Donnerstag, 5. Mai 2011

Beratungsresistent

Mein Kollege bezeichnet mich häufig als "beratungsresistent". In der Tat, er hat Recht. Es kommt immer wieder vor, dass ich von inneren Konflikten berichte, nach seiner Meinung frage, von schwierigen Entscheidungen erzähle, aber seine Vorschläge ignoriere bzw. genügend Einwände vorbringe, warum ich diese zumindest im Moment eher nicht weiter verfolgen werde.

Nicht, dass mich der Vorwurf der Beratungsresistenz belasten würde. Eben jener Kollege reagiert auf meine Ideen ähnlich. Noch während ich rede, sehe ich seinem Gesicht an, was er von den Ratschlägen hält. Nämlich wenig. Ob es etwas damit zu tun hat, dass unsere Sätze meist mit den Worten beginnen: "Ich würde..."? Das ist offenbar fatal. Wie mit den meisten Ratschlägen. Man empfiehlt das, was man selbst tun würde in der vergleichbaren Situation. Oder besser: Was man glaubt, selbst zu tun, wenn man in einer ähnlichen Situation wäre. Ist man aber nicht. Und selbst wenn man einmal in eine solche Situation käme, würde die Sache plötzlich ganz anders aussehen. Warum sollte ich also einem Rat folgen, den mein Kollege aller Wahrscheinlichkeit nach selbst nicht umsetzen würde? Zumal ich den Rat ja schon mehr als einmal gehört und jede Menge gute Gründe gefunden habe, warum ich ihm auf keinen Fall folgen kann.

Doch nun ist etwas Erstaunliches passiert. Wie so oft erzählte ich von einem Dilemma, in dem ich stecke. Von meinen neuen Ideen, mit diesem umzugehen. Und wie so oft bei lösungsorientierten Menschen bot besagter Kollege mir sofort ergänzende Tipps an (wobei mir jetzt auffällt, dass er diese nicht mit den Worten: "Ich würde..." sondern mit "Wenn du das machst, WERDE ich.." einleitete). Wie üblich winkte ich ab, doch kurze Zeit später, als ich allein im Auto saß, fiel der Groschen. Einer seiner Sätze war genau die Lösung, die mir selbst nicht eingefallen war. Ein echtes Aha-Erlebnis.

Bin ich also doch nicht beratungsresistent? Ich glaube, es ist anders. Um ein Bild zu verwenden: Mit den Ratschlägen ist es wie mit einer Leiter. Mal angenommen, ich versuche vergeblich, aus einem hohen Regal ein Buch herauszuholen, habe es mit einem Stuhl probiert, den Stuhl auf eine Kiste gestellt, um noch höher zu kommen, aber alles vergebens. Wenn in dieser Situation ein Kollege kommt und mir eine Leiter reicht, werde ich sie dankbar annehmen.

Soll heißen: Ratschläge funktionieren nur dann, wenn ich im Grunde schon kurz vor der Lösung bin, sie gedanklich längst vollzogen habe, es aber noch am letzten Schritt, an einem kleinen Detail fehlt. Sozusagen eine letzte kleine Stütze oder Hilfestellung, wie es früher beim Sportunterricht hieß, die mir den Satz über den Kasten ermöglicht.

Und der Satz sollte nicht mit "Ich würde..." beginnen. Selbst beim Versuch, das Buch aus dem obersten Regal zu holen, hätte ein Rat nach dem Motto: "Ich würde eine Leiter nehmen!" vermutlich nicht die angestrebte Wirkung. :-)

6 Kommentare:

Tanja Handl hat gesagt…

Hätt ich, würd ich, wär ich - die magischen drei. ;) Der erste Schritt ist überhaupt die Erkenntnis des Problems - dann kann in meinen Augen auch die Beratung greifen.

DieTschennie hat gesagt…

Alles eine Frage der Kommunikation (wie Sie sehr schön hersu gestellt haben). Ich habe in jüngerer Vergangenheit ein interessantes Buch gelesen, mit dem Titel "Hörst du mir eigentlich zu?". Darin wird festgestellt, das wir Menschen generell lösungsorientierte Wesen sind und gern Ratschläge und Tipps geben, wenn Gesprächpartner von Problemen, Schwierigkeiten, Sorgen etc. berichten. Das haben wir alle schon in beiden Rolle erlebt und getan. Die Autoren meinen - und dem stimme ich zu - dass der Berichtende häufig enttäuscht bzw. unzufrieden aus einem solchen Gespräch heraus geht. Derjenige mit den Ratschlägen hingegen wundert sich nur, warum seine Tipps nicht umgesetzt werden. Die Ursache: wir wollen keine Ratschläge oder Hilfe, wenn dann würden wir direkt danach fragen. Was der Erzählende möchte ist Bestätigung (nach Möglichkeit positive). Die Autoren haben nach dieser Erkenntnis eine kommunikatives verhalten entwickelt, welches auf die Befriedigung der Bedürfnisse des Gegenübers abzielt. Siehe da: noch im Gespräch findet der Partner eigene Lösungswege.
Dat janze hilft natürlich nix, wenn man konkret nach Hilfe fragt und die Ergebnisse einen nicht überzeugen.

So ganz habe ich die kommunikative Taktik Ihres Kollegen nicht verstanden. Denn die Formulierung: "wenn du das machst, werde ich..." klingt für mich nach einer Drohung.(?) Das baut Druck und Zwänge auf. Was bekanntlich die Produktivität nicht fördert.

Anonym hat gesagt…

Zur Erklärung: Gedroht habe ich ihm (noch) :-) nicht. Der Satz war eher: "Wenn du diese Entscheidung triffst, dann schreibe ich den Brief vor."

Johannes hat gesagt…

Ah, der Kollege hat schon selbst geantwortet. Genau - er hat keine "Drohung" ausgesprochen, sondern ein konkretes Angebot gemacht. Übertragen auf die Leiter: "Wenn du möchtest, werde ich dir eine Leiter holen."
Womit er keinen Rat gegeben hat, sondern ein Angebot zur Unterstützung.

Anonym hat gesagt…

Ihre Schilderung hinterlässt bei mir doch einiges an Irritation, da Sie und Ihr Kollege eigentlich die grundlegenden Regeln des Coaching kennen sollten. Warum wenden Sie diese nicht an? Das Thema "Beratungsresistenz" wäre dann schnell obsolet.

Johannes hat gesagt…

Wohl dem, der in jeder Lebenslage die Grundregeln des Coachings anwendet. :-)
Grüße an Anonym.
Johannes Thönneßen