Montag, 11. Juli 2011

Parallel-Laufbahnen

Führungskräfte haben dank ihrer Position gewisse Rechte und Pflichten. Sie erhalten Informationen, die sie (zumindest teilweise) an die ihnen unterstellten Mitarbeiter weitergeben. Sie sind aufgerufen, die Aufgaben zu koordinieren, ihnen Ziele vorzugeben, ihre Leistungen zu beurteilen und entsprechende Sanktionen zu verhängen. Und sie selbst werden nicht nur nach ihren eigenen Leistungen, sondern auch nach den Leistungen der an sie berichtenden Menschen gemessen.
Damit übernehmen sie auch die Verantwortung und werden hierfür verantwortlich gemacht. Der Lohn dafür ist nicht nur Geld, sondern auch und vor allem ein gewisser Status, der mit der Position verbunden ist.

Das Dumme an der Sache: Die Anzahl von Führungspositionen in einer Organisation ist begrenzt. Diese Begrenzung hat etwas mit dem Aufbau der Organisation und der Anzahl der Mitarbeiter zu tun. Und damit, dass die Zahl der Mitarbeiter, die sinnvoll von einem Manager "geführt" werden können, eine gewisse Größe nicht übersteigen kann - egal, wie "lean" eine Organisation ist.
Was dazu führt, dass eben nur eine kleine Zahl von Angestellten in den "Genuss" einer solchen Stelle kommt, während diese einer größeren Zahl von Mitarbeitern verwehrt bleibt.

Nun sind unter den anderen Mitarbeitern durchaus solche, die sich durch besondere Fähigkeiten auszeichnen, auch diesen möchte man auch gerne die gebührende Anerkennung zukommen lassen. Nicht aus reiner Menschenliebe, sondern weil man sie ja nicht verlieren, vielmehr ans Unternehmen binden will.

Irgendwann sind die Personaler auf die Idee gekommen, dass es doch möglich sein müsste, weitere Laufbahnmodelle zu entwickeln. Da gibt es also den "Senior Principal Project Manager", den "Senior Principal Experten", den "Pincipal Project Manager" und den "Master Experten" usw. Man etabliert einen klaren Stellengenehmigungsprozess, entwickelt ein anspruchsvolles Auswahlverfahren und stellt sicher, dass die neuen Positionsinhaber mit den parallelen Managern gleichgestellt werden in Sachen Informationszugang, Weiterbildung und Entlohnung.

Klingt doch erst mal gut, oder? Bis man irgendwann feststellt, dass die Zahl dieser Stellen zunimmt und eine unerwartete Dimension annimmt. Wie kann das sein?

Ganz einfach: Die Führungskräfte dieser Mitarbeiter sehen eine Möglichkeit, ihren Leistungsträgern eine Aufwertung zukommen zu lassen. Wo sie bisher mit einer Gehaltserhöhung gescheitert sind, machen sie sie nun zum "Master Experten" und erfüllen auf diese Weise den Wunsch nach Anerkennung. Irgendwo sitzt der Personaler und versucht verzweifelt, die Flut der Expertenstellen abzuwehren. Und wundert sich, dass trotz aller "Gleichstellung" der Status des "Senior Principal Project Managers" keineswegs als gleichwertig mit dem eines Top-Managers erlebt wird.

Parallele Laufbahnen funktionieren nicht

Was läuft hier falsch? Managementpositionen sind mit Macht über andere ausgestattet und erfüllen eine klare Funktion in einer Organisation. Eine hierarchische Organisation braucht Führungskräfte und die Stelleninhaber brauchen den Status, um ihre Aufgabe zu erfüllen.

Ein Projektmanager oder ein Experte jedoch kann seinen Job auch erfüllen ohne den Status oder Titel des "Principal Project Manager" oder "Principal Expert", die neu geschaffene "Stelle" ist gar keine neue Stelle. An der Tätigkeit ändert sich gar nichts,  während sich für einen Mitarbeiter, der plötzlich Führungskraft wird, die Aufgabe gewaltig ändert. Ein Titel aber, der keine Funktion hat, ist nur die Hälfte, wenn überhaupt etwas wert.

Um das auszugleichen, sucht man nach zusätzlichen Privilegien, z.B. den Zugang zu Informationen, die man ohne den Titel nicht erhält. Aber ist das nicht schon mehr als merkwürdig? Wie kann es sein, dass es Informationen im Unternehmen gibt, die den Experten oder Projektmanagern bisher vorenthalten wurden, nun aber, mit der Einführung einer neuen "Laufbahn", plötzlich zugänglich sind? Entweder brauchen die Mitarbeiter diese Informationen für die Ausübung ihrer Tätigkeit nicht, dann sind sie maximal "nice to have". Oder aber sie sind tatsächlich wichtig für ihren Job, dann aber waren sie es auch vorher und hätten längst zur Verfügung stehen müssen.

