Dienstag, 30. November 2010

Gestatten: Manager

Management sollte man zu einem festen Berufsstand machen - mit klaren Ausbildungsstandards, einer Zertifizierung und einem Verhaltenskodex. Würde sich doch gut machen auf der Visitenkarte: Ralf Müller, Dipl. Manager. Oder so ähnlich.

Was nach einem Anfall von Regelungswut klingt, stammt jedoch keineswegs von einem deutschen Berufsverband, sondern von Harvard Professoren. Wobei die Forderung schon recht alt ist, nämlich von 2005. Eine gute Idee?

Völlig daneben, war mein erster Gedanke. Wer will denn, dass Menschen Organisationen führen, die nur "Management" gelernt haben, aber nichts von der Materie verstehen? Ich möchte auch nicht, dass meine Kinder von Pädagogen unterrichtet werden, die "nur" Lehrer gelernt haben.

Grober  Denkfehler. Es ist ja eher anders herum. Organisationen werden von Menschen geführt, die zwar Betriebswirtschaft, Ingenieurwesen, Chemie, Jura oder Medizin gelernt haben, aber möglicherweise keinerlei Kenntnisse in der Führung von anderen Menschen oder gar ganzen Organisationen haben. So gesehen würde ich stark dafür plädieren, eine spezielle Ausbildung zu kreieren, die solche Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt. So wie jemand erst dann auf Patienten losgelassen wird, wenn er die entsprechenden Nachweise seiner Qualifikation erbracht hat, darf auch dann erst "geführt" werden, wenn man eine entsprechende Ausbildung absolviert hat. Doch kein so abwegiger Gedanke. Wobei ich den Berufsstand "Führungskraft" oder "Leader" interessanter finde als "Manager".

Problem dabei: Es ist wohl kaum damit zu rechnen, dass sich die "Management-Vordenker" darauf verständigen können, was alles zu einem qualifzierten Manager gehört. Warum eigentlich? Ein Argument: Es gibt viele Möglichkeiten, als Manager erfolgreich zu sein. So viele, dass es fast schon wieder völlig beliebig erscheint, wie man "managt" - Hauptsache, man hat Erfolg. Da kommt mir - mal wieder - der Vergleich mit dem Sport in den Sinn: Hier hat man sich, zumindest in Deutschland, offenbar darauf verständigt, dass jemand, der sich als Trainer bezeichnet und andere Menschen anleitet, eine entsprechende Qualifikation nachweisen muss. Mehr noch: Er muss sie sogar in regelmäßigen Abständen auffrischen.

Das wäre doch gar nicht so schlecht, denke ich mir. Bei Trainern wie auch bei Managern ist am Ende nicht die formale Ausbildung ausschlaggebend, sondern der Erfolg. Aber zumindest muss man nachweisen, dass man sich mit den Herausforderungen auseinandergesetzt hat - egal, wie erfolgreich man in seinem "eigentlichen" Fach ist. Ein Spitzensportler muss noch lange kein Spitzen-Trainer sein - so wie ein Genie im Bereich der Medizin noch lange kein genialer Klinikleiter sein muss.

Trotzdem: So wenig es einen "Elternführerschein" geben wird, so wenig wird es ein "Leader-Diplom" geben. Es sei denn, es bietet endlich eine Business School eine Ausbildung, die wirklich gute Manager hervorbringt, die sich als würdig erweisen, den Begriff Manager (oder Leader) im Titel zu tragen und sich als "Meister ihrer Zunft" erweisen. Hiervon sind wir offensichtlich noch ein ganzes Stück entfernt - auch in Harvard...

Rezension zum Thema:
Ehrenkodex für die Kaderschmiede, Financial Times Deutschland, 27.10.2010

Montag, 29. November 2010

Regeln und wie man sie umgeht

Ich mag das Thema. Weil es ständig neue Blüten produziert, aber die "Regelmacher" offensichtlich einfach nichts daraus lernen. Das folgende Beispiel stammt aus dem Sport (womit ich mich oute und zugebe, zu denjenigen zu gehören, die als erstes auch in der Financial Times Deutschland die Sportberichte lese).

