Mittwoch, 12. August 2009

Training oder Beratung?

Ob es noch immer Trainer gibt, die ein Großteil des Seminars damit verbringen, Vorträge zu halten, Powerpoint-Folien zu zeigen, ihren Teilnehmern zu erklären, wie "richtiges" Verhalten (Kommunikations-, Führungs-, Konflikt-, Verkaufsverhalten etc.) funktioniert? Die Theorien vorstellen, Modelle präsentieren oder aus ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz plaudern? Die vorgefertigte Rollenspiele durchführen und fiktive Fallbeispiele bearbeiten lassen? Mit anderen Worten: Ihre Teilnehmer belehren, unterhalten und beschäftigen? Vermutlich...

Als junger Trainer habe ich einmal vor einer Gruppe von Menschen gestanden, die zu einem Kommunikationstraining angereist waren. Mein Konzept stand, die Unterlagen waren vorbereitet (ich weiß nicht mehr, welche Modelle damals angesagt waren), ich begann mit der üblichen Abfrage der Erwartungen, um dann in mein Programm einzusteigen. Der Vormittag verlief schleppend, und je weiter er fortschritt, umso beängstigender erschien mir der Gedanke, ganze drei Tage mit der Gruppe verbringen zu müssen.

In der Mittagspause entschied ich mich, mein Programm über den Haufen zu werfen. Ich startete in den Nachmittag mit meiner Beobachtung, dass ich wenig Resonanz wahrgenommen hätte. Und äußerte meine Fantasien zu dieser Beobachtung. Nämlich dass sie, die Teilnehmer, wenig Sinn in dem Seminar sähen, dass sie hofften, irgendwie die drei Tage zu überstehen, dass sie dachten, es sei immer noch besser, hier zu sitzen als am Arbeitsplatz usw.

Wie lebendig die Gruppe plötzlich wurde. Das sähe ich völlig falsch, es wäre doch interessant. Nein, sie würden gerne an dem Seminar teilnehmen. Ein bisschen Wahres sei schon dran. Sie hätten gar keine rechte Vorstellung, wozu sie eigentlich hier seien und ähnliches.

Ich drehte die Sache um. Ich bat sie, mir konkrete Beispiele aus ihrem Berufsleben zu nennen, zu denen sie Unterstützung benötigten, bei denen Tipps und Ideen möglicherweise helfen könnten, in Zukunft besser mit Kollegen, Mitarbeitern, Vorgesetzten, Kunden klarzukommen. Es wurde ein denkwürdiges Seminar und für mich der Anlass, mich zu verabschieden vom Seminar als "Unterricht".

Heute glaube ich, dass man nahezu jedes Thema im Seminar auf diese Weise behandeln kann. Statt zuerst Wissen zu vermitteln und dann nach Anwendungsmöglichkeiten für dieses Wissen zu suchen, sollten sich Trainer den Fragen und Problemen der Teilnehmer stellen und mit ihrem eigenen und dem Wissen der anderen Teilnehmer an ihnen arbeiten.

Nichts anderes ist die "Praxisberatung in Gruppen", die von der wirtschaft + weiterbildung als "Weitsichtige Innovation" beschrieben wird. Mein erster Gedanke beim Lesen des Beitrages: Was ist daran innovativ? Aber der Titel ist erstmalig 2001 erschienen - und vermutlich war die Methode damals in der Tat innovativ.

Übrigens: Wussten Sie, dass man dieses Buch wie viele andere auch in großen Teilen bei Google finden kann? Hier ist der Link.