Bleiben Gehalt, Dienstwagen und sonstige Statussymbole. Sicher werden die so aufgewerteten Experten und Projektmanager das zu schätzen wissen. Aber vielleicht werden sie auch nur denken, dass ihnen all das eigentlich schon länger zusteht, weil sie nun mal die eigentlichen Experten sind. Oder weil Projektmanagement eine Tätigkeit ist, die wegen ihrer Komplexität eine solche Anerkennung längst verdient hätte.

Statt sich wohlklingende Namen und parallele Karrierepfade auszudenken, wäre es vielleicht mal an der Zeit, über den Wert von Experten auf der einen und den Wert von Managementpositionen und über die Automatismen in Hierarchien auf der anderen Seite nachzudenken. Wie wäre es, sich von der Idee zu lösen, Führungsaufgaben praktisch auf "Lebenszeit" zu vergeben, die, wenn man nicht völlig versagt, immer weiter ausgebaut werden? Sie also zeitlich zu begrenzen, so wie auch Projektmanager eine Aufgabe mit einem Verfallsdatum haben? Wie wäre es auf der anderen Seite, Gehalt und Privilegien nicht von der Position im Organigramm und der Anzahl der Mitarbeiter abhängig zu machen, sondern vom Wert für das Unternehmen? Hätte dann nicht so mancher Experte einen viel höheren Status als eine Führungskraft, die vielleicht austauschbar ist?

Solche "Kunstprodukte" wie "Senior Principal Expert" könnte man sich dabei ersparen - auch Expertenwissen kann veralten und dazu führen, dass der Titel nichts mehr wert ist.

Rezension zum Thema:
Projektlaufbahn als Alternative? - Wirtschaftspsychologie-aktuell 4/2010

6 Kommentare:

Christoph Schlachte hat gesagt…

Das denke ich auch. Führung auf Zeit sollte es geben und die Teammitglieder sollten mit entscheiden.

So könnten Teammitglieder mit entscheiden, ob sie die Rolle des Managers gut ausgefüllt sehen oder nicht.

Ein Workshopteilnehmer hat dies in einer Organisation erlebt und war sehr angetan von der Dynamik. Die Führung verstand sich mehr als Dienstleister für sein Team. Auch das "zurück ins Team " gehen war kein Problem.

Viele Grüße

Christoph Schlachte

Johannes hat gesagt…

Hallo Herr Schlachte,

danke für den Hinweis. Wissen Sie noch, um welche Organisation es sich handelte? Ich habe bisher noch von keinem funktionierenden Modell gehört.

Herzliche Grüße
Johannes Thönneßen

Olaf Backhaus hat gesagt…

Sehr geehrter Herr Tönneßen,

das Lesen Ihres Blog-Artikels hat mir sehr viel Vergnügen bereitet. Meiner Meinung nach geht es letztendlich darum, in Sachen Motivation den Mitarbeiter bei der Stange zu halten.

Der Mitarbeiter - diesen Umstand stellen Sie in Ihrem Blog auch klar heraus - erfährt von seinem Vorgesetzten leider keine offene und ehrliche Behandlung, da dieser dem Mitarbeiter aus Gründen der 'Postensicherung' entscheidende Informationen vorenthält.

Da der Mitarbeiter aber auch nicht dumm ist, bekommt er das natürlich mit. Seine Motivation ist dann allerdings ganz oder in Teilen dahin. Es ist einfach das Dilemma der Personalwirtschaft, dass die richtige Mitarbeiterführung bedeutend mehr Motivationssteigerungen ermöglichen würde als die Summe aller materiellen Anreizsysteme dies bewirken könnte.

Aber – und das ist das Beste daran: Die Unternehmen bräuchten hierzu keinen Cent mehr ausgeben! Wie gesagt, es ist einfach ein Dilemma!

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Backhaus

Jürg Dietrich hat gesagt…

Guten Tag Herr Thönessen,

ich habe selber bereits solche Parallel-Laufbahnen bei Unternehmen eingeführt und stimme Ihnen in vielen Teilen zu:

Die Zahl dieser Stellen kann in der Tat eine unerwartete Dimension annehmen, da Vorgesetzte dadurch Anerkennung geben wollen.

