Montag, 27. August 2012

Wie Vater und Mutter?

Können sich zwei Führungskräfte einen Job teilen? Können sie offenbar, die Wirtschaftswoche hat einige solcher Duos aufgespürt. Der Bericht strotzt nur so vor Optimismus, die Betroffenen sind ganz begeistert von dem Modell. Und ihre Vorgesetzten ebenfalls.

Klingt auch wirklich gut. Von Montag bis Mittwoch kümmert sich der und die eine um die Mitarbeiter, am Mittwoch sind beide anwesend, Donnerstag bis Freitag ist der oder die zweite an der Reihe.

Wer jetzt schnell rechnet: Stimmt, auf diese Weise wird für den Arbeitgeber eine 120%-Stelle daraus, denn er zahlt ja einen Tag zu viel in der Woche. Dennoch, die Sache soll sich lohnen. Die Duos berichten, dass es keine Probleme gibt, vorausgesetzt, man tauscht sich regelmäßig aus. Schwierige Situationen diskutiert man aus, problematische Gespräche mit Mitarbeitern führt man zu zweit, und ansonsten genießt man die ausgewogene Mischung aus Arbeit und Familienleben.

Eine wichtige Voraussetzung lautet natürlich: Vertrauen. Die beiden müssen sich schon bezüglich grundlegender Haltungen und Werte einig sein, sonst werden sie schnell gegeneinander ausgespielt. Nur: Das kennen wir doch alle, oder? Nicht anders geht es doch in jeder Familie zu. Wer es schafft, Kinder so zu erziehen, dass beide Elternteile eine Sprache sprechen und sich bezüglich grundlegender Dinge einig sind, der sollte das doch auch bei der Führungs Erwachsener hinkriegen.

Ich hoffe, dass das Modell Schule macht...

Rezension zum Thema: 
Doppelt hält besser, Wirtschaftswoche 30/2012

Samstag, 18. August 2012

Mitdenkende Mitarbeiter

Es soll doch tatsächlich Mitarbeiter geben, die einfach nicht mitdenken wollen. Garnicht einmal, weil sie sich absichtlich verweigern und konsequent Dienst nach Vorschrift tun, sondern weil sie - naja, eben nicht mitdenken. Und warum tun sie es nicht? Weil sie es nicht gelernt haben, sagt ein Trainer und Berater für Unternehmenskommunikation. Sie versetzen sich nicht in den Kunden, können Dinge nicht aus der Sicht anderer betrachten, folgen blind Routinen und Konventionen und sehen den eigenen Zustand als Norm an.

Ist das nicht merkwürdig? "Mitarbeiten" funktioniert, "Mitdenken" nicht. Ist das tatsächlich eine Frage des "Nichtwissens" bzw. des "Nichtkönnens"? Ein Beispiel:

Der Chef eines kleinen Restaurants fällt plötzlich für zwei Wochen aus. Da der Ausfall unerwartet kommt, gibt es keinen Plan für die Tagesgerichte und Sonderaktionen. Kein Problem, die Mitarbeiter werfen einen Blick in die Vorratskammer, erstellen eine Einkaufsliste und püntlich zu Mittag steht das Tagesgericht. Wobei sie sogar ein Experiment wagen und etwas auf die Karte setzen, das es so noch nicht gegeben hat. Zum großen Wohlgefallen der Kunden. Zwei Wochen lang improvisieren sie und haben auch noch Spaß an der Sache.

Zwei Wochen später, gleicher Ort. Die Mitarbeiter betreten ihren Arbeitsplatz und finden dort etliche Anweisungen vor, kleine Zettel, auf denen steht, was eingekauft werden sollte, welche Gerichte für die nächsten Tage geplant sind und worauf dabei zu achten ist. Der Chef ist zurück und hat am Vorabend schon mal "vorgedacht".

Keine erfundene Geschichte...

