Macht verdirbt den Charakter. Ich fürchte, der Satz enthält mehr als einen Funken Wahrheit. Experimente, die darauf angelegt sind, Menschen die Möglichkeit zu geben, über andere Macht auszuüben, zeigen immer wieder erschreckende Folgen. Das bekannteste Experiment (Zimbardo), bei dem in einem fiktiven Gefängnis die eine Gruppe als Wärter, die andere als Gefangene fungierte, ist inzwischen Pflicht-Inhalt an Schulen. Bei anderen Versuchen stellte sich heraus, dass "Führungskräfte" häufiger logen als "Mitarbeiter".
Fast witzig, wenn auch leider ebenso bitter, das "Keksexperiment" (Gruenfeld): Eine Gruppe Studenten diskutierte über Religion und Politik, wobei ein Teilnehmer insofern Macht verliehen bekam, als er die Äußerungen der anderen beurteilen sollte. Als am Ende der Gruppe ein Teller mit Keksen angeboten wurde, nahm sich der "Mächtige" nicht nur mehr Kekse, sondern kaute mit offenem Mund und verstreute Krümel über dem Tisch.
Was passiert hier? Es mag ja sein, dass manche Menschen anfälliger sind für die Verlockungen der Macht. Es muss ja nicht immer so sein wie bei der Führungskraft, die ich einmal in einem Seminar erlebt habe. Sie führte sich in einem Rollenspiel extrem autoritär auf, ließ keine gutes Haar am "Mitarbeiter" und hatte dabei sogar noch sichtliches Vergnügen. Nach dem Feedback der anderen, das entsprechend vernichtend ausfiel, lautete die lapidare Erklärung: "Ich habe jahrelang unter meinen Vorgesetzten gelitten. Jetzt bin ich endlich in der Rolle des Chefs, jetzt sollen mal die anderen leiden."
Rache als Motiv - sicher eher die Ausnahme. Was aber ist es dann, das Menschen mit Macht dazu verleitet, diese zu missbrauchen, sei es, um sich Vorteile zu verschaffen, sei es, um andere plötzlich
unmenschlich zu behandeln?
Ich finde, das mit den Keksen sehr aufschlussreich. Macht scheint Menschen das Gefühl zu geben, außerhalb der Regeln zu stehen. Wer etwas Besonderes ist, mächtiger als andere, der darf Regeln aufstellen, also auch gegen Regeln verstoßen. Genau dieser Unterschied zu den anderen könnte dieses Gefühl vermitteln, mehr zu dürfen, mehr wert zu sein, anderen überlegen zu sein.
Aber auch die zweite Erklärung scheint mir schlüssig: Die Fokussierung auf die eigenen Bedürfnisse, die über die der anderen gestellt wird. Das könnte als eine Art Belohnung verstanden werden. "Ich übernehme Verantwortung, an der ich schwer zu tragen habe. Ich bin nicht nur für das eigene Tun verantwortlich, sondern auch für das der anderen (der Mitarbeiter)." Wer so viel zu tragen hat, der
darf sich auch mehr gönnen.
Die Schlussfolgerung daraus? Die Standard-Empfehlungen dürften lauten: Selbsterkenntnis, regelmäßige Reflexion, umgeben mit kritischen Feedback-Gebern, von denen man sich Rückmeldung einholt, Führungstraining...
Es ist doch immer das Gleiche: Man weiß, wie Menschen in bestimmten Situationen reagieren - weil sie einfach Menschen sind. Um unliebsames Verhalten zu verhindern, versucht man es mit Training. Aber wissen wir nicht alle, wie verflixt schwierig das ist, ein Verhalten verändern? Wie viel Training benötigt man, um ein Verhalten zu erlernen? Wie viel mehr Training erfordert es dann, Verhalten zu unterdrücken?
Wie wäre es also damit: Möglichst sparsam mit der Verteilung von Macht umgehen, und wenn es sich denn gar nicht vermeiden lässt, diese nur auf Zeit vergeben. Menschen sollten sich "Macht" verdienen - und sie wieder verlieren, wenn sie sie missbrauchen. So wie ein Bundespräsident.
Aber ach, ich träume...
Rezension zum Thema:
Das Wulff-Syndrom, Wirtschaftswoche 4/2012
Donnerstag, 1. März 2012
Was Macht aus Menschen macht
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1 Kommentar:
Ich denke wir wissen um dieses Phänomen, das in vielfältiger Weise zu Missbrauch führt, nicht zuletzt an Kindern, Jugendlichen,behinderten und älteren Menschenund führt. Die Debatte um die Genderfrage hänge ich nur als Gedankenanstoß an. Wir versuchen hier am Verhalten zu kurieren, was auf höheren Ebenen geschieht, die der Werte und dessen wofür Meschen stehen, mit was sie sich über die eigene Person hinaus verbunden fühlen. Eine Demutsschule tut an dieser Stelle mehr als Not.
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