - wir werden immer nur Kompetenzen - nach der oben genannten Definition - erfassen. Wir schauen in Tests und Assessment Centern, ob jemand eine bestimmte Aufgabe wiederholt mit einer bestimmten Qualität löst. Oder bestimmte Fragen in bestimmter Art und Weise ankreuzt. Dann schließen wir daraus auf bestimmte Orientierungen, Motive, Fähigkeiten, die wir nun einmal nicht selbst beobachten können. Anschließend hoffen wir, dass jemand, der heute diese beobachteten Kompetenzen zeigt, in Zukunft auch andere Kompetenzen entwickeln kann und wird.
Was wiederum bedeutet: Wir sollten uns tunlichst von Potenzialaussagen fernhalten. Wir sollten beschreiben, welche Kompetenzen jemand zum Zeitpunkt X zeigt. Und anschließend so gut es geht über Wahrscheinlichkeiten reden: Jemand, der im Alter von 18 Jahren eine bestimmte Geschwindigkeit über 100m erreicht, wird wahrscheinlich bei einem Trainingsaufwand von Y maximal eine Zeit von Z erzielen - mit einer Vorhersagewahrscheinlichkeit von... Wobei dies umso problematischer wird, je komplexer die Kompetenz ist, deren Potenzial wir zu erfassen versuchen. Gerade zu anmaßend erscheint es da, wenn wir versuchen, so etwas wie Potenzial für eine Führungskraft zu erfassen.
Artikel zum Thema:
Wie entstehen Stärken? managerSeminare 9/2012
Sonntag, 30. Dezember 2012
Was ist eigentlich Potenzial?
Eingestellt von Johannes um 13:08:00
Labels: Potenzialanalyse
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