Donnerstag, 22. März 2012

Auf Manager verzichten

Von einem Orchester ohne Chef haben wir schon häufiger gelesen. Über kleine Unternehmen ohne Manager, in denen die Mitarbeiter gleichzeitig auch Gesellschafter sind, wurde auch schon mehrfach berichtet. Aber ein Unternehmen mit 400 Mitarbeitern, 700 Millionen Dollar Umsatz und Weltmarktführer auf seinem Gebiet, das ohne Chefs auskommt - wo gibt es denn so was?

Management-Guru Gary Hamel hat es in den USA entdeckt, es heißt Morning Star und stellt Tomatensoße her. So viel wie kein anderes.
Wer regelmäßig MWonline liest, kann sich denken, dass ich solche Geschichten liebe. Und ähnlich wie Herr Hamel ganz fasziniert bin. Und sehr neugierig.
Es gibt keine Titel und keine Beförderungen, keine Chefs. Jeder kann Geld ausgeben, wenn er es für notwendig hält. Jeder beschafft sich die Werkzeuge und das Material, das er benötigt - ohne zentralen Einkauf. Und die Entscheidungen über das Gehalt wird im Kollegenkreis getroffen.

Unwahrscheinlich? Ein witziges betriebswirtschaftliches Argument für eine Führung ohne Manager vorweg: Wenn ein Unternehmen mit zehn Mitarbeitern einen Manager braucht, dann werden für 100 Mitarbeiter nicht zehn, sondern elf von ihnen benötigt - 10 Manager brauchen ja wieder einen. Bei 1.000 Mitarbeitern sind es schon 111 Führungskräfte. Diese kosten nicht nur viel Geld, sondern auch Zeit. Menschen, denen man Befugnisse gibt, tendieren dazu, diese auch zu nutzen. Schließlich müssen sie ja unter Beweis stellen, dass sie zu Recht im Amt sind. Das bedeutet lange Entscheidungswege. Mehr noch: Manager wollen mitreden, sie stoppen Ideen oder verändern sie - nicht unbedingt zum Vorteil des Unternehmens.

"Kennen wir. Ist ja alles richtig. Aber wie soll das funktionieren, wenn jeder macht, was er will?" Hier die Antwort: Bei Morning Star erstellt jeder Mitarbeiter eine persönliche Aufgabenbeschreibung, diese sind die Grundpfeiler des Modells. Weil damit niemand einem Vorgesetzten gegenüber verpflichtet ist, sondern seinen Aufgaben. Und seinen Kollegen. Denn das ist das zweite "Instrument": Der"Colleague Letter of Understanding", auch CLOU genannt. Diese CLOUs sind Vereinbarungen untereinander, aber auch zwischen Bereichen, wer was in welchem Zeitraum wie machen wird. Dabei werden die relevanten Leistungskennzahlen besprochen.

Das wiederum kann nur funktionieren, wenn jeder Bereich, ja sogar jeder Mitarbeiter den Zugang zu allen relevanten Daten hat. Eine Transparenz, die sonst eben nur Managern ermöglicht wird. Und wer weiß, welchen Wert er für sein Unternehmen erwirtschaftet, der kann auch entscheiden, wofür er das Geld seines Unternehmensausgeben will. Ein schöner Satz, von dem ich glaube, dass seine Nicht-Beachtung das zentrale Problem der meisten Unternehmen ist: "Wir finden, dass jeder tun sollte, was er gut kann, also versuchen wir nicht, Leute in einen bestimmten Job zu zwingen."

"Und was ist, wenn jemand sich nicht an Absprachen hält? Oder schlecht wirtschaftet?" Die ewige Frage nach der Kontrolle, die zumeist vor dem Vertrauen kommt. Die Antwort: Bei Tranparenz der Zahlen fällt schnell auf, wenn jemand ökonomisch unsinnig handelt. Gibt es Konflikte bzw. Unstimmigkeiten bezüglich derAbsprachen, wird ein Mediator eingeschaltet. Kann dieser nicht vermitteln, tritt ein Gremium aus sechs Kollegen zusammen. Erst wenn all das nicht fruchtet, wird der Präsident eingeschaltet.

Das Modell scheint zu funktionieren. Das Unternehmen erwirtschaftet Gewinne und die Gehälter liegen bis zu 15% über denen der Konkurrenz. Sie haben dennoch Ihre Zweifel? Dann wird Sie diese Information "beruhigen": Trotz eines sehr aufwendigen Personalauswahlverfahrens - jeder Neuling wird von zehn bis zwölf poteniellen Kollegen interviewt - verlassen 50% der Neulinge innerhalb von zwei Jahren das Unternehmen wieder. So viel Verantwortung selbst tragen liegt nicht jedem. Gut, dass es noch genügend Unternehmen mit klassischen Hierarchien gibt. (Vor allem: Was würde aus dem Geschäftsmodell all derjenigen, die Manager ausbilden und trainieren?)

Rezension zum Thema:
Schafft die Manager ab! Harvard Business Manager 1/2012

Donnerstag, 8. März 2012

Digitale Diät

Verlernen wir, miteinander zu reden? Angeblich hassen immer mehr Menschen das Telefon. Nicht das Smartphone, wohlgemerkt. Vielmehr das Sprechen am selbigen. Wenn es klingelt, könnte am anderen Ende jemand sein, der mit uns REDEN will. Erschreckender Gedanke, wo wir doch mit wenigen Worten per SMS, oder, wenn es etwas ausführlicher sein soll, per Mail kommunizieren können.

Unsinnig? Da bin ich mir nicht so sicher. Ich meine zu beobachten, dass tatsächlich viele, vor allem jüngere Menschen, das direkte Gespräch scheuen. Ein typischer Dialog: "Hast du Bescheid gesagt, dass du nicht kommst?" - "Hab' 'ne SMS geschickt."
Der Vorteil: Jede Art von Auseinandersetzung wird vermieden. Der andere könnte ja enttäuscht reagieren, gar mit Vorwürfen. Eine SMS hingegen verhindert erst einmal eine direkte Reaktion. Funktioniert genauso mit e-Mails.

Aber auch das unmittelbare Gespräch mit Menschen, denen ich gegenüber sitze, leidet. Während eine SMS mitunter noch richtig Geld kostet, ist der Chat per Whatsapp in der Internet-Flat enthalten - ständige Signale töten jedes direkte Gespräch: "Sorry, muss mal eben antworten."

Die amerikanische Psychologin Sherry Turkle, die ein Buch über das Thema verfasst hat (Alone Together), berichtet von einem Jugendlichen, der innerhalb der Stunde, während sie sich unterhalten haben, 100 Nachrichten erhielt und dies kommentierte mit: "Wie lange muss ich noch so leben?"

Studenten baten darum, ihr Smartphone offen auf den Tisch legen zu dürfen, um keine Meldungen zu verpassen. Es soll aber auch schon jene geben, die darum bitten, ihnen den Gebrauch des Smartphone während der Vorlesungen zu untersagen. Wenn das mal kein Hilferuf ist.

Interessante Perspektive: Turkle möchte nicht die Sucht-Metapher verwenden, sondern lieber die einer Diät. So wie es ungesundes Essen gibt, das im Übermaß genossen zu Fettleibigkeit führt, so kann exzessive digitale Kommunikation zu Kommunikationsstörungen führen. Wir sollten uns also hin und wieder auf Diät setzen. Abende einrichten, an denen das Smartphone ausgeschaltet ist, an denen wir keine Mails abrufen. Urlaube, in denen keine Mails beantwortet werden und wir unerreichbar bleiben. Hat doch früher auch geklappt...

Problem dabei: Wir wissen ja leider, wie schwer es ist, eine Diät durchzuziehen. Da wird so mancher die kommunikative Fettleibigkeit nicht los werden...

Rezensionen zum Thema:
Online abspecken, Financial Times Deutschland vom 13.1.2012
Nichts verpasst, Financial Times Deutschland vom 13.1.2012

Donnerstag, 1. März 2012

Was Macht aus Menschen macht

Macht verdirbt den Charakter. Ich fürchte, der Satz enthält mehr als einen Funken Wahrheit. Experimente, die darauf angelegt sind, Menschen die Möglichkeit zu geben, über andere Macht auszuüben, zeigen immer wieder erschreckende Folgen. Das bekannteste Experiment (Zimbardo), bei dem in einem fiktiven Gefängnis die eine Gruppe als Wärter, die andere als Gefangene fungierte, ist inzwischen Pflicht-Inhalt an Schulen. Bei anderen Versuchen stellte sich heraus, dass "Führungskräfte" häufiger logen als "Mitarbeiter".

Fast witzig, wenn auch leider ebenso bitter, das "Keksexperiment" (Gruenfeld): Eine Gruppe Studenten diskutierte über Religion und Politik, wobei ein Teilnehmer insofern Macht verliehen bekam, als er die Äußerungen der anderen beurteilen sollte. Als am Ende der Gruppe ein Teller mit Keksen angeboten wurde, nahm sich der "Mächtige" nicht nur mehr Kekse, sondern kaute mit offenem Mund und verstreute Krümel über dem Tisch.

Was passiert hier? Es mag ja sein, dass manche Menschen anfälliger sind für die Verlockungen der Macht. Es muss ja nicht immer so sein wie bei der Führungskraft, die ich einmal in einem Seminar erlebt habe. Sie führte sich in einem Rollenspiel extrem autoritär auf, ließ keine gutes Haar am "Mitarbeiter" und hatte dabei sogar noch sichtliches Vergnügen. Nach dem Feedback der anderen, das entsprechend vernichtend ausfiel, lautete die lapidare Erklärung: "Ich habe jahrelang unter meinen Vorgesetzten gelitten. Jetzt bin ich endlich in der Rolle des Chefs, jetzt sollen mal die anderen leiden."

Rache als Motiv - sicher eher die Ausnahme. Was aber ist es dann, das Menschen mit Macht dazu verleitet, diese zu missbrauchen, sei es, um sich Vorteile zu verschaffen, sei es, um andere plötzlich
unmenschlich zu behandeln?

Ich finde, das mit den Keksen sehr aufschlussreich. Macht scheint Menschen das Gefühl zu geben, außerhalb der Regeln zu stehen. Wer etwas Besonderes ist, mächtiger als andere, der darf Regeln aufstellen, also auch gegen Regeln verstoßen. Genau dieser Unterschied zu den anderen könnte dieses Gefühl vermitteln, mehr zu dürfen, mehr wert zu sein, anderen überlegen zu sein.

Aber auch die zweite Erklärung scheint mir schlüssig: Die Fokussierung auf die eigenen Bedürfnisse, die über die der anderen gestellt wird. Das könnte als eine Art Belohnung verstanden werden. "Ich übernehme Verantwortung, an der ich schwer zu tragen habe. Ich bin nicht nur für das eigene Tun verantwortlich, sondern auch für das der anderen (der Mitarbeiter)." Wer so viel zu tragen hat, der
darf sich auch mehr gönnen.

Die Schlussfolgerung daraus? Die Standard-Empfehlungen dürften lauten: Selbsterkenntnis, regelmäßige Reflexion, umgeben mit kritischen Feedback-Gebern, von denen man sich Rückmeldung einholt, Führungstraining...

Es ist doch immer das Gleiche: Man weiß, wie Menschen in bestimmten Situationen reagieren - weil sie einfach Menschen sind. Um unliebsames Verhalten zu verhindern, versucht man es mit Training. Aber wissen wir nicht alle, wie verflixt schwierig das ist, ein Verhalten verändern? Wie viel Training benötigt man, um ein Verhalten zu erlernen? Wie viel mehr Training erfordert es dann, Verhalten zu unterdrücken?

Wie wäre es also damit: Möglichst sparsam mit der Verteilung von Macht umgehen, und wenn es sich denn gar nicht vermeiden lässt, diese nur auf Zeit vergeben. Menschen sollten sich "Macht" verdienen - und sie wieder verlieren, wenn sie sie missbrauchen. So wie ein Bundespräsident.
Aber ach, ich träume...

Rezension zum Thema:
Das Wulff-Syndrom, Wirtschaftswoche 4/2012