Dienstag, 28. Mai 2013

Einfach anders

Es dürfte kaum noch Branchen geben, an denen existenzbedrohende Veränderungen bisher vorbeigegangen sind. Wenn man von solchen Trends liest, geht es meist um große Unternehmen mit spektakulären Auswirkungen. Den "kleinen Einzelhandel" dürften solche Berichte kaum beeindrucken. Ob das die Kaufhäuser, die großen Einkaufscentren auf der grünen Wiese oder die Ketten mit der enormen Einkaufsmacht waren - der Einzelhandel ist schon lange eine vom Aussterben bedrohte Spezies.

Nun also will ihm der Online-Handel den Todesstoß versetzen - wobei diesmal die Konsumtempel und Ketten genauso bedroht sind. Wenn der Kunde bequem vor dem Bildschirm sitzt und seine Waren per Mausklick bestellt, geht es auch ihnen an den Kragen. Da könnte sich schon Resignation breit machen. Wenn es nicht zahlreiche Beispiele gäbe, die zeigen, wie man sich mit Ideenreichtum und Mut selbst neu erfindet. Die Ausgabe 4/2013 der Brand eins hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, und ich finde, dass die Beispiele nicht nur für Einzelhändler interessant, sondern auf viele Unternehmen übertragbar sind. Was tun, wenn das eigene Geschäftsmodell massiv unter Druck gerät? Und nicht nur das eigene Modell, sondern das einer ganzen Branche?

Der klassische Weg, an dem auch hier offenbar wenig vorbeiführt, ist die Reduzierung der Personalkosten. Da gibt es den inzwischen gesellschaftlich akzeptierten Weg der Leiharbeit. Und immer mehr den der Minijobs. Beide geeignet, um den Personaleinsatz extrem flexibel zu gestalten, zudem lassen sich bei den Minijobs die Sozialabgaben reduzieren. Kaum ein Händler kann inzwischen auf diese Möglichkeit der Personalkosteneinsparung verzichten.

Mal abgesehen von den sowohl für die Gesellschaft als auch für die Betroffenen bedenklichen Folgen hat dies noch eine weitere erhebliche Konsequenz: Die Tätigkeiten werden immer stärker spezialisiert. Da packen die einen die Ware aus, andere sitzen an der Kasse, wieder andere füllen die Regale auf, und die nächsten stehen den Kunden zur Verfügung. Ist irgendwie folgerichtig: Warum die teureren und qualifizierten Verkäufer zum Warensortieren einsetzen? Zumal man ja ohnehin das Personal nur stundenweise beschäftigt, da ist es viel zu aufwändig, es in allen Tätigkeitsfeldern zu qualifizieren. Das wiederum trägt gewiss nicht dazu bei, dass Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen identifizieren.

Das wiederum trägt gewiss nicht dazu bei, dass Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen identifizieren. Wer nur winzige Ausschnitte des Gesamten bearbeitet und zudem noch schlecht bezahlt wird, den dürfte der Rest kaum interessieren. Wer aber sich nicht zum Wohl des Ganzen engagiert, dem wird nicht getraut. Entsprechend ausgefeilt dürften die Kontrollmechanismen sein, angefangen von der Videoüberwachung bis zur Taschenkontrolle. Moderne Arbeitswelt? Eher Neo-Taylorismus, wie es in einem Beitrag genannt wird.

Ich glaube, dass es einen anderen Weg gibt. Einen, bei dem der "Kostenfaktor" Mitarbeiter bei der Lösung der schwierigen Lage eingebunden wird. Bei dem es die Aufgabe von Führung ist, durch Transparenz und regelmäßige Kommunikation der Unternehmenssituation die Mitarbeiter zu "Mitwissenden", "Mitdenkenden" und tatsächlich "Mitarbeitenden" zu machen und sie nicht als Maschinen zu betrachten, die man, so wie es gerade passt, ein- und ausschaltet. Gerade und vor allem dann, wenn die Situation des Unternehmens es nicht zulässt, annähernd angemessene Löhne zu bezahlen, kann der Weg nur über fairen Umgang mit den Betroffenen lauten.

