Samstag, 30. Juli 2011

Einem Versuch überlassen?

Eine der typischen Fallgeschichten im Harvard Businessmanager: Eine Unternehmerin bekommt von einem privaten Investor das Angebot, drei Millionen in ihr Unternehmen zu investieren. Der "Business Angel" möchte dafür eine Beteiligung von 25%, einen Sitz im Verwaltungsrat und ein Stimmrecht bei strategischen Entscheidungen." Das Angebot will er gar nicht diskutieren, sie möge sich den Vertrag durchlesen und ihm bis Ende der Woche eine Entscheidung mitteilen.

Die Unternehmerin sieht eine Menge Vorteile in dem Angebot, aber sie hat auch Zweifel, ob sie mit dem Investor an Bord an ihren Werten wird festhalten können. Was soll sie tun?

Es folgen drei Empfehlungen von Experten. Zwei von ihnen sind selbst Partner von Venture-Capital-Gesellschaften, und beide raten ihr, auf den Vorschlag einzugehen. Dabei wiederholen sie die Vorteile aus der Fallstudie. Einer schließt seine Empfehlung mit dem Satz: "Ob beide ... menschlich als Führungsteam harmonieren, sollten wir einem Versuch überlassen."

Da kann einen der tiefe Frust packen. Herr, lass Hirn regnen - was nutzen all die vielen Beiträge über Unternehmenskultur, die Wirkung von Werten und Zielen? Offenbar sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie verfasst werden, wenn hier diejenigen, die über das Kapital verfügen, diesen lästigen weichen Faktoren im Zweifelsfall keine Bedeutung beimessen. Man stelle sich nur vor, die Unternehmerin würde dem Rat folgen und der Versuch zu harmonieren, misslingt. Und dass er misslingt, davon kann man ausgehen, je weiter die Wertvorstellungen auseinander gehen.

Da lobe ich mir den Rat der dritten Expertin. Sie sieht potenzielle Konflikte durch die unterschiedlichen Wertesysteme und kommt zu dem Ergebnis, dass es bei einem interessanten Geschäftsmodell auch andere potenzielle Investoren gibt, die von der Persönlichkeit her besser passen.
Man kann es ruhig noch deutlicher sagen: Man sollte sich nur Leute an Bord holen, die in den Grundansichten mit einem übereinstimmen, ansonsten lieber sein Ding allein durchziehen. Ich fürchte aber, dass viele Unternehmer solchen Ratgebern wie denen in dem Beitrag folgen. Und dass viele Investoren ein ziemlich schlichtes Verständnis davon haben, was Unternehmen ausmacht...

Rezension zum Thema:
Ein Investor mit Agenda, Harvard Businessmanager 5/2011

4 Kommentare:

Winfried Berner hat gesagt…

Schlüsselsatz: "Das Angebot will er gar nicht diskutieren". Dahinter muss keine unfreundliche Absicht stecken - was aber dahinter steckt, ist eine bestimmte Grundhaltung im Umgang mit anderen: "Ich stelle die Bedingungen - die anderen entscheiden nur, ob sie zu meinen Bedingungen mitspielen." Die Wahrscheinlichkeit ist nahe 100 Prozent, dass es genau hier später zum Konflikt gäbe.



Empfehlung daher die freundliche Antwort: "Aber ich will Ihr Angebot diskutieren, bevor ich entscheide."

Johannes hat gesagt…

Hallo Herr Berner,
klar, man sollte die gegenseitigen Erwartungen klären. Mich hat nur die Haltung der Experten erschüttert, dass man mit unterschiedlichen Persönlichkeiten schon fertig wird, wenn nur die Kohle stimmt. Kein Wunder, dass auf diese Weise interessante Geschäftsmodelle den Bach runter gehen.

Tanja Handl hat gesagt…

Tatsächlich ist der Unwille, das Angebot zu diskutieren, ein alarmierendes Signal, das auf erhebliches Konfliktpotential in der Zukunft hindeutet. Die Antwortempfehlung von Herrn Berner finde ich sehr gut: Freundlich und dennoch bestimmt. Auf globaler Ebene stellt sich allerdings die Frage, weshalb hier Theorie und Praxis keinen gemeinsamen Weg finden: Wie ist es möglich, dass zwei von drei Expertenmeinungen die Qualität der Zusammenarbeit schlicht dem Zufall überlassen wollen bzw. die persönliche Ebene derart vernachlässigen?

RMM hat gesagt…

"Friß oder Stirb" - Kapitalgeber scheinen oftmals die Regeln bestimmen zu wollen und haben damit nicht selten Erfolg damit. Diese Art asynchroner Machtverteilung manifestiert sich später im Geschäft. Daher rate ich dringend: Weitersuchen, bis jemand "auf gleicher Wellenlänge" gefunden ist. Meiner Ansicht nach ist der hier genannte "Business Angel" keiner, wenn er sich nicht um das Anliegen seiner "Kunden" bemüht - Konkfikte sind vorprogrammiert.

Allerdings: Es hängt immer auch an der Situation, denn hat die Frau vielleicht keine Wahl, kann sie auch nicht aus Optionen aussuchen, was sie tut.