Montag, 6. Mai 2013

Moderne Zeiten?

Wissen Sie, was ein Coworking-Space ist? Der Begriff war mir bisher auch fremd, die Idee dahinter aber schien mir erst nicht sonderlich neu: Die gute alte Bürogemeinschaft. Freiberufler mieten sich Raum zum Arbeiten und treffen auf ihresgleichen. So weit, so alt.

Von wegen. Moderne Coworking-Zentren wie das Beta-Haus sind viel mehr als Bürogemeinschaften. Sie ähneln den Vielflieger-Lounges auf Flughäfen (ohnehin mehr Arbeits- als Warteraum). Dort kann man Tische für einzelne Tage mieten oder auf Dauer, Tische für ganze Gruppen oder auch ganze Räume. Man kann eine Reihe von Zusatzleistungen buchen wie eine Kaffee-Flatrate, Druckerkontingente, eine Mailbox, Carsharing usw.

Es gibt angeblich weltweit schon 2.000 solcher Coworking-Zentren, Tendenz steigend. Man ist verblüfft, wenn man den Begriff bei Google eingibt: 4.480.000 Treffer! Längst haben nicht nur Einzelunternehmer die Vorteile der flexiblen Arbeitsplätze und des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Köpfe und Branchen entdeckt. Sogar Konzerne sollen hin und wieder Platz für ihre Mitarbeiter anmieten, um diese auf neue Gedanken zu bringen.

Das hat mich noch nicht so wirklich überrascht. Aber es gibt wohl inzwischen auch Arbeitsplätze zu mieten, die nicht ausschließlich aus Büroumgebungen bestehen. Für Tüftler und Bastler stehen komplett ausgestattete Werkstätten zur Verfügung. Ergibt ja auch einen Sinn, oder? Warum sollten nur Wissensarbeiter aufeinander hocken und sich gegenseitig mit Ideen versorgen?

Das würde auch der These widersprechen, dass die flexible Arbeitswelt in erster Linie für Kopfarbeiter gilt, die mit ihrem Smartphone und Laptop an jedem Ort der Welt arbeiten können. Könnte man das nicht weiterspinnen? Wie wäre es mit Coworking-Space für Ärzte? Man mietet sich für Stunden einen OP-Raum oder ein Röntgengerät? Coworking-Space für Optiker, für Frisöre, für Automechaniker und Physiotherapeuten - warum muss denn jeder sein eigenes Geschäfts aufmachen?

Mir fehlt im Moment noch die Fantasie, mir das für jeden Beruf vorzustellen - aber wer weiß... Aber  vielleicht ist das Konzept ja doch nicht ganz so einfach umzusetzen. Bei der Recherche nach dem Beta-Haus in Köln stieß ich auf die Information, dass man leider schließen musste. Schade eigentlich...

Rezensionen zum Thema:
Die Zukunft der Arbeit, Harvard Business Manager 3/2013
Moderne Zeiten, Harvard Business Manager 3/2013

1 Kommentar:

Stefan Zillich hat gesagt…

Spannend! Und verlockend: Nicht mehr länger ins triste Büro zu gehen, sondern Aufgaben und Mails per Laptop von zuhause oder aus dem schicken Coworking-Space erledigen.

Doch ist auch zu beachten, dass Sicherheit und Zuverlässigkeit vermittelnde Strukturen umgebaut oder sogar aufgelöst werden - und die dazu gehörenden sozialen Systeme werden womöglich gleich mit neutralisiert?

Der unverrückbare, physikalische, geografische Ort von Arbeit war bislang der definierende Parameter für die mit Arbeit verbundenen Aktivitäten. Die Fabrik, das Bürogebäude, die Klinik. Vom virtuellen Unternehmen wird ja schon länger berichtet, und dennoch gibt's selbst in den Unternehmen mit Vorreiterfunktion räumliche Unterteilungen und Abteilungen auf Etagen und in Niederlassungen. Darin findet dann auch die Struktur des Unternehmens ihren Ausdruck, inklusive Hierarchien und Verantwortungsbereichen. Und fest damit verbunden lokale Regeln, sprich Arbeitszeiten, Gehälter und Tarife, Unternehmenskultur und Zuständigkeiten. Mit der Auflösung von Organisationsstrukturen zugunsten des zufälligen Zusammentreffens in Coworking-Spaces lässt sich eine zunehmende Granularisierung bewährter Strukturen beobachten, die durch eine Vielzahl von Subunternehmen, Freelancern, Projektarbeitern womöglich immer bedeutungsloser werden.

Die Auflösung von Ort und Zeit ist vermutlich eine gute Idee für die Arbeit mit Bits und Bytes. Doch Klempner, Arzt und Müllabfuhr beschäftigen sich mit Dingen "vor Ort" und sind somit eben doch lokal festgelegt. In Großunternehmen jedoch experimentiert man bereits seit einiger Zeit mit dem Großraumbüro und neuen Arbeitsmodellen und spart damit immense Summen bei den Büroimmobilien ein.

Ein Autorenteam der Gesellschaft für Wissensmanagement (GfWM www.gfwm.de) hat dazu übrigens erst kürzlich ein Diskussionspapier entwickelt und veröffentlicht. Demzufolge passt der "Wissensarbeiter" in das durch Coworking-Space und Projektarbeit definierte Areal: Ohne lokale Bindung begleitet er die Unternehmen mit großer Expertise auf Zeit, um nach abgeschlossenem Projekt weiterzuziehen. Das Diskussionspapier stellt hierzu Aussagen und Empfehlungen vor ("GfWM Diskussionspapier Wissensarbeit" in der fachlichen Publikation GfWM THEMEN 4 / Januar 2013 www.gfwm.de/node/8).

Bei der Begeisterung für die moderne Wissensarbeit und der damit vorangetriebenen Veränderung bisheriger Arbeitsstrukturen ist es für alle Beteiligten interessant, eben gerade auch gesellschaftliche und organisatorische Implikationen mit einzubeziehen.