Ich glaube, dass in vielen Organisationen "mitdenken" gar nicht gefordert oder erwünscht ist. Das Problem sind nicht die Mitarbeiter, es sind die Anforderungen, die an sie gestellt werden. Wer ihnen das Denken abnimmt und sich anschließend beklagt, dass man wieder mal selbst an alles denken muss, der hat ein Führungsproblem.

Die Geschichte geht aber noch weiter. Mittags kommt der Chef ins Restaurant und sieht, wie ein Gericht, das die Mitarbeiter in seiner Abwesenheit zubereitet haben, serviert wird. Er ist beeindruckt, aber dann erfährt er, welchen Preis seine Mitarbeiter festgelegt haben und fällt fast in Ohnmacht. "Hat sich mal jemand Gedanken gemacht, wie hoch allein die Materialkosten für dieses Gericht sind?" fragt er erschüttert. Die Mitarbeiter zucken mit den Achseln. "Wie seid Ihr denn auf den Preis gekommen?" - "Wir dachten, dass er so ungefähr hinkommen würde. Vom Einkauf her hat es kaum mehr als ... gekostet." - "Und wie lange haben Sie daran gearbeitet? Rechnen Sie jetzt mal Ihren Stundenlohn oben drauf, dazu noch Miete, Strom, Wasser..." Erstaunen...

Es gibt in der Tat ein "Nichtmitdenken" aus "Nichtwissen". Aber hier liegt wieder ein Führungsproblem vor. Wenn die für das Mitdenken notwendigen Informationen nicht vorliegen, hilft alles Mitdenken nichts.

Der Einwand, der hier meist kommt, lautet: "Aber so viel sollte man doch von Mitarbeitern erwarten dürfen. Es kann doch nicht sein, dass sie so naiv sind und nicht wissen, dass alles nun mal Geld kostet."

Stimmt, das wissen sie. Aber kennen sie die Kalkulation des Managements? Den Wertbeitrag ihres Bereiches? Welche Zahlen und Information stehen ihnen zur Verfügung? Werden diese regelmäßig aktualisiert? Werden sie regelmäßig diskutiert? Welche Antworten würden wir bekommen, wenn wir Mitarbeiter fragten, wie das Budget ihrer Abteilung aussieht, wie viel davon auf die Personalkosten entfällt, wie viel auf Material, wie viel auf Energie, auf Instandhaltung? Wie hoch der Ausschuss ist und was das kostet...?

Mitdenkende Mitarbeiter können wir nur erwarten, wenn wir Mitdenken zulassen und das dazu notwendige Wissen bereitstellen. Führungsaufgabe...

Rezension zum Thema:
Denken hilft, managerSeminare 6/2012

Donnerstag, 16. August 2012

Alles ist Diversity?

Immer noch erscheinen Diversity-Artikel. Und die Inhalte sind immer die gleichen. Ich fürchte, das Thema ist schon durch, bevor es richtig angefangen hat. Warum? Weil hier auf ziemlich dreiste Weise jede Menge altbekannte Themen neu verrührt und angerichtet werden.

Beispiele: 
Unternehmen, die Eltern mit flexiblen Arbeitszeiten die Möglichkeit einräumen, Beruf und Familie zu vereinbaren, betreiben Diversity-Management. Sie betreiben aber auch Gesundheitsmanagement, denn sie sorgen für "Work-Life-Balance".

Unternehmen, die die Arbeitsplätze so umgestalten, dass ältere Mitarbeiter in der Lage sind, weiterhin ihren Job zu bewältigen, betreiben Diversity-Management. Weil so die Mischung aus Jung und Alt gelingt. Und sie betreiben natürlich auch Gesundheitsmanagement, weil ältere Mitarbeiter länger fit bleiben.

Unternehmen, die Mitarbeiter mit internationaler Herkunft einstellen und fördern, betreiben Diversity-Management, weil so die kulturelle Vielfalt gewährleistet wird. Sie betreiben aber natürlich auch Talentmanagement, weil sie es sich angesichts des Facharbeitermangels nicht erlauben können, Menschen mit Migrationshintergrund außen vorzulassen.

Völlig wurscht...