Rezension zum Thema:
Weitsichtige Innovation: Praxisberatung in Gruppen, wirtschaft + weiterbildung 5/2009

5 Kommentare:

Andreas Reisenbauer hat gesagt…

Ich möchte den einen Satz ein wenig abändern: "Heute glaube ich, dass man nahezu jedes Thema im Seminar auf diese Weise behandeln MUSS." Was bringen alle Kommunikationsmodelle, wenn die Seminarteilnehmer diese nicht in den Alltag integrieren können - wie oben geschildert. Beispiele oder Problemstellungen aus dem Alltag - das ist es, wo der Schuh drückt. Herzlichen Dank für den tollen Beitrag

Frank Taschner hat gesagt…

Ich kann mir auch kein (gutes) Kommunikationstraining mehr ohne einen hohen und zentralen Anteil an Praxisberatung bzw. Fallarbeit vorstellen. Gleichwohl, ich bekomme von ganz bestimmten Leuten in den Seminaren immer wieder die Rückmeldung, wie hilfreich und entlastend es doch sei, für schwierige Gespräche mal ein oder zwei (nicht etwa zehn...) Modelle (z.B. ein Prozessmodell) zu haben und sich der Komplexität der kommunikativen Situation nicht von vorneherein als ausgeliefert zu empfinden.
Offenbar stiftet das Modell ein Gefühl von Verhaltenssicherheit. Wer wollte ihnen das nehmen?
Gute Rollenspiele zeichnen sich auf der anderen Seite dadurch aus, dass sie auf einfache Weise Gelegenheiten stiften, neue Verhaltensmuster zu erproben.
Die Problemstellungen, die Teilnehmer aus dem Alltag in die Fallarbeit einbringen, sind dagegen manchmal so komplex, dass man zwar durch Fallarbeit einige Einsichten erarbeiten und ein paar Tipps geben kann (was nicht wenig ist), aber keine Möglichkeit mehr besteht irgendetwas praktisch zu erproben.
Statt Training ODER Beratung plädiere ich eher für Beratung UND Training, je nach dem, was die unterschiedlichen Leute, die mehr oder weniger erwartungsvoll vor einem sitzen, am meisten brauchen.

Johannes hat gesagt…

Volle Zustimmung. Teilnehmer sind dankbar für Modelle und Handlungsanleitungen. Meine Erfahrung ist, dass man sehr gut aus den Fallbeispielen die Modelle ableiten bzw. sie anhand der Beispiele erklären kann. Da kann der Trainer als Experte punkten :-)

Was m.E. tatsächlich in Trainings zu kurz kommt, ist echtes "Training", also das Wiederholen und Einüben von Verhaltensmustern. Dazu haben aber in der Regel die Teilnehmer nicht allzu viel Lust und der durch den Auftraggeber vorgegebene Zeitrahmen reicht ebenfalls kaum aus.

Frank Taschner hat gesagt…

In der Tat! Wenn man Tennis spielt, lernt man die Bewegung beim Top-Spin auch nicht von einmal ausprobieren...
Ich glaube, es kursiert so eine Alltagstheorie, die besagt, dass Kommunikationsfähigkeit so eine Art Gabe ist, die wahlweise von Gott, dem Schicksal oder den Genen vorgegeben ist und die man hat oder eben nicht. Dass hier sehr vieles Übungssache ist, haben viele TeilnehmerInnen erst mal gar nicht im Blickfeld.

Britta Scholten hat gesagt…

Ich habe selbst das dem Buch zugrundeliegende Seminar besuchen dürfen und war hellauf begeistert. Für mich ist die Arbeit an konkreten Praxisfällen so logisch und wichtig, dass ich immer wieder erstaunt bin, wenn ich auf Teilnehmer treffe, die von sich behaupten, dass sie keine "schwierigen" (Kurzform! Ich leite das natürlich anders her.) Situationen kennen, noch nie gehabt haben und das Thema nur "einfach interessant" finden.
Zurück auf Anfang.
Und dann noch mal ein neuer Versuch...
Fazit: als Inhouse-Trainer ist es herausfordernd, die Ängste, Hemmungen, Schutzbedürfnisse usw. so zu berücksichtigen, dass sich der einzelne mit seinem Praxisfall "exponieren" mag. Und kurze Trainingszeiten von ein oder maximal zwei Tagen machen es nicht leichter.