Sonntag, 5. Mai 2013

Arbeitszeugnisse mal ganz anders?

Mit dem Recht auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis bei gleichzeitig wohlwollender Formulierung hat der Gesetzgeber jeden Arbeitgeber in ein echtes Dilemma gestürzt. Wie formuliert man, zum Wohle des scheidenden Mitarbeiters, seine Beurteilung wohlwollend und informiert gleichzeitig zukünftige Arbeitgeber über den tatsächlichen Leistungsstand des möglichen neuen Mitarbeiters? Die Folgen davon sind jedem bekannt: Wortklauberei, Streit um einzelne Buchstaben (volle oder vollste Zufriedenheit), Delegation der lästigen Pflicht an den Mitarbeiter selbst, ein Geheimcode, der längst keiner mehr ist und dessen Anwendung zu jeder Menge Streitigkeiten vor Gericht führt. Kurzum: Es geht viel Zeit und Geld dabei drauf, Papier zu füllen, das all diesen Aufwand nicht annähernd wert ist.

In einem Beitrag der Personalführung 3/2013 (Arbeitszeugnisse - mehr als nur ein sinnfreies Ritual?) entwickelt ein Professor für Betriebswirtschaft eine Alternative. Danach beschreibt man genau die Tätigkeit, die der Mitarbeiter ausgeführt hat, mit klaren Angaben zu: Was hat er gemacht? Unter welchen Bedingungen? Wie lange? Mit wie viel Zeitanteil? Mit welchem messbaren Ergebnis? Reine Beschreibung, keine Bewertung. Auf diese Weise kann sich der neue Arbeitgeber ein Bild davon machen, womit der Mitarbeiter seine Zeit verbracht hat und was dabei herausgekommen ist. Er nennt das "operationale Tätigkeitsbeschreibung". Damit sich auch alle daran halten, sollte der Gesetzgeber hier klare Vorgaben machen - z.B. in Form eines einfachen Formblatts im Gesetzesanhang.
So weit, so gut.

Doch wird das reichen? Vermutlich nicht, meint der Autor, auf Bewertungen zu verzichten wäre kaum konsensfähig. Ich fürchte, da liegt er richtig, auch wenn ich das mehr als betrüblich finde. Was nun?

Vorschlag Nr. 2 des Professors: Der Gesetzgeber sorgt für Standardisierung der Beurteilung, das sei der Königsweg und außerdem seien die Unternehmen das von der klassischen Mitarbeiterbeurteilung gewohnt. Er gibt also acht bis zwölf Beurteilungskategorien vor (Dinge wie: Arbeitsmenge, Arbeitsqualität, Verhalten gegenüber Vorgesetzten etc), räumt zudem die Möglichkeit ein, bis zu drei weitere hinzuzufügen und dafür andere wegzulassen und sorgt für klare Verhaltensbeschreibungen je Dimension.

Und wie will man dabei das mit dem "wohlwollend" sicherstellen? Indem es drei Beurteilungsstufen gibt. Man kann angeblich davon ausgehen, dass etwas 70% aller Mitarbeiter eine "übliche Leistung" bringen, also sich im Rahmen dessen bewegen, was man von ihnen erwartet. 20% bringen überdurchschnittliche Leistungen und 10% liegen unter den Erwartungen. Diese "asymmetrische Skala" könnte dann auch zur Bewertung genutzt werden. Je Kriterium heißt es also entweder "unterdurchschnittlich", "durchschnittlich" oder "überdurchschnittlich". Auf diese Weise sind die eher schwächeren, aber noch durchschnittlichen Mitarbeiter geschützt. Sie kann man in der Mitte "verstecken". Wer allerdings wirklich schwach ist, der hat Pech, so viel Wahrheitspflicht muss sein.

"Als ob", denke ich. Was in den Unternehmen nicht funktioniert, wird hier erst recht nicht klappen. Erstens werden all diese Skalen-Instrumente früher oder später überarbeitet. Zweitens wird es mächtig Streit geben, denn da es ja etliche Beurteilungsdimensionen geben soll, wird man gegen jedes einzelne "Unterdurchschnittlich" vor Gericht ziehen - daher vermutlich 99% aller Bewertungen bei durchschnittlich bis überdurchschnittlich landen. Und schließlich wird der neue Arbeitgeber natürlich wissen wollen, ob es sich bei der Bewertung "durchschnittlich" um ein schlechtes oder ein gutes "Durchschnittlich" handelt. Was zum Beispiel soll das denn bedeuten, wenn man bei "Einhaltung von Regeln" nur durchschnittlich ist? Interessante Frage übrigens: Möchte ich jemanden einstellen, der bei "Einhaltung von Regeln" überdurchschnittlich abschneidet? :-)

Wenn wirklich der Gesetzgeber aktiv werden soll, um komplizierte Standards vorzugeben, was ja auch bei Kopfnoten in Schulzeugnissen wunderbar funktioniert hat, dann doch lieber gleich den ganzen Quatsch abschaffen.

Wenn schon eine "Bewertung" vom früheren Arbeitgeber, dann würde ich mir ein Empfehlungsschreiben wünschen. Darin stünde, für welche Aufgaben und Tätigkeitsbereiche ich den scheidenden Mitarbeiter wieder einstellen würde und das auch aus Überzeugung vertreten könnte. Kaum vorstellbar, dass ein Mitarbeiter auf keinem einzigen Tätigkeitsfeld zu irgendetwas in der Lage war. Wenn doch, wäre das zwar extrem bitter, aber dann gäbe es eben kein Empfehlungsschreiben vom letzten Arbeitgeber. Was ja nicht unbedingt nur am Mitarbeiter liegen muss.

Rezension zum Thema:
Arbeitszeugnisse - mehr als nur ein sinnfreies Ritual? Personalführung 3/2013

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