Im europäischen Fußball gibt es die Regel, dass ein Spieler nach fünf gelben Karten für das nächste Spiel gesperrt ist. Das ist besonders ärgerlich, wenn das nächste Spiel ein sehr wichtiges ist. Was aber, wenn die nächste Begegnung bedeutungslos ist? Da kann man sich ein absichtliches Foul leisten, das mit einer gelb-roten Karte geahndet wird. Die Folge: Eine (regelkonforme) Sperre für das nächste (aber bedeutungslose) Spiel. So kann der Spieler unbelastet von einer gelben Karte in der nächsten Runde wieder einsteigen. Clever, sagen die einen. Unsportlich, sagen die anderen. Nun ermittelt der Verband und denkt sich vermutlich neue Regeln und wahrscheinlich auch Strafen aus (Schon passiert, siehe diesen Bericht).

Ist die Regel nun unsinnig? Ich habe keine Ahnung, wie man das besser lösen kann. Einfach ersatzlos streichen, wäre in einem solchen Fall mein Vorschlag. Und beim nächsten Mal im Vorfeld überlegen, welche Auswirkungen eine Regel haben könnte, wenn man sich konsequent an ihr orientiert. Denn so viel ist sicher: Es wird früher oder später jemand daherkommen, der eine Regel so anwendet, wie sie bestimmt nicht gemeint war. Zumindest für schlechte Regeln gilt das immer...

Sonntag, 28. November 2010

Lästige Interviews

Ein Gedanke, der mir heute bei der Lektüre der Wirtschaftswoche kam: Wie überfüssig doch die meisten Interviews sind. Kann das überhaupt anders sein? Man denke nur an die sogenannten Interviews nach Fußballspielen. Die Sportler, die dort vor die Kamera treten, können einem in der Tat leid tun.
"Hätten Sie mit dem Ergebnis gerechnet?" - "Nö!"
"Wie erklären Sie sich den Erfolg?" - "Wir haben hart gearbeitet!"
"Wie geht es nach dieser Niederlage weiter?" - "Wir müssen weiter hart arbeiten."
"Wie wollen Sie aus dem Tabellenkeller wieder herauskommen?" - "Wir müssen unsere Spiele gewinnnen..."

Nein, nicht die Antworten sind Müll, sondern die Fragen. Aber die Sendeminuten müssen eben gefüllt werden - so wie auch die Seiten in den Wirtschaftsmagazinen.
"Wenn ein 40-Jähriger sich heute selbstständig machen will: Zu welcher Branche würden Sie ihm raten?" - "Schwer zu sagen... in der er Spaß bei der Beschäftigung hat."
Na sowas...

Aber manchmal findet man dann doch interessante Antworten auf dämliche Fragen:
"Gibt es in Detuschland etwa zu wenig Menschen mit kreativen Ideen?" Antwort des SAP-Gründers: In Deutschland will jeder ein Alleinherrscher sein, statt einen Teamansatz zu verfolgen, nach dem Motto: "Lieber 100% Anteil an einer Firma, die eine Million Umsatz macht als ein Prozent an einer, die 100 Millionen umsetzt."
Ist das so?

Rezension zum Thema:
Gründen ist eine Typfrage, Wirtschaftswoche 42/2010

Dienstag, 23. November 2010

Gläserne Wohnzimmer

Ich habe schon so manches Bürogebäude von innen gesehen: Lange Flure ohne Tageslicht, lauter geschlossene Türen, hinter denen Menschen sich verstecken. Dann wieder gläserne Türme mit gläsernen Wänden, die von den Bewohnern von innen zugeklebt oder zugestellt wurden, damit man ihnen nicht auf den Schreibtisch schauen kann. Großraumbüros mit stallartigen Kammern, in die man von oben hineinschauen konnte, wenn sich auf die Zehenspitzen stellte. Großraumbüros voller Pflanzen und flexibler Stellwände, in denen ohne erkennbare Ordnung Schreibtische zusammengestellt waren. In den meisten hätte ich mir nicht vorstellen können zu arbeiten.

(c) Stefan Uhl / pixelio.de

Wenn ich nun von preisgekrönten Modellen lese, in denen hunderte von Mitarbeitern in Bürolandschaften tätig sind, die größtenteils aus Glas bestehen, von Kaffeeküchen und Sitzecken unterbrochen, mit Dachterassen und Balkonen, auf die man sich mit seinem mobilen Arbeitsplatz zurückziehen kann, dann denke ich einerseits: Wie genial - immer dort arbeiten, wo man sich gerade am wohlsten fühlt. Andererseits merke ich an mir selbst aber, wie wenig mobil ich doch selbst bin bei der Wahl des eigenen Arbeitsplatzes. Bin ich ungeeignet für moderne Bürowelten?