Nette Theorie? Vielleicht, und wenige positive Beispiele dürfte Skeptiker kaum überzeugen. Aber mich ermutigen sie ungemein. Zum Beispiel in einem Projekt, an dem ich selbst beteiligt bin. Und so viel sei verraten: Es ist nicht nur ermutigend, es ist ungemein lehrreich. Und es macht großen Spaß. Aber lesen Sie selbst: http://www.cafe-seitenweise.de/blog/

Rezensionen zum Thema:
Das Räumkommando
Geht doch!
Wandel lohnt sich
Brand eins 4/2013

Montag, 20. Mai 2013

Die Mission

Der Satz gegen Ende eines Artikels stach ins Auge. Da schreibt der CEO eines Unternehmens, das fast ein Viertel Jahrtausend vom Druck und Vertrieb einer Enzyklopädie gelebt hat und schließlich das Prunkstück eines jeden Bücherschrankes einstellen musste: 

“Ich bin zuversichtlich, dass sich Encyclopaedia Britannica auch im digitalen Zeitalter durchsetzen kann. Der Grund dafür ist, dass unsere Mitarbeiter die Mission vom Medium immer getrennt gehalten haben. Dadurch konnte das Unternehmen jede Gefahr für das Geschäftsmodell abwehren.”

Klingt gut, oder? Daraus ließe sich eine schöne Erfolgsformel ableiten: “Klammere dich nicht an dein Produkt. Überlege dir vielmehr, für welche Mission du steht, verfolge diese Mission und lasse dich nicht von ihr abbringen.” Gefällt mir. Ich bin allerdings skeptisch, ob es wirklich so gelaufen ist bei Encyclopaedia Britannica. Wenn einem die Kunden, denen man die dekorativen Bände an der Haustür im Direktvertrieb als Schmuckstück für das Bücherregal angedreht hat, den Rücken kehren und ihr Wissen lieber digital beziehen..., wenn der Preis der Enzyklopädie als CD von 1200 Dollar innerhalb weniger Monate auf unter 100 Dollar sinkt, dann klingt das eher so, als habe man ziemlich verzweifelt erst einmal im Nebel gestochert, ehe klar wurde, dass man mit Lehrmaterialien für Schulen gutes Geld verdienen kann.

Also wieder einmal um eine Formel, die im Nachhinein “erfunden” wurde, praktisch als Erklärung für den Erfolg in der Retrospektive. Trotzdem gefällt sie mir. Es kann nichts schaden, sich hin und wieder bewusst zu machen, wofür man steht, worin die Daseinsberechtigung des eigenen (unternehmerischen) Tuns besteht. Womit ich keineswegs davon ausgehe, dass damit der Erfolg sichergestellt ist. Mitunter werden ja auch Missionen überflüssig.

Rezension zum Thema: 
Hüter des Wissens, Harvard Business Manager 4/2013

Wie man Menschen motiviert

Welcher Typ Mitarbeiter sind Sie? Sehen Sie eher die Chancen? Oder eher die Risiken? Spielen Sie auf Sieg oder gehen Sie lieber auf Nummer sicher und versuchen, Niederlagen zu vermeiden? Wenn Sie Ihren Typ kennen, dann können Sie Ihre Leistung gezielt steigern. Verspricht ein Beitrag im Harvard Business Manager 4/2013.

Wie in der letzten Zeit immer häufiger frage ich mich, was wohl der Anlass für diesen Beitrag ist. Eine Begründung findet sich in der Einleitung. Demnach liefern die meisten Persönlichkeitstest Informationen über Charaktereigenschaften, darüber, ob jemand intro- oder extravertiert ist, ob er sich von Gefühlen oder von Vernunft leiten lässt. Damit könne man erkennen, welche Tätigkeiten einem liegen, aber es würde nichts darüber verraten, ob wir diese auch beherrschen. Das ist schon mal verwunderlich: Wenn jemand besonders vernunftorientiert ist, dann weiß ich also nicht, dass er Dinge rational betrachtet statt emotional? Merkwürdig...

Allerdings gebe es zum Glück eine Eigenschaft, die etwas über Leistung aussagt: Nämlich die "Chancen- bzw. Sicherheitsorientierung." Da stutzt der Leser zum zweiten Mal. Das habe ich doch im Studium vor 30 Jahren gelernt: Erfolgs- und Misserfolgsvermeidungsmotivation hieß das damals, wenn ich mich richtig erinnere.

