Dienstag, 19. Oktober 2010

Erstaunliche Irrtümer

Zwei Quellen, ein Thema: In dem einen Fall wurden Manager gefragt, was ihrer Meinung nach Wissensarbeiter besonders motiviert. Auf Platz 1 landete "Anerkennung" gefolgt von "finanzielle Anreize" und "persönliche Unterstützung". Auf Rang 4 landete "Fortschritte bei der Arbeit". Die Studie stammt aus den USA, die Autorin von der Harvard Business School.

Im zweiten Fall geht es um die Motivation der Generation Y. Das sind die Menschen, die jetzt ins Arbeitsleben eintreten und mit dem Internet groß geworden sind. Hier hat man Managern eine Liste von Attributen vorgelegt und sie gebeten einzuschätzen, was diese jungen Leute besonders motiviert. Hier landete "Karrieremöglichkeiten" auf Platz 1, gefolgt von "Weiterbildungsmöglichkeiten" und "Work-Life-Balance". Dann kommt "herausfordernde Arbeit" vor "Anerkennung der Arbeit". Die Studie stammt von Kienbaum.

Bemerkenswert daran finde ich schon, dass Manager Dinge, die mit der Arbeit selbst erst einmal wenig zu tun haben wie "Karriere" und "Anerkennung" auf die vorderen Plätze setzen. Überspitzt formuliert: Nicht die Arbeit selbst ist es, die Menschen motiviert, sie zu "betreiben", sondern sekundäre "Motivatoren". Arbeit als Mittel, um aufzusteigen oder Anerkennung zu erhalten. Wie mögen sie darauf nur kommen?

Noch interessanter wird es, wenn man die Ergebnisse der Befragung der Betroffenen selbst daneben legt. Die nämlich unterscheiden sich zum Teil erheblich von der Einschätzung der Manager. Die Wissensarbeiter bat man, täglich über einen längeren Zeitraum Tagebuch zu führen, 12.000 Einträge wurden ausgewertet. Das Ergebnis: Die Tage, die als besonders gute Tage erlebt wurden, waren keineswegs diejenigen, an denen sie Anerkennung erhielten. Es waren diejenigen, an denen sie Fortschritt der eigenen Arbeit erlebten. Am zweithäufigsten wurden Dinge berichtet, die sich auf die Zusammenarbeit bezogen.

Bei der Generation Y landete - ja was wohl - die herausfordernde Arbeit auf Platz 1, gefolgt von der Vergütung und dem kollegialen Arbeitsumfeld (welches die Manager kaum auf dem Schirm hatten). Das Thema "Anerkennung" landete weit abgeschlagen.

Ich ziehe daraus drei Schlüsse (die allerdings keinesfalls sonderlich neu sind):

(1) Es gibt Menschen, die arbeiten, weil sie etwas schaffen wollen, Fortschritte erleben und Herausforderungen meistern möchten. Führungskräfte täten gut daran, sie dabei nicht zu behindern, sondern diese Fortschritte zu ermöglichen.

(2) Anerkennung ist für viele nicht das Ziel ihrer Tätigkeit, sondern eine Folge, die eintritt, wenn sie Erfolg haben. Anerkennung mag den Stolz und die Freude vergrößern, aber ohne wahre, vom Menschen selbst erlebte Fortschritte ist Anerkennung wertlos. Da kann man sich jedes Lob schenken.

(3) Manager können sich offensichtlich nur schlecht vorstellen, dass ihre Mitmenschen arbeiten, weil sie arbeiten möchten. Kein Wunder, dass Seminare zum Thema "Mitarbeitermotivation" immer noch Teilnehmer finden.

Ach ja: Ich frage mich angesichts dieser "Studienergebnisse" immer wieder, wie oft Wissenschaftler noch nachfragen wollen, um die immer gleichen Ergebnisse zu erzielen.

Rezensionen zum Thema:
Die Arbeit zählt, Personalwirtschaft 9/2010
Was Mitarbeitern wirklich hilft, Harvard Businessmanager 5/2010

Samstag, 16. Oktober 2010

Die Nebenwirkung von Systemen

Das Thema fasziniert mich einfach. Immer wieder entwickeln Menschen Systeme, die anderen Menschen das Leben ein Stück leichter machen sollen. Manchmal allerdings übersehen sie dabei die Nebenwirkungen, die diese Systeme entfalten. Und wie bei Medikamenten muss man dann Mittel gegen die Nebenwirkungen einsetzen.

Es ist offensichtlich ein bisschen so wie bei den Ingenieuren, die vor lauter Begeisterung über die Fähigkeiten ihrer technischen Errungenschaften derartig viele Funktionen einbauen, die kein Mensch wirklich verwendet, dass sie darüber den Kunden vergessen. Ein Beispiel aus einem Bereich, der auf den ersten Blick nur indirekt etwas mit dem Personalmanagement zu tun hat.

Man stelle sich vor, der Außendienstler sitzt beim Kunden und präsentiert die neuesten Produkte. Auf jede Frage des Kunden zaubert er eine Antwort aus seinem Smartphone, kann die aktuellen Preise abrufen, dazu im Vergleich, wie teuer die Produkte des Konkurrenten sind, wie es mit Reklamationen aussieht und was Kundenumfragen zum Produkt ergeben haben. Dann schaut er nach, wie hoch der Umsatz mit diesem Kunden bisher ist, erfährt auch mit wenigen Klicks, wie es um die Zahlungsmoral bestellt ist, sieht, was der Kunde bisher alles bei seinem Unternehmen gekauft hat und kann entsprechende Rabatte einräumen bzw. Paket-Angebote unterbreiten. Natürlich prüft er gleichzeitig, ob alle Waren auf Lager sind, nimmt sofort die Bestellung elektronisch auf und kann dem Kunden den genauen Liefertermin nennen. Fast so perfekt wie bei Amazon, nur dass hier dem Kunden ein leibhaftiger Mensch gegenüber sitzt, der alle Schritte für ihn abwickelt.

"Sales-Force-Automation" nennt man das, und damit sollte der Außendienstler nun wirklich glücklich sein. Eigentlich. Wenn da nicht eine unangenehme Nebenwirkung wäre. Mit Hilfe solcher Systeme können die Controller im Unternehmen wunderbares
Performance-Management betreiben. Sie könnten per Knopfdruck erfassen, wie hoch der Umsatz ist, denn der Verkäufer je Kunde und Besuch erzielt, sie könnten ihm aufzeigen, welche Chancen er ergriffen und welche er versäumt hat und vor allem, wie er im Vergleich zum Vorjahr, zum letzten Quartal und zu seinen Kollegen dasteht. Und sie könnten ihm basierend auf diesen Zahlen konkrete Vorgaben machen, was er zu welchem Preis beim nächsten Mal verkaufen muss, um seine Ziele zu erreichen.

Was wird passieren? Eine neue Nebenwirkung, die wohl bekannt ist. Die Verkäufer werden Mittel und Wege finden, das System auszutricksen. Sie werden sich absprechen, die Zahlen frisieren, die Quoten schönen. Dagegen werden wiederum Maßnahmen gefunden werden - Medikamente gegen Nebenwirkungen mit neuen Nebenwirkungen. Alles wohlbekannt und im Vorfeld leicht auszumachen. Berücksichtigt aber wird all das selten...

Rezension zum Thema:
Hilfreiche Heinzelmännchen, acquisa 8/2010
Alles unter Kontrolle, Financial Times Deutschland, enable Heft 9/2010

Dienstag, 12. Oktober 2010

Wenn Vorgesetzte beurteilt werden

Wie wäre es, wenn Führungskräfte von ihren Mitarbeitern beurteilt werden und die Ergebnisse im Intranet veröffentlicht werden?Angeblich hat ein indischer Vorstands-Chef genau das gemacht. Mehr noch: Er fordert Mitarbeiter auf, die Präsentationen von Führungskräften im Intranet zu bewerten, mit dem Effekt, dass diese sich nun besondere Mühe geben, gut zu präsentieren.

Hat etwas von einem Pranger? Einerseits ja. Andererseits: Welche Führungskraft ist denn so naiv zu glauben, dass ihr Ruf nicht ohnehin im ganzen Unternehmen verbreitet ist? Der große Unterschied ist: Nun werden die Manager praktisch gezwungen, sich diesem Ruf zu stellen. Wo sie vorher noch wegschauen konnten oder Feedback einfach nicht wahrnahmen, können sie jetzt kaum noch daran vorbei. Auch hier verändert das Internet die (Unternehmens-)welt. Dabei hat das eigentlich gar nichts mit dem Internet zu tun. Ich kann mich erinnern, dass ich einmal den Vorschlag gemacht habe, die Ergebnisse von Vorgesetzten-Feedbacks ans Schwarze Brett zu hängen - damals kannten wir noch kein Intranet. Der Vorschlag wurde natürlich nur milde belächelt. Was ist heute anders?

Wir haben uns offensichtlich daran gewöhnt, bewertet zu werden. Ob als Verkäufer bei ebay, also Buchautor bei Amazon, als Lehrer, Professor, Dozent, Arzt, Arbeitgeber... überall finden sich Plattformen, auf denen nicht nur Produkte und Dienstleistungen, sondern auch Menschen bewertet werden. Warum dann nicht auch Führungskräfte? Wenn auch - vorläufig - nur im Intranet.

Die öffentliche Bewertung von allen, die in irgendeiner Form Leistungen für andere erbringen, wird zum Teil unseres Lebens, zu ändern dürfte das nicht mehr sein. Wir gewöhnen uns besser wirklich daran und nutzen es, um daraus zu lernen. So wie die Manager des indischen Unternehmens. Und ehrlich gesagt - ich hätte nichts dagegen, wenn einige der genannten Personengruppen die Bewertungen zur Optimierung ihrer Leistung nutzen würden. Hoffen wir nur, dass die Systeme, mit denen die Urteile erfasst werden, uns auch die Chance geben, einmal erfasste Urteile zu revidieren - indem alte Bewertungen z.B. an Gewicht verlieren.

Apropos Systeme: In dem Artikel von Herrn Leitl im Harvard Businessmanager las ich, dass ein Beratungsunternehmen einen Fragebogen zur Beurteilung von Führungskräften entwickelt hat, bei dem keine absoluten Werte erfasst werden, sondern die Bewertung in Relation zu den Erwartungen der Mitarbeiter gesetzt wird. Sehr sinnvoll, finde ich. Als ob es DAS richtige Führungsverhalten gibt. So wie es nicht DEN Mitarbeiter gibt. Also sollte man Führungsleistung in der Tat danach beurteilen lassen, ob sie dem entspricht, was Mitarbeiter erwarten und für ihre Arbeit benötigen.

Erheiternd finde ich daran, dass ich über ein solches Verfahren 1999 in einem Beitrag im HBM berichtet habe (Mitarbeiter beurteilen ihre Chefs - das Beispiel Bayer, Harvard Businessmanager Jg. 1999 Heft 5). Da waren wir wohl unserer Zeit voraus. (Wer sich für den Artikel und das Verfahren interessiert, bitte per Mail melden.)


Rezension zum Thema:
Noten für das Management, Harvard Businessmanager 5/2010

Mittwoch, 6. Oktober 2010

Sich selbst vermarkten

Da habe ich doch wieder einen neuen Begriff gelernt: "Individual Branding". Zum ersten Mal habe ich vor Jahren bei Tom Peters von der Idee gelesen, dass der Mensch sich als Marke begreifen und natürlich auch entsprechend vermarkten sollte. Nun begegnete mir der Ansatz wieder, verblüffenderweise diesmal im Zusammenhang mit dem Thema "Personalentwicklung". Das Argument: Der berufliche Erfolg hängt zu 10% von der eigenen Leistung, zu 30% von der Selbstpräsentation und zu 60% vom Bekanntheitsgrad im Unternehmen ab. Grandios. Wie immer bei solchen Zahlen fragt sich der verdutzte Leser, wie diese wohl zustande gekommen sind. Und er fragt sich weiter, was das denn bedeutet? Zwei Schlussfolgerungen fallen mir da ein:

Nur nicht zu viel Zeit damit verschwenden, Leistung zu erbringen, denn diese trägt kaum etwas zum beruflichen Erfolg bei. Dafür mehr Energie in die Selbstpräsentation stecken. Oder: Hauptsache, bekannt werden im eigenen Unternehmen, egal wie. Es muss nicht unbedingt durch Leistung sein.

Hier kommt noch eine Schlussfolgerung, die nicht von mir stammt: Leute, die sich nicht richtig selbst vermarkten, werden im Unternehmen nicht bekannt, und damit entgeht dem Unternehmen möglicherweise das eine oder andere Talent, das vor sich hinschlummert. Also täten Unternehmen gut daran, ihre Mitarbeiter in Sachen Selbstvermarktung zu unterstützen. Sie sollten ihnen einen Karrierecoach zur Seite stellen, der dann mit ihnen analysiert, wie es um den Bekanntheitsgrad aussieht, wer die wichtigen Menschen im Unternehmen sind, die sie noch nicht kennen und wie sie es schaffen, sich ihnen zu präsentieren.

Ob man sich auf diese Weise teure Personalentwicklungssysteme schenken kann? Ich habe so das Gefühl, dass "Individual Branding" kein neuer Megatrend wird und als untauglicher Versuch der Coaching-Branche, sich neue Aufgabenfelder zu verschaffen, in Erinnerung bleiben wird. Wenn sich jemand überhaupt daran erinnern wird.

Rezension zum Thema:
Marketing in eigener Sache, Personalwirtschaft 8/2010

Montag, 4. Oktober 2010

Aussagekraft von Tests

Das mit dem Psychologie-Studium ist schon eine Weile her. Mag sein, dass ich wesentliche Erkenntnisse der Testtheorie verdrängt habe, aber dann werde ich sicher schnell korrigiert. Es geht um Folgendes: Da entwickeln Berater einen neuen Test, in diesem Fall eine Postkorb-Übung zum Einsatz im Assessment Center. In dem speziellen Fall geht es darum, 20 e-Mails zu verarbeiten, sie also zu löschen, zu delegieren, Kalendereinträge vorzunehmen etc. Eben das, was auch im klassischen Postkorb verlangt wird.

Ich kann mich erinnern, dass es so etwas wie "Augenschein-Validität" gibt. Der Kandidat kann auf Grund der gestellten Aufgabe erkennen, was gemessen werden soll, nämlich seine Fähigkeit, mit der Flut von e-Mails umzugehen. Ob er in der Praxis sich ähnlich verhält, steht ja wie immer bei solchen Simulationen auf einem anderen Blatt.

Dann gibt es Validitätsberechnungen, die das Testergebnis mit dem Verhalten bzw. dem Erfolg in der Praxis vergleichen. Führen diese zu einem hohen Zusammenhang, würde man von einem validen Test sprechen. Solche Vergleiche wurden hier nicht angestellt. Dafür wurden die Resultate mit dem Ergebnis eines numerischen Intelligenztests verglichen. Und hier versagt mein Erinnerungsvermögen. Was sagt es mir, wenn die Autorinnen schreiben: "Das Ergebnis ... zeigt in der Tat tendenziell einen Übereinstimmung zwischen der Höhe des Testergebnisses im Mailboxverfahren sowie im numerischen Test"?

Mal abgesehen davon, dass bei 30 Probanden eine "tendenzielle Übereinstimmung" mehr als fragwürdig ist - was wäre, wenn sie extrem hoch wäre? Dann wüsste ich doch, dass die Beherrschung des e-Mail-Chaos von der numerischen Intelligenz abhängt - dann brauche ich den Test nicht, sondern könnte es bei dem Intelligenztest belassen. Ist der Zusammenhang gleich Null, weiß ich, dass hier eine völlig andere Fähigkeit (bzw. ein Mix aus anderen Fähigkeiten) gefordert ist. Was aber weiß ich über die Aussagekraft (Validität) des neuen Verfahrens, wenn die Bewältigung der Aufgabe irgendwas mit numerischer Intelligenz zu tun hat?

Es ist schon ein Kreuz mit den diagnostischen Testverfahren zur Messung von Managementfähigkeiten, oder?

Rezension zum Thema:
Mit Grips gegen die Mail-Flut, Personalmagazin 9/2010