...unter welcher Flagge sie sich um Eltern, ältere Mitarbeiter oder Migranten bemühen, Hauptsache, sie tun es überhaupt, könnte man hierauf einwenden. Ärgerlich ist dieser ganze Management-Methoden-Kram trotzdem. Weil die jeweiligen Vertreter immer mit der selben Forderung an die Organisationen herantreten: Erst mal fleißig analysieren, wie es um das Talentmanagement, Gesundheitsmanagement, Diversity-Management bestellt ist, Umfragen veranstalten, Interviews führen, dann Projektteams installieren, dann Maßnahmen planen, dann... Kennt man alles.

Dabei ist es so viel einfacher. Würde man Merkmale wie Alter, Geschlecht, Familienstand, kultureller Hintergrund usw. erst gar nicht als Problem ansehen, sondern vor allem und zuerst nach den Chancen schauen, könnte man sich den ganzen Managementkram schenken. Und wenn man sich dann intensiv um die Bedürfnisse ALLER Mitarbeiter kümmert, indem man hinhört und hinschaut, was sie brauchen, um optimal arbeiten zu können, dann würden all die oben genannten Maßnahmen ganz zwangsläufig ergriffen.

Wozu brauchen wir also diese Managementmodelle? Eine Erklärung: Weil sie ALLE eines versprechen: Mehr Gewinn. Kein Artikel, egal um welches Modell es geht, kommt ohne den Hinweis aus, dass Unternehmen, die sich um Diversity (Talente, Gesundheit, Werte...) kümmern, dies keineswegs aus purer Menschlichkeit tun. Wo kämen wir denn da hin? Nein, es geht um knallhartes Kalkül. Entsprechende Studien, die beweisen, dass solches Tun wirtschaftlichen Erfolg bringt, werden meist mitgeliefert. Und irgendwer ist beeindruckt und fängt an, sich endlich um Diversity zu kümmern.

Ach ja, da musste ich auch schmunzeln. Als Vorbild für Diversity wird die deutsche Nationalmannschaft angeführt. Wie lustig. Als ob dort auch nur ein Spieler türkischer oder polnischer Abstammung spielt, weil der Bundestrainer ein Diversity-Verfechter ist. Seit vielen Jahren finden sich in den europäischen Spitzenteams die unterschiedlichsten Nationalitäten, auch ohne, dass ein Managementvordenker den Clubs was von Vielfalt erklärt hat. Es ist geradezu anders herum: Herkunft spielt überhaupt keine Rolle: Eingesetzt wird, wer der Beste auf seiner Position ist. Davon können Unternehmen in der Tat lernen. Wenn sie mal wieder einen älteren Mitarbeiter oder eine Frau für eine Position ablehnen auf Grund des Alters oder des Geschlechts.

Wo wir schon mal beim Sport sind: Was im Musterland der Diversity die Vielfalt wert ist, das sieht man in den US-Basketballmannschaften der Profi-Liga. Ein perfektes Abbild der Gesellschaft, oder? Kleine, Große, Farbige, Weiße, Alte, Junge.... Sehr witzig...

Rezension zum Thema:
Viele sind mehr, managerSeminare 6/2012

Montag, 13. August 2012

Gefährlicher Leichtsinn

Man warnt uns ja schon lange, dass es leicht ist, unsere Gespräche mit dem Smartphone abzuhören, unsere Laptops auszuspionieren, unsere Mails mitzulesen. Die Wirtschaftswoche hat Profi-Hacker angestiftet, Top-Manager anzuzapfen. In der Tat war es wohl alles andere als schwer, Gespräche aufzuzeichnen und zu entschlüsseln. Mehr noch: Man kann unsere Ortwechsel verfolgen. Interessant vor allem für Ehepartner, die nicht ganz sicher sind, ob der andere wirklich zu der jährlichen Konferenz der Marketingfachleute gefahren ist. Und das Verrückte daran: Um uns zu finden, braucht man offenbar gar keine Ausbildung als Geheimagent.

