Wenn ein Bewerber sich bestens auf das Bewerbungsgespräch vorbereitet, auf jede Frage die richtige Antwort hat und sich genau so präsentiert, wie man das vom idealen Kandidaten erwartet, dann freut sich der Arbeitgeber. Wenn der gleiche Bewerber im Persönlichkeitsfragebogen genau die Alternativen ankreuzt, die ihn im besten Licht erscheinen lassen, dann ist der Arbeitgeber weniger glücklich. Schließlich will er doch wissen, wie der Kandidat "in Wirklichkeit" ist.
Das ist schon ein Dilemma, oder? Niemand möchte einen perfekt gedrillten Kandidaten vor sich sitzen haben, um nachher festzustellen, dass er in der konkreten Arbeitssituation leider nicht das hält, was er versprochen hat (das gilt umgekehrt übrigens genauso). Andererseits: Jemand, der alles tut, um den Job zu bekommen, zeigt zumindest Ehrgeiz, Fleiß, Engagement, Gewissenhaftigkeit - und soziale Kompetenz. Schließlich weiß er, wie man sich auf sein Gegenüber einstellt, er antizipiert die Erwartungen an ihn und passt sich ihnen an.
Sehr schmunzeln musste ich bei einem Artikel zu dem Thema, in dem es heißt, dass bei der Verhaltensbeobachtung im Assessment Center dies kein Problem darstellt. Wenn ein Kandidat hier z.B. im Rollenspiel das erwünschte Verhalten zeigt, dann beweist er damit soziale Kompetenz. Weil er die Situation richtig einschätzt und in der Lage ist, das erwünschte Verhalten in Handlung umzusetzen. Also hat er definitiv diese Kompetenz. "Ob er sie dann später im Berufsalltag auch zeigt, ist dann keine Frage mehr der Personalauswahl, sondern der Führung."
Das ist witzig. Könnte man mit der gleichen Berechtigung nicht auch sagen: Jemand, der im Interview die richtigen Antworten gibt, zeigt, dass er über das notwendige Wissen über richtiges Verhalten verfügt. Ob er dieses später im Job auch in Verhalten umsetzt, ist eine Sache des Trainings bzw. der Führung.
Oder noch böser: Wenn ein Kandidat im AC geglänzt hat oder im Interview jede heikle Frage mit Bravour gelöst hat, später aber die erzeugten Erwartungen nicht erfüllt, liegt es wohl an der Führungskraft, die ihn/sie nicht entsprechend geführt hat.
Es bleibt ein Dilemma. Sowohl AC als auch Einstellungsgespräch sind nie wirklich in der Lage, eine einigermaßen zutreffende Vorhersage über den Erfolg am Arbeitsplatz zu treffen. Allein schon deshalb, weil die reale Situation so vielfältig ist, dass kein Interviewleitfaden der Welt und keine Simulation im AC sie auch nur annähernd abbilden kann. Letztlich zeigt sich erst am Arbeitsplatz selbst, welche Kenntnisse und Fähigkeiten jemand "auf die Straße bringt" - was den Wert der Probezeit nur noch deutlicher macht.
Übrigens bin ich davon überzeugt, dass ein gut trainierter Kandidat in einem wenige Minuten dauernden Rollenspiel mehr Chancen hat zu glänzen als in einem ausführlichen Interview, bei dem nach konkretem Verhalten in der Vergangenheit gefragt und gezielt nach Beispielen geforscht wird. Aber da werden die Meinungen sehr geteilt sein...
Rezension zum Thema:
Selbstdarstellung in der Personalauswahl, Wirtschaftspsychologie-aktuell 4/2011
Dienstag, 3. April 2012
Knifflige Personalauswahl
Eingestellt von Johannes um 14:02:00
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
2 Kommentare:
Hallo,
so wie alles im Leben, kann man auch eine Bewerbungssituation immer von zwei Seiten sehen.
Es ist nun mal so, dass ein gewisses Risiko bleibt. Kann der Bewerber das Anwenden was er verspricht? Die Frage wird in einem Bewerbungsgespräch selten zu hundert Prozent beantwortet werden.
Vermeide es, auf Standardfragen auch Standardantworten zu geben. Geschulte Personalverantwortliche merken sofort, wenn du die Antworten aus Ratgebern auswendig gelernt hast.
Kommentar veröffentlichen