Ich kann mich gut erinnern, dass in einer Runde von Managern eine Personalleiterin feststellte: "Wer in einem großen Unternehmen arbeitet und kündigt, um sich selbstständig zu machen, der ist einfach nur nicht in der Lage, sich zu behaupten." Die Botschaft war eindeutig: "Der Wechsel in die Selbstständigkeit ist das Eingeständnis von Schwäche."
Ich hatte damals gerade meinen Arbeitsplatz bei einem Konzern aufgegeben und das Abenteuer der Selbstständigkeit gewagt. Und war für einen Moment verunsichert. War ich "konzern-untauglich"? Die Irritiation hielt nur kurz. Ich war bis dahin gut klargekommen, trotz all der Dinge, die das Leben in einer Großorganisation bestimmen. Die Mikropolitik, die unsinnigen Meetings, das unablässige Beschäftigen mit der Sicherung der eigenen Abteilung, der eigenen Aufgabe und Position, mit Gerüchten, Umstrukturierungen, neuen Vorgesetzten, merkwürdigen und nicht nachvollziehbaren Entscheidungen. Trotz der Komplexität, die durch noch komplexere Regelwerke beherrscht werden sollte, trotz der Konzernrundschreiben, der Leitlinien und Grundsätze, der scheinbar sinnlosen Rituale und dem weit verbreiteten Statusdenken.
Ich empfand den Ausstieg als mutig, als großen Schritt und hielt all die anderen für unfähig, ihn zu gehen, was durch so manche bewundernde Äußerung aus den unterschiedlichsten Hierarchie-Ebenen bestätigt wurde. Mit anderen Worten: Ich war nicht unfähig, in der Großorganisation zu bestehen - ich wollte es einfach nicht mehr.
Aber es war auch etwas Wahres an der Aussage. Mir fehlt in der Tat die Fähigkeit, tagein tagaus darüber nachzudenken, wie ich meine Karriereziele erreiche, welche Stelle mich reizt, wie ich die hierfür wichtigen Menschen kennenlerne und für mich gewinne. Mich hat schon immer die Aufgabe viel mehr gereizt als die Position. Und ich stellte mir bei allen möglichen Gelegenheit die Frage: "Was mache ich hier eigentlich?"
Über diese Frage bin ich jetzt wieder in einem Artikel über "Intelligentes Leben im Konzern" gestoßen, der witzige Titel der Ausgabe 6/2011 der Brand eins. Da heißt es sinngemäß, dass viele Angestellten den Sinn dessen, was sie tun, immer seltener nachvollziehen können, ihre eigene Rolle nicht verstehen und den eigenen Beitrag nicht erkennen.
Heute kommt dieser Satz bei mir nur noch ganz selten vor - und wenn, dann tatsächlich in Veranstaltungen mit Vertretern jener Großorganisationen, auf die ich mich eingelassen habe und dann feststelle, dass meine Anwesenheit dort nur bedingt sinnvoll ist.
Vielleicht ist es der Satz, der jeden mehr als nachdenklich machen sollte, wenn er zu häufig gedacht wird. Vielleicht wäre es gut, in diesen Momenten innezuhalten und zu versuchen, ihn zu beantworten. Vielleicht hat man ja nur für einen Moment vergessen, wozu man das, was man tut, gerade tut. Wenn einem aber keine Antwort einfällt, wird es Zeit für eine Veränderung. Das muss ja nicht unbedingt der Ausstieg sein.
Die Personalleiterin ist übrigens einige Jahre später auch in die Selbstständigkeit gegangen...
Rezension zum Thema:
Berichte aus dem Apparat, brand eins 6/2011
Samstag, 23. Juli 2011
Eine gute Frage
Eingestellt von Johannes um 07:32:00
Labels: Karriere, Motivation, Selbstständigkeit, Werte
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1 Kommentar:
Ein schöner Beitrag! Es gibt eben einen Unterschied zwischen dem Eingeständnis einer Schwäche (nebenbei bemerkt: was ist so schlimm daran?) und der Einsicht, dass es einem langt und man geht...
Mit besten Grüßen
Christopher Rauen
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