Man sollte sich also vorsehen, wenn man ein Smartphone benutzt. Und wenn man im Ausland ist, das gute Stück möglichst zu Hause lassen und mit einem Ersatzgerät reisen.

Im gleichen Heft erfahren wir allerdings, dass die kleinen Helfer unschätzbare Dienste leisten, wenn es um die Sicherheit auf Geschäftsreisen geht. Im Notfall werden wir dankbar sein, wenn unser Arbeitgeber oder eine von ihm beauftragte Sicherheitsfirma uns mit Hilfe einer kleine App ortet und für rasche Hilfe sorgt. Vorausgesetzt, man hat die richtigen Einstellungen aktiviert. In diesem Fall muss gar nicht erst jemand eine bösartige Spyware auf unserem Gerät installieren. Wir verraten freiwillig, wo wir stecken.

Schwierig, sich in der modernen Welt richtig zu verhalten, oder?

Oh, einen Tipp zum richtigen Verhalten im Ausland muss ich noch weitergeben: "Vor dem Abstellen des Wagens zu Hause lieber noch mal um den Block fahren und die Gegend auf Hinweise auf einen bevorstehenden Überfall prüfen." 

Rezensionen zum Thema:
Angreifbar in allen Lebenslagen
Sicher um den Globus, Wirtschaftswoche 29/2012 



Mittwoch, 8. August 2012

Wir-Gefühl

So ein Wir-Gefühl ist was Feines. Wir haben alle schon erlebt, wie motivierend und energiespendend es sein kann, wenn man in einem Team für ein Ziel arbeitet und kämpft. Wenn alle an einem Strang ziehen und am Ende gemeinsam jubeln oder leiden - je nachdem, wie erfolgreich man war. Kennt man nicht nur aus dem Sport. Das funktioniert auch in der Wirtschaft. Und es funktioniert sogar in gewisser Weise in großen Organisationen, bei denen man als Ganzes kaum von einem Team sprechen kann. Es scheint ja auch heute noch Unternehmen zu geben, bei denen die Mitarbeiter stolz darauf sind, dort arbeiten zu dürfen und sich entsprechend ins Zeug legen.

Dieses Phänomen lässt sich auch als "Wir-Gefühl" beschreiben. Das soll inzwischen immer häufiger verloren gehen. Mögliche Gründe sollen sein:

(1) Das Verständnis von Karriere hat sich verändert. Früher hatte Treue zum Unternehmen einen Wert, man war jemand, wenn man sein 25jähriges Firmenjubiläum feierte. Heute ist so etwas eher ein Karrierekiller.

(2) Die flachen Hierarchien und Matrix-Organisationen führen dazu, dass die Orientierung verloren geht. Früher wusste man um seinen Platz in der Organisation, da herrschte Klarheit und Ordnung.

(3) Die Zunahme der virtuellen Zusammenarbeit tut ein Übriges. Wenn man seinen Kollegen nur aus E-Mails oder maximal von Videokonferenzen kennt, fördert das kaum das Wir-Gefühl.

Mag sein, dass all das eine Rolle spielt. Aber legen Unternehmen überhaupt noch Wert auf "Wir-Gefühl"? Geht es nicht um ganz andere "Werte"? Wenn man Unternehmen in kleine "Business-Units" aufteilt, die im Wettbewerb zu einander stehen, die um die Ressourcen konkurrieren und deren Mitarbeiter unterschiedlich prämiert werden - wie soll dann ein Gefühl von Gemeinsamkeit entstehen? Das wäre ja so, als würde man die Abwehr einer Fußballmannschaft getrennt vom Sturm bewerten und honorieren, aber gleichzeitig verlangen, füreinander zu spielen. Hier geht der eigentliche Zweck einer Organisation, nämlich eben gemeinsam für ein Unternehmensziel zu arbeiten, ganz zwangsläufig verloren.