Verwundert lese ich weiter und entdecke Folgendes: Chancenorientierte Fußballer schießen beim Elfmetertraining seltener daneben, wenn man ihnen vorgibt, wie viele Elfmeter sie verwandeln sollen. Sicherheitsorientierte sind besser, wenn man ihnen sagt, dass sie nicht daneben schießen sollen.

Bedeutet also: Wollen Sie sich oder andere motivieren, sollten Sie den jeweiligen Typ kennen. Und dann entsprechende Instruktionen erteilen. Dem Erfolgsmotivierten sagen Sie, dass er auf dem besten Weg zum Ziel ist. Wenn er Fortschritte macht, loben Sie ihn fleißig. Seien Sie nicht zu kritisch mit ihm, weil ihn das demotiviert. Das klingt dann so: "Sie haben das Ziel so gut wie erreicht..."

Den Misserfolgsmeider hingegen dürfen Sie nicht zu sehr loben. Ihn packen Sie eher, wenn Sie vorsichtig kritisch bleiben und Verbesserungsmöglichkeiten ansprechen. Geben Sie ihm die Rückmeldung, wie weit er noch vom Ziel entfernt ist. Also eher so: "Sie haben noch ein ganzes Stück Weg vor sich..."

Arme Führungskraft, die als Diagnostiker durch das Unternehmen stapfen soll. Mir ist auch klar, dass Menschen bevorzugte Verhaltensstile haben, und die kann man meinetwegen auch als Charaktereigenschaft bezeichnen. Und wenn ich als Führungskraft weiß, jemand reagiert sensibel auf eine bestimmte Art der Ansprache, wäre es geradezu fahrlässig, das nicht zu berücksichtigen. Aber zu suggerieren, Menschen ließen sich nach diesen beiden Kategorien einsortieren, ist mindestens ebenso fahrlässig. Weil wir uns in der Regel irgendwo zwischen diesen beiden Polen einsortieren und damit die arme Führungskraft vor die unlösbare Aufgabe stellen, den Grad unserer Erfolgsmotivierung herauszufinden. Aber vielleicht ist das der Sinn der Sache. Voller Verzweiflung wird der Manager schließlich ein entsprechendes Training besuchen, in dem er dann die diagnostischen Fertigkeiten vermittelt bekommt.

Doch halt: In einem Kasten wird erklärt, wie man Mischtypen anspornt. Hier sollte man die Motivationsstrategie von der Art der Aufgabe abhängig machen: Geht es mehr um Genauigkeit und Sicherheit oder mehr um Kreativität und raschen Fortschritt? Das ist mal eine wahrlich anspruchsvolle Herausforderung für den diagnostisch geschulten Manager. Was macht er dann, wenn er eine Aufgabe zu vergeben hat, bei der es auf Sicherheit ankommt, aber jemand bearbeiten soll, der eher chancenorientiert denkt?

Ganz schräg wird es in dem Beitrag bei den Tipps für Mitarbeiter. Sie nämlich sollen sich genau anschauen, welcher Typ ihre Führungskraft ist. Und sich diejenige aussuchen, die zum eigenen Typ passt. Genialer Tipp. Dann erhält der sicherheitsorientierte Manager lauter sicherheitsorientierte Mitarbeiter und wird eine fantastische Mannschaft um sich scharen. Und das, wo gerade Diversity ganz groß geschrieben wird.

Wieso der Harvard Business Manager der Beitrag in der Rubrik "Selbstmanagement" veröffentlich, bleibt dem Leser völlig schleierhaft. Vielleicht hat die Redaktion ihn gar nicht gelesen...

Rezension zum Thema:
Spielen Sie auf Sieg - oder auf Sicherheit? Harvard Business Manager 4/2013

Mittwoch, 15. Mai 2013

Märchen für Manager

Wissenschaftler müssen publizieren. Je mehr, desto besser für den Ruf in der Community. Berater müssen veröffentlichen, um auf sich aufmerksam zu machen und Kunden zu gewinnen. Unternehmen müssen über ihre Aktivitäten berichten, um zu belegen, wie innovativ und attraktiv sie sind.

