Sonntag, 14. April 2013

Inhalt vor Verpackung

Das ist witzig. Kürzlich las ich wieder mal, dass die Stimme angeblich über ein Drittel zur Überzeugung beiträgt, während der Inhalt des Gesprochenen nur 7% ausmacht. Jedes Mal, wenn ich davon hörte, dachte ich: Was für ein Blödsinn - dann könnte ich ja sinnloses Zeugs brabbeln und würde allein durch meine Stimme und die Körpersprache (die angeblich 55% Anteil am Erfolg einer Botschaft hat) meinen Gegenüber gewinnen. Jedes Mal habe ich mir vorgenommen, doch einmal dieser merkwürdigen Behauptung, mit der alle Präsentations- und Rethorik-Trainer durch die Lande ziehen, auf den Grund zu gehen. Und habe es dann doch wieder vergessen.

Bei der Durchsicht der managerSeminare 3/2013 nun fand ich in "Wieners Wortblase" mit der Überschrift ("Von wegen Körpersprache", S.45) nun die Erklärung. Der amerikanische Psychologe Albert Mehrabian führte in den Sechziger Jahren Experimente durch, bei denen Probanden einzelne Worte mit unterschiedlicher Mimik und Betonung vortragen mussten.

EINZELNE Worte! Da ahnen wir, dass der Inhalt keine allzu große Rolle spielt, oder? Es lief wohl so ab: Menschen haben positive, negative oder neutrale Begriffe mal mit positiver, mal mit neutraler und mal mit negativer Betonung vorgetragen, und die Probanden sollten dann beantworten, was sie verstanden haben. Dabei spielten dann Mimik und Stimme eine größere Rolle als die Bedeutung des Wortes. Eben im Verhältnis 7 (Inhalt) zu 38 (Stimme) zu 55% (Mimik). Nicht besonders überraschend, oder? Was ist ein einzelnes Wort im Vergleich zur Komplexität der Mimik und der Stimme. Das dürfte sich nur dramatisch ändern, wenn man einen ganzen Satz spricht oder gar einen ganzen Vortrag hält...

Und seitdem werden in Trainings den Menschen diese Zahlen als Fakt unter die Nase gerieben, damit sie fleißig an Stimme und Körpersprache feilen. Man sollte in der Tat sogenanntes Expertenwissen hin und wieder mal hinterfragen. Und weiterhin getrost sein Hauptaugenmerk auf den Inhalt der eigenen Aussagen legen. Ein Dankeschön an Herrn Wiener und die managerSeminare.

Rezension zum Thema:
Arno Fischbacher: Geheimer Verführer Stimme

6 Kommentare:

Winfried Berner hat gesagt…

Danke für diese Kolumne!

Sie macht beispielhaft deutlich, wie voll unsere Trainings-, Coaching- und Personalentwicklungsszene voll von Mythen und Legenden ist, die - selbstverständlich immer mit dem Anspruch höchster Wissenschaftlichkeit - ungeprüft beinahe beliebigen Quatsch verzapfen. Wie etwa auch der Blödsinn von den Hummeln, die nach den Gesetzen der Physik angeblich nicht fliegen können, es aber in Unkenntnis derselben doch tun.

Wie unterscheiden wir, die wir so stolz auf unsere Modernität sind, uns eigentlich von mittelalterlichen Quacksalbern, Goldmachern und Wunderheilern?

Unknown hat gesagt…

Auch großen Dank für diesen Beitrag

Ich habe auch schon seit Jahre nicht an das geglaubt, was Pseudotrainer da anbieten. Die Untersuchung bezog sich immer nur auf Inkongruenzen. Daraus abzuleiten, das Wirkung der Kommunikation nur zu 7 % vom Inhalt abhängt, ist sehr verwegen. Nur wenige Trainer haben sich die Originalquelle angesehen. Gerade durch die Sprache haben wir eine wichtigen evolutionären Schritt gemacht und uns dadurch vom Affen wegentwickelt. Bei den Themen Lerntypen und Gehirnhälften sieht es ähnlich aus. Hier werden Dinge trainiert, die nicht mehr auf den neusten Stand der Wissenschaft sind (siehe: Hirngespinste der Pädagogik, Nicole Becker ).

Harald Klein hat gesagt…

Stimmt, hinterfragen ist wichtig.

Wissenschaften, Studien etc. sind eine Seite, persönliche Erfahrungen eine andere.

Stellen Sie sich vor Sie erleben einen Redner der wertvolle Inhalte vermittelt. Während seiner Rede bleibt seine Stimme flach und ohne jede Variation. Bewegung und Blickkontakt zum Publikum wird vermieden. Wie wird die Wirkung seiner Worte sein? Wann schläft - trotz aller Wichtigkeit - das Publikum ein?

Oder nehmen wir die Stimme komplett weg und schauen uns einen Pantomimen an. Wen fasziniert es nicht, wie ohne Worte viel gesagt werden kann?

Wie oft wird "sinnloses Zeug" nur durch geschliffene Rhetorik und ausgefeilte Gesamtpräsentation mit Einsatz von Stimme und Körpersprache zur mächtigen Aussage?

Wird nicht oft, alleine durch eine andere Betonung, ein Inhalt anders wahrgenommen? Zum Beispiel: "Wir essen, Oma." oder "Wir essen Oma."

Meine persönliche Erfahrung sagt mir "Ohne Verpackung verliert auch wichtiger Inhalt seinen Wert".

Wie gesagt, ich wollte nur hinterfragen ...

Patrick Mehlich hat gesagt…

Hallo zusammen,

ein spannender Hinweis für alle, die sich mit der Thematik auseinandersetzen:

Unter dem folgenden Link findet sich ein Radio Interview mit Albert Mehrabian persönlich. Er hält vom Umgang mit seiner Studie herzlich wenig und betont, dass die Schlussfolgerung für die Kommunikation allgemein absolut unzulässig ist. Er bedauert es, in der öffentlichen Wahrnehmung auf diese eine (aus seiner Sicht eher unbedeutende) Studie reduziert zu werden.

http://www.presentationworks.me/index.php/2009/11/mehrabian-on-the-myth/

Ich finde es sehr erfrischend und befreiend zu hören, dass selbst der Autor der Studie, den daraus entstandenen Mythos für schreklich hält. Lasst uns alle versuchen aktiv diese nervige und populistische Missdeutung aus der Welt zu schaffen!

Viele Grüße
Patrick Mehlich

martin lennartz hat gesagt…

liebe kollegen,

diese 56:37:7 regel ist natürlich falsch. das ist eigentlich bekannt und ich kenne diese regel auch nicht als unumstößliche empirisch gesicherte wahrheit. als solche wird sie selten verbreitet, ich kenne keinen trainer, der dies tut. die botschaft lautet nicht: du kannst den größtmöglichen blödsinn reden, hauptsache du trittst überzeugend auf. das ist selbstverständlich quatsch. so arbeitet keiner von uns.

wenn es allerdings um die wirkung geht, dann wissen wir schon, dass die wirkung eines menschen bedeutsamer ist, als seine worte. das unbewusste senden und empfangen von signalen hat, wenn man den gehirnfoschern auch nur annähernd glauben schenkt, noch ganz andere dimensionen als die zurecht zerrissene regel von oben. da ist mehr von nussschalen (bewusst) in seen (unbewusst) die rede. und ein für mich glaubhafter schuh wird daraus, wenn wir davon ausgehen, dass wir menschen fast immer anmerken, ob sie etwas nur sagen, oder ob sie etwas wirklich meinen. da geht es um haltung, die innere einstellung. und die ist eben wichtiger als worte. und plötzlich stimmt die regel doch wieder, zwar nicht in dem eingangs beschriebenen zusammenhang und nicht in dem größenverhältnis, sondern in noch viel stärkerem maße.
natürlich ist es deswegen nicht egal, was wir sagen. unschlagbar ist immer noch die kombi aus gutem inhalt, überzeugender haltung & einstellung und gutem auftreten. und die spüren wir. und wie!

Juliane hat gesagt…

Ein toller Beitrag! Ich wusste gar nicht, dass die Stimme und Körpersprache so viel ausmacht. Ich werde bei meinen Präsentationen deutlich mehr auf dieses Verhalten achten.