Noch ein interessanter Gedanke: Angeblich haben Wissenschaftler des MIT herausgefunden, dass Menschen "die persönliche Kommunikation in Erwägung ziehen, wenn der Fußweg zu ihnen unter 200 Meter liegt. Alles darüber wird per E-Mail oder Telefon erledigt."

Ich habe keine Ahnung, wie sie zu dieser Erkenntnis gelangt sind. Ich glaube, dass Menschen maximal ins Nachbarbüro gehen, vielleicht noch drei oder vier Türen weiter. Und der Gang in die Kaffeeküche, die am Ende eines Ganges von über 100m liegt, ist wohl nur etwas für Kaffee-Süchtige. Ein Facility-Manager hat aus der MIT-Erkenntnis die Schlussfolgerung gezogen, Abteilungen, die häufig miteinander zu tun haben, über mehrere Geschosse hinweg unter- und übereinander anzusiedeln.

Ich glaube, all diese Konzepte, so toll sie in der Praxis auch aussehen, haben einen grundlegenen Konstruktionsfehler: Sie wollen zu viele Menschen miteinander verbinden. Eines der gelobten Unternehmen, Voestalpine in Linz, hat einen 220 Meter langen Stahlwurm gebaut, in dem 425 Menschen arbeiten. Ich glaube, den Klotz kann man noch so wohnlich einrichten: Ein Wohnzimmer für 400 Leute wird nie ein Wohnzimmer. Vielleicht hat Gore einfach recht, wenn man dort Fabriken mit maximal 150 Mitarbeitern schafft. Für diese lässt sich dann auch der Bürobereich so gestalten, dass man die Chance auf echte Begegnungen hat.

Rezension zum Thema:
Freiheit auf der Wiese, Wirtschaftswoche 41/2010

Freitag, 19. November 2010

Fragen wir doch mal die Mitarbeiter

Die Geschichte habe ich schon mal erzählt (Wer braucht Mitarbeiterbefragungen): Ein Bereich wollte eine Mitarbeiterbefragung durchführen, um das Management auf Zustände aufmerksam zu machen, die bekannt waren. In einer der typischen Fallstudien im Harvard Businessmanager geht es um einen Vorstandschef, der die Hälfte des Jahresgewinns in ein wohltätiges Projekt stecken will. Aber nicht irgendein Projekt: Sein Kind leidet an einer seltenen, lebensbedrohenden Krankheit, und er will das Geld in die Erforschung dieser Krankheit stecken. Ein konstruierter Fall, sicher, aber er ist ja übertragbar auf viele schwierige Entscheidungen an der Unternehmensspitze.

Nun steht die Personalchefin vor der Frage, ob sie ihre Bedenken klar zum Ausdruck bringen soll oder welche Möglichkeiten ihr sonst bleiben. Eine Expertin rät, eine anonyme Mitarbeiterumfrage zum Thema "Soziales Engagement" zu starten, bei der die Meinung zu bisherigen Projekten, aber auch zu Initiativen zur Erforschung seltener Krankheiten erfasst wird.
Mal abgesehen von der Durchschaubarkeit der Aktion ist das ein schönes Beispiel, wie man sich vor Verantwortung drückt. Statt zur eigenen Meinung zu stehen, wird hier empfohlen, die eigenen Argumente durch die Meinung der Mitarbeiter zu untermauern. Der Trick ist hier besonders heikel: Es wird nicht empfohlen, die konkrete Entscheidung mit allen Hintergrundinformationen zur Abstimmung zu geben, sondern die eigentliche Absicht verschleiert. Da mag so mancher Mitarbeiter der Meinung sein, es könne dem Unternehmen durchaus gut stehen, in die Erforschung seltener Krankheiten zu investieren, auch wenn das mit dem Geschäft nichts zu tun hat. Dann könnte das Management beruhigt dem CEO zustimmen. Oder aber die Mehrheit ist der Meinung, man sollte lieber in Projekte Geld und Zeit stecken, die direkt etwas mit dem Unternehmen zu tun haben. Dann könnte man die eigene Skepsis verstecken und auf die Meinung der Mitarbeiter verweisen. 

Ich fürchte, so manche Mitarbeiterumfrage verfolgt solch versteckte Absichten. Oder kennen Sie Umfragen, in denen eine ganz konkrete Entscheidung zur Wahl steht, von der Art: Sollen wir fusionieren oder nicht? Sollen wir ein bestimmtes Vergütungssystem einführen oder nicht? Würde mich mal wirklich interessieren...  

