Mittwoch, 15. Mai 2013

Märchen für Manager

Wissenschaftler müssen publizieren. Je mehr, desto besser für den Ruf in der Community. Berater müssen veröffentlichen, um auf sich aufmerksam zu machen und Kunden zu gewinnen. Unternehmen müssen über ihre Aktivitäten berichten, um zu belegen, wie innovativ und attraktiv sie sind.

Niemand wird einen Fachartikel mit dem Satz beginnen: "Ich habe lange nichts mehr veröffentlicht, es wurde Zeit, auch wenn ich keine wirklich neuen Erkenntnisse habe..."
Kein Berater wird einen Beitrag ankündigen mit den Worten: "Dies ist eine Werbung für unser neu entwickeltes Seminar, von dem wir noch nicht wissen, ob es etwas bringt. Das finden wir erst heraus, wenn Sie es gebucht haben."
Und kein Unternehmen wird sich entblößen mit der Einleitung: "Wir wissen, dass andere genau das Gleiche tun, aber da es noch nicht von uns bekannt ist, dient unser Beitrag..."

Man könnte auf die Idee kommen, dass Redaktionen die Aufgabe haben, solche Beiträge auszusortieren. Aber Magazine müssen ihre Seiten füllen, das ist nun mal so. Ohne Inhalt keine verkauften Hefte. Natürlich wird niemand am Anfang eines Heftes schreiben: "Um diese Ausgabe zu füllen, mussten wir auch banale Beiträge annehmen, die wie folgt gekennzeichnet sind..."

Manchmal wünsche ich mir eine Kennzeichnungspflicht für Artikel in Management-Publikationen, z.B. "Achtung, Berater-Beitrag". Vielleicht mit einem entsprechenden Icon. Oder: "Achtung, Übersichts-Artikel ohne jegliche Zugabe aktueller Erkenntnisse". Das wären die interessanten Fragen, die man jedem Autor und jeder Redaktion empfehlen könnte: Was genau ist die neue Erkenntnis Ihres Beitrages? Was ist der konkrete Nutzen für den Leser? Über welches Wissen verfügt der Leser nach der Lektüre Ihres Beitrages?

Die Antworten auf diese Fragen könnte man an den Anfang eines jeden Beitrages stellen, dann kann ich mit einem Blick erkennen, ob ich dieses Wissen haben möchte. Und während der Lektüre feststellen, ob das, was versprochen wurde, auch eingehalten wird.

Wieso ich das heute schreibe? Weil ich ein ganzes Heft zum Thema "Besser managen" gelesen und von Beitrag zu Beitrag an Interesse verloren habe.
Da macht ein Berater Werbung für ein E-Learning-Angebot, bei dem der Professor an ausgewählten Plätzen New Yorks referiert und so das Interesse der Lernenden aufrecht erhält. Angepriesen wird das Programm mit dem Versprechen, dass die Inhalte danach ausgewählt wurden, dass ihre Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen wurde. Zum  Programm selbst hingegen heißt es: "Die Ergebnisse erscheinen durchaus positiv."
Ein Professor erklärt uns, dass Führungskräfte für das Wohlbefinden der Mitarbeiter sorgen müssen und dazu Dialogfähigkeit benötigen. Ein Fünftel aller Führungskräfte, so heißt es hier, wüssten nicht, wie man Beziehungen aufbaut. Keinerlei Verweis darauf, woher diese Zahl stammt.

Ein anderer hat herausgefunden nach Sichtung vieler Studien, dass Mittelmanager ein neues Rollenverständnis brauchen und dass dazu Coaching, ein 100-Tage-Onboarding und 360-Grad-Feedbacks sinnvoll sind.

Und am Schluss wird uns die Analogie zwischen Wildwasser-Kajak und Management beschrieben mit der Schlussfolgerung, dass ein Wildwasser-Kajak-Seminar, das der Autor entwickelt hat, (vermutlich) nachhaltige Wirkung erzielt.

Märchenstunden für Führungskräfte, dazu noch langweilig. Kein Wunder, dass Managementwissenschaften nicht ernst genommen werden...

Rezensionen zum Thema in der Wirtschaftspsychologie-aktuell, 1/2013

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