Sonntag, 5. Juni 2011

Eine Gewissensfrage

Sie werden als Berater angesprochen, ein totalitäres Regime in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung zu unterstützen. Ihnen ist durchaus bewusst, dass dieses Regime gnadenlos gegen Kritiker im eigenen Land vorgeht und Demokratie ein Fremdwort ist. Nehmen Sie den Beratungsauftrag (so Sie sich ihm denn gewachsen fühlen) an?

Ein Harvard Professor namens Dani Rodrik beantwortet in der Financial Times Deutschland die Frage ganz pragmatisch. Muss er auch, denn er hat selbst schon Diktatoren beraten. Seine Empfehlung: Wenn es denn den Menschen im Lande dient, darf man sich durchaus "die Hände schmutzig machen". Wenn Sie allerdings den Eindruck haben, Sie werden nur benutzt, um das Regime zu legitimieren, sollten Sie sich fernhalten.

Ich finde es immer sehr reizvoll mit Vergleichen aus anderen Bereichen zu arbeiten. In dem Artikel führt Herr Rodrik folgendes Beispiel an: Ein Terrorist hat Geiseln genommen und verlangt für alle Essen und Getränke. Wenn Sie ihm dies gewähren, helfen sie den Geiseln, aber auch den Terroristen. In diesem Fall ist das Wohl der Geiseln wichtiger! Mit anderen Worten: Helfen Sie dem Diktator, sein Land wirtschaftlicher erfolgreich zu machen, geht es auch den Menschen besser. Und das ist doch prima.

Ich finde, dieser Vergleich hinkt ganz fürchterlich. Der Terrorist engagiert Sie nicht für viel Geld, sondern droht die Geiseln zu ermorden, wenn man seinen Forderungen nicht nachkommt. Ein Berater, der einen Auftrag von Schurken annimmt mit der Rechtfertigung, den armen Unterdrückten zu helfen, ist meines Erachtens ein übler Heuchler.

Falls Sie mir in diesem Moment zustimmen sollten, warten Sie noch einen Moment. Ein Firmenchef bietet Ihnen einen Beratungsauftrag an. Sie wissen, dass er ein Tyrann ist und seine Leute knechtet. Lehnen Sie den Auftrag ab?

Eine Gewissensfrage...

Rezension zum Thema:
Guter Diktator, schlechter Diktator, Financial Times Deutschland 21.4.2011

5 Kommentare:

Stefan Wehmeier hat gesagt…

"Zunächst muss daher allgemein erkannt und anerkannt werden, dass bei den gegenwärtigen Geldordnungen ein grundlegender und gravierender Fehler vorliegt, der die gesamte Gesellschaft destabilisieren wird": http://www.deweles.de/files/mathematik.pdf

Dr. Jürgen Kremer, Prof. für Wirtschaftsmathematik

Wenn das Geld selbst fehlerhaft ist, gibt es keine wie auch immer geartete “Finanzpolitik”, um den bevorstehenden Zusammenbruch des Geldkreislaufs (globale Liquiditätsfalle) aufzuhalten. Daher ist es irrelevant, was die "hohe Politik" beschließt oder nicht beschließt.

Und die Dümmsten unter den Dummen sind daran zu erkennen, dass sie glauben, es könnte irgendeine “Wirtschaftsethik“ geben, mit der sich eine Zinsgeld-Ökonomie (kapitalistisch pervertierte Marktwirtschaft) stabilisieren ließe.

Über alles andere braucht niemand mehr nachzudenken: http://www.deweles.de/files/2010_gsm.pdf

Monika hat gesagt…

Firmenchefs der Leute knechtet und ungut ist => das ist eine sehr undifferenzerierte Beschreibung => bezahlt er nicht oder kaum was?
ist er ständig lästig, oder treibt er Menschen nachweisbar zum Selbstmorg=> da gibts ja ein Unternehmen in Europa das das gern macht....

2tens:
darf ich ablehnen,
gesetz den Fall ich habe ne GesmbH , die finanztechnisch absolut nicht rosig dasteht..
darf ich dann ablehnen?
oder lande ich deswegen vorm Kadi...
weil meine Firma in den Konkurs schlittert...
+++++++++++++++++++++++


als Beraterin komm ich und stör bestenfalls ein etabliertes System--dann geh ich wieder....

lautet der Auftrag wie kann ich mehr aus meine MA herausholen =>


++++++++++++++++

Ethik kann sich in dem , wie in jedem Fall der leisten, der genug Geld imHintergrund hat...


die andere Frage, die ich mir stelle:
was sende ich als Beraterin aus, dass sich solche Kunden bei mir überhaupt melden?==> und daran kann ich arbeiten.

Johannes hat gesagt…

Die Frage "Was sende ich als Beraterin aus..." gefällt mir. Ich denke aber, dass jeder Berater schon mal Aufträge angenommen hat, bei denen er spätestens bei der Durchführung dachte: "Was tue ich mir da an?" Erst wenn man dann mal Aufträge ablehnt (Z.B. aus ethischen Gründen), wird man die "richtigen" Signale aussenden.

Dass Ethik nur mit dem notwendigen Kleingeld im Rücken machbar ist, halte ich für einen elementaren Denkfehler. Keiner muss Berater werden, keiner muss eine GmbH gründen...

Markus hat gesagt…

Die Frage ist aber auch, wo ziehe ich die Grenze. Deutschland steht auf Platz 3 der größten Waffenexporteure (USA (30%); Russland (23%) und Deutschland (11%)) - Quelle: Sipri (Augsburger Allgemeine, 07.07.2011, S. 9). Und wer produziert diese Waffen? Thyssen Krupp Marine Systems, EADS, Thales Defence Deutschland, Diehl Defence, Krauss-Maffei Wegmann, Heckler & Koch und Rheinmetall Defence (Augsburger Allgemeine, 02.07.2011, S. 8).
Welcher Berater lehnt dort Aufträge ab? Bzw. ich gehe noch einen Schritt weiter: welcher Aktionär verkauft von diesen Unternehmen seine Aktien aufgrund dieser Geschäfte?
PS: Viele Deutsche sind an diesen Unternehmen auch über Fonds beteiligt.

Johannes hat gesagt…

Danke für den informativen Beitrag. Ja, in der Tat, die Frage, wo man die Grenze zieht, ist eine Entscheidung, die niemandem abgenommen werden kann. Man kann ja noch viel weiter gehen: Berate ich einen Tabakhersteller? Ein Energieunternehmen, das Atomstrom herstellt? Einen Zulieferer der genannten Unternehmen?

Mir wäre nur wichtig, welche Entscheidung man auch immer fällt, zu ihr zu stehen und zu sagen: Ja, ich arbeite für das Unternehmen, weil ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene und weil meine persönliche Grenze dort oder dort liegt.

Aber die Argumentation: "Ich helfe den Menschen, die davon betroffen sind und denen es schlechter gehen würde, wenn ich das Unternehmen / den Diktator nicht berate..." ist für mich scheinheilig, weil sie ein altruistisches Motiv vorspiegelt, dass ich für wenig glaubwürdig halte.