Niemand wird einen Fachartikel mit dem Satz beginnen: "Ich habe lange nichts mehr veröffentlicht, es wurde Zeit, auch wenn ich keine wirklich neuen Erkenntnisse habe..."
Kein Berater wird einen Beitrag ankündigen mit den Worten: "Dies ist eine Werbung für unser neu entwickeltes Seminar, von dem wir noch nicht wissen, ob es etwas bringt. Das finden wir erst heraus, wenn Sie es gebucht haben."
Und kein Unternehmen wird sich entblößen mit der Einleitung: "Wir wissen, dass andere genau das Gleiche tun, aber da es noch nicht von uns bekannt ist, dient unser Beitrag..."

Man könnte auf die Idee kommen, dass Redaktionen die Aufgabe haben, solche Beiträge auszusortieren. Aber Magazine müssen ihre Seiten füllen, das ist nun mal so. Ohne Inhalt keine verkauften Hefte. Natürlich wird niemand am Anfang eines Heftes schreiben: "Um diese Ausgabe zu füllen, mussten wir auch banale Beiträge annehmen, die wie folgt gekennzeichnet sind..."

Manchmal wünsche ich mir eine Kennzeichnungspflicht für Artikel in Management-Publikationen, z.B. "Achtung, Berater-Beitrag". Vielleicht mit einem entsprechenden Icon. Oder: "Achtung, Übersichts-Artikel ohne jegliche Zugabe aktueller Erkenntnisse". Das wären die interessanten Fragen, die man jedem Autor und jeder Redaktion empfehlen könnte: Was genau ist die neue Erkenntnis Ihres Beitrages? Was ist der konkrete Nutzen für den Leser? Über welches Wissen verfügt der Leser nach der Lektüre Ihres Beitrages?

Die Antworten auf diese Fragen könnte man an den Anfang eines jeden Beitrages stellen, dann kann ich mit einem Blick erkennen, ob ich dieses Wissen haben möchte. Und während der Lektüre feststellen, ob das, was versprochen wurde, auch eingehalten wird.

Wieso ich das heute schreibe? Weil ich ein ganzes Heft zum Thema "Besser managen" gelesen und von Beitrag zu Beitrag an Interesse verloren habe.
Da macht ein Berater Werbung für ein E-Learning-Angebot, bei dem der Professor an ausgewählten Plätzen New Yorks referiert und so das Interesse der Lernenden aufrecht erhält. Angepriesen wird das Programm mit dem Versprechen, dass die Inhalte danach ausgewählt wurden, dass ihre Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen wurde. Zum  Programm selbst hingegen heißt es: "Die Ergebnisse erscheinen durchaus positiv."
Ein Professor erklärt uns, dass Führungskräfte für das Wohlbefinden der Mitarbeiter sorgen müssen und dazu Dialogfähigkeit benötigen. Ein Fünftel aller Führungskräfte, so heißt es hier, wüssten nicht, wie man Beziehungen aufbaut. Keinerlei Verweis darauf, woher diese Zahl stammt.

Ein anderer hat herausgefunden nach Sichtung vieler Studien, dass Mittelmanager ein neues Rollenverständnis brauchen und dass dazu Coaching, ein 100-Tage-Onboarding und 360-Grad-Feedbacks sinnvoll sind.

Und am Schluss wird uns die Analogie zwischen Wildwasser-Kajak und Management beschrieben mit der Schlussfolgerung, dass ein Wildwasser-Kajak-Seminar, das der Autor entwickelt hat, (vermutlich) nachhaltige Wirkung erzielt.

Märchenstunden für Führungskräfte, dazu noch langweilig. Kein Wunder, dass Managementwissenschaften nicht ernst genommen werden...

Rezensionen zum Thema in der Wirtschaftspsychologie-aktuell, 1/2013

Montag, 6. Mai 2013

Moderne Zeiten?

Wissen Sie, was ein Coworking-Space ist? Der Begriff war mir bisher auch fremd, die Idee dahinter aber schien mir erst nicht sonderlich neu: Die gute alte Bürogemeinschaft. Freiberufler mieten sich Raum zum Arbeiten und treffen auf ihresgleichen. So weit, so alt.

