Verlernen wir, miteinander zu reden? Angeblich hassen immer mehr Menschen das Telefon. Nicht das Smartphone, wohlgemerkt. Vielmehr das Sprechen am selbigen. Wenn es klingelt, könnte am anderen Ende jemand sein, der mit uns REDEN will. Erschreckender Gedanke, wo wir doch mit wenigen Worten per SMS, oder, wenn es etwas ausführlicher sein soll, per Mail kommunizieren können.
Unsinnig? Da bin ich mir nicht so sicher. Ich meine zu beobachten, dass tatsächlich viele, vor allem jüngere Menschen, das direkte Gespräch scheuen. Ein typischer Dialog: "Hast du Bescheid gesagt, dass du nicht kommst?" - "Hab' 'ne SMS geschickt."
Der Vorteil: Jede Art von Auseinandersetzung wird vermieden. Der andere könnte ja enttäuscht reagieren, gar mit Vorwürfen. Eine SMS hingegen verhindert erst einmal eine direkte Reaktion. Funktioniert genauso mit e-Mails.
Aber auch das unmittelbare Gespräch mit Menschen, denen ich gegenüber sitze, leidet. Während eine SMS mitunter noch richtig Geld kostet, ist der Chat per Whatsapp in der Internet-Flat enthalten - ständige Signale töten jedes direkte Gespräch: "Sorry, muss mal eben antworten."
Die amerikanische Psychologin Sherry Turkle, die ein Buch über das Thema verfasst hat (Alone Together), berichtet von einem Jugendlichen, der innerhalb der Stunde, während sie sich unterhalten haben, 100 Nachrichten erhielt und dies kommentierte mit: "Wie lange muss ich noch so leben?"
Studenten baten darum, ihr Smartphone offen auf den Tisch legen zu dürfen, um keine Meldungen zu verpassen. Es soll aber auch schon jene geben, die darum bitten, ihnen den Gebrauch des Smartphone während der Vorlesungen zu untersagen. Wenn das mal kein Hilferuf ist.
Interessante Perspektive: Turkle möchte nicht die Sucht-Metapher verwenden, sondern lieber die einer Diät. So wie es ungesundes Essen gibt, das im Übermaß genossen zu Fettleibigkeit führt, so kann exzessive digitale Kommunikation zu Kommunikationsstörungen führen. Wir sollten uns also hin und wieder auf Diät setzen. Abende einrichten, an denen das Smartphone ausgeschaltet ist, an denen wir keine Mails abrufen. Urlaube, in denen keine Mails beantwortet werden und wir unerreichbar bleiben. Hat doch früher auch geklappt...
Problem dabei: Wir wissen ja leider, wie schwer es ist, eine Diät durchzuziehen. Da wird so mancher die kommunikative Fettleibigkeit nicht los werden...
Rezensionen zum Thema:
Online abspecken, Financial Times Deutschland vom 13.1.2012
Nichts verpasst, Financial Times Deutschland vom 13.1.2012
Donnerstag, 8. März 2012
Digitale Diät
Eingestellt von Johannes um 07:02:00
Labels: Kommunikation
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