Rezension zum Thema:  
Was ist wichtiger - Firma oder Familie? Harvard Businessmanager 7/2010

Dienstag, 16. November 2010

Starke Persönlichkeit von außen

Alle Funktionen in einem Unternehmen stehen auf dem Prüfstand, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob man etwas selbst macht oder lieber von außen zukauft. Inzwischen wissen wir, dass selbst die Produktionen nicht unbedingt zu den Kernaufgaben eines Unternehmens gehört. Woanders lässt man Forschung extern betreiben. Was hat dann Personalentwicklung noch innerhalb eines Unternehmens zu suchen? "Personalentwicklung gehört in keiner Organisation zum Kerngeschäft", sagt Rolf Stiefel. Er plädiert dafür, "die Personalentwicklungsabteilung komplett an einen Generalunternehmer, einen sehr guten, erfahrenen, unabhängigen ehemaligen Personalentwickler auszulagern."

Aufgabe der Personalentwicklung sei es, die Mitarbeiter zu befähigen, die Unternehmensstrategie umzusetzen. Dazu aber muss erst einmal das Top-Management voll und ganz hinter dem Vorgehen stehen. Und genau hier sieht Stiefel die Vorteile der externen Personalentwicklung: Ein starker Charakter, Typ "prozessorientierter Rambo-Moderator mit hohem strategischen Sachverstand" würde wesentlich eher die Akzeptanz des Managements haben als ein interner PE-ler, nach dem Motto vom Propheten im eigenen Land, der nichts gilt.

Einspruch, Herr Stiefel. Ich kann aus eigener Erfahrung beide Rollen gut beurteilen. Das Merkmal "extern" halte ich für nebensächlich, das Merkmal "starke Persönlichkeit" für wesentlich. Natürlich kann ein Personalentwickler im eigenen Haus wenig anrichten, wenn er keine Akzeptanz hat - das Gleiche gilt aber für alle Funktionen. Das zweite Argument, dass ein Interner immer Teil des Systems ist und deshalb schlecht strategie-umsetzende Prozesse moderieren kann, halte ich für ebenso wenig stichhaltig. Dann dürften Vorstandsvorsitzende keine Vorstandssitzungen leiten, schließlich sind auch sie immer Teil des Systems.

Und warum sollte der externe Personalentwickler den Vorständen eher widersprechen und ihnen ein klares Feedback geben als der interne? Er wird ebenso daran interessiert sein, seine Kunden zu behalten wie der Interne seinen Arbeitsplatz und seine Karriere sichern will - wobei ich erlebt habe, dass interne Personalentwickler durchaus Widerspruch riskieren können, ohne gleich um ihre Position bangen zu müssen. Da kenne ich Externe, die weitaus weniger mutig waren und eher auf den nächsten Auftrag schielten.

Was das Thema "Kerngeschäft" betrifft - denkt man das einmal zu Ende, dann ist das "Managen" einer Organisation ja auch nie "Kerngeschäft". Wäre es dann nicht logisch, externe Manager zu engagieren, möglichst charakterstarke versteht sich, die den Eigentümern nicht nach dem Mund reden müssen? Das wäre doch witzig: Der externe Personalentwickler erklärt dem externen Geschäftsführer, warum er endlich mit dem externen Forschungs- und Produktionsleiter einen Strategieworkshop durchführen sollte...

Rezension zum Thema:
Martin Pichler: Strategien umsetzen! wirtschaft + weiterbildung 4/2010
PE-Abteilungen komplett auslagern, wirtschaft + weiterbildung 4/2010

Samstag, 13. November 2010

Führungsaufgabe "Informieren"

Das ist doch mal ein witziger Satz: "Solange im Betrieb alles nach Plan läuft, sind Führungsqualitäten nicht explizit gefragt. Schöne neue Blumen im Aufenthaltsraum oder eine großzügige Regelung der Kaffeepause reichen dann schon aus, um die Belegschaft bei der Stange zu halten."