Von wegen. Moderne Coworking-Zentren wie das Beta-Haus sind viel mehr als Bürogemeinschaften. Sie ähneln den Vielflieger-Lounges auf Flughäfen (ohnehin mehr Arbeits- als Warteraum). Dort kann man Tische für einzelne Tage mieten oder auf Dauer, Tische für ganze Gruppen oder auch ganze Räume. Man kann eine Reihe von Zusatzleistungen buchen wie eine Kaffee-Flatrate, Druckerkontingente, eine Mailbox, Carsharing usw.

Es gibt angeblich weltweit schon 2.000 solcher Coworking-Zentren, Tendenz steigend. Man ist verblüfft, wenn man den Begriff bei Google eingibt: 4.480.000 Treffer! Längst haben nicht nur Einzelunternehmer die Vorteile der flexiblen Arbeitsplätze und des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Köpfe und Branchen entdeckt. Sogar Konzerne sollen hin und wieder Platz für ihre Mitarbeiter anmieten, um diese auf neue Gedanken zu bringen.

Das hat mich noch nicht so wirklich überrascht. Aber es gibt wohl inzwischen auch Arbeitsplätze zu mieten, die nicht ausschließlich aus Büroumgebungen bestehen. Für Tüftler und Bastler stehen komplett ausgestattete Werkstätten zur Verfügung. Ergibt ja auch einen Sinn, oder? Warum sollten nur Wissensarbeiter aufeinander hocken und sich gegenseitig mit Ideen versorgen?

Das würde auch der These widersprechen, dass die flexible Arbeitswelt in erster Linie für Kopfarbeiter gilt, die mit ihrem Smartphone und Laptop an jedem Ort der Welt arbeiten können. Könnte man das nicht weiterspinnen? Wie wäre es mit Coworking-Space für Ärzte? Man mietet sich für Stunden einen OP-Raum oder ein Röntgengerät? Coworking-Space für Optiker, für Frisöre, für Automechaniker und Physiotherapeuten - warum muss denn jeder sein eigenes Geschäfts aufmachen?

Mir fehlt im Moment noch die Fantasie, mir das für jeden Beruf vorzustellen - aber wer weiß... Aber  vielleicht ist das Konzept ja doch nicht ganz so einfach umzusetzen. Bei der Recherche nach dem Beta-Haus in Köln stieß ich auf die Information, dass man leider schließen musste. Schade eigentlich...

Rezensionen zum Thema:
Die Zukunft der Arbeit, Harvard Business Manager 3/2013
Moderne Zeiten, Harvard Business Manager 3/2013

Sonntag, 5. Mai 2013

Arbeitszeugnisse mal ganz anders?

Mit dem Recht auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis bei gleichzeitig wohlwollender Formulierung hat der Gesetzgeber jeden Arbeitgeber in ein echtes Dilemma gestürzt. Wie formuliert man, zum Wohle des scheidenden Mitarbeiters, seine Beurteilung wohlwollend und informiert gleichzeitig zukünftige Arbeitgeber über den tatsächlichen Leistungsstand des möglichen neuen Mitarbeiters? Die Folgen davon sind jedem bekannt: Wortklauberei, Streit um einzelne Buchstaben (volle oder vollste Zufriedenheit), Delegation der lästigen Pflicht an den Mitarbeiter selbst, ein Geheimcode, der längst keiner mehr ist und dessen Anwendung zu jeder Menge Streitigkeiten vor Gericht führt. Kurzum: Es geht viel Zeit und Geld dabei drauf, Papier zu füllen, das all diesen Aufwand nicht annähernd wert ist.

In einem Beitrag der Personalführung 3/2013 (Arbeitszeugnisse - mehr als nur ein sinnfreies Ritual?) entwickelt ein Professor für Betriebswirtschaft eine Alternative. Danach beschreibt man genau die Tätigkeit, die der Mitarbeiter ausgeführt hat, mit klaren Angaben zu: Was hat er gemacht? Unter welchen Bedingungen? Wie lange? Mit wie viel Zeitanteil? Mit welchem messbaren Ergebnis? Reine Beschreibung, keine Bewertung. Auf diese Weise kann sich der neue Arbeitgeber ein Bild davon machen, womit der Mitarbeiter seine Zeit verbracht hat und was dabei herausgekommen ist. Er nennt das "operationale Tätigkeitsbeschreibung". Damit sich auch alle daran halten, sollte der Gesetzgeber hier klare Vorgaben machen - z.B. in Form eines einfachen Formblatts im Gesetzesanhang.
So weit, so gut.