Eine weiterer Grund scheint mir der Handel mit Unternehmen bzw. Unternehmensteilen zu sein. Wer erfährt, dass er an die Konkurrenz verkauft wurde und ab dem nächsten Tag Mitarbeiter des bisherigen Wettbewerbers oder einer Investorengruppe ist, die sich zum Ziel gesetzt hat, ihre Errungenschaft so bald wie möglich mit einem schönen Gewinn zu veräußern - wie soll man da ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln?

Maßnahmen nichts als Kosmetik

Was kann man tun? Natürlich wissen die Experten Rat. Ziele formulieren, gemeinsame Werte benennen, Erfolge feiern, für gemeinsame Erlebnisse sorgen. Funktioniert das? Vielleicht zu Beginn. Aber spätestens, wenn man das zweite Mal veräußert wird, werden die Mitarbeiter abwinken und auf die Werte und Events pfeifen. Weil sich spätestens mit dem nächsten Besitzerwechsel die Werte verändern und die Erfolge der Vergangenheit niemanden mehr interessieren.

Halt - ist das im Sport nicht genauso? Da baut man ein Team auf und am Ende der Saison wird auch die halbe Mannschaft verkauft. Und trotzdem entsteht so etwas wie ein Mannschaftsgeist....

Sicher, ein Teamgeist für eine Saison. Da weiß jeder, auf was er sich einlässt, wenn er zu einem Verein wechselt. Und der Verein jammert anschließend über die "Söldnermentalität". Auch so kann man erfolgreich sein - aber sollte sich nicht beschweren, wenn es eben kein Wir-Gefühl gibt...

Rezension zum Thema: 
Vom Wert des Wir, managerSeminare 4/2012

Dienstag, 7. August 2012

Kittel tragen

Ich gestehe, dass ich in Sachen "Arbeitskleidung" eine etwas sehr lockere Einstellung habe. Anzüge für Banker und Personaler empfinde als eher übertrieben, und wenn mir ein Mediziner in Jeans und T-Shirt gegenüber steht, macht das ihn mir eher sympathisch (wenn es nicht gerade im OP ist). Aber vielleicht sollte ich meine Geringschätzung noch einmal überdenken.

Eine kleine Meldung in der managerSeminare 4/2012 stimmt nachdenklich. Da haben Psychologen-Kollegen zwei Versuchsgruppen Denksportaufgaben lösen lassen. Die eine Gruppe haben sie in weiße Arbeitskittel gesteckt, die andere nicht. Ergebnis: Die Probanden in den Kitteln erzielten deutlich bessere Ergebnisse. Vermutung der Forscher: Kittel werden mit "Wissenschaft" assoziert und der Begriff steht für sorgfältige Arbeit. Also geben sich die Kittelträger mehr Mühe.

Fazit in der Meldung: "Wer die Fehlerquote seiner Mitarbeiter verringern will, steckt sie in weiße Kittel." So witzig das im ersten Moment klingt, so nachvollziehbar ist ein Zusammenhang zwischen "Uniform" und Einstellung. Anzug- bzw. Schlipsträger werden sich eher selten beim Kunden auf den Sesseln herumlümmeln, während der Berater in Badelatschen und Shorts vermutlich nicht davor gefeit ist, die Latschen abzustreifen und die Füße auf den Tisch zu legen.

Vielleicht sollte ich doch mal wieder meinen Anzug aus dem Schrank holen...

Donnerstag, 2. August 2012

Instandhaltung statt Gemeinschaft

Der Chef ist ratlos. "Meine Manager trauen sich die einfachsten Entscheidungen nicht zu. Ständig kommen sie zu mir und ich muss es dann richten. Ich brauche Leute, die Mumm haben, auch mal Risiken eingehen und zu ihrer Meinung stehen. Ich sag es ihnen immer wieder, aber es hilft nichts. Ich hab schon gedroht, sie alle vor die Tür zu setzen, wenn sie nicht endlich in die Gänge kommen. Aber laut werden hilft auch nichts, dann schauen sie nur verschreckt und ziehen sich noch mehr zurück."

Der Berater nickt verständnisvoll und schlägt ein umfangreiches Personalentwicklungsprogramm vor. Zuerst sollen alle Manager einen Persönlichkeitstest absolvieren, dann, nach einer Kick-off-Veranstaltung, ein modulares Trainingsprogramm durchlaufen, wobei der Schwerpunkt auf Durchsetzungsfähigkeit und Entscheidungsverhalten liegt und das von Coachings begleitet wird. Er rechnet dem Chef vor, dass sich jeder Euro, den er in derartige Personalentwicklungsmaßnahmen steckt, vervierfachen wird, weil zahlreiche Studien ergeben haben, dass Mitarbeiter, die an einem derartigen Training teilgenommen haben, anschließend viel unternehmerischer denken und damit weitaus produktiver arbeiten.

Albern? So kommt mir die Sache mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement vor. Glaubt man den Zahlen, dann sind immer mehr Menschen mit ihrer Arbeit unzufrieden, die psychischen Erkrankungen nehmen zu und stellen schon die häufigste Ursache für vorzeitige Pensionierungen dar. Der Zusammenhang mit den dramatischen Veränderungen in der Arbeitswelt scheint unstrittig: Wo das Bedürfnis nach Sicherheit und Anerkennung immer seltener erfüllt wird und so etwas wie Zugehörigkeitsgefühl verloren geht, steigt die Belastung für den Einzelnen und die Gefahr des Burnouts - was auch immer man darunter verstehen mag - steigt.

Und wie das so ist, wenn ein Problem erkannt und den Weg in die Medien gefunden hat, tauchen zahlreiche Anbieter auf, die ein Geschäftsmodell entdecken. In Sachen Gesundheitsmanagement funktioniert es prima: Gesundheitscheck, Gesundheitstage, Massagen am Arbeitsplatz, Ernährungsberatung, Fitness-Angebote - des einen Leid ist des anderen Freud. Alles verbunden mit dem Versprechen: Jeder Euro, den ein Unternehmen in das betriebliche Gesundheitsmanagement steckt, zahlt sich vierfach aus. Weil gesunde Mitarbeiter seltener fehlen, mehr leisten, produktiver sind.

Ein interessanter Kreislauf: Um die Rendite zu erhöhen, werden Produktionsprozesse verschlankt, Personal abgebaut, Leistungsanreize gesetzt und der Druck erhöht. Mit der Folge, dass die Produktivität der Mitarbeiter sinkt, damit auch das Ergebnis beeinträchtigt wird. Um deren Leistungsfähigkeit wieder herzustellen, gibt man Geld für gesundheitsfördernde Maßnahmen aus. Mit der Botschaft: Wir tun das für euch, damit Ihr dem Druck, den wir (bzw. die Globalisierung, der Wettbewerb, die Konkurrenz...) erzeugen, besser stand haltet.

Warum auch nicht, könnte man einwenden. Das ist bei Maschinen ja nicht anders. Wenn sie rund um die Uhr laufen, ohne Pause und ohne regelmäßige Pflege, verschleißen sie. Wer kein Geld für Instandhaltung in die Hand nimmt, der braucht bald neue Anlagen. Da ist es doch besser, Maßnahmen zur Pflege der Maschinen zu bezahlen. So wie man eben auch Geld für die "Instandhaltung" der Mitarbeiter ausgibt.

Ein Vergleich, der hinkt? Ich fürchte nicht. Statt neben dem x-ten Programm zu Förderung der Mitarbeiterkompetenzen nun auch noch ein Gesundheitsmanagement zu installieren, könnte man Unternehmen und Organisationen als Gemeinschaft begreifen. Als Gemeinschaft von Menschen, die ein gemeinsames Ziel haben und für dieses arbeiten, ohne dabei krank zu werden. Aber vermutlich wäre der Aufwand ungleich größer, als einen Anbieter zu engagieren, der den Mitarbeitern eine gesunde Lebensweise vermitteln soll.

Rezension zum Thema:
Anti-Stress-Kosmetik, pseudoempathische Phrasen und Systemkritik
Jenseits von Gewinn und Profit
Wirtschaftspsychologie-aktuell 2/2012