Nein, das stammt nicht aus einem Satiremagazin, sondern aus einem Artikel der Financial Times Deutschland ("Reden ist Gold", 21.9.2010) zum Thema "Führen in der Krise". Nehmen wir mal an, die Autorin wollte nur originell sein oder hervorheben, wie wichtig es gerade in Krisenzeiten ist, die Mitarbeiter offen über alles zu informieren. Da werden nämlich anschließend eine Reihe von Experten zitiert, die genau das propagieren. Mitarbeiter sollten wissen, wo das Unternehmen steht, wie ernst die Situation ist und was die Unternehmenführung plant. Und wenn Entlassungen anstehen, dann sollte auch darüber Klartext geredet werden, so dass alle, auch diejenigen, die im Unternehmen verbleiben, nicht lange im Unklaren gelassen werden und mehr mit ihren Ängsten und Sorgen beschäftigt sind als mit den eigentlichen Aufgaben.

In dem Artikel wird ein Unternehmen hervorgehoben, der die Belegschaft nicht nur kontinuierlich informiert hat, sondern den Mitarbeitern "sogar persönliche Gespräche anbot." Das muss man sich mal vorstellen.

Interessanter ist da schon das Ergebnis einer Umfrage, die ebenfalls hier zitiert wird. Danach meint die Hälfte aller befragten Führungskräfte, dass man in schwierigen Zeiten seinen Führungsstil ändern müsse. Ich fürchte, dass hier hier verhängnisvoller Irrtum vorliegt. Wer in guten Zeiten dazu neigt, Blumen in den Aufenthaltsraum zu stellen, statt Mitarbeiter informiert zu halten, der wird in schlechten Zeiten höchstens die Blumen streichen. Warum sollten Führungskräfte ausgerechnet in der Krise plötzlich ihr Führungsverhalten ändern.
Übrigens: Noch ein spaßiges Ergebnis: 90% der befragten Manager sind der Meinung, sie hätten immer ein offenes Ohr für ihre Mitarbeiter. Was weniger ein Zeichen für eine dramatische Selbsteinschätzung sein dürfte als für die Unsinnigkeit derartiger Umfragen. Als Alternativen standen offenbar zur Verfügung: "Ich habe selbst keine Zeit..." und "Komplexe Geschäfstprozesse sind schwer nachvollziehbar und daher reine Chefsache."

Rezension zum Thema:
Reden ist Gold, Financial Times Deutschland, 21.9.2010

Dienstag, 9. November 2010

Taylor in der Service-Gesellschaft

Frederick Winslow Taylor gilt als der Erfinder einer Form von Arbeit, die bis heute mit Fließbandarbeit gleichgesetzt wird. Die einfache Überlegung: Wenn man Arbeitsprozesse in viele kleine Bausteine zerlegt und die Menschen dann so einsetzt, dass jeder nur einen dieser Schritte bearbeitet, dann geht alles viel schneller. Und das stimmt ja auch. Dass diese Form der Arbeit dem menschlichen Wesen nicht sonderlich entgegenkommt und zu extremer Monotonie führt, hat schon früh die Gegner auf die Barrikaden geholt.

Keine Frage, der Ansatz dürfte der Automatisierung mächtigen Auftrieb gegeben haben - einfachste Tätigkeiten können auch Maschinen den Menschen abnehmen - und tun dies heute auch. Zumindest in der westlichen Welt. Dort, wo Arbeitskräfte noch billiger als Maschinen zu haben sind, herrscht weiterhin Taylors Arbeitsform.

Ein Aspekt wird dabei immer wieder genannt: Die Trennung von Denken und Handeln. Während im Management geplant und gedacht wird, benötigt man zur Ausführung nur sehr kleine Teile des Großhirns. Praktisch, weil eine umfangreiche und teure Ausbildung überflüssig ist.

Was ich zunehmend erschreckend finde, ist die Tatsache, dass man heute den Taylorismus in Bereichen findet, die man zu seiner Zeit sicher kaum für möglich gehalten hat. Da kommt eine Bank zu der Erkenntnis, dass Mitarbeiter nicht so glücklich sind, wenn sie nur kleinste Prozessschritte bearbeiten - und das Tag für Tag. Na, das ist mal eine echte Überraschung - als ob es Taylor und die Kritik an diesem Ansatz nie gegeben hätte.

Die Zustände in vielen Call Centern sind offenbar noch dramatischer. Eingesperrt wie Legehennen werden den Agenten die Gespräche automatisch zugespielt, kaum dass das letzte Gespräch beendet ist - so wie in Chaplins Film "Moderne Zeiten" die Bauteile vorbeirasten. Wer auf's Klo muss, kann das "Band" stoppen - wobei in dem Moment die Stoppuhr läuft und die Pausenzeit abgezogen wird. Der Text, den die Agenten ins Mikrofon sprechen, wird vorgegeben - daher fällt es uns genervten Kunden, die angerufen werden, so schwer zu erkennen, ob man mit einem Menschen oder einer Maschine spricht.



Wenn man den Experten glauben darf, ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, zu dem tatsächlich Computer das Telefonieren übernehmen. Ob Taylor dann endgültig ausgedient hat, wage ich allerdings zu bezweifeln.


Rezension zum Thema:
Orientierung im Wandel geben, Personalmagazin 10/2010

Mittwoch, 3. November 2010

Drei Kreise ziehen

Ich habe mich an dieser Stelle schon häufiger mit Ansätzen herumgeschlagen, bei denen Unternehmen erklärt wird, wie man Corporate Social Responsibility mit der Unternehmensstrategie sinnvoll verbindet. Dabei ging es stets darum, dass man natürlich Gutes tun soll, aber doch bitte so, dass es auch dem Unternehmenszweck dient. Habe ich nie nachvollziehen können. Klar: Wenn ein Pharma-Unternehmen Krankenhäuser in der 3.Welt unterstützt, mag das nach außen irgendwie sinnvoller wirken - aber warum sollte es weniger richtig sein, eine Schule in der 3.Welt zu bauen? Dürfen das wiederum nur Bauunternehmen oder Bildungseinrichtungen?

Umgekehrt hatte es für mich immer einen faden Beigeschmack, wenn Banker plötzlich ihre Krawatten auszogen und sich beim Bau von Kindergärten versuchten oder einen Tag im Obdachlosenheim aushalfen. Abgesehen von der Idee, eine etwas andere Art der Personalentwicklung zu betreiben - welche Art soziale Verantwortung sollte hier übernommen werden?

Ein Beitrag im Harvard Businessmanager hat mir nun ein ganzes Stück weiter geholfen. Die Autoren gehen die Sache von der anderen Seite an. Also nicht mit der Frage: Was können wir sinnvollerweise Gutes tun? Und passt das auch zu unserer Unternehmensstrategie? sondern: Welche Auswirkungen hat unser unternehmerisches Handeln auf Umwelt, Gesellschaft und den einzelnen Menschen? Oder besser: Welche Nebenwirkungen hat unser Tun?

Dann werden Manager drei mögliche Arten von Wirkungen finden:

(A) Wirkungen, die eindeutig auf das Unternehmen selbst zurückgehen, die ihm also ohne Zweifel zuzuordnen sind. Diese sind gedanklich auf dem 1.Kreis um die Kerntätigkeiten des Unternehmens anzusiedeln. Für diese (Neben)Wirkungen sollte es auch voll und ganz die Verantwortung übernehmen und sie genauso konsequent managen wie seine Kernaktivitäten.

(B) Wirkungen, die man vermutlich mit beeinflusst, wobei der Zusammenhang zum eigenen Tun aber nicht so eindeutig abzuleiten ist bzw. nur vermutet werden kann. Auch hier sollte das Unternehmen handeln, aktiv werden. Es demonstriert damit, dass es sich kümmert, auch wenn die eigene Verantwortung nicht erwiesen ist. Das ist der zweite Kreis.

(C) Wirkungen, die niemandem eindeutig zuzuordnen sind, die nur in einem sehr entfernten und konstruierten Zusammenhang zum unternehmerischen Handeln des Unternehmen stehen. Hierfür sollte man Interesse zeigen, z.B. bei der Erforschung mitwirken. Das ist der dritte Kreis.

Es geht also nicht darum, auf Feldern wohltäterisch aktiv zu werden, die dem Unternehmenszweck dienen, sondern darum, die Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen. Das mag zwar hier und dort auf das Gleiche hinauslaufen - aber es ist eine völlig andere Haltung.

Und dann fand ich in dem wirklich lesenswerten Artikel noch diesen Hinweis: Natürlich können sich Unternehmen auch darüber hinaus sozial engagieren, dagegen spricht ja nichts. Nur werden sie mit diesen Aktivitäten nie die Dinge ausgleichen können, die sie zuvor angerichtet haben.

Wenn ich es mir recht überlege, so ist die Hilfe von Bankern in Obdachlosenheimen dann vielleicht doch eine Aktivität, die in direktem Zusammenhang steht mit dem unternehmerischen Handeln...

Rezension zum Thema:
Leadership im Zeitalter der Transparenz, Harvard Businessmanager 6/2010