Doch wird das reichen? Vermutlich nicht, meint der Autor, auf Bewertungen zu verzichten wäre kaum konsensfähig. Ich fürchte, da liegt er richtig, auch wenn ich das mehr als betrüblich finde. Was nun?

Vorschlag Nr. 2 des Professors: Der Gesetzgeber sorgt für Standardisierung der Beurteilung, das sei der Königsweg und außerdem seien die Unternehmen das von der klassischen Mitarbeiterbeurteilung gewohnt. Er gibt also acht bis zwölf Beurteilungskategorien vor (Dinge wie: Arbeitsmenge, Arbeitsqualität, Verhalten gegenüber Vorgesetzten etc), räumt zudem die Möglichkeit ein, bis zu drei weitere hinzuzufügen und dafür andere wegzulassen und sorgt für klare Verhaltensbeschreibungen je Dimension.

Und wie will man dabei das mit dem "wohlwollend" sicherstellen? Indem es drei Beurteilungsstufen gibt. Man kann angeblich davon ausgehen, dass etwas 70% aller Mitarbeiter eine "übliche Leistung" bringen, also sich im Rahmen dessen bewegen, was man von ihnen erwartet. 20% bringen überdurchschnittliche Leistungen und 10% liegen unter den Erwartungen. Diese "asymmetrische Skala" könnte dann auch zur Bewertung genutzt werden. Je Kriterium heißt es also entweder "unterdurchschnittlich", "durchschnittlich" oder "überdurchschnittlich". Auf diese Weise sind die eher schwächeren, aber noch durchschnittlichen Mitarbeiter geschützt. Sie kann man in der Mitte "verstecken". Wer allerdings wirklich schwach ist, der hat Pech, so viel Wahrheitspflicht muss sein.

"Als ob", denke ich. Was in den Unternehmen nicht funktioniert, wird hier erst recht nicht klappen. Erstens werden all diese Skalen-Instrumente früher oder später überarbeitet. Zweitens wird es mächtig Streit geben, denn da es ja etliche Beurteilungsdimensionen geben soll, wird man gegen jedes einzelne "Unterdurchschnittlich" vor Gericht ziehen - daher vermutlich 99% aller Bewertungen bei durchschnittlich bis überdurchschnittlich landen. Und schließlich wird der neue Arbeitgeber natürlich wissen wollen, ob es sich bei der Bewertung "durchschnittlich" um ein schlechtes oder ein gutes "Durchschnittlich" handelt. Was zum Beispiel soll das denn bedeuten, wenn man bei "Einhaltung von Regeln" nur durchschnittlich ist? Interessante Frage übrigens: Möchte ich jemanden einstellen, der bei "Einhaltung von Regeln" überdurchschnittlich abschneidet? :-)

Wenn wirklich der Gesetzgeber aktiv werden soll, um komplizierte Standards vorzugeben, was ja auch bei Kopfnoten in Schulzeugnissen wunderbar funktioniert hat, dann doch lieber gleich den ganzen Quatsch abschaffen.

Wenn schon eine "Bewertung" vom früheren Arbeitgeber, dann würde ich mir ein Empfehlungsschreiben wünschen. Darin stünde, für welche Aufgaben und Tätigkeitsbereiche ich den scheidenden Mitarbeiter wieder einstellen würde und das auch aus Überzeugung vertreten könnte. Kaum vorstellbar, dass ein Mitarbeiter auf keinem einzigen Tätigkeitsfeld zu irgendetwas in der Lage war. Wenn doch, wäre das zwar extrem bitter, aber dann gäbe es eben kein Empfehlungsschreiben vom letzten Arbeitgeber. Was ja nicht unbedingt nur am Mitarbeiter liegen muss.

Rezension zum Thema:
Arbeitszeugnisse - mehr als nur ein sinnfreies Ritual? Personalführung 3/2013