Wer andere führt, sollte wissen, wie es sich anfühlt, "geführt zu werden". Deshalb steckt man Führungskräfte in Trainings, wo sie im Wechsel die Rolle des "Führenden" und des "Geführten" übernehmen. Sie wandern "blind" im Raum herum und müssen den Kollegen vertrauen, die sie um Hindernisse "herumführen" oder ihnen Anleitungen zum Bewältigen komplexerer Aufgaben geben. Oder sie klettern auf Bäume und Gerüste und müssen sich dabei voll und ganz auf andere verlassen, ohne deren Hilfestellung sie "abstürzen" würden.
Auf diese Weise lernen sie, sich in die Rolle der Geführten hineinzuversetzen, ihre Motive und Gefühle nachzuvollziehen und zu erkennen, was diese brauchen, um die geforderten Aufgaben im Sinne des gemeinsamen Ziels zu bewältigen. Sie lernen, wie wichtig Wertschätzung, klare Information, die Übertragung von Verantwortung, aber auch das Durchsetzen von Konsequenzen sind.
Was mich bei all dem schon lange wundert: Welcher "Führende" ist denn nicht selbst ein "Geführter"? Oder hat Führung nicht schon lange am eigenen Leib erlebt? Wie kann es sein, dass er erst in einem Seminar erkennt, wie sich "Führung anfühlt"? Hat er die gleiche Situation nicht tagtäglich vor Augen, wenn sein eigenen Chef mal wieder jede Wertschätzung vermissen lässt, hineinregiert, Konsequenzen nur ankündigt, aber nicht umsetzt? Wieso lernen wir nicht von diesen Vorbildern, sondern brauchen hierzu Outdoor-Trainings und Rollenspiele?
In meiner Zeit als Trainer habe ich einmal in einem Planspiel eine Führungskraft erlebt, die die "Mitarbeiter" so richtig "lang gemacht" hat. Da wurde herumkommandiert, mit ironischen Bemerkungen die Motivation zerstört und alles getan, um zu demonstrieren, wer das Sagen hatte. Bei der anschließenden Auswertung und der Rückmeldung durch seine Kollegen fiel der Satz: "Ich habe jahrelang die Schikanen meiner Vorgesetzten ertragen, jetzt, wo ich es endlich geschafft habe, auf die Stelle zu kommen, bin ich an der Reihe. Warum soll es meinen Mitarbeitern anders ergehen als mir?"
Ich weiß noch, dass dies einer der (wenigen) Momente war, in denen mir die Worte fehlten. Und in dem ich Anhänger der Idee wurde, bei der Auswahl von Führungskräften wesentlich genauer hinzuschauen, wem man Verantwortung für andere Menschen überträgt. Mit Seminaren und Outdoortrainings beißt man sich hier die Zähne aus...
Rezension zum Thema:
Hilft macht stark, managerSeminare 9/2009
Mittwoch, 30. September 2009
Führung am eigenen Leib erleben?
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2 Kommentare:
Hallo Herr Thönneßen,
ganz Ihrer Meinung. An der Personalauswahl gespart bedeutet oft, dass später ein vielfaches an Investitionen in Personalentwicklung nötig werden. Manchmal aber ist auch jede PE hilflos, wie im geschilderten Beispiel.
Grüße, Ch.A.
Hallo Herr Athanas,
Personalauswahl ist für mich ein Aspekt, Auswahl von Führungskräften noch einmal ein anderer. Ich wäre ja für Führungsfunktionen mit Probezeit. Warum eigentlich nicht? Wenn man allgemein Probezeiten innerhalb eines Unternehmens einrichten würde, wäre evtl. der Gesichtsverlust bei "Nicht-Übernahme" nicht so groß.
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