Samstag, 28. Februar 2009

Achtung Umfrage

Wir werden zugeschüttet mit Umfrageergebnissen. Vor allem Beratungen platzieren sich gerne mit Untersuchungsergebnissen zu ihren Themen in der Fachpresse, stellen natürlich Optimierungsbedarf fest und haben das passende Angebot in der Schublade. Aber aufgepasst, man sollte sich genau anschauen, wonach sie in welcher Form gefragt haben. Watson Wyatt Heissmann haben sich die Benefits vorgeknöpft und über 8.500 Mitarbeiter befragt, welche ihnen denn besonders wichtig sind.

Sie haben dabei auch die Zustimmung oder Ablehnung folgender Aussage erhoben: "Die richtigen Benefits können den Ausschlag geben, mich für einen Arbeitgeber zu entscheiden."


Der Aussage stimmten 87% der Befragten zu. Sind wir beeindruckt? Ich wundere mich mehr über die Antworten derjenigen, die nicht zugestimmt haben. Ob sie die Frage nicht verstanden haben? Natürlich können Benefits den Ausschlag geben. Das Gleiche gilt für alle anderen Rahmenbedingungen. Mal angenommen, man hätte gefragt: "Der richtige Vorgesetzte kann den Ausschlag geben..." oder "Das richtige Betriebsklima... " oder "Die richtige Aufgabe..." oder "Der richtige Arbeitsplatz..." Kann irgendetwas davon nicht den Ausschlag geben?

Also welchen Wert hat ein solches Ergebnis? Vermutlich nur einen: Knackige Zahlen mit einer netten Grafik unterlegt sollen Eindruck schinden. Und hoffentlich hinterfragt niemand ihren Sinn oder Unsinn.

Rezension zum Thema:
Strategisch vergüten, Personal 11/2008

Freitag, 27. Februar 2009

Karrieren ohne Moral?

"So handeln, dass die Regeln, nach denen man handelt, Regeln für alle sein können" oder "Trage ich mit meinem Handeln zu einer Welt bei, in der ich selbst leben möchte?" Diese Prinzipien kennt man seit Kant, aber macht man damit Karriere? In einem Artikel der Financial Times Deutschland meint der Autor: Mit dem Kategorischen Imperativ kommt man im Gefängnis oder in der Bronx nicht weiter. Und das gelte auch für den täglichen Machtkamp im Büro. Oha...

In der Tat: Wenn es ums Überleben geht, dann wird es schwierig mit der Moral. Was wäre mit einem Gladiator geschehen, der sich nach dem Kategorischen Imperativ verhalten und einfach geweigert hätte, seinen Gegner aufzuschlitzen? Also doch: Wer weiterkommen (überleben) will, der muss seine Konkurrenz vernichten. Und dass geht halt nicht mit Fairness - und schon gar nicht mit Kooperation.

Das Problem ist nur: Der Gladiator, der überlebt, kann immer noch sagen: Ich hatte nur die Wahl zwischen Überleben und Tod. Kommt uns doch bekannt vor von manchen Entscheidern, oder? ABer ist das mit dem modernen Arbeitsleben wirklich vergleichbar? Geht es tatsächlich um das Überleben? Und sehen es alle anderen auch so? Dann kann man den Kategorischen Imperativ getrost vergessen. Hat man aber die Vorstellung von einem friedlichen Miteinander, wird es schwierig. Erst dann wird ja die Frage, ob man mit Moral weiterkommt, interessant. Kann man sich mit Fairness, Ehrlichkeit, Hilfsbereitschaft, Fleiß und Leistung behaupten? Oder funktioniert "Karriere" nur, wenn man solche Werte außer Kraft setzt?

Die Philosophen sagen, dass für langfristigen Erfolg kooperatives Verhalten unerlässlich ist, schließlich begegnet man sich immer mehrmals im Leben. Na und, sagt da der Karrierist? So lange ich oben bin, was schert mich dass?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass einige extrem rücksichtslose Kandidaten sich sehr lange ganz oben gehalten haben und noch halten.

Schneller geht es ohne Moral

Die Antwort auf die Frage, ob man es ohne Moral schneller schafft, muss man wahrscheinlich bejahen. Noch eine Analogie: Schafft es der Sportler mit Doping und betrügerischen Absprachen, schneller an die Goldmedaille zu kommen als derjenige, der mit erlaubten Mitteln arbeitet? Ziemlich wahrscheinlich. Aber lohnt es sich, den gleichen Erfolg auf ehrliche Art und Weise zu erringen?