Die Änderung des Funktionsnamens in "wohlklingende" Titel bringt keinen Effekt - ausser allenfalls das Belächeln von Kollegen. Keine Titel ohne Funktion!

Allerdings habe ich erlebt, dass Parallellaufbahnen durchaus Chancen auf Erfolg haben, um zur Mitarbeiterbindung beizutragen und um zu verhindern, dass der beste Fachspezialist zur Führungskraft befördert wird, um ihn bei der Stange zu halten.

Hierfür müssen u.a. folgende Bedingungen erfüllt sein:

Analytische Funktionsbewertung:
Alle Funktionen einens Unternehmens müssen analytisch bewertet werden. Dadurch wird der Wert der Experten sichtbarer und vergleichbarer.

Klare Anforderungen und Aufstiegskriterien:
Die Funktionsanforderungen werden durch die Funktionsbewertung klar quantifiziert. Daraus folgen konkrete Aufstiegskriterien.

Transparenz:
Die Bewertungen und die Laufbahnmodellen müssen transparent gemacht werden.

Wir-Gefühl:
In meiner Praxis hat sich bewährt, wenn die Fachexperten beispielsweise an Kader-Workshops miteinbezogen werden – gemeinsam mit den Führungskräften. Und wenn sie an selben Bonusprogrammen teilhaben können, wobei ich denen gegenüber sehr kritisch bin, doch das ist ein anderes Thema.

Ich bin überzeugt, dass echte Parallel-Laufbahnen eine Zukunft haben und sich positiv auf die Anerkennung des Wertes von Experten auswirken können. Und somit für die Bindung dieser Mitarbeitenden wichtig werden.

Gerne tausche ich mich hierüber kritisch mit Ihnen aus.

Beste Grüsse - Jürg Dietrich

Johannes hat gesagt…

Hallo Herr Dietrich,

danke für Ihren Kommentar. Ich bekomme hin und wieder Mails von Beratern, die - ähnlich wie Sie - von erfolgreichen Projekten berichten. Leider meist ohne Angabe von konkreten Unternehmen, in denen das in Frage stehende Modell funktioniert. Und wenn, dann wurde es erst vor Kurzem eingeführt, so dass man noch nicht wirklich sagen kann, ob es sich auch bewährt.

Ich glaube nach wie vor, dass ohne eine veränderte Haltung gegenüber der klassischen Führungslaufbahn die Fachkarrieren keine Chance haben. Sie werden auf dem Papier existieren, aber in der Praxis im Laufe der Zeit wieder verschwinden.

Die analytischen Methoden sehe ich sehr skeptisch. Da gibt es ja jede Menge Verfahren, aber letztlich sind sie nicht ausschlaggebend. Am Ende geht es um Einfluss und Macht und darum, wer die Entscheidungen trifft. Da kann man die Fachleute noch so oft an "Kaderbesprechungen" teilnehmen lassen.

Natürlich ist das sehr spekulativ und ich würde mich freuen, von gegenteilige Erfahrungen Kenntnis zu bekommen.
Herzliche Grüße
Johannes Thönneßen

Jürg Dietrich hat gesagt…

Hallo Herr Thönneßen,

ich habe die Fachlaufbahn in einem mittelgrossen Unternehmen der Medizinaltechnik (Ypsomed AG mit Sitz in Burgdorf, CH) vor rund 5 Jahren eingeführt. Auf eine analytische Funktionsbewertung hatten wir verzichtet und die Ernennung der Fachkader der Geschäftsleitung überlassen, was sich im Nachhinein als Fehler herausstellte, da genau der Effekt eintraf, dass Vorgesetzte damit Mitarbeitenden auf dem Papier Anerkennung zollten. Und die Anzahl an Fachkadern stieg auch stetig.
Und dennoch existiert das System bis heute.
Ja, am Ende geht es darum, wer mehr Einfluss und Macht hat und wer die Entscheidungen trifft. Und das sind am Ende des Tages immer die Führungskräfte.
Ich lernte in meiner Praxis viele Fachspezialisten kennen, die gar keine solche Entscheidungen treffen wollen und u.a. deshalb nie eine Führungskarriere anstrebten. Dennoch wünschen sie sich einen Aufstieg in einer angemessenen Form und die Möglichkeit, um nach innen und aussen als wichtigen Teil der Firma sichtbar zu werden, was mit einer Parallel-Laufbahn möglich wird.

Momentan berate ich einen Kunden, der ebenfalls eine Fachlaufbahn einführen wird. Ich bin selber gespannt, wie das funktionieren wird...

Herzliche Grüsse - Jürg Dietrich