Dienstag, 15. Januar 2013

Drastische Maßnahmen

Respekt vor dem Harvard Business Manager. Den CEO von Siemens dazu zu bewegen, einen Artikel über seine ersten 100 Tage als "Feuerwehrmann" zu verfassen, ist eine Leistung. Die Lektüre dieses Beitrag hingegen löst bei mir allerdings zwiespältige Gefühle aus. Völlig nachvollziehbar ist die Ausgangshypothese: Ohne den Bestechungsskandal wären die hier beschriebenen Veränderungen kaum denkbar gewesen. Mitunter braucht man eine dicke Krise, um Dinge in Gang zu setzen. Und dass ein Externer hier ganz anders auftreten kann (vorausgesetzt, er hat die Rückendeckung seines Aufsichtsrates), ist auch verständlich.

Interessant an dem Beitrag sind einige Details. Der Neue tauschte innerhalb weniger Monate 80% des Top-Managements aus, 70% der zweiten und 40% der dritten Ebene. Da sind mal wirklich Köpfe gerollt. Offenbar wurde hier die Chance, das Unternehmen auf neue Füße zu stellen, konsequent genutzt. Erschütternd finde ich nach wie vor, dass man sich dabei auf die Einschätzung von Personalberatern stützt. Begründung: "Ich wollte dafür einen transparenten Prozess." Wie mag der wohl ausgesehen haben? Jeder Betroffene erhielt sein "Gutachten" und wusste damit, ob er auf seinem Posten blieb oder nicht? Oder teilte man ihm tatsächlich offen und ehrlich mit, was letztlich zu der Entscheidung geführt hatte, sich zu trennen?

Auch interessant: Herr Löscher machte die Beobachtung, dass der Vorstand bei seinen Sitzungen Mappen vor sich liegen hatte, die angeblich zu treffende Entscheidungen enthielten. In Wirklichkeit waren sie alle schon im Vorfeld gefallen, der Vorstand sollte sie nur noch abnicken. Der neue Chef will aber, dass der Vorstand Entscheidungsalternativen vorgelegt bekommt und dann nach gründlicher Diskussion die Entscheidung trifft. Da frage ich mich, wie das wohl funktionieren soll - ist es wirklich realistisch, einen Vorstand so ins Bild zu setzen, dass er alle Fakten und Argumente für oder gegen eine Entscheidung kennen und bewerten kann? Und das in einer einzigen Sitzung? Läuft es nicht darauf hinaus, dass nun statt einer im Vorfeld abgestimmten Entscheidung eben zwei oder drei im Vorfeld sorgfältig ausgetüftelte Alternativen präsentiert werden? Und überhaupt: Welche Entscheidungen kann ein Vorstand überhaupt in einer solchen Sitzung treffen, die nicht von den jeweiligen Experten viel besser überblickt werden können?

Noch ein spannender Ansatz: Der Neue bereiste zu Beginn seiner Amtszeit die Siemens-Welt und hielt sich an einen festen Tagesablauf: Frühstück mit Kunden, Sitzungen mit einzelnen Kunden oder Politikern, Mittagessen mit High Potenzials, dann Besprechung mit dem lokalen Team, dann Konferenz mit allen Mitarbeitern und schließlich Abendessen mit den Führungskräften.

Man beachte die Reihenfolge: Kunden zuerst, Führungskräfte zuletzt, noch nach den Mitarbeiten. Ein mächtiges Symbol, das offenbar in der Organisation verstanden wurde. Ein solches Vorgehen sollte man jedem neuen Top-Manager dringend ans Herz legen.

Irritierend dann wieder die nächste Aktion: Vor einer Konferenz der 600 bis 700 obersten Führungskräfte ließ er deren Terminkalender auswerten und eine Rangliste aufstellen. Diese gab Aufschluss darüber, wie viel Zeit die Manager mit Kunden verbracht hatten. An Rangplatz 1: Der neue CEO, der 50% seiner Zeit mit Kunden beschäftigt war. Seine Botschaft: Die Manager, die für die Bereiche zuständig sind, müssen in dem Ranking vor dem Vorstandschef liegen.
Auch die Aktion hat sicher Symbolkraft und führt dazu, dass nun alle darin wetteifern, beim nächsten Meeting vor ihrem Boss zu rangieren. Aber ist die, laut Kalender, mit Kunden verbrachte Zeit wirklich eine sinnvolle Kennzahl?

Das Ende des Beitrags lässt den Leser staunend zurück: "Inzwischen wissen die Leute: Wenn ich etwas sage, lasse ich auch Taten folgen." So präsentiert man sich selbst, allerdings: Bedeutet das, dass so etwas nicht üblich ist bei Vorstandsvorsitzenden? Oder nur bei Siemens bis dato nicht?

Rezension zum Thema:
Wie ein Skandal Gutes bewirkte, Harvard Business Manager 12/2012

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