Womit die Frage nach dem Gewissens angesprochen ist. Oder, wie Sprenger sagt: "Gefalle ich mir, wenn ich das tue?" Ich kenne Leute, die sich am Ende ihrer Karriere selbst nicht leiden konnten und mit Verachtung auf ihr eigenes Leben zurückblickten. Ein hoher Preis für eine schnelle Karriere, finde ich. Wie fühlt sich der Sportler, der gedopt und mit Betrug an seine Goldmedaille gekommen ist?

Damit bleiben jene, denen das überhaupt nichts ausmacht, die kein Problem mit ihrem unethischen Verhalten haben. Psychopathen nennt man sie. Menschen ohne Gewissen. Auch diese wird man auf der höchsten Stufe der Karriereleiter finden. Sogar häufiger, wird behauptet. Dies zu untersuchen, wäre eine spannenden Geschichte. Aber völlig uninteressant für denjenigen, der vor der Enscheidung steht, mit welchen Mitteln er Karriere machen möchte. Wohl dem, der sich diese Frage überhaupt stellt...

Rezension zum Thema:
Oder lass ich's lieber sein? Financial Times Deutschland 1912.2008

Dienstag, 17. Februar 2009

Kantinenclubs

Kantinen seien Orte, wo Kapitalismus und Sozialismus miteinander versöhnt sind. Sagt der russische Schriftsteller Kaminer, der für das Magazin eines großen Beratungshauses Kantinen deutscher Unternehmen getestet hat. Egal welchen Ranges - alle essen das Gleiche, alle sitzen auf den selben harten Stühlen, alle zahlen das Gleiche, es gibt keine Klassenunterschiede. Es sei denn, die Räumlichkeiten für die Leitenden Angestellten sind von jenen der Werktätigen getrennt. Soll es auch noch geben, wo kämen wir denn sonst hin?

Meine Erinnerungen an Kantinengänge sind von anderen Eindrücken geprägt. Es gab feste Clubs, Gruppen von Menschen, die jeden Mittag zur gleichen Zeit aufbrachen und einen Tisch bzw. eine Tischecke belegten. Das war eine Selbstverständlichkeit, und wehe, man brach einmal aus dem vertrauten Kreis aus und verabredete sich mit einem anderen Kollegen. Dann durfte man sich sicher sein mit Bemerkungen wie: "Wir sind dir wohl nicht mehr gut genug!" oder "Haben Sie was gegen uns?" konfrontiert zu werden.

Auch eine Erfahrung: Nirgendwo sonst konnte man so herrlich über Kollegen und Vorgesetzte herziehen. Jeden Mittag die gleiche Frage: "Was gibt es Neues von X?" Und die herbe Enttäuschung, wenn man keine bemerkenswerten Anekdoten zu erzählen hatte. Dann mussten eben vertraute Geschichten von früher herhalten.

Peinlich wurde es, als irgendjemand meinte, den riesigen Saal durch brusthohe Stellwände etwas gemütlicher, intimer gestalten zu müssen. Da saß man nun etwas abgetrennt von anderen Clubs und hatte nicht mehr so genau im Auge, wer denn noch alles die Gaumenfreuden der Kantine genoss. Und es konnte passieren, dass mitten im herrlichsten Klatsch über den Abteilungsleiter Y dieser sich plötzlich am Nachbartisch hinter der Stellwand erhob und mit seinem Tablett Richtung Ausgang strebte. Dumm gelaufen...

Rezension zum Thema:
Kantinen sind gerecht, Financial Times Deutschland, 12.12.2008

Samstag, 14. Februar 2009

Von Trendforschern und "Trendnörgelparasiten"

Wie wird sie aussehen, die zukünftige Arbeitswelt? Die Trendforscher sagen es uns schon länger: Jeder Mensch ist ein eigenes Unternehmen, mehr noch: Eine eigene Marke. Egal, ob hochqualifizierter Forscher oder Kassierer am Supermarkt, ob Top-Manager oder Fensterputzer: Wer es schafft, seine Leistungen am Markt zu verkaufen, wird erfolgreich sein. Je weniger spezialisiert, je weniger einzigartig sein "Angebot" ist, desto flexibler muss er sein. "Smart Capitalism" nennt das der Hellseher Matthias Horx in seinem letzten Buch. Rosig ist diese Zukunft, einfach herrlich. Privat und Berufsleben verschmelzen, jeder ist sein eigener Herr, es lebe die Wissensgesellschaft.

Kalkül und nicht anderes als ein "krasser Neoliberalismus", schimpft da der Professor Holger Rust, und hat das natürlich auch in einem Buch festgehalten. Es trägt den Titel "Zukunftsillusionen" und rechnet mit den selbsternannten Trendforschern ab.

Ich gestehe, ich mag die Vision der Wissensgesellschaft. Arbeiten, wo, wann, mit wem man will. Flexibel sein, nicht mehr gebunden an einen Arbeitgeber, der mir "Arbeit gibt". Ich weiß sogar, dass es funktioniert. Und wenn ich die Kritiker höre, die vor Selbstausbeutung warnen, dann kann ich nur den Kopf schütteln. Es ist doch meine Entscheidung, wie viel ich arbeite und was ich überhaupt als "Arbeit" bezeichne. In der Tat verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit - aber der Begriff Freizeit ist doch ohnehin antiquiert. Was bitte schön ist den "freie Zeit"? Warum soll nicht meine ganze Zeit "frei" sein - ich teile sie mir frei ein...

Die Konsequenz ist auch klar: Da ist niemand mehr, der sich um meine Altersvorsorge kümmert, der dafür sorgt, dass ich auch noch ein Gehalt bekomme, wenn die Aufträge ausbleiben. So, wie die Anweisungen eines "Arbeitsgebers" entfallen, so entfällt auch seine "Fürsorge". Der Preis, den die neue Freiheit hat.

Rückkehr der Industrialisierung

Sieht so also die schöne Zukunft aus? Es gibt Anzeichen, die ins Gegenteil verweisen. Die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft weist in Teilen Züge einer Art von Industrialisierung auf, die längst überwunden zu sein schien. Man denke an Call Center mit Taktvorgaben für Kundengespräche. Heute las ich eine Meldung, nach der die Leiterin eines Call Centers verknackt wurde, weil sie Mitarbeiterinnen eingesperrt hatte, bis sie die geforderte Anzahl von Zeitschriftenabonnements verkauft hatten. Schöne neue Wissensgesellschaft?

Man ahnt es schon, die Wahrheit wird in der Mitte liegen. Es wird Menschen geben, die sich Ort, Zeit und Art ihrer beruflichen Tätigkeit aussuchen können - so wie es gestern und heute Menschen gab und gibt, die sich den Arbeitgeber aussuchen können, weil ihre Leistung begehrt ist. Und es wird andere geben, die, betriebswirtschaftlich betrachtet, ein "No-Name-Produkt" anbieten, das es zuhauf gibt, auswechselbar und günstig.

Und dazwischen wird es Menschen geben, die sich entscheiden müssen. Oder sogar gezwungen werden, sich zu entscheiden. Ich glaube, dass es viele (heute noch abhängig Beschäftigte) geben wird, die entweder den Weg des "freien Unternehmers" gehen und die Sicherheit des Angestellten aufgeben müssen. Oder aber in noch größere Abhängigkeit geraten und Tätigkeiten annehmen müssen, die ihnen angeboten werden, um zu überleben.

Wenn Horx Recht hat, dann werden das nur wenige sein, und um die könnte sich die Gesellschaft ja noch kümmern. Das wäre in der Tat eine andere (Arbeits-)Welt, aber eine, die mir gefallen könnte.

Wenn Rust Recht hat, dann wird es nur wenige "Creative Workers", "Freeployers", "Selbstpreneure", "Flexisten" geben. Am großen Rest wird die Entwicklung vorüber gehen.

Optimisten oder Pessimisten?

Und nun? Was bedeutet das für Gesellschaft? Und für den Einzelnen?
Letzteres ist einfach zu beantworten: Man kann jedem nur raten, sich dem Horxschen Optimismus anzuschließen und sich auf die Seite der (kleinen) Gruppe der Wissensarbeiter zu schlagen, sein eigenes Geschäft aufzubauen und vorbereitet zu sein. Ich kenne Leute, die vor 10 Jahren niemals gedacht hätten, dass sie ihre persönliche berufliche Zukunft als "Freie" verbringen werden. Und sich heute nicht mehr vorstellen können, jemals noch einmal als Angestellter zu arbeiten.

Und ich kenne Angestellte, die hoffen, dass sie die Zeit bis zu ihrer Pensionierung noch irgendwie überstehen. Nach dem Motto: Bisher hat es ja auch immer geklappt. Ich fürchte, dass einige von ihnen diese Haltung noch sehr bereuen werden.

Was die Gesellschaft betrifft, neige ich zur Rustschen "linken Jammerkultur". Was, wenn es gar nicht genug Arbeit für all die "Freeployer" gibt? Was, wenn der Taylorismus der Dienstleistungsgesellschaft weiter Raum gewinnt? Was, wenn die Menge der Menschen als frei verfügbare Zeitarbeiter, die nur dann benötigt werden, wenn gerade mal wieder etwas Arbeit im Angebot ist, ihren Lebensunterhalt verdienen muss? Dann gilt der amerikanische Traum: Jeder kann ihn träumen, aber nur für wenige geht er in Erfüllung.

Rezension zum Thema:
Unternehmen wird verkauft, was sie hören wollen, managerSeminare 2/2009

Montag, 9. Februar 2009

Talentmanagement in der Politik

Ein feines Beispiel für gelungene Nachfolgeplanung. Eine Partei muss einen Wirtschaftsminister, der die Pensionsgrenze erreicht hat und völlig überraschend zurücktritt, ersetzen. Irgendjemand wird doch auf der Nachfolgeliste stehen, oder? Und siehe da, ein junger Mann, ehrgeizig und bisher als Wirtschaftsfachmann nicht sonderlich in Erscheinung getreten, wird in das Amt gehievt. Ein Anforderungsprofil, mit dem das Profil des Kandidaten abgeglichen werden kann? Fehlanzeige.

Doch halt, es gibt ein sehr klares Kriterium, dass Karl-Theodor zu Guttenberg, der neue deutsche Wirtschaftsminister erfüllt: Er ist Franke!

Die Franken, so erfährt der staunende Fernsehzuschauer, fühlen sich bisher unterrepräsentiert. Wenn das mal kein Musterbeispiel für ein systematisches Talentmanagement ist...

Samstag, 7. Februar 2009

Gesundheitsprämie

Das Düsseldorfer Verkehrsunternehmen Rheinbahn schüttet an Mitarbeiter, die selten krank waren, eine Prämie von 500 Euro aus. Teil eines Gesamtpaketes sei es, sagen die Verantwortlichen, um den hohen Krankenstand zu bekämpfen. Es ginge nicht um die Blaumacher. Politiker sind irritiert und fürchten, dass auf diese Weise erreicht wird, dass Mitarbeiter in Zukunft auch zur Arbeit kommen, wenn sie eigentlich noch krank sind. Der Busfahrer mit 40 Grad Fieber z.B.

Was passiert hier wirklich? Dröseln wir es mal ganz sachlich auf. Es gibt Menschen, die bleiben einfach gesund, ohne viel dafür zu tun. Sie erhalten die Prämie, weil sie sich keine Auszeiten gönnen (Gruppe 1). Ist doch okay. Andere kümmern sich um ihre Gesundheit, treiben Sport, lassen sich gegen Grippe impfen, ernähren sich richtig und rauchen nicht (Gruppe 2). Sie werden dafür belohnt - und dafür, dass sie brav zur Arbeit gehen. Es ist zwar nicht gerecht, dass die einen etwas dafür tun müssen, die anderen nicht, aber wo geht es schon gerecht zu?

Dann gibt es Menschen, die kümmern sich nicht um ihre Gesundheit, werden krank und bleiben der Arbeit fern. (Gruppe 3) Keine Prämie. Und es gibt solche, die beim kleinsten Zipperlein zu Hause bleiben oder gar blau machen (Gruppe 4). Auch keine Prämie. Das ist nur fair. Und schließlich jene, die alles tun, um gesund zu bleiben, aber Pech haben, trotzdem krank werden und bestraft werden (Gruppe 5). Geht man einmal davon aus, dass die letzte Gruppe nicht die größte ist, dann muss man doch zu dem Schluss kommen, dass in den meisten Fällen die Prämie okay ist, oder?

Wer übersieht die Nebenwirkungen?

Das wäre die mathematische Analyse. Was aber passiert psychologisch? Wird Gruppe 1 nun mehr Sport treiben und das Rauchen einstellen? Wohl kaum, es hat ja auch ohne geklappt. Wird Gruppe 2 ihr gesundheitsförderndes Verhalten verstärken? Vielleicht, es hat sich ja gelohnt. Wird Gruppe 3 sich mehr um ihre Gesundheit kümmern? Wer weiß, wie schwer man Verhaltensweisen ändert, wird hier seine berechtigten Zweifel haben. Und Gruppe 4, die Demotivierten und Frustrierten, werden sie häufiger am Arbeitsplatz erscheinen? Hängt davon ab, wie die Bedingungen dort sind, ohne sie zu ändern, eher unwahrscheinlich. Und Gruppe 5 wird wohl verbittert sein und zu der Erkenntnis gelangen, dass man in einem Unternehmen arbeitet, das seinen Mitarbeitern nicht traut. In der Konsequenz ist sie in Gefahr, demotiviert zu sein.

Bleiben zwei weitere Nebenwirkungen. Die eine wurde schon erwähnt: Wer "ein bisschen krank" ist und noch immer motiviert, wird am Arbeitsplatz erscheinen. Nicht mal unbedingt wegen der Prämie, denn das Signal der Unternehmensleitung lautet ja: "Wer am Arbeitsplatz erscheint, ist uns mehr wert!", und diese Wertschätzung werden sie nicht so leicht auf's Spiel setzen. Mit wahrscheinlich riskanten Folgen.
Die zweite wird leider zu selten angeführt: Wer tatsächlich krank ist und nicht erscheinen kann, weiß, dass er nach fünf Tagen seine Chance auf die Prämie und damit die Wertschätzung verspielt hat - was soll ihn daran hindern, noch ein paar Tage anzuhängen?

Das Problem: Analysiert man eher mathematisch, ob es "die richtigen trifft", könnte man die Prämie begrüßen. Analysiert man die angestrebten Wirkungen und zu erwartenden Nebenwirkungen, wird man sich schwer tun, diese mit Zahlen zu belegen. Ich für meinen Teil möchte, ganz subjektiv, nicht für meine Anwesenheit am Arbeitsplatz belohnt werden.
Das Problem, wie man die hohe Krankenstandsquote von 8% bei Bus- und Bahnfahrern verringert, scheint mir so auf jeden Fall nicht lösbar.

Freitag, 6. Februar 2009

Rätselhafte Compliance

Ich habe so meine Schwierigkeiten mit dem Begriff "Compliance". Die Definition verstehe ich ja noch. Es geht um alle Maßnahmen, die ergriffen werden um dafür zu sorgen, dass Gesetze, Vorschriften, moralische und gesellschaftliche Erwartungen und interne Regelungen eingehalten werden. Mmmh....

Wenn ein Unternehmen also eine Revisionsabteilung einrichtet, ist das Compliance. Wenn es Führungskräfte darin schult, ihre Mitarbeiter über die bestehenden Regeln und Gesetze zu informieren, ebenso. Wenn es Regelungen ans schwarze Brett hängt, auch, denn wenn die Mitarbeiter die Regeln nicht kennen, können sie diese auch nicht einhalten. Wenn es auf dem Werksgelände Kameras installiert, müsste das ja auch Compliance sein, ebenso wie die Mitarbeiterüberprüfungsaktion bei der Bahn. Diese hat offensichtlich ein sehr umfassendes Compliance-Programm, von dem leider nur wenige etwas wussten.

Die Experten scheinen sich einig: Unternehmen brauchen Compliance-Programme, und damit diese auch umgesetzt werden, eigene Compliance-Abteilungen. Was mich neben der eher abschreckenden Vorstellung eines internen Geheimdienstes noch stört, ist die immer wieder anzutreffende Argumentation, man müsse sich gegen Haftungsrisiken absichern. Dazu eine kleine Anekdote:

Die Absicherungskultur

Ich habe mal einen Workshop moderiert, in dem die Führungskraft von den Mitarbeitern wegen der ausufernden Bürokratie kritisiert wurde. Als Beispiel wurden Dokumentationspflichten genannt, die neben der eigentlichen Tätigkeit einfach nicht zu leisten seien. Antwort der Führungskraft: "Nehmen Sie das doch nicht so genau. Dokumentieren Sie einfach irgend etwas. Dann können wir nachher beweisen, dass wir es zumindest versucht haben, aber auf Grund der Arbeitsbelastung einfach nicht alles geschafft haben. Dann kann uns nachher keiner was am Zeug flicken."

Diese Haltung treffe ich immer wieder an: Man ist sich einig, dass eine bestimmte Maßnahme wenig sinnvoll ist und alle Beteiligten eher demotiviert. Statt die Maßnahme in Frage zu stellen und das System zu ändern, wird versucht, sich abzusichern. Damit ist der Sinn der Maßnahme hinfällig, die Motivation im Keller und irgendwo an anderer Stelle wird stolz präsentiert, was man alles tut, um den Vorschriften zu genügen. Welch verschwendete Energie.

Und wie macht man das nun mit der "Compliance"? Wir begegnen den bekannten Forderungen: Analyse des Ist-Zustandes (Compliance-Check), Aufsetzen eines Projektes, Entwicklung einer "Corporate-Compliance-Organisation", Umsetzung von Maßnahmen, jede Menge Schulungen und Controlling der Effekte. Und natürlich ein "Corporate Compliance Zertifikat". Dann klappt es auch mit der D&O-Versicherung.
All das soll ein "wirkungsvolles Instrument" der Unternehmenssteuerung sein. Weil es auch noch Kosten sparen hilft. Wie? Na, bei der Analyse zu Beginn entdeckt man unproduktive Prozesse und beseitigt sie gleich mit. Wieder einmal.
Arme Steuerleute...

Rezensionen zum Thema:
Herausforderung Compliance, Personalmagazin 10/2008
Pflicht für den Mittelstand, Personalmagazin 10/2008

Donnerstag, 5. Februar 2009

Intuitives Talentmanagement

Unternehmen geben sich viel Mühe, für frei werdende Führungspositionen die besten Kandidaten aufzuspüren. Professionelles Talentmanagement ist heute ohne das Pflegen einer "Skill-Datenbank", umfangreiche Nachfolgepläne und massiven Einsatz moderner Managementdiagnostik-Tools nicht mehr denkbar. Ist das so? Ein wirklich lesenswerter Beitrag in der Beilage enable der Financial Times Deutschland 12/2008 beschreibt, wie der Mittelständler Brandstätter GmbH seine Führungspositionen besetzt. Ihnen sagt der Name nichts? Aber Sie kennen Playmobil - das bekannte Spielzeug hat aus dem Hula-Hoop-Reifen-Hersteller ein international erfolgreiches Unternehmen gemacht.

Dort hat man sich zur Maxime gemacht, Führungskräfte aus den eigenen Reihen zu rekrutieren, weil diese das Unternehmen verstehen. Wie man das macht? Es gibt keine aus der Firmenstrategie abgeleitete Personalentwicklungsplanung, keine ausgearbeiteten Programme, kein von Beraterhand getriebenes Talentmanagement-System. Wenn es eine neue Aufgabe gibt, lautet die Frage: "Wer von uns kann, wer von uns will das wuppen?" Und dann der bemerkenswerte Satz: "Wer die Hand hebt, kommt grundsätzlich in Frage." Egal, was derjenige vorher gemacht hat oder wo er bisher gearbeitet hat. Das gilt übrigens auch für Mitarbeiter, die über 60 sind. Wer sich hier bewährt, dem vertraut man eben weitere Aufgaben an. Gibt es ein besseres Assessment Center?

Mitarbeiter halten

Wenn ein Mitarbeiter gehalten werden soll, weil er wertvoll für das Unternehmen ist, dann lautet die Frage: "Was können oder müssen wir dafür tun?" Der eine möchte mehr Zeit mit seiner kranken Frau verbringen, der andere weniger reisen, die nächste eigentlich nach der Geburt des Kindes ganz aussteigen... Man findet eine Lösung.

Dass das keine Märchen sind, zeigt sich in der Art und Weise, wie der Inhaber zu seiner Nachfolgerin kam. Nach zwei gescheiterten externen Einstellungen drängt er seine Favoritin, in seine Fußstapfen zu treten, die aber will für eine Weile ihre Arbeit auf drei Tage reduzieren. Er geht darauf ein und hat seine Idealbesetzung gefunden.

Talentmanagement kann so einfach sein. Klar, nun wird es wieder heißen, das ginge nur im Mittelstand. Mag sein, aber warum versucht man dann, auch dem Mittelstand komplexe Managementsysteme anzudrehen?

Rezension zum Thema:
Hausgemacht, enable 12/2008

Dienstag, 3. Februar 2009

Radio ist irgendwie anders...

Nach dem Verfassen des Textes zum Albtraum Web 2.0 fiel mir auf, dass in meiner Liste der "Mülleimer-Medien" das Radio fehlt. Und in der Tat: Mir scheint, als sei dieses Medium irgendwie anders. Ich gestehe, ich bin kein regelmäßiger Radiohörer, aber wenn ich es einschalte, habe ich nicht den Eindruck, mit unerträglichem Informationsballast beworfen zu werden. Ist da was dran? Und wenn ja: Wie kommt das?

Ich habe eine Theorie, der ein Erlebnis mit Podcasts zugrunde liegt. Ich habe mir angewöhnt, beim Autofahren Hörbücher und hin und wieder auch Podcasts zu hören. Einmal hatte ich mir bei iTunes Beiträge der von mir so sehr geschätzten Brand eins heruntergeladen und hörte sie mir auf einer längeren Autofahrt an. Schon bald langweilte ich mich und ging zum nächsten Beitrag über. Aber auch der vermochte nicht, mich zu fesseln. Nahezu quälend lang kam er mir vor, die Aussagen wiederholten sich, schon nach kurzer Zeit dachte ich: Das habe ich doch alles schon gehört.

Das bringt mich auf folgende Idee: Kann es sein, dass wir beim Hören wählerischer sind als beim Lesen oder gar beim Konsum bewegter Bilder? Dass wir uns viel stärker auf die Inhalte konzentrieren und dann wesentlich schneller merken, wenn diese keinen wirklichen Nutzen stiften? Und dass es sich das Radio schon deshalb nicht leisten kann, "Informationsmüll" zu produzieren, weil wir dann im Nu abschalten?
Ist nur so ein Gedanke. Gibt es dazu vielleicht Untersuchungen?

Montag, 2. Februar 2009

Albtraum Web 2.0?

Ich vermute, das hat es zu allen Zeiten gegeben: Menschen, die angesichts unerwarteter Auswirkungen neuer Technologien den Weltuntergang vorhersahen. Ein Amerikaner hat eine Streitschrift gegen das Web 2.0 verfasst und warnt vor der Verdummung der Menschheit. Wo verlässliche Informationen im Meer der Hobby-Journalisten untergehen und die Marketing-Maschinerie großer Unternehmen für manipulierte Blogs sorgt, da wird das Internet zum Albtraum. "Die Stunde der Stümper" heißt das Buch von Andrew Keen. Darin geißelt er die Herrschaft des Halbwissens, das Web 2.0 als Tummelplatz von Amateurjournalisten, manipulierten Bloggern und fingierten Produkterfahrungen. Nützliches Wissen sei kaum noch auffindbar, wahres Talent geht unter.

Hat der Mann Recht? Sicher hat er das. Spätestens, seitdem jedermann ohne jegliche technische Kenntnisse seine Gedanken und Ansichten weltweit publizieren oder seine Heimvideos einem breiten Publikum präsentieren kann, wird das Netz zum Müllplatz. Aber ist das neu?

So wie Reich-Ranicki den Schwachsinn anprangerte, den es im Fernsehen zu sehen gibt, so steht man auch staunend vor der Unmenge an bedrucktem Papier in jedem Zeitungskiosk. Seit wir dank des Buchdrucks die Möglichkeit haben, jeden Gedanken in beliebig großer Auflage zu verbreiten, gibt es das Problem der Unterscheidung zwischen "Datenmüll" und verwertbarem Wissen. Mit dem Internet ist das kaum einfacher geworden. Wer das beklagt, der kann vielleicht erreichen, dass wir vorsichtiger mit dem Wissen umgehen, das wir hier angeboten bekommen. Aber haben alle Warnungen vor dem Unsinn der BILD-Zeitung deren Auflage verringert?

Es bleibt dabei: Jeder muss letztlich selbst den Nutzen und Wert einer Information bewerten, und so wie es seriöse Zeitungen gibt, so wird es auch im Netz verlässliche Quellen geben. Ich für meinen Teil schätze es ungemein, dass ich mit wenigen Suchbegriffen animierte Darstellungen eines Stromgenerators finde und dessen Funktionsweise verstehe, ein Erfolg, der dem Physikbuch meines Sohnes leider verwehrt blieb.

Rezension zum Thema:
Planet der Affen, Financial Times Deutschland 28.11.2008