Alle Welt redet davon, dass sich Unternehmen verändern müssen, wenn sie den zukünftigen Anforderungen gewachsen sein wollen. Mehr noch: Wenn sie sich nicht ändern, dann werden sie bald aufhören zu existieren, weil sie einfach keine Leute mehr anlocken werden, die für sie arbeiten möchten.
Doch wenn es um grundlegende Änderungen geht, ist es vorbei mit der Begeisterung für Neuerungen. Wie ich darauf komme? Der Chef einer IT-Verbundgruppe hat ein Firmen-Wiki eingeführt und wird zu dem Thema als Vortragender eingeladen. Die Reaktionen lauten: "Coole Sache, aber bei uns geht das nicht." Kommt mir irgendwie vertraut vor. Über Offenheit und Vertrauen zu reden und solche Werte in aufwendige Firmenphilosophien zu schreiben, ist eine Sache. Sie umzusetzen eine völlig andere.
Bei der SYNAXON AG wurde ein Firmen-Wiki eingerichtet, in dem nahezu sämtliche Informationen abgelegt sind. Nur noch wenige Dinge sind bestimmten Führungskräften allein zugänglich (Daten bei Firmenübernahmen, Gehälter, Mitarbeiterbeurteilungen), ansonsten kann jeder auf alles zugreifen. Mehr noch: Jeder kann jeden Text bearbeiten, Führungskräfte haben lediglich ein Vetorecht. Was das bedeutet, ist an einem Beispiel anschaulich erklärt: Jemand kann ohne weiteres seine Stellenbeschreibung ändern und damit seine Verantwortlichkeiten heraufsetzen, und das würde dann ab sofort gelten. Denn auch sämtliche Regeln stehen in diesem Firmen-Wiki.
Offizielle Kontrollinstanzen hierzu gibt es offenbar nicht, stattdessen setzt man auf soziale Kontrolle. Da die Änderungen nicht anonym gemacht werden können, wird sich jeder gut überlegen, welche Informationen er ins Netz stellt.
Der "Erfinder", Frank Roebers, erklärt das so: Man gewährt einen enormen Vertrauensvorschuss, denn man geht davon aus, dass Mitarbeiter verantwortungsbewusste Menschen sind. Erst wenn das Vertrauen missbraucht würde, schreitet man ein. Bei den meisten anderen Unternehmen sei es genau umgekehrt: Man beginnt mit Misstrauen und lässt dann ausnahmsweise hier und da mal Vertrauen walten.
Er wundert sich, dass bei seinen Vorträgen alle ganz begeistert sind, aber es dann doch niemand nachmacht. Das Phänomen ist interessant, und der Satz: "Bei uns geht das nicht!" ist mir auch schon oft begegnet. Vermutlich entspringt er in den meisten Fällen auch einer tiefen Überzeugung nach dem Motto: "Wenn ich mir das bei unseren Mitarbeitern vorstelle, gibt das ein heilloses Chaos." Oder aber, wenn man es nicht mit dem Top-Management zu tun hat: "Wenn ich das unseren Chefs erzähle, werde ich nur völliges Unverständnis ernten." Wie schön, dass es dann doch immer wieder Beispiele von Unternehmern gibt, die solche Glaubenssätze überwinden.
Wer die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat und Frank Roebers für einen Vortrag buchen möchte, der findet auf seiner Seite ein ganz spannendes Angebot. Ungewöhnlich.
Rezension zum Thema:
Wie ein Wiki Unternehmen radikal verändern kann, wirtschaft + weiterbildung 2/2011
Dienstag, 12. April 2011
"Bei uns geht das nicht"
Eingestellt von Johannes um 15:37:00
Labels: Führung, Unternehmenskultur
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3 Kommentare:
Ein sehr mutiger Schritt.
Tatsächlich wundere ich mich, weshalb es so wenige Nachahmer dieser Idee gibt. Warum stellen Unternehmen überhaupt Persönlichkeiten ein, denen sie nicht vertrauen? Ein eigenartiger Zustand.
Herzliche Grüße, Tanja
Eine interessante Frage: Vielleicht stellt man gar keine Menschen ein, weil sie Persönlichkeiten sind, sondern weil man die Arbeit alleine nicht schafft. Dummerweise aber bekommt man meist Persönlichkeiten :-)
Herzlichst
Johannes Thönneßen
Das erinnert mich an eine Situation von der mir mein Lebensgefährte neulich berichtete. Er ist seit Januar in einer neuen Firma. Es gab eine schwierige Aufgabe zu bewältigen und mein Partner wollte seinen Chef anrufen um das weitere Vorgehen abzuklären und eine Frage zu stellen. Seine neuen Kolleginnen hielten ihn davon ab, mit der bemerkung: "NEIN! Mach das nicht, dann zeigst du ja Schwäche."
Ich betrachte solche negativen Einstellungen generell als Behinderung. Wie heißt es so schön bei der Sesamstraße: "Wer nicht fragt bleibt dumm!"
So verhält es sich auch mit den Firmen-Wikis, wenn ich als Führungskraft von meinen "Untergebenen" Vertrauen erwarte muss ich ihnen dieses auch entgegenbringen.
Manchmal wird den Leuten auch zu wenig zu getraut bzw. traut man sich selbst weniger zu als man tatsächlich kann.
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