Manchmal sind wissenschaftliche Artikel unfreiwillig komisch. Aber zuerst mal zur Wissenschaft. Geprüft werden sollte die Hypothese, dass Mitarbeiter, die an der Formulierung von Zielen beteiligt werden, motivierter sind als jene, denen man die Ziele nur vorsetzt. Oder nein, eigentlich lautete die Hypothese anders: "Je höher der Partizipationsgrad eines Mitarbeiters an der Zielvereinbarung ist, desto höher wird auch die Arbeitsmotivation sein, die aus der Zielvereinbarung resultiert."
Da kommt schon das erste erstaunte Schmunzeln. Beteiligung an einer Vereinbarung - ja wie kann man denn etwas vereinbaren, ohne den anderen zu beteiligen? Der Titel "Partizipative Zielvereinbarungen" allein macht ja schon stutzig.
Egal, schauen wir weiter. Man hat 118 Menschen, mit denen regelmäßig Ziele vereinbart werden, mit Hilfe eines eigens konstruierten Fragebogens befragt. Darbei sollten die Probanden angeben, wie sehr sie sich engagieren, wie SMART die Ziele sind, die sie vereinbaren, ob sie überhaupt vereinbart werden, wie motivierend die Ziele sind usw.
Dann hat man geschaut, welche Items wie zusammenhängen. Und siehe da: Je mehr Mitspracherecht die Mitarbeiter erleben, desto positiver erleben sie die Zielvereinbarungen. Überrascht?
Nun aber kommt es: Je mehr sie beteiligt werden, umso weniger strengen sie sich an, die Ziele auch zu erreichen. Mitarbeiter an der Formulierung der Ziele zu beteiligen ist demnach sogar kontraproduktiv.
Wie das sein kann? Die Autoren liefern folgende Erklärung: Wenn Mitarbeiter mitreden dürfen, dann tendieren sie zur "Pufferbildung". Gemeint ist, dass sie darauf achten, dass die Ziele nicht zu hoch gesteckt werden bzw. dass ausreichend Ressourcen an Zeit und Material zur Verfügung stehen. Weil sie sichergehen wollen, die vereinbarten Ziele auch zu erreichen. Wobei sich herausstellt, dass die Pufferbildung umso größer ist, je genauer man die Ziele formuliert.
Ob das eine zulässige Interpretation ist, weiß ich nicht, finde ich aber gewagt. Dass es diese "Puffertendenz" gibt, steht auf jeden Fall fest. Ist aus Sicht des Mitarbeiters ja auch mehr als sinnvoll. Was sollte nun der Vorgesetzte tun?
Auch dafür haben die Wissenschaftler einen Rat: Sie sollten froh sein! Zumindest, wenn es sich um einen Bereich oder ein Unternehmen handelt, das auf Innovationen angewiesen ist. Dann nämlich, so die kühne Hypothese, haben die Mitarbeiter Zeit und Muße, die "Puffer" zu nutzen, um die allseits geforderten Innovationen voranzutreiben.
Und die Vorgesetzten "sollten die Tendenz zur Pufferbildung im Zielvereinbarungsgespräch erkennen und auf ihre Notwendigkeit z.B. im Hinblick auf die Innovationskraft hin beurteilen."
Hoppla, wie geht das denn? "Herr B., ich merke, Sie planen da einen ordentlichen Puffer ein bei der Verfolgung Ihrer Ziele, da haben Sie ja genug Zeit für Kreativität. Ich hoffe, dass Sie diese Zeit auch wirklich nutzen!"
Da wird sich der Mitarbeiter aber sehr freuen und beim nächsten Mal geschickter vorgehen. Andernfalls wird er am Ende des Jahres zu hören bekommen: "Die Ziele waren ja mit weniger Aufwand erreichbar, daher ist das Ergebnis weniger wert. Wie steht es denn mit den Innovationen in der Zeit?"
Das haben die Autoren offenbar auch erkannt und stellen fest, dass die Führungskraft deutlich mehr Zeit benötigt, um Zielvereinbarungsgespräche zu führen. Was natürlich nur geht, wenn die Führungskräfte nicht zu viele Mitarbeiter führen.
Au weia - wie sehr wird denn hier um die Ecke gedacht? Arme Führungskräfte, die solchen Erkenntnissen ausgesetzt werden.
Rezension zum Thema:
Partizipative Zielvereinbarungen, Zeitschrift Führung + Organisation 4/2011
Mittwoch, 23. Mai 2012
Zielvereinbarungen mit Puffer
Eingestellt von Johannes um 12:17:00
Labels: Führung, Motivation, Zielvereinbarungen
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4 Kommentare:
Au weia - da kann ich mich nur anschließen Herr Thönneßen.
Wurden dort vielleicht die falschen Fragen gestellt?
Partizipation erhöht doch in erster Linie die Selbstverpflichtung des Mitarbeiters, der den Sinn seines Ziels anerkennt.
Außerdem sorgt die Mitwirkung an der Zielfindung für eine höhere Klarheit und lässt mögliche Zweifel und Hemmnisse frühzeitig sichtbar werden. Die Zielerreichung wird dadurch wahrscheinlicher.
Die Frage des Puffers bezieht sich doch vor allem auf das Anspruchsniveau bzw. die Höhe des Ziels. Das ist jedoch nach meiner Erfahrung als Führungskraft erst der zweite Schritt. Hierbei obliegt es doch mir als Führungskraft, meine Ansprüche zu formulieren. Erfolgsorientierte Mitarbeiter werden sich einer Herausforderung stellen. Mißerfolgsorientierte eher nicht - aber das wurde ja schon in den 70er und 80er Jahren erforscht.
Die Verknüpfung zwischen Puffer und Innovationen halte ich für völlig irreführend. Wenn Innovationen wichtig sind, warum vereinbare ich dann nicht ein spezifisches Ziel dazu?
Vielen Dank für Ihren Blog Herr Thönneßen - bleiben Sie dran.
Beste Grüße
Matthias Martens
Hallo Herr Thönneßen,
ein schöner Artikel. Bei einigen Passagen musste ich ziemlich schmunzeln, weil so treffend formuliert.
Meiner Ansicht nach sind Zielvereinbarungen immer dann kontraproduktiv, wenn die Erreichung der Ziele an das variable Gehalt des Mitarbeiters gekoppelt wird. Das kann langfristig nicht gut gehen, weil der Mitarbeiter sich ja selbst ins Fleisch schneidet, wenn er für sich keine Puffer einbaut. In solchen Gehaltssystemen werden die Mitarbeiter sich mehr darum kümmern, ihre Gehälter zu optimieren und sich nicht für das Unternehmenswohl einzusetzen. Fatal für das Unternehmen.
Herzliche Grüße
Bernd Geropp
Hallo Herr Geropp,
sehe ich genauso. Umso erstaunlicher, dass nach wie vor viele Unternehmen daran festhalten.
Herzliche Grüße
Johannes Thönneßen
"Partizipationsgrad eines Mitarbeiters an der Zielvereinbarung" - da graust es selbst dem geneigten Leser vor der Möglichkeit, dass Vereinbarungen mit Null Partizipation getätigt werden. Oder ging es am Ende garnicht um die Ziele "des Mitarbeiters"?
Und auch die Interpretationen reichen weit ins Reich der Spekulation - wenn das seriöse Wissenschaft sein soll?
Danke für den Artikel im Blog
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