Donnerstag, 19. April 2012

Alles für den Kunden?

Es ist so eine Sache mit den Managementkonzepten. Ich stelle mir das ungefähr so vor: Da stellen kluge Menschen fest, dass in bestimmten Bereichen Defizite auftreten. Dass z.B. die Kunden vernachlässigt werden. Oder dass die Qualität nicht stimmt. Oder dass ein Unternehmen ein schlechtes Image bei potenziellen Bewerbern hat. Mit dem analytischen Blick wird das Problem in seine Einzelteile zerlegt und festgestellt, dass die Ingenieure schrecklich verliebt in ihre Produkte sind und die Bedienungsanleitungen so verfassen, dass nur ihresgleichen sie verstehen. Oder dass der Vertrieb und die Marketingabteilung aneinander vorbeireden. Oder niemand sich anschaut, wie der Kunde tatsächlich mit dem Produkt umgeht usw. usw.

Sinnvoller Weise werden daraufhin Maßnahmen ergriffen. Und wenn man schon mal ein praktikables Vorgehen entwickelt hat, wird dieses mit einem Etikett versehen: Kundenorientierung! Qualitätsmanagement! Change Management! Nachhaltigkeit! Employer Branding!

Mit diesem Konzept geht der kluge Mensch nun auf andere Unternehmen zu und erklärt ihnen, wie das so geht mit der Kundenorientierung. Damit sich das lohnt, wird die gesamte Organisation auf den Kopf gestellt und jeder Prozess auf seine Kundenorientierung untersucht - bis keiner mehr den Begriff hören kann und sich entnervt abwendet.

Dann folgt die nächste Welle, der nächste Begriff. Und der Kunde verschwindet wieder aus dem Blick, weil ja jetzt sich alles nur noch um Supply Chain Management dreht. Oder um Prozessoptimierung.

So ein Management hat es aber auch nicht leicht. Im Grunde ist doch all das irgendwie wichtig. Natürlich darf ein Unternehmen seine Kunden nicht vernachlässigen. Natürlich muss es auf die Qualität der Produkte achten. Natürlich muss es Veränderungen rechtzeitig erkennen und umsetzen. Natürlich sollte es sich sozial verantwortlich verhalten. Aber wie soll man all das gleichzeitig im Blick behalten? Und das auf jeder Ebene, angefangen vom Aufsichtsrat über Vorstand, alle Führungsebenen und sämtliche Mitarbeiter. Dabei nicht nur über einen bestimmten Zeitraum, sondern auch noch langfristig, dauerhaft. Ohne dass alle Betroffenen nur entnervt den Blick abwenden und abwinken nach dem Motto: "Solche Trends kommen und gehen, das überleben wir auch."

Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Mir ist nur immer mulmig, wenn eine ganze Organisation auf umgekrempelt wird und alles und jeder auf ein Konzept ausgerichtet wird. Es gibt sicherlich auch ein "Zuviel" an Kundenorientierung, wo ein Konzept anfängt, Schaden anzurichten. Wenn nur noch Prozesse optimiert werden, dann wird die Qualität leiden. Das ist vergleichbar mit einseitiger Ernährung - zu viel von einem Konzept schadet langfristig der Gesundheit einer Organisation, und diese wird sich wehren.

Aber wie bekommt man die richtige Mischung hin? Der Nutzen dieser Konzepte liegt meines Erachtens weniger darin, dass sie ein Unternehmen grundsätzlich verändern, auch wenn das von den Vertretern der jeweiligen Mode behauptet wird. Sie dienen mehr dazu, eine bisher vernachlässigte oder zwischenzeitlich aus dem Fokus geratene Facette wieder ins Bewusstsein zu rücken. Einfach mal den Scheinwerfer darauf zu richten und zu schauen, wo sich Nachlässigkeiten eingeschlichen haben, wo Optimierungsbedarf besteht.

Vielleicht wechselt man einfach in regelmäßigen Abständen diesen Fokus: Drei Monate Kundenorientierung, drei Monate Prozessoptimierung, drei Monate Qualitätsmanagement, drei Monate Shareholder Value, drei Monate Mitarbeiterbindung, drei Monate Employer Branding... und dann geht es wieder von vorne los. Hätte den Vorteil, dass die Begriffe nicht so schnell "ausleiern". Hätte aber den Nachteil, dass man keine Mega-Projekte anstoßen kann, die vor allem den Beratern den Arbeitsplatz sichern.

Ist ja nur so eine Idee...

Rezensionen zum Thema:
Moments of Truth
Von Zahnrädern und Zahnriemen, Zeitschrift Führung + Organisation 3/2011

2 Kommentare:

C. Grabow hat gesagt…

Wie immer toll zu lesen. Und es tut sooo gut, mich nicht allein mit meiner Meinung zu wissen.

Gunther Mathy hat gesagt…

ja, es geht immer um die richtige Mischung der Management-Konzepte, um das Mischungsverhältnis der Komponenten, um die Balance im Bezug zum aktuellen Kontext.
Aber diese richtige Mischung erreicht man nicht, indem man jedes Quartal sich eine andere Komponente anschaut, sondern indem man einmal die Basis schafft und versteht, wie diese Komponenten zusammenhängen können. Und wenn es dann Veränderungen des Kontextes oder neue Impulse (auch aus "Moden") gibt, dann muss man prüfen, was das "Gute" an der jetzigen Situation ist, was man verändern möchte, und die neuen Impulse nicht als "Gegenentwurf" zum Bisherigen begreifen und verkaufen und damit überflüssigen Widerstand provozieren, sondern begreifen und zeigen, wie und warum die neuen Impulse in das bestehende System integriert werden können oder müssen. Dieses Vorgehen ist nicht so heroisch, aber erfolgreicher als die eindimensionale und totale Implementierung nach dem Muster